TROTZ ALLEDEM!

 

Vorbemerkung:

In der vorhergehenden Nummer der Trotz Alledem haben wir zum Thema "Arbeiterbewegung und Migration" einen Überblick über die Haltung der Sozialdemokratie und der Kommunistischen Parteien gegeben. In dieser Folge veröffentlichen wir einen Abriß der historischen Kontinuität der Ausbeutung ausländischer ArbeiterInnen, Migranten und Zwangsarbeiter durch den deutschen Imperialismus bis zum Ende des 1. Weltkrieges. In der nächsten Nummer werden wir auf die Situation in der Weimarer Republik und unter dem Nazifaschismus eingehen.

Eine ‘lange’ Geschichte…
die Ausbeutung ausländischer ArbeiterInnen durch den deutschen Imperialismus

Wenn heute von bürgerlichen Politikern bis hin zu Soziologen darüber gestritten wird, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei, wie die "deutsche Nation erhalten" werden könne, ob "Multikulti" angesagt ist oder nicht, dann wird ein Fakt immer sehr gerne vergessen: Die historische Kontinuität der Ausbeutung von ausländischen ArbeiterInnen, die historische Kontinuität ihrer deutsch-chauvinistischen, nationalistischen Unterdrückung in Deutschland. Deutschland war seit seinem Hervortreten als imperiale Macht auch immer schon ein Eroberungs- und ganz der wirtschaftlichen und politischen Konjunktur entsprechend mal stärker und mal weniger stark Einwanderungsland.

Die Geschichtslosigkeit auch in dieser Frage will nur die Spuren des Aufstiegs des deutschen Kaiserreiches zu einer imperialen Großmacht verwischen, die später sowohl als bürgerliche Republik als auch als faschistischer Staat ihre Ziele konsequent verfolgte.

Bis heute hat sich der deutsche Imperialismus nicht in seinem Wesen verändert. Er hat sich nach seinen Niederlagen sowohl im 1. wie auch im 2. Weltkrieg immer wieder aufgerappelt und den Kampf um politischen, ökonomischen und militärischen Einfluß in der Weltgeschichte weitergeführt. Heute, im Jahr 2000 steht die deutsche Großmacht wieder stark wie selten zuvor auf dem Sprungbrett zur Verwirklichung ihrer Weltmachtspläne.

Die Ausbeutung der Arbeitskraft von Migranten, von ausländischen SaisonarbeiterInnen und ZwangsarbeiterInnen um gewaltige Extraprofite zu erzielen, das nationalistische Aufheizen der deutschen ArbeiterInnenklasse gegen die Migranten, das ist eine Politik die zum festen Bestandteil des Arsenals des deutschen Kapitals gehört. Und das seit seiner Geburtsstunde…

Die Zeit zwischen 1871 (das Jahr der Reichsgründung) und 1914 (dem Beginn des ersten Weltkrieges) war die eines enormen ökonomischen Aufschwunges. Deutschland wurde zur stärksten Wirtschaftsmacht in Europa. Der industrielle Sektor weitete sich rasch aus. Aus einem Agrar-Industrie-Land wurde ein mächtiger Industriestaat. Deutschland rückte hinsichtlich seiner Industrieproduktion an die zweite Stelle in der Welt. Das Industrieproletariat wuchs ungeheuer rasch. So verdoppelte sich die Zahl der in der Industrie Beschäftigten zwischen 1871 und 1913. Es setzte eine starke Landflucht ein, die städtische Bevölkerung verdreifachte sich. Auf den ostelbischen Landgütern herrschten menschenunwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen, und nach wie vor noch feudale Rechtlosigkeit. Viele "einheimische" Landarbeiter versuchten ihr Los durch eine Abwanderung in die Industriegebiete zu verbessern, da sie dort auf höhere Löhne und bessere soziale und rechtliche Lebensbedingungen hofften. Gleichzeitig verstärkte aber die Intensivierung der Landwirtschaft die Nachfrage nach Arbeitskräften. Die industrielle Reservearmee schmolz und obwohl die Auswanderung nach Übersee sehr stark zurückging, gab es einen immensen Arbeitskräftemangel sowohl in der Industrie, als auch insbesondere in der Landwirtschaft. Die Kapitalisten und Großgrundbesitzer sahen die Lösung des Problems in der Anwerbung und Beschäftigung "anspruchloserer", rechtloserer ausländischer ArbeiterInnen oder die verstärkte Auspressung Arbeiter unterdrückter Nationalitäten, wie der polnischen.

GEWALTSAME ASSIMILIERUNGSPOLITIK GEGENÜBER DER POLNISCHEN NATION IN DEUTSCHLAND

1795 fand die dritte Teilung Polens statt. Ein Vertrag zwischen Preußen, Rußland und Österreich liquidierte die polnische Eigenstaatlichkeit. Die polnische Nation wurde aufgeteilt. Innerhalb der Grenzen des deutschen Reiches lebten in dem von Deutschland annektierten Teil Polens seitdem circa 3 Millionen Polen. (Sie wurden ‘Inlandspolen’ oder ‘Kongreßpolen’ -in Anspielung auf die Abkommen des Wiener Kongresses - bezeichnet). Sie lebten in Posen, Masuren, Westpreußen oder ‘Ostpreußen’, d.h. in Gebieten des ehemaligen Königreichs Polens, die von Preußen okkupiert waren. Sie galten rechtlich als Deutsche und hatten einen deutsch/preußischen Paß. Viele preußische Politiker allen voran Bismark, Innenminister v. Puttkamer und Kultusminister v. Goßler setzten der zunehmenden Beschäftigung von Polen einen engen Rahmen, und vertraten eine antipolnische, preußisch-deutsche Nationalitätenpolitik, die sich sowohl gegen die inländischen, als auch gegen die ausländischen Polen (die aus den von Rußland und Österreich besetzen polnischen Gebieten kamen) richtete. Während die Polen mit dem deutschen Paß durch Unterdrückung ihrer Sprache und Kultur zwangsweise "germanisiert" werden sollten, wollte man die Polen aus dem Ausland zunächst gar nicht im Land haben. Um diese Germanisierungspolitik durchzuführen wurden in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts "antipolnische Abwehrvorschriften" erlassen. Sie zielten unter anderem darauf ab die Polen aus Österreich und Rußland, insbesonders in den Grenzprovinzen, von den Polen mit deutscher Staatsbürgerschaft fernzuhalten, und auch die Ansiedlung ausländischer polnischer ArbeiterInnen im gesamten Staatsgebiet zu verhindern. Jeglicher Kontakt zur inländischen polnischen Bevölkerung sollte verhindert werden, um die polnische Identität aus dem Gedächtnis auszumerzen, und die Assimilierung voranzutreiben. Aus diesem Grund wurde 1885 von Bismark die Ausweisung von circa 32.000 (andere Quellen sprechen von 40.000) Polen nichtpreußischer Staatsangehörigkeit aus dem preußischen Osten veranlaßt. Etwa ein Drittel davon waren galizische und russische, bzw. russisch-polnische Juden, von denen viele vor den Pogromen in Rußland seit 1881 ins deutsche Reich geflohen waren. Innerhalb weniger Wochen wurden Menschen vertrieben, die teilweise schon seit vielen Jahren, ja Jahrzehnten in Preußen lebten, arbeiteten und Familien gegründet hatten. "Wir wollen die fremden Polen los sein, weil wir an unseren eigenen genug haben", so Bismark vor dem Reichstag am 28. Januar 1886. ("Frauenmigration und Ausländerpolitik im Deutschen Kaiserreich", Dieter Bertz Verlag, S. 41)

Mitbetroffen von der Ausweisung waren deutsche Ehefrauen und ihre Kinder. Viele der damals auch als "die Überläufer" bezeichneten polnischen Männer aus Rußland und Österreich, waren in Preußen mit deutschen Frauen verheiratet. Durch ihre Eheschließung verloren die Frauen quasi als Strafe ihre deutsche Staatsbürgerschaft, die ihres Mannes wurde ihnen übertragen.

Zugleich mit der Ausweisung wurde die erneute Zuwanderung von polnischen ArbeiterInnen aus anderen Ländern nach Preußen verboten. Dieses Verbot wurde aufgrund der Forderungen vieler Landwirte nach billigeren Arbeitskräften 1890/91 wieder aufgehoben.

1886 nahm das preußische Abgeordnetenhaus ein Gesetz über die "Beförderung deutscher Ansiedlungen in den Provinzen Westpreußens und Posen" an. Den polnischen Grundbesitzern wurde Boden abgekauft. Das Verfügungsrecht über den Boden, wurde einer sogenannten "Ansiedlungskommission" übergeben. Diese wählte die "Bewerber" für die Ansiedlung aus. Das Recht auf Ansiedlung erhielten nur "echte Deutsche". Ziel war dabei diese polnischen Gebiete vollständig zu germanisieren.

Die Germanisierungspolitik sah vor, die polnische Sprache aus der Gesellschaft zu verbannen. In den Schulen wurde polnisch zu sprechen verboten, den Kindern die deutsche Sprache regelrecht eingeprügelt. Karl Liebknecht schildert ein Beispiel dieser brutalen Politik. "In Wreschen, einer Kreisstadt der Wojewodschaft Posen, waren am 20. Mai 1901 polnische Kinder von einem Lehrer schwer mißhandelt worden, weil sie nicht in deutscher Sprache beten wollten. Die empörten Eltern verteidigten ihre Kinder und wehrten sich gegen die brutalen Germanisierungsmethoden Preußens. Einige von ihnen wurden wegen ‘Landfriedensbruch’ zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt." ("Spartakusbriefe", S.36)

Seit den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts ließen sich Polen aus Ostpreußen, die die preußisch/deutsche Staatsangehörigkeit besaßen, im Westen Deutschlands, vor allem im Ruhrgebiet nieder. Bis zum ersten Weltkrieg waren es ca. 300.000. Allerdings liegen keine wirklich gesicherten Zahlen vor, wahrscheinlich waren es mehr. Ihre Auswanderung ins Ruhrgebiet war erzwungen durch die grausamen Folgen der "Germanisierungspolitik" in Ostpreußen, die für sie Enteignung, Perspektivlosigkeit und Armut bedeutete. Ihre Einwanderung in den Westen des Reichsgebiets wurde staatlicherseits "gefördert". Das Ruhrgebiet war damals ein sehr dünn besiedelter Landstrich. Es lebte nur eine halbe Million Menschen dort. Aber es versprach gute ökonomische Aussichten. Um die Jahrhundertwende war es ein entwickeltes Industriegebiet mit sechs mal soviel Menschen, und jede/r sechste stammte aus Polen. Die polnischen Werktätigen arbeiteten hauptsächlich in den Bergwerken im Ruhrgebiet. Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts stellten sie einen Großteil der Zechen-Belegschaft. So waren 1899 in der Zeche Ewald in Recklinghausen 85% der Arbeiter Polen ("Fremde in Deutschland, unbequeme Kapitel unserer Geschichte", Belz Verlag, S. 146). Sie wurden in menschenunwürdigen Massenquartieren untergebracht. Tödliche Arbeitsunfälle waren an der Tagesordnung.

Anfangs war der Nachzug der Familie verboten. Nachdem sich herausstellte, daß es sich nicht nur um einen kurzfristigen Arbeitskräftemangel im Bergwerk handelte, und auch die Tätigkeit eine gewisse Qualifizierung erforderte, entsprach die starke Fluktuation der Arbeitskräfte nicht mehr den ökonomischen Interessen der Ruhrkapitalisten. Familiennachzug wurde "erlaubt".

Die Arbeiter wurden von privaten Agenten unter falschen Versprechungen angeworben. Die Wunschvorstellungen der Kapitalisten dokumentiert ein Schreiben der Zeche ‘Hiberia’ von 1906 an "alle Gastwirte der Provinz Ostpreußens":

"Streng vertraulich! Wir bitten die Herrn Gastwirte, dafür zu sorgen, daß möglichst viele Arbeiter unter 26 Jahren, möglichst unverheiratete, hierher ziehen. Für jeden aus Ihrer Ortschaft Zuziehenden zahlen wir Ihnen drei Mark." ("Fremde in Deutschland, …", S. 147) Durch die mit den Agenten geschlossenen Verträge gaben die Arbeiter sämtliche Rechte an die Zeche ab. Die Kapitalisten behielten die Papiere der Arbeiter ein und verhinderten dadurch, daß die Arbeiter ihnen "wegliefen" und sich eine bessere Arbeit suchten. Die Polen mit deutscher Staatsangehörigkeit wurden als "Feinde im Innern" (Bismark) und als "Gefahr für das Deutschtum" angeprangert. Um sie an die Arbeitsplätze zu binden, besser kontrollieren und reglementieren zu können, wurden neben direkten Zwangsmaßnahmen auch ökonomische "Zuwendungen" gewährt. So wurden in der Nähe der Bergwerke für sie Werkssiedlungen errichtet, mit der Möglichkeit etwas Gemüse anzubauen und Kleinvieh zu halten. Einen Teil des Verdienstes mußten die ArbeiterInnen dann dem Betrieb als Entgelt für die Unterkunft und Verpflegung wieder zurückzahlen. Jeder Arbeitsplatzwechsel seitens der ArbeiterInnen, oder auch eine etwaige Kündigung durch den Kapitalisten, führte zur automatischen Kündigung der Werkswohnung. Ganz klar führte das zur Einschüchterung der ArbeiterInnen. Denn wenn sie aufmuckten und sich gegen schlechte Arbeitsbedingungen zur Wehr setzten, war nicht nur ihr Arbeitsplatz, sondern auch die Wohnung der ganzen Familie in Gefahr. Wer nicht kuschte, konnte im wahrsten Sinne des Wortes von heute auf morgen auf der Straße landen.

Die "Germanisierungspolitik" bezweckte das Ausmerzen der polnischen Kultur und Sprache in den Köpfen und Herzen der polnischen Menschen. Die polnische Sprache in öffentlichen Ämtern wurde verboten, ebenso polnischsprachiger Unterricht in der Schule und polnische Gottesdienste. Im April 1908 wurde das Reichsvereinsgesetz erlassen, das in dem sogenannten "Sprachenparagraph" für alle öffentlichen Versammlungen nur noch die deutsche Sprache zuließ. Somit wurden die elementarsten Rechte dieser unterdrückten Nation in Deutschland noch weiter eingeschränkt. (Gleichzeitig nutzte dieser Paragraph den Herrschenden auch, revolutionäre Sozialdemokraten aus dem Ausland am öffentlichen Auftreten zu hindern!) Der spätere preußische Kultusminister Heinrich Konrad von Studt verbot "die aktive Beteiligung polnischer Kinder an - so wörtlich- ‘öffentlichen Aufführungen und Lustbarkeiten’ aller Art’" ("Fremde in Deutschland,…", S. 149) Das preußische Innenministerium in Berlin rechtfertigte zynisch seine "Germanisierungspolitik": "An den Polen selbst wird damit ein gutes Werk vollzogen, denn es tritt dann an die Stelle eines minderwertigen, stets zu Exzessen geneigten, namentlich auch in den weiblichen Teilen mit bedenklichen Eigenschaften ausgestatteten Elementes die wirtschaftliche und sittliche Überlegenheit des Deutschtums". (ebenda, S. 149)

Aktive Verteidiger und Vorkämpfer für eine rassistische Staatspolitik gegenüber den Polen waren die sogenannten "Hakatisten" (Das ist der Name der Mitglieder des 1894 gegründeten ‘Deutschen Ostmarken-Vereins’). Sie gaben sich als die Verteidiger der ‘deutschen Interessen’ in den von Deutschland besetzten Gebieten Polens aus. Sie führten gezielte chauvinistisch-rassistische Hetzkampagnen gegen Polen und die polnische Kultur und gaben Anstöße für die vielen ‘Anti-Polen-Kampagnen’.

Im Rahmen dieser "Germanisierungspolitik" wurde eine "Antipolenagitation" entfacht, die ihren Höhepunkt 1909 in der Einrichtung einer "Zentralstelle für die Überwachung der Polenbewegung im rheinischwestfälischen Industriegebiet" fand. Ihre Aufgabe war es die Überwachung polnischer Zeitungen, Kulturvereine, gewerkschaftlicher und kommunistischer Tätigkeit zu koordinieren und regelmäßig Bericht an das Berliner Innenministerium zu geben. Diese Zentralstelle war bis 1914 tätig.

Die ökonomische Krise in den 20er Jahren, die chauvinistische Unterdrückung und versuchte Zwangsassimilierung der polnischen Bevölkerung im Ruhrgebiet führte dazu, daß 1923 nur noch die Hälfte der cirka 400.000 Polen und 1929 nur mehr ein Viertel von ihnen im Ruhrgebiet geblieben ist. In den neugegründeten polnischen Staat ging nur eine Minderheit zurück. Die Mehrheit der polnischen Werktätigen wanderte nach Belgien, nach Frankreich oder in die USA weiter.

Viele der zurückgebliebenen polnischen Werktätigen wurden unter dem Nazifaschismus geächtet und verfolgt. Die von der "Zentralstelle für die Überwachung der Polenbewegung im rheinischwestfälischen Industriegebiet" angelegten Akten wurden von der geheimen Staatspolizei des Nazifaschismus dazu benutzt, um mit ihrer Hilfe und den erbeuteten Vereinslisten viele aktive Mitglieder der polnischen Verbände und Vereine ausfindig zu machen, zu verfolgen, in KZ's zu verschleppen und viele zu ermorden.

DIE ZUWANDERUNG AUSLÄNDISCHER ARBEITER NACH DEUTSCHLAND

Seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts nahm die "Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte nach Deutschland und insbesondere nach Preußen Züge einer Massenbewegung an." (Bade, "Auswanderer, Wanderarbeiter, Gastarbeiter. . .", S. 436) 1907 arbeiteten ca 800.000 und zu Beginn des ersten Weltkrieges etwa 1,2 Millionen Ausländer im Gebiet des Deutschen Reiches. Die größte Gruppe (1914 ca. 400.000) unter ihnen waren Polen und Ruthenen (Ukrainer) aus den polnischen Gebieten im zaristischen Rußland. Sie waren überwiegend in der Landwirtschaft beschäftigt. Die Beschäftigung ausländischer Landarbeiter war für die Großgrundbesitzer aus vielen Gründen sehr profitabel. Wie Lenin sagt: "Es besteht kein Zweifel, daß nur äußerstes Elend die Menschen veranlaßt die Heimat zu verlassen, und daß die Kapitalisten die eingewanderten Arbeiter in gewissenlosester Weise ausbeuten" (Lenin, Bd. 19, S. 447). Das heißt, daß die ausländischen Wanderarbeiter aufgrund ihrer elenden Situation in ihren Herkunftsländern, und ihrer Rechtlosigkeit gezwungen waren die miserabelsten Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Die ausländischen Saison/Wander- und LandarbeiterInnen lebten fast in sklavenähnlichen Verhältnissen. Hier verbanden sich feudale Ausbeutungsformen mit der rasanten kapitalistischen Entwicklung der Landwirtschaft. Es war dies der preußische Entwicklungsweg des Kapitalismus, wie Lenin es formulierte.

WARUM WURDEN AUSLÄNDISCHE ARBEITERINNEN BESCHÄFTIGT ?

Die ausländischen ArbeiterInnen waren für das deutsche Großkapital und die Großagrarier eine "billige" Reservearmee. Wenn es für die Wirtschaft erforderlich war wurden sie geholt, und bei veränderter Konjunktur ( z.B. wirtschaftlicher Krise) konnten sie leicht wieder in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden. Keinesfalls sollten sie auf Dauer bleiben und mit der einheimischen Bevölkerung gleichgestellt werden. Auf dem 6. Arbeitsnachweis-Kongreß 1910 in Breslau wurde dieses Vorgehen auch noch als "Segen" für die einheimischen Arbeiter beschworen:

"Die Möglichkeit für die deutsche Industrie, ausländische Arbeiter heranzuziehen, ist besonders wertvoll in den Zeiten der Hochkonjunktur, wenn es gilt, den sprunghaft gesteigerten Bedarf des heimischen wie des ausländischen Marktes zu befriedigen ... Andererseits ist die Industrie bei dem Abflauen der Konjunktur und einer Erleichterung des Arbeitsmarktes in der Lage, zunächst die ausländischen Arbeiter abzustoßen, die somit für die einheimischen Arbeiter sozusagen als Konjunktur-Puffer, als Sicherheitsventil für deren kontinuierliche Beschäftigung dienen." ("Ausländische Arbeiter in Deutschland, vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik", S. 14)

Aber nicht nur als "Konjunkturpuffer" sollten die rechtlosen ausländischen Arbeiter dienen, sondern sie wurden auch angeworben um als Konkurrenten eingesetzt zu werden, um überholte feudale, soziale und politische Verhältnisse aufrechtzuerhalten, Lohnsteigerungen zu verhindern, um den einheimischen Werktätigen, die um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen kämpften "Zügel anzulegen" und ihnen ihre "Entbehrlichkeit" zu demonstrieren. Das heißt, nicht nur ökonomische Gründe sondern auch politische wurden bei der Beschäftigung der ausländischer Arbeiter verfolgt. Sie wurden seitens der Herrschenden als Mittel zur Spaltung der Arbeiterklasse benutzt, indem versucht wurde sie als Lohndrücker und Streikbrecher gegen die deutschen ArbeiterInnen einzusetzen. Gleichzeitig wurden die deutschen ArbeiterInnen gegen die ausländischen chauvinistisch und rassistisch aufgehetzt indem diese als Ursachen allen Übels hingestellt wurden. Darüberhinaus profitierten die besser gestellten arbeiteraristokratischen deutschen Meister und Aufseher von der verschärften Ausbeutung der ausländischen ArbeiterInnen. So wurde versucht die deutschen ArbeiterInnen in den großdeutschen Chauvinismus einzubinden. Das gelang auch nachhaltig, wie sich beim Ausbruch des 1.Weltkrieges zeigte. Die Spaltung der Arbeiterklasse, das war und ist immer ein Ziel, das die herrschenden Klassen bei der Beschäftigung ausländischer ArbeiterInnen verfolgen. Die Spaltung zwischen den Proletariern aufgrund der Nation, des Geschlechtes oder der Hautfarbe wird von der Bourgeoisie künstlich geschürt und wachgehalten. Denn "sie weiß, daß diese Spaltung das wahre Geheimnis der Erhaltung ihrer Macht ist." (Karl Marx, Werke Bd 16,. S. 388)

Die Arbeits- und Lebensbedingungen

Die Anwerbung von ausländischen Arbeitern war nichts anderes als gewerblicher Menschenhandel. Sie wurden wie Ware in Zeitungsannoncen zum Verkauf angeboten. In der "Neuen Zeit" führte der polnische Sozialdemokrat Marchelewski solche Inserate aus Landwirtschaftszeitschriften an:

"20.000 Galizier, Männer, Mädchen, Burschen für Feld, Ziegelei, Fabrik, auf Stunden-, Tage- oder Monatslohn, auch Akkord, kann unter sehr günstigen Bedingungen stellen. Evtl. übernehme auch die Garantie für Nichtfortlaufen der Leute bis Schluß der Arbeit, wenn Aufseher durch mich gestellt werden kann. Auf Wunsch sende sofort Vertragsformulare." "Habe sofort 16 kräftige russische Schnitter, 6 Männer, 8 Weiber und 2 Burschen unter günstigen Bedingungen umständehalber abzugeben. Schriftl. Angebote unter S 120 in der Geschäftsstelle der Zeitung niederzulegen." ("Die Neue Zeit, 1901, S. 722)

Den von Schleppern und Werbern, offiziell "Agenten und Inspektoren"genannt, angeheuerten ausländischen ArbeiterInnen wurden in ihren Heimatländern bei der Anwerbung das Blaue vom Himmel versprochen. Für ihre "Vermittlung" mußten sie den Agenten hohe Summen zahlen. Die Schlepper verkauften sie dann gegen eine weitere Vermittlungsgebühr an die Großgrundbesitzer weiter. Der Vertragsabschluß wurde noch vor Grenzübertritt abgeschlossen, wobei die meisten ArbeiterInnen nicht deutsch sprachen und somit nicht wußten, was sie eigentlich in dem Vertrag unterschrieben. Häufig mußten sie mehrere Tage oder Wochen an den Grenzen in Barackenlagern auf ihren Vertragsabschluß warten. Die Kosten dafür wurden ihnen später vom Lohn abgezogen. Viele der ArbeiterInnen wurden an der Grenze von einem Agenten zum anderen weitergereicht, und nach dieser Art "Zwischenhandel", dann auf einem regelrechten Markt an einen Landwirt "verkauft". Am Arbeitsplatz angekommen erkannten sie, daß sie belogen und betrogen wurden. Aber rechtliche Möglichkeiten sich zur Wehr zu setzen hatten sie nicht. Denn ihre Papiere waren ihnen vielfach von den Menschenhändlern abgenommen worden. Diese Vermittler "betreuten"(!!!) sie auch während ihres ganzen Aufenthaltes und zahlten ihnen den Lohn aus (oder auch nicht). Somit waren sie von ihnen vollkommen abhängig. Jedes "sich Wehren" galt als Kontraktbruch, der eine Ausweisung nach sich zog.

Die Arbeits- und Lebensbedingungen der ausländischen ArbeiterInnen waren äußerst miserabel, ja skandalös. Sie wurden als moderne "Arbeitssklaven" behandelt. Die ausländischen ArbeiterInnen wurden von ihren Familien getrennt. Männer und Frauen wurden in verschiedene Arbeitskolonnen aufgeteilt. In der Industrie verrichteten sie die unangenehmste und schmutzigste und auch gesundheitsgefährdenste Arbeit. Arbeiten im Freien, ungeschützt gegen die Witterungsverhältnisse wurden ihnen übertragen. Viele waren in Blei- und Zinkhütten beschäftigt. "In einer oberschlesischen Bleihütte war z.B. ein Viertel der hygienisch bedenklichen Arbeitsplätze mit Ausländern besetzt, die sich ... für die Bleikrankheiten besonders empfänglich erwiesen". ("Ausländische Arbeitskräfte in Deutschland", S. 26) Im Bausektor mußten sie körperlich besonders schwere Arbeiten verrichten wie Abbau und Transport von Erdmassen, Verlegen von Bahngleisen etc. . Im Ziegeleigewerbe war die Lage der Arbeiter besonders miserabel.

Die Verträge wurden meistens nicht mit dem deutschen Unternehmer, sondern mit den als Akkordanten oder Zwischenmeister bezeichneten Subunternehmern abgeschlossen, die sie auch bei der Arbeit beaufsichtigten. Hier wurden sie nicht nur durch den Unternehmer ausgebeutet, sondern auch durch die Subunternehmer, die den Ziegeleibesitzern garantierten in der Sommersaison eine festgelegte Zahl Ziegel zu einem Festpreis zu produzieren. Um den eigenen Gewinn möglichst hoch zu halten wurden den Arbeitern willkürliche Abzüge vom Lohn gemacht. Einmal angeworben wurden sie gezwungen den Vertrag einzuhalten. Dafür wurden ihnen die Ausweispapiere abgenommen, und der Lohn erst am Ende der Saison oder nach Rückehr in die Heimat ausgezahlt, wenn sich nicht schon vorher, was häufig vorkam, der Subunternehmer mit dem Lohn der Arbeiter abgesetzt hatte. "Wöchentliche Arbeitszeiten bis zu 70 Stunden und mehr waren in den Ziegeleibetrieben keine Seltenheit. Kinder im Alter von 12 bis 15 Jahren wurden wie aus einem Bericht des italienischen Konsulats in München vom Jahre 1901 hervorgeht ‘von 3 Uhr morgens bis 9 oder 10 Uhr abends und auch am Sonntag’ beschäftigt. Am längsten arbeiteten die Ziegelbrenner; ihr Arbeitstag dauerte bis zu 18 Stunden." ("Ausländische Arbeitskräfte in Deutschland", S. 29)

Ein großer Teil der ausländischen Arbeiter war in der Landwirtschaft Preußens beschäftigt. (1907 ca. 440.000 in der Industrie einschließlich Bergbau und Baugewerbe, 280.000 in der Landwirtschaft und 45.000 in Handel, Gastgewerbe etc.) Die in der Landwirtschaft beschäftigten Arbeiter waren meistens noch schlechter gestellt, als die industriellen Arbeiter. Wie schon gesagt, die preußischen Junker brauchten Arbeitskräfte. Nicht nur wegen der Abwanderung vieler "einheimischer" polnischer Werktätiger in den Westen des Reichs, und der Abschiebung Tausender Polen, sondern auch wegen des Strukturwandels in der Landwirtschaft, d.h. des Übergangs zu intensiver Anbaukultur, konkret Anbau von Hackfrüchten und insbesonders von Zuckerrüben. Besonders vorteilhaft war für die Junker die Beschäftigung von Saisonarbeitern. Das war für sie aus ökonomischen Gründen äußerst vorteilhaft, da sie im Herbst, wenn die Hauptarbeit getan worden war, und wenige "einheimische" Arbeiter auch die restliche Arbeit erledigen konnten, die Saisonarbeiter wieder nach Hause schicken und somit Lohn-, Unterkunfts-, und Verpflegungskosten einsparen konnten. Daneben entsprach das aber auch der politischen Ideologie, die in den ausländischen Arbeitern eine "Gefahr für das Deutschtum" sah und die sie nicht einen Tag länger als unbedingt notwendig ‘behalten’ wollten. Darum sollte ein "heimisch werden", eine Ansiedlung, bzw. sogar Annäherung an die einheimische Bevölkerung verhindert werden. Nach der Aufhebung des "Zuwanderungsverbots" für Polen aus anderen Ländern, war dies eine "gute" Regelung für die Herrschenden, die sowohl das Interesse an der Ausbeutung "billiger" Arbeitskraft berücksichtigte als auch die rassistische Ideologie, die vor der "Überschwemmung durch die Slawen" warnte, bediente.

Die Löhne entsprachen fast immer nicht den vertraglichen "Abmachungen". Die Arbeiter mußten sich zu Beginn der Saison verpflichten auch vertraglich nicht festgelegte Arbeiten zu verrichten, wenn der Gutsbesitzer dies für nötig ansah. Daneben mußten sie sich zu "unbedingtem Gehorsam" verpflichten. Die ArbeiterInnen mußten bei vorzeitigem Abbruch des Arbeitsverhältnisses, der als Kontraktbruch gewertet wurde, eine zuvor einbehaltene Kaution, die circa einem Viertel bis einem Drittel eines achtmonatigen Einkommens entsprach, zahlen. Die Gutsbesitzer hingegen konnten ihnen wegen angeblichem Ungehorsam, unzureichender Arbeitsleistung etc. sofort kündigen bzw. für alle möglichen angeblichen "Verstöße" Geldbußen erheben und den Lohn so drastisch mindern. Mißhandlungen von Landarbeitern waren an der Tagesordnung.

ERFASSUNG UND KONTROLLE DER AUSLÄNDISCHEN ARBEITER UND ARBEITERINNEN:
KARENZZEIT, LEGITIMATIONSPAPIERE…

Alle ausländischen ArbeiterInnen im deutschen Kaiserreich unterlagen restriktiven Regelungen. Zusätzlich waren die in Preußen beschäftigten Polen aus Rußland und Österreich einem spezifischen, rassistischen Sondergesetz unterworfen. Die meisten Debatten über die "Ausländerbeschäftigung" drehten sich um russische und galizische Polen, und ihre Beschäftigung in der Landwirtschaft. Die polnischen Landarbeiter wurden "zum Hauptfeindbild" stilisiert. Der Antipolonismus war neben dem Antisemitismus die vorherrschende nationalistisch-deutsch-chauvinistische Hetze in dieser Zeit.

Um zu gewährleisten, daß die ausländischen polnischen landwirtschaftlichen Arbeiter auch nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses Preußen verlassen, und nicht auf eigene Faust sich in anderen Teilen des Deutschen Reichs eine andere Arbeit suchten, wurde für die Wintermonate eine Sperrfrist verhängt. Diese wurde "Karenzzeit" genannt. Die "Karenzzeit" besagte, daß die Arbeiter aus dem östlichen Ausland (d.h. diese Karenzzeit galt "nur" für Polen aus Rußland und Galizien. Für die hauptsächlich in der Industrie beschäftigten Italiener und anderen Ausländer aus West-, Süd- und Nordeuropa gab es Ausnahmeregelungen) im Spätherbst das Land zu verlassen hatten, und erst im Frühjahr wieder einreisen durften. Ein weiteres Mittel um die ausländischen Arbeiter besser kontrollieren und die ‘illegale’ Einreise und selbständige Suche nach einem Arbeitsplatz verhindern zu können, war die Einführung der Legitimationskarte. Zugleich half sie die Kosten für die ‘Vermittlung’ ausländischer Arbeiter zu senken. Denn parallel, mit Hilfe der Legitimationskarte, wurde die Anwerbung zentralisiert in den Landwirtschaftskammern, später der "Feldarbeiterzentrale". Den einzelnen Schleppern, die untereinander in Konkurrenz lagen, wurde damit die Anwerbung entzogen.

Seit 1908 wurden alle ausländischen ArbeiterInnen, die die Grenze übertraten, zur Inlandslegitimation verpflichtet. (Vorher galt dieser Legitimationszwang nur in Preußen). Die ArbeiterInnen mußten sich eine ‘Legitimationskarte’ besorgen. Die Formulare dafür erhielten sie nur bei den von der Feldarbeiterzentrale errichteten "Grenzämtern". Die Feldarbeiterzentrale (im Dezember 1911 umbenannt in Deutsche Arbeiterzentrale - DAZ) hatte staatlicherseits 1907 das "Legitimationsmonopol" übertragen bekommen. Die Legitimationspapiere dienten der Kontrolle und Überwachung der ausländischen Arbeiter. Damit ArbeiterInnen die Legitimationskarte erhalten konnten, mußten sie einen Arbeitsvertrag vorweisen. In der Karte wurde sowohl der Name des Arbeiters oder der Arbeiterin, als auch des Arbeitgebers eingetragen. Die ArbeiterInnen waren verpflichtet für die Zeit ihrer Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung bei dem in der Legitimationskarte angegebenen Arbeitgeber zu arbeiten. Ausländer, die sich nicht an der in den Papieren angegebenen Arbeitsstelle aufhielten und in eine Kontrolle gerieten, wurden sofort ausgewiesen. Ein Arbeitsplatzwechsel war nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Arbeitgebers möglich, und mußte in der Karte vermerkt werden. Wenn die ArbeiterInnen wegen miserabler Arbeitsbedingungen den Arbeitgeber ohne dessen Erlaubnis wechselten, galten sie als "Kontraktbrecher", und wurden auf Fahndungslisten zur Ausweisung ausgeschrieben. Somit waren sie total der Willkür des Arbeitgebers ausgesetzt. Hauptaufgabe dieser privatrechtlichen, aber der Funktion nach staatlichen Institution war es, den Junkern möglichst billige und anspruchslose Arbeiter zuzuführen, sie genauestens zu kontrollieren und zu reglementieren, um ihnen die Möglichkeiten zu nehmen ihre Arbeitskraft selbständig zu für sie günstigeren Bedingungen anzubieten, sich gegen besonders grausame Arbeitsbedingungen zur Wehr zu setzen, oder gar zu organisieren.

Für die Arbeit in den Industriebezirken im Westen Deutschlands wurde den ausländischen polnischen Arbeitern, von Ausnahmefällen abgesehen, keine Erlaubnis erteilt. Der Staat fürchtete eine "Polnisierung des Westens". Ein Zusammenleben mit den Polen Ostpreußens, (also denen die einen deutschen Paß besaßen), würde die polnische Sprache und Kultur wiederaufleben lassen und deren "Assimilierung" erschweren. Darum wurde eine weitere Ansiedlung polnischer ArbeiterInnen verboten. Neben einer großen Gruppe ArbeiterInnen aus Österreich-Ungarn, mit Lichtenstein, Bosnien und Herzegowina, waren Arbeiter italienischer Nationalität hauptsächlich im Bausektor, in Steinbrüchen und Ziegeleien, als auch in Betrieben des Bergbaus und der Schwerindustrie tätig. 1907 gab es ca. 120.00 ausländische Arbeiter. In den Zechen des Ruhrgebiets stellten 130.000 polnische Arbeiter deutscher Staatsangehörigkeit zusammen mit 32.000 Italienern und Holländern und ausländischen Polen die Hälfte der Gesamtbelegschaften.

DIE SITUATION AUSLÄNDISCHER FRAUEN

Wie schon oben angeführt, war das Gros der im deutschen Reich beschäftigten ArbeiterInnen in Industrie und Landwirtschaft tätig. Nur 10 % arbeiteten in anderen Bereichen. 1907 waren von den in Industrie und Landwirtschaft eingesetzten ausländischen ArbeiterInnen 61,2 % in der Industrie und 38,8 % in der Landwirtschaft beschäftigt. Bezogen auf die Frauen kehrte sich dieses Verhältnis um. Knapp die Hälfte aller ausländischen landwirtschaftlichen ArbeiterInnen waren Frauen. 28% der ausländischen Frauen waren in der Industrie, 71,6% in der Landwirtschaft beschäftigt. (Siehe "Frauenmigration und Ausländerpolitik im Deutschen Kaiserreich", S. 12) In der Landwirtschaft in Preußen arbeiteten ausländische Arbeiterinnen aus Österreich, aus dem ruhtenischen Ostgalizien, aus Böhmen, Mähren, der Slowakei, Litauen, Ungarn oder Italien. Die zahlenmäßig weitaus größte Gruppe war die der polnischen Landarbeiterinnen. Der Übergang zu intensiven Anbaukulturen und der fabrikmäßigen Verarbeitung von Hackfrüchten, und dabei insbesonders Zuckerrüben, führte zu einem enorm gesteigerten Arbeitskräftebedarf. Vieles der Pflege- und Erntearbeit beim Zuckerrübenanbau mußte in mühsamer Handarbeit vollzogen werden. Nach der herrschenden Vorstellung über geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, waren diese mühsamen gleichförmigen Arbeiten wie das Harken, Unkrautjäten, Abhacken der Blätter, Häufeln und Verladen der Rüben Frauen- und Kinderarbeit. So wie ideologisch begründet wurde, daß bestimmte körperliche Arbeiten nicht von deutschen Arbeitern, sondern von angeblich naturgemäß dazu besser geeigneten ausländischen zu verrichten seien. So wurde auch ideologisch begründet, daß für die Rübenaufzucht, Pflege und Ernte Frauen, bzw. konkret ausländische Frauen und Kinder geeigneter seien. So könne diese hauptsächlich im Bücken zu verrichtende Arbeit "von Männern, ihres schwerfälligen und steifen Körperbaus wegen, nur unter verhältnismäßig größter Kraftanstrengung und Mühsal, dazu langsamer und unvollkommener ausgeführt werden als von weiblichen und jugendlichen Personen." ("Frauenmigration und Ausländerpolitik im Kaiserreich", S. 29)

Rübenarbeit war immer auch Kinderarbeit. Gesetzlich war es jedoch verboten Kinder unter 14 Jahren nach Deutschland mitzubringen. So hieß es in den Bestimmungen für Polen aus Rußland oder Österreich:

"Kinder unter 14 Jahren dürfen nicht mitgebracht werden. Nur den sogenannten Vorschnittern ist durch Erlaß vom 28. Februar 1911 gestattet noch nicht schulpflichtige Kinder mitzubringen". (ebenda, S. 58) Die Not der Migrantinnen, die Kinder für die Zeit ihres Auslandsaufenthalts anderweitig unterzubringen, wurde von den Gutsbesitzern schamlos ausgenutzt. In den meisten Fällen scherten sie sich nicht so sehr um die Gesetze. Sie schufen die ‘Möglichkeit’ ‘Frauenarbeit und Mutterschaft zu vereinbaren’, indem die Kinder mitarbeiteten, und so von den Müttern während der Arbeit "mitbeaufsichtigt" wurden.

Die Frau wurde nur als "Zuverdienerin" eingestuft. Ihre Entlohnung und die der Kinder und Jugendlichen war dementsprechend niedrig. Zudem man Frauen, die Kinder mitgebracht hatten, ja auch immer damit erpressen konnte, daß ihr Aufenthalt illegal, und bei Meldung ein Grund zur Ausweisung sei.

Eine weitere Bestimmung, die darauf abzielte insbesonders die polnische Zuwanderung zu reglementieren, besagte, daß nur ledige Polen einreisen durften. Auch wenn es Möglichkeiten gab, diese Bestimmung zu umgehen (wie das Beispiel von Müttern mit ihren Kindern bei der Rübenarbeit zeigt), war die weitaus größte Zahl der Landarbeiterinnen ledig. Sie wurden als Alleinstehende bzw. allein ohne Ehemann auf dem Gut arbeitende Frau einer sexistischen Unterdrückung durch die meist deutschen Vorarbeiter und Gutsbesitzer ausgesetzt. Das ‘Ledigengesetz’ wurde ergänzt durch eine Vorschrift, wonach die Arbeiterinnen bei Anwerbung nicht schwanger sein durften und eine spätere Schwangerschaft Grund für eine Ausweisung war. So mußten alle LandarbeiterInnen vor Arbeitsantritt den auch ‘Verpflichtungsschein’ genannten Arbeitsvertrag unterzeichnen, in dem es hieß:

"… Jeder Arbeiter muß vollständig gesund und ohne jedes die Arbeit hindernde Gebrechen (weibliche auch nicht schwanger) sein. … Den Anordnungen des Arbeitgebers ist unbedingt Folge zu leisten. Der Arbeitgeber ist berechtigt, das Arbeitsverhältnis sofort zu lösen, wenn … eine unverheiratete Person schwanger wird." (ebenda, S. 79) Schwangerschaft war für polnische Arbeiterinnen ein sie an der Arbeit "hinderndes Gebrechen". Entweder wurden sie gar nicht eingestellt, oder aber der Arbeitsvertrag konnte, wenn sie nach Arbeitsaufnahme schwanger wurden, sofort durch den Gutsbesitzer gekündigt werden. Dadurch verloren sie ihre Aufenthaltsberechtigung. Viele Frauen haben in dieser Situation versucht ihre Schwangerschaft möglichst lange zu verbergen und weiter zu schuften wie eh und je, oder aber um die Arbeit nicht zu verlieren, eine Abtreibung zu machen. Wenn man sich vor Augen hält, daß genau zur gleichen Zeit in der Öffentlichkeit über die "sinkenden Geburtenzahlen" der deutschen Bevölkerung, die Zeichen eines "Sittenverfalls", der "staats- und volksgefährdend" sei, geklagt und lamentiert wurde, so ist klar, daß den Bestimmungen rassistische Vorstellungen zur Bevölkerungspolitik zugrunde lagen.

Während die Rüben- und Kartoffelarbeit hauptsächlich als Frauenarbeit galt, war Mähen und Getreidearbeit hauptsächlich Männersache. Ausländische (mehrheitlich polnische) Frauen wurden von den Gutsbesitzern in diesen Zweigen für die Reproduktionsarbeit vor Ort eingestellt. D.h. sie waren zuständig für das Bekochen und die ‘Haushaltsführung’ der männlichen Arbeitskolonnen. Einer besonderen sexuellen Ausbeutung und Unterdrückung unterlagen die Arbeiterinnen, die als ‘Binderin’ arbeiteten. Für die Getreideernte erfolgte die Einstellung meist nur paarweise. Schnitter und Binderin, Mann und Frau, die sich zur Arbeit zusammenschlossen, wurden gemeinsam eingestellt. Da es aber für ausländische polnische ArbeiterInnen offiziell gar nicht möglich war als Paar eingestellt zu werden, und viele arbeitssuchende Männer und Frauen einzeln unterwegs waren, sahen sich viele arbeitssuchende Frauen gezwungen nicht nur ihre Arbeitskraft, sondern auch ihren Körper mit zu verkaufen.

DIE INTERESSEN DES DEUTSCHEN KAPITALS UND SEINES STAATES

Zunächst sieht es fast wie ein Widerspruch aus: Auf der einen Seite setzten sich Gutsbesitzer und Kapitalisten für eine möglichst umfangreiche Ausbeutung der Arbeitskraft ausländischer ArbeiterInnen ein und forderten nachdrücklich ihre Beschäftigung, die ihnen höchste Profite versprach. Andererseits aber forderten Ideologen der preußischen Regierung eine Einschränkung, ja einige das vollständige Verbot der Ausländerbeschäftigung, lehnten jede Zuwanderung ab, da sie dagegen "nationalpolitische" sprich rassistisch/chauvinistische Bedenken hatten. Das unterscheidet sich aber in Nichts von dem Bild, das wir heute in der BRD sehen. Den jeweils entsprechenden und sich ändernden Kapitalinteressen entsprechen verschiedene politisch und ideologische Argumentationen von Politikern. Im Kern sind sich alle einig: in der Ausbeutung der ausländischen ArbeiterInnen und der Aufhetzung der deutschen gegen diese.

Die "hardliner" waren Argumenteliferanten für die Zeiten, wo die Konjunktur wieder schlechter wurde und die ausländischen ArbeiterInnen abgeschoben bzw. ausgewiesen werden sollten. Gleichzeitig war diese Ideologie natürlich unbedingt notwendig um die deutschen Arbeiterinnen, Bauern und Mittelschicht aufzustacheln und für die imperialistische Expansionspolitik zu mobilisieren.

Die Politik ausländischen Arbeitern gegenüber war also immer eine chauvinistische. Sie paßte sich den jeweiligen ökonomischen Interessen an und baute immer auch schon vor für gegenläufige Entwicklungen.

Wie rassistisch die Beschäftigung ausländischer ArbeiterInnen begründet wurde, demonstrieren die Ausführungen des Regierungsassessors Bodenstein auf einer Versammlung der deutschen Arbeitgeberverbände 1908 in Berlin: Da die deutsche Arbeiterschaft "sich unbestritten zu einer höheren Kulturstufe und höherem wirtschaftlichen Niveau aufgeschwungen habe " müsse es "in gewisser Weise als erfreulich bezeichnet werden, daß für die Verrichtung der niederen Arbeiten anspruchslose ausländische Arbeiter zur Verfügung stehen." (a.a. O, S. 14) Und der spätere Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung, Friedrich Syrup schätzte den Einsatz ausländischer Arbeiter in der Industrie bis zum Ersten Weltkrieg in deutscher ‘Herrenmenschenideologie’ so ein:

"Das Abstoßen (von) Arbeiten (mit der) zumeist eine ermüdende Einförmigkeit ohne irgendwelche geistige Anspannung, ein abstoßender Schmutz und ein Zusammenkommen unvermeidlicher, unhygienischer Arbeitsbedingungen verbunden (ist), auf die Ausländer bedeutet keine Entartung, sondern eine in hygienischer Beziehung erwünschte Förderung der Volkskraft". Dadurch entsteht "für die einheimische Arbeiterschaft gleichzeitig der beachtenswerte Vorteil, daß ihr der Aufstieg von der gewöhnlichen, niedrig entlohnten Tagelöhnerarbeit zu der qualifizierten und gut entlohnten Facharbeit wesentlich erleichtert wird" ( a.a.O, S. 15) und

"Die Angehörigen eines roheren, in der Kultur tiefer stehenden Volkes kommen zu einem gebildeteren, um daselbst die gröberen, schlecht lohnenden Arbeiten zu übernehmen, von denen sich die Einheimischen gern, soweit es in der Möglichkeit liegt, abwenden."("Frauenmigration und Ausländerpolitik im Kaiserreich", S. 82)

Die Wurzeln und Keime der späteren faschistischen Naziideologie liegen hier ganz bloß.

Durch die Beschäftigung ausländischer Arbeiter wurde zweierlei erreicht. Einmal waren dies Arbeitskräfte, aus denen die Junker und Kapitalisten sehr hohe Profite herauspressen konnten, da für sie keinerlei Schutzbestimmungen galten. Die Kapitalisten konnten die Länge des Arbeitstages selbst festlegen, und selbst die geringen Löhne willkürlich wegen angeblichem Vertragsbruch, oder Nichtbeachten von Vorschriften einbehalten. Die Bourgeoisie bediente sich der altbewährten Methode "Teile und herrsche"! Die Beschäftigung ausländischer Arbeiter wurde auch dazu benutzt um unter den deutschen Werktätigen die Ideologie der deutschen ‘Herrenmenschen’ durchzusetzen. Die Arbeiter wurden in zwei Kategorien eingeteilt. Einmal die ausländischen Arbeiter, zuständig für die körperlich schwersten, schmutzigsten, gefährlichsten, gleichzeitig schlechtbezahltesten Arbeiten, untergebracht in menschenunwürdigsten Unterkünften, tagtäglicher Diskriminierung ausgesetzt ohne jegliche Rechte, und daneben die im Verhältnis dazu privilegierteren, qualifizierteren deutschen Arbeiter. Unter den deutschen Arbeitern wurde propagiert, daß sie für diese "primitiven" Tätigkeiten "zu schade" seien, weil sie was besseres seien. Sie wurden häufig als "Vorschnitter" oder "Vorarbeiter" zur Beaufsichtigung der ausländischen Klassenbrüder und -schwestern eingesetzt. Durch elitäre, rassistisch und chauvinistische Anschauungen wurde die Arbeiterklasse gespalten, eine Solidarität der deutschen Arbeiter gegenüber den ausländischen versucht zu verhindern bzw. überhaupt erst keine aufkommen zu lassen. Somit sollte ein Keil zwischen deutsche und ausländische Arbeiter getrieben werden und jeglicher gemeinsame Kampf untergraben und verunmöglicht werden. Dabei hatten die Herrschenden auch Erfolge. Chauvinistische, rassistische Anschauungen waren unter den Werktätigen verankert. Die Herrschenden konnten sich auf die Mithilfe reformistischer, opportunistischer, chauvinistischer Gewerkschaftsführer und Teile der Sozialdemokratie stützen. Lediglich die revolutionären Sozialdemokraten und revolutionäre ArbeiterInnen kämpften gegen Chauvinismus und Rassismus, wenn auch mit Fehlern. (Beispiele dafür haben wir in der TA Nummer 15 ausführlich gegeben).Aber sie waren nicht stark genug, um den auch in der Arbeiterbewegung vorherrschenden Chauvinismus zu brechen.

ZWANGSARBEIT WÄHREND DES I. WELTKRIEGES

Zu Beginn des 1. imperialistischen Weltkrieges gab es circa 1,2 Millionen ausländische ArbeiterInnen im Deutschen Reich. Nach Kriegsbeginn wurde Ausländern aus den mit Deutschland verbündeten Staaten die Ausreise erlaubt. Viele AusländerInnen neutraler Staaten wurden in ihre Heimat abgeschoben. Die polnischen Arbeiter aus den vom Zarismus besetzen Gebieten Polens, als auch ein Teil der Polen und Ruthenen aus dem österreichischen Galizien wurden an ihren Arbeitsplätzen festgehalten und zur Zwangsarbeit verpflichtet. Die polnischen Saisonarbeiter in der Landwirtschaft, die bis dato im Winter zwangsweise Deutschland zu verlassen hatten (Karenzzeit), und für die die Drohung mit der Ausweisung die schärfste Disziplinierungsmaßnahme war, wurden nun an der Ausreise gehindert, und unter Androhung und Anwendung von Gewaltmitteln zur Arbeit gezwungen. Sie wurden dazu verdammt Arbeitsverträge zu noch schlechteren Konditionen wie bislang anzunehmen. Lehnten sie das ab, wurden sie inhaftiert oder in Gefangenenlager gebracht. So hieß es in den Mitteilungen der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft: "Nötigenfalls haben wir ja aber Zwangsmittel in der Hand, da die Leute sich wohl besinnen werden, sich als Kriegsgefangene abführen zu lassen. Der Rat, sie durch freundliche Behandlung sich gefügig zu machen, erscheint heute den meisten deplaciert." ("Ausländische Arbeitskräfte in Deutschland", S.34-35)

Und in einem Rundschreiben wurde angeordnet:

"Insbesondere die russisch-polnischen Saisonarbeiter seien darauf hinzuweisen, daß bei der leisesten Widersetzlichkeit mit aller Strenge gegen sie vorgegangen werden wird, und daß sie bei Inhaftierung in Gefangenenlagern umsonst arbeiten müssen." (a.a.O. S. 35)

Tausende polnischer Arbeiter und Arbeiterinnen, die sich nicht den Repressalien beugen, die die ihnen aufgezwungenen Arbeitsverträge nicht unterschreiben wollten, oder versuchten zu fliehen, wurden in Gefängnisse und Lager eingekerkert/interniert. So gelang es den Widerstand weitgehend zu brechen.

Nicht nur die sowieso schon im Deutschen Reich lebenden ausländischen ArbeiterInnen wurden zur Zwangsarbeit verpflichtet. In den vom deutschen Heer besetzten Gebieten wurden vor allem aus Polen und Belgien Tausende von Werktätigen zur Zwangsarbeit nach Deutschland gepreßt. In den besetzten landwirtschaftlichen Gebieten wurde das Vieh, die Ernte und das Saatgut beschlagnahmt, in der Industrie Betriebe durch die Besatzungsmacht stillgelegt, Maschinen und Rohstoffe geraubt. Neben der Bereicherung für die Armee sollten die Werktätigen so mürbe gemacht und aus Arbeitslosigkeit, Hoffnungslosigkeit und Not nur den Ausweg sehen, sich "freiwillig" zur Arbeit in Deutschland zu verpflichten. Alle, die sich nicht "freiwillig" meldeten und aufgegriffen wurden, wurden mit Gefängnis, zwangsweiser Deportation und Internierung in Lagern in Deutschland bestraft. Aber auch durch diesen ökonomischen und außerökonomischen Zwang konnten nicht genügend "Freiwillige" für den Arbeitseinsatz in Deutschland rekrutiert werden. Darum wurde der letzte Schein von "Freiwilligkeit" fallengelassen und Hunderttausende polnische und jüdische Werktätige aus Polen, zehntausende Arbeiter aus Belgien verschleppt, in Lager gepfercht und zur Zwangsarbeit verdammt. 1918 waren annähernd eine Million zivile Zwangsarbeiter in der deutschen Kriegswirtschaft tätig. Viele nach Deutschland deportierte Zwangsarbeiter weigerten sich auch in den Lagern eine Arbeit aufzunehmen. Dieser Widerstand vieler Deportierter, Proteste im Ausland und der Kampf von KommunistInnen wie Liebknecht gegen Deportation und Zwangsarbeit führten dazu, daß die Massendeportationen im Februar 1917 eingestellt wurden.

Neben den "zivilen" Zwangsarbeitern mußten weitere 1,6 Millionen Kriegsgefangene in der Landwirtschaft und Industrie für den deutschen Imperialismus schuften. (Zahlen siehe Johann Woydt, "Ausländische Arbeitskräfte in Deutschland", S. 43)

Die in Deutschland während des 1. imperialistischen Krieges schuftenden ausländischen Arbeiter vegetierten unter grausamen Bedingungen dahin. Die Kriegsgefangenen, die arbeiten mußten, hatten natürlich sowieso keinerlei Rechte. Aber auch die "zivilen", schon vor Kriegsbeginn in Deutschland lebenden wie auch die während des Krieges angeblich "freiwillig angeworbenen", oder offen gewaltsam nach Deutschland deportierten ArbeiterInnen waren ihrer elementarsten Rechte beraubt. Kurz nach Kriegsbeginn wurde vielen in der Landwirtschaft tätigen Polen angesichts ihrer entrechteten Lage und staatlichen Verpflichtung zur Arbeit die Löhne stark gekürzt, oder aber die Lohnzahlung ganz eingestellt. Teilweise erteilte man ihnen Gutscheine, die sie angeblich nach Kriegsende einlösen konnten. Mißhandlung durch die Arbeitgeber und die Polizei, menschenunwürdigste Wohnverhältnisse, in Schnitterkasernen und Lagern, miserable Verpflegung, Internierung in Gefangenenlagern bei Auseinandersetzungen mit den Fabrikherren gehörten zur "normalen" Behandlung. Russisch/polnische ArbeiterInnen mußten ihre Kleidung durch einen in Hose und Jacke eingenähten Streifen kennzeichnen.

Auch den ausländischen Arbeitern in der Industrie erging es nicht besser.

Ein Beispiel ist das der in den Krupp Werken beschäftigten sogenannten Zivilgefangenen. Das waren ausländische Vertragsarbeiter, die nach Kriegsbeginn einfach zu Gefangenen gemacht worden sind. D.h. sie mußten als Zwangsarbeiter im Werk bleiben und durften den Arbeitsplatz und Deutschland nicht verlassen.

Im Jahr 1916 waren das nach Angaben der Krupp Firmenleitung ca. 1000 russische und polnische Arbeiter. Um ihre Unterdrückung und Kontrolle vollständig zu gewährleisten verpflichtete sich die Unternehmensleitung in Verhandlungen mit den Behörden: "für die Unterbringung der Arbeiter ein Barackenlager in Anschluß an das Kriegsgefangenenlager in Hochemmerich herzustellen. Das Lager soll vollständig eingefriedet und abgeschlossen sein." Überwacht werden sollte das Lager durch "von der Firma mit Armbinde, Dienstmütze und Waffe ausgestattete" deutsche Werksangehörige. Im Betrieb selbst sollten deutsche Meister und Vorarbeiter die Überwachung vervollständigen. Zur "Erleichterung der polizeilichen Beaufsichtigung …(soll) die Kleidung der russisch-polnischen Arbeiter mit einem besonderen Abzeichnen (eingenähter Streifen in Jacke und Hose) versehen werden". Weiterhin sahen die Vereinbarungen vor, den polnischen Arbeitern der Besuch deutscher Lokale und die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, das Betreten der Bahnhöfe und der Rheinbrücken zu verbieten, und ihnen ein nächtliches Ausgehverbot zu erteilen sei." ("Niederschrift über die bei der Friedrich-Krupp AG Friedrich-Alfred-Hütte in Rheinhausen während des Krieges zu Tage getretenen Übelstände in der Beschäftigung, Unterbringung und Überwachung russischer Arbeiter." zitiert in U. Herbert "Geschichte der Ausländerbeschäftigung in Deutschland 1880-1980", S.105)

Die Unterbringung von ausländischen ArbeiterInnen in bewachten Lagern, Schnitterkasernen etc., um die Arbeiter an einer Flucht zu hindern, die Bewachung durch deutsches Vorarbeiterpersonal, die Anwendung von Prügel und anderer Gewalt gegen angeblich "vertragsbrüchige" Arbeiter, gewaltsame "Anwerbung" von Arbeitern, die zur Zeit des 1. Weltkrieges auch schon die Form von Zwangsdeportation der Bevölkerung ganzer Gebiete und Zwangsarbeit annahm, waren also schon vom deutschen Imperialismus "erprobte" Maßnahmen.In dieser Tradition setzte der Nazifaschismus die Ausbeutung und Versklavung ausländischer ArbeiterInnen fort und steigerte diese auf das Barbarischste.