TROTZ ALLEDEM!

Leserbrief der IML Österreich:

Diskussion der "Thesen für die Diskussion über die Partei"

Wie in der Vorbemerkung klargestellt wird, geht es in den Thesen um die "wichtigsten Prinzipien des Marxismus-Leninismus zum Parteiaufbau". Damit keinerlei unnötigen Missverständnisse aufkommen, wollen wir gleich hier feststellen, dass wir allen Thesen des allgemeinen Teils und fast allen des besonderen BRD-Teils im wesentlichen zustimmen können. Wir haben länger drüber diskutiert und sind dabei auch auf einige Probleme gestoßen. Vielleicht hängt es damit zusammen, dass wir die BRD Verhältnisse nicht von innen kennen. Wir schicken euch die Zusammenfassung der Diskussionsnotizen und ersuchen euch um eine Antwort.

Eine Sache stört uns an den Thesen insgesamt. Schon ganz am Anfang (ebenfalls noch in der Vorbemerkung) heißt es: "Die Anwendung dieser Prinzipien auf die konkrete Wirklichkeit steht noch aus."

Genaugenommen löst sich damit die BI selbst aus der Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung in Deutschland und stellt die Situation dar, als gebe es keinerlei Erfahrungen im Parteiaufbau. Unserer Meinung ist es kein richtiges Herangehen, die Prinzipien des ML unabhängig von der heutigen Wirklichkeit in prägnanter Weise zu formulieren. Wir vermuten, dass gemeint ist, dass die BI erst am Anfang steht bei der Anwendung der Prinzipien.

Wir fragen uns jedenfalls: Müsste nicht die Entwicklung seit 1950 berücksichtigt werden? Die Thesen sind, wie auch das anschließende Referat deutlich macht, von den Klassikerschriften abgeleitet. Das ist gut, aber wohl zu wenig, denn in den letzten 50 Jahren haben verheerende Entwicklungen in der IMLB stattgefunden, die auch neue Fragen aufwerfen, mit denen sich die Klassiker gar nicht auseinandersetzen mussten. Eine prägnante Zusammenfassung von Klassikeraussagen allein scheint uns daher zu kurz zu greifen. Zumindest sollte das Problem angerissen werden, dass ja vor euch in den letzten 40 Jahren schon andere Kommunist/innen versuchten, die "Prinzipien des ML zum Parteiaufbau ... auf die konkrete Wirklichkeit" anzuwenden und nur sehr vergängliche Erfolge erreichen konnten.

Die einzige Stelle dazu findet sich in der BRD-These 1, wo bloß festgestellt wird: "KPD, MLPD oder GDS etc. sind keine marxistisch-leninistischen Parteien." Dabei wird nicht einmal angedeutet, warum ihr das so einschätzt; ob sie Parteiaufbau-Prinzipien verletzen oder programmatische Fehler machen. (Außerdem wird nicht gesagt, ob sie noch keine Parteien sind, ob sie auf dem Weg dahin oder auf einem völligen Irrweg sind). Ihr stellt euch so außerhalb der "Parteiaufbauversuche" der letzten 40 Jahre; diese Haltung müsstet ihr aber auch begründen.

Damit in engem Zusammenhang steht eine andere grundlegende Frage: An wen richten sich die Thesen eigentlich? Richten sie sich an die in der BRD-These 1 genannten "vereinzelten Marxisten-LeninistInnen"; dienen die Thesen dazu, den Parteiaufbau-Festlegungen anderer Organisationen eine indirekte Kritik auf Prinzipienebene entgegenzustellen (im Vorwort heißt es: "Prinzipien des ML ..., die heute in Diskussion sind")? Das sollte auch klargestellt werden.

Jetzt einige Anmerkungen zu einzelnen Thesen:

Allgemeine These 2: Hier ist unklar und bleibt offen, wie das Bewusstsein in die Arbeiterklasse hineingetragen werden soll, wenn es noch keine Partei gibt (was ja unser großes Problem ist!). Die Aussage kann so verstanden werden, dass erst eine (fertige) Partei Bewusstsein hineintragen kann/soll und steht so in Widerspruch zur Allg.-These 8 und der Agitprop einer Gruppe, auch ohne Partei. Die These kann jedenfalls im Sinn der "Hauptseite Theorie" (miss)verstanden werden.

Außerdem taucht die Frage auf: Entsteht der Kommunismus bei den Kommunist/innen (vor der Parteigründung) spontan?

Allg. 6 (oben): Hier wird Hauptkettenglied und Hauptaufgabe fälschlich gleichgesetzt. Die Hauptaufgabe besteht für die ganze 1. Phase; das Hauptkettenglied muss jeweils konkret bestimmt werden.

All 6 (unten): Die Periodisierung der Arbeiterbewegung (historisch konkret, z.B. bei Stalin SW 5, S. 87), ist nicht das gleiche wie die zwei Phasen im Parteiaufbau. Die enge Begrenztheit der Strategie bei Stalin (siehe auch unten!) bezieht sich auf die (konkrete) geschichtliche Entwicklung und nicht auf die erste Phase im Parteiaufbau allgemein.

Allg. 6 (unten): Dort heißt es: "Die Strategie der Partei (ist in der ersten Phase) begrenzt." Das heißt nix!.

Wir haben die ganze Stelle bei Stalin nachgelesen; dort ist dieselbe Aussage im Zusammenhang zwar klarer und vom Inhalt her verständlich, aber wir finden, dass auch die Originalstelle eher zu Diskussionen und Vermutungen Anlass gibt, als dass damit eine thesenhafte Prägnanz erreicht wird. In der verstümmelten Version eurer These stiftet sie nur Verwirrung.

Bei Stalin ist wohl gemeint, dass die Partei wenig strategischen Spielraum hat, Reserven zu mobilisieren (oder so ähnlich). Bei euch gehts vermutlich eher um die Konkretisierung der allgemeinen Strategie auf ein bestimmtes Land.(?)

Allg. 7: Die Aussagen sollten konkretisiert werden, es geht doch nicht um eine möglichst abstrakte und allgemeine Festlegung.

BRD-These 2: Hier stellen sich eine Reihe von Fragen, die z.T. schon eingangs angerissen wurden. Die Frage ist doch, warum sind KPD usw. keine ml Organisationen und was haben sie im Parteiaufbau falsch gemacht? Wie können wir/ihr es besser machen?

Die These legt am Ende nahe, dass prinzipienlose Zusammenschlüsse die Hauptursache für das Scheitern des Parteiaufbaus in der BRD seit Mitte den 60er Jahren waren. Waren es nicht im Gegenteil lange Zeit unter anderem prinzipienferne Differenzen und prinzipienlose Streitereien, die die ML-Bewegung zersplitterten und zerrütteten. Ist nicht für manche Gruppen heute noch das vordergründige Bekenntnis zu Mao oder Hoxha wichtiger als die politische Linie? (siehe unten!) Hier müsste stärker differenziert und herausgearbeitet werden, was gemeint ist. Wenn nicht klar gesagt wird, welche "ideologisch-politischen Positionen in grundlegenden Fragen" gemeint sind, ist der Satz zwar richtig, klärt aber nix.

BRD-These 2: Eine Position (bei unserer Diskussion) kritisiert folgendes: Es ist hier vom "Konsens in den grundlegenden Prinzipien des ML" die Rede ("Weltlage, Imperialismus, Haltung zum modernen Revisionismus") und dann von der Notwendigkeit des ideologischen Kampfes um die Einheit zu ... Grundfragen der Revolution in der BRD, ... gewaltsame Revolution und DdP". In der Reihenfolge kommt aber im ideologischen Kampf bei euch noch vorher an erster Stelle die Klassiker-Frage, sowie die Einschätzung Maos, der chinesischen Revolution und der PAA.

Es fällt zwar (positiv) auf, dass die "Mao-oder-Hoxha-Frage" nicht unter "Konsens", sondern unter "ideologischer Kampf" eingeordnet wird; aber ist das nicht trotzdem eine Fortschreibung der Trennlinien von vor 20 Jahren und geht an anderen heute entscheidenderen Problemen vorbei (z.B. Grundzüge und Fragen der Revolution in imperialistischen Ländern, die auch detaillierter aufgeführt werden sollten)?

IML 5. 6. 98