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"Der Weltkrieg und der Balkan"

von Marinowitsch (Belgrad) in "Internationale Pressekorrespondenz", Nr. 83/1924, S. 1027

Die Balkankriege bilden die Einleitung zum imperialistischen Weltkriege und sind daher mit diesem als ein Ganzes zu betrachten. Und wenn wir heute, zehn Jahre nach dem Ausbruch des imperialistischen Weltkrieges, unsere Stimme gegen das schaudererregende Blutvergießen und gegen die Verwüstungen die dieser Krieg der ganzen Menschheit brachte, erheben, ist es notwendig, daß wir einige Worte auch über die Balkankriege sagen.

Nach den Direktiven Frankreichs und Rußlands schlossen Serbien, Bulgarien und Griechenland einen Kriegsbund gegen die Türkei ab (1912). Wenn auch die Bourgeoisien dieser drei Balkanländer proklamierten, daß dieser Krieg ' für die Befreiung der unterdrückten christlichen Nationen geführt wird, haben die damaligen sozialistischen Parteien in Serbien und Bulgarien (die engherzigen) in den Parlamenten gegen den Krieg, die Kriegsausgaben gestimmt und erklärt, daß dieser Krieg einerseits auf Verlangen der imperialistischen Mächte Rußlands und Frankreichs geführt wird und daß andererseits diese drei Staaten nur eine Eroberung vollführen. Die revolutionären sozialistischen Parteien Serbiens und Bulgariens erklärten, daß dieser Krieg den Balkanvölkern keine Freiheit bringen wird und daß sich die gegen die Türkei Verbündeten sehr bald untereinander für die Verteilung der Beute abmorden werden. Diese Parteien wiesen darauf hin, daß es innerhalb der kapitalistischen Ordnung, in der Periode des Imperialismus, keine Kriege für die nationale Befreiung, keine Verteidigungs-, sondern nur Eroberungskriege gibt und geben kann. So war es auch. Im Juni 1913 kam es bereits zum Krieg zwischen Serbien, Griechenland einerseits und Bulgarien andererseits. Die früheren Kriegsverbündeten schlachteten sich gegenseitig ab wegen der Verteilung Mazedoniens, der wichtigsten, von verschiedenen Nationen bewohnten Provinz auf dem Balkan. Die so entstandene Lage nützte Rumänien sofort aus und trat auch in den Krieg gegen Bulgarien ein. Die unzufriedenen Bauern, die Grund und Boden verlangten, versuchten sie durch Versprechungen zu beschwichtigen daß ihnen Grund und Boden in der von Bulgarien zu befreienden Dobrudscha zugewiesen werde. Der Krieg wurde beendet und Rumänien, ohne eine Patrone zu verschießen, kam in den Besitz der Dobrudscha.

Diese beiden Balkankriege verschlangen viele tausend Menschenopfer und verschlimmerten die wirtschaftliche und finanzielle Lage der Balkanvölker noch mehr. () So vergrößerte sich die Kluft unter den Balkanstaaten noch mehr. Das Zusammenbrechen der Nationalitätenpolitik der Bourgeoisien auf dem Balkan ist augenscheinlich geworden. Die Bourgeoisien der Balkanländer waren unfähig, die nationalen Fragen zu lösen. An Stelle einer nationalen Befreiung und Sicherung der Verhältnisse für eine selbständige und fortschrittliche wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung ist es zur nationalen Zersplitterung und neuer nationaler Sklaverei gekommen.

Nach einem Jahr, im Juli 1914, brach der Weltkrieg, für den man sich in beiden Lagern der imperialistischen Mächte der Entente und dem Dreibund bereits längst vorbereitet hat, aus, dessen Ausbruch die Balkankriege nur beschleunigt haben. Serbien war der erste Staat, der in den imperialistischen Weltkrieg eingetreten ist (30. Juli). Damals erhob sich die revolutionäre sozialistische Partei Serbiens durch ihre zwei Vertreter im Parlament, bei einer einstimmigen Bourgeoisie, energisch gegen den Krieg und die Bewilligung jedweder Kriegskredite. Diese Partei tat auch dasselbe, als ganz Serbien okkupiert war. Dieser imperialistische Krieg, in den Serbien als Vasall eingetreten ist, war noch weniger ein Befreiungskrieg, als die Balkankriege es waren. Diesen Krieg führten zwei Lager der imperialistischen Großmächte, die untereinander um die Weltherrschaft kämpfen. Nach Serbien traten die Türkei und Bulgarien in den Krieg an der Seite Deutschlands und Rumänien an der Seite der Entente.

Griechenland ist in diesen Krieg nicht eingetreten, das stimmt; aber nicht deshalb, weil die dortigen herrschenden Kreise gegen einen Krieg waren, sondern deshalb, weil sie auf einen größeren Gewinn spekulierten. Inzwischen drang die Entente nach Griechenland ein und schaffte in Griechenland die Basis für die eigenen Kriegsoperationen. Die sozialistischen, revolutionären Parteien und Gruppen Serbiens, Bulgariens und Rumäniens haben von Anfang bis zu Ende gegen diesen Krieg angekämpft, haben gegen alle Kredite gestimmt und Frieden verlangt. Diese Parteien und Gruppen haben sich konsequent an die früheren Entschließungen der II. Internationale gehalten, die das Proletariat verraten nicht nur dadurch, daß sie nichts gegen den Krieg unternommen hat, sondern in die Dienste der Kapitalisten und Imperialisten eingetreten ist und so eine konterrevolutionäre Rolle gespielt hat.

Die Balkanvölker, die Sieger sowie die Besiegten, sind aus diesem Krieg vollkommen erschöpft hervorgegangen mit einem noch größeren gegenseitigen Haß. Unermeßbare, unschätzbare und unbeschreibliche Opfer haben die Balkanvölker in diesem grauenvollen Abschlachten erleiden müssen.

Serbien war länger als drei Jahre okkupiert; man kann sich vorstellen, wie es in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht ausgesehen hat.

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Mit Beendigung des Krieges sollte man die Wahrheit erkennen, die die sozialistischen Parteien während des Krieges bereits verkündeten. Dieser Krieg hat den Völkern keinen Frieden und keine Befreiung gebracht, sondern die bestehenden Gegensätze nur noch verschärft und den Boden für neue Kriege vorbereitet. Die Kluft unter den Balkanstaaten ist noch größer geworden. Bald nach Beendigung des Weltkriegsgemetzels kam es zu einem neuen Krieg zwischen der Türkei und Griechenland, deren Völker neue, unermeßliche Opfer und Leiden ertragen mußten. () Durch diesen Krieg wurden die Völker der Sieger sowie der besiegten Länder des Balkans vollkommen ruiniert. Das Proletariat und die arbeitenden Massen der Dörfer und Städte wurden einerseits noch mehr wirtschaftlich und finanziell von der heimatlichen Bourgeoisie versklavt und andererseits machte die Entente, Frankreich Italien und England, aus den Balkanländern noch sicherere und gehorsamere Vasallen und Kolonien, über die der Weg für das Vordringen des Imperialismus nach Afrika und Asien gesichert werden soll. Nachdem die Großmächte den Balkan, je nach deren Interessen, zerschnitten, brachten sie auch die Balkanvölker untereinander in Streit, machten dieselben für eine selbständige Existenz unfähig und bereiteten sie für neue Kriege vor. Um die eroberten Provinzen unter der Herrschaft zu erhalten, verwenden die Bourgeoisien und die Hofcliquen der siegreichen Balkanländer Milliarden für den Imperialismus und für die Kriegsrüstungen. Frankreich, das heute an der Spitze der Reaktion und des Imperialismus steht, gibt seinen Balkanvasallen neue Anleihen und Kriegsrüstungen. Vor einigen Monaten bekam Jugoslawien von Frankreich eine Anleihe von 11/2 Milliarden Dinar. Das Budget für den Militarismus, das im Jahre 1920 nur 577 Millionen Dinar ausmachte, stieg für das Jahr 1924 bereits auf 2139 Millionen Dinar, was mehr als ein Fünftel des gesamten Staatsvoranschlages ausmacht Heute hat Jugoslawien eine Staatsschuld von 20 Milliarden, die es meistens für Kriege und militärische Zwecke gemacht hat. Auf jeden Einwohner entfallen 1700 Dinar.

Rumänien gibt heute bei einem Staatsvoranschläge von 20 Milliarden Lei und einer Staatsschuld von 25 Milliarden -Goldlei rund 3 Milliarden jährlich für den Militarismus aus. Es verschwendet rücksichtslos das Geld des Volkes, um in erster Linie Bessarabien in der Sklaverei zu erhalten.

Bulgarien, dem die Großmächte auf dem Papier verboten haben, ein ständiges, auf allgemeine Dienstpflicht beruhendes Heer zu haben, rüstet und bereitet sich für neue Kriege mit Wissen und geheimer Zustimmung derselben Großmächte vor. Die bulgarischen Machthaber haben das bulgarische Volk mit mehr als l00 Milliarden Lei für Kriegskosten und Militarismus belastet; auf jeden Einwohner Bulgariens entfällt eine Staatsschuld von 22.273 Lei.

Heute, nachdem 10 Jahre seit Ausbruch des Weltkrieges verflossen sind, sollen das Proletariat und die arbeitenden Massen der Städte und Dörfer des ganzen Balkans sich des furchtbaren Blutvergießens und der Verwüstungen erinnern, die der letzte imperialistische Krieg bei den Balkanvölkern angerichtet hat, sollen es sich gut ins Gedächtnis zurückrufen, daß diese Kriege für die Interessen der kapitalistischen und monarchistischen Cliquen geführt wurden und nur zu einer weiteren politischen und wirtschaftlichen Versklavung des Proletariats und der armen arbeitenden Massen der Städte und Dörfer geführt haben. Und alle Balkanvölker, die Türken, die in den letzten Kriegen 5 Millionen der besten Söhne des Landes begraben mußten, miteingerechnet, die Balkanvölker, denen die Machthaber des Balkans mehr als 60 Milliarden Golddinar Kriegskosten und mehr als 120 Milliarden Staatsschulden aufgebürdet haben, diese Völker, auf die unermeßliche und unerhörte wirtschaftliche und finanzielle Lasten abgewälzt wurden, diese Völker sind verpflichtet, die Stimme laut gegen den letzten Krieg und gegen neue, vom Kapitalismus vorbereitete imperialistische Kriege zu erheben.

Die letzten Kriege haben gezeigt, daß die Arbeiter und die armen Bauernmassen einen gemeinsamen Feind haben und deshalb sind die Arbeiter und Bauern verpflichtet, einen gemeinsamen Krieg gegen den gemeinsamen Feind zu führen. Die Balkanvölker haben das allergrößte Interesse, untereinander in Frieden und Bündnis zu leben, aber diesen Frieden und dieses Bündnis können sie erst dann erringen, wenn sie gemeinsam für die Beseitigung der kapitalistischen und monarchistischen Ordnung kämpfen. Die Arbeiter und Bauern sind verpflichtet, der Einheitsfront der kapitalistischen, imperialistischen und monarchistischen Cliquen eine eigene Einheitsfront entgegenzustellen. Das Bündnis der Arbeiter und Bauern mit der Parole der Arbeiter- und Bauernregierung, mit dem Ziel die Föderation der Arbeiter- und Bauernrepubliken auf dem Balkan zu erkämpfen; als Garantie für Frieden, Freiheit, für die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung aller Balkanvölker, kann nur als eine logische Folge des Vorangegangenen betrachtet werden.

Die Kommunistischen Parteien der Balkanländer, als die einzigen Vertreterinnen aller Ausgebeuteten und Unterdrückten, sind heute, zehn Jahre nach Ausbruch des furchtbaren Blutvergießens, verpflichtet, das ganze Proletariat und die Bauernmassen um sich zu scharen, um diese Massen in den unversöhnlichen Kampf gegen den Kapitalismus und Imperialismus zu führen, der auch für die Balkanvölker neue Kriege vorbereitet.

Dem Ruf: "Nieder mit den kapitalistischen Kriegen!" muß von dem Proletariat und den armen Bauernmassen auf dem Balkan der Ruf folgen: "Auf in den Kampf für die Föderation der Arbeiter- und Bauernrepubliken des Balkans!"