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Auszug

"Die Nationale und die Agrarfrage auf dem Balkan"

von Christo Kabaktschieff in "Die Kommunistische Internationale", Nr. 27/28, 1928, s. 1633

"Vor dem Balkankriege (1912) war die historische Möglichkeit zur Erreichung der nationalen Befreiung und des Zusammenschlusses der Balkanvölker durch eine bürgerlich-demokratische Revolution nicht vollkommen ausgeschlossen.

Die bald nach der Revolution in der Türkei, und zwar im Jahre 1910, einberufene Balkanische Sozialistische Konferenz stellte die Losung einer Balkanischen Demokratischen Föderativen Republik auf. Diese Losung wurde auch nach dem Balkankriege aufrechterhalten. Als die balkanischen sozialdemokratischen Parteien (mit Ausnahme der bulgarischen Partei der "Breiten", d.h. der kleinbürgerlichen Sozialisten, Opportunisten) vor dem imperialistischen Kriege gegen die nationale Eroberungspolitik, gegen Kriege und Annexionen der Bourgeoisie die Losung der Balkanischen Demokratischen Föderativen Republik aufstellten, indem sie auf den Weg der bürgerlich-demokratischen Revolution für die Lösung der nationalen Frage auf dem Balkan hinwiesen, so hatten die unbedingt recht.

Der imperialistische Krieg und die auf ihn folgende Epoche der internationalen proletarischen Revolution haben jedoch die Bedingungen, unter denen sich der nationale Freiheitskampf der balkanischen Völker entwickelte , von Grund auf verändert. Wie in der Periode vor dem Kriege die balkanischen Marxisten (die Partei der "engen" Sozialisten in Bulgarien) auf den einzig möglichen, revolutionären Weg für die Verwirklichung der nationalen Befreiung der Balkanvölker hinwiesen, so stehen auch gegenwärtig die kommunistischen Parteien auf dem Standpunkt, daß nur eine siegreiche Revolution die Ketten der nationalen Sklaverei auf dem Balkan sprengen wird. Vor dem Kriege galt jedoch die nationale Bewegung auf dem Balkan als ein Teil der bürgerlich-demokratischen Revolution; heute aber bildet die nationale Bewegung bereits einen Teil der internationalen proletarischen Revolution. Die Marxisten und Kommunisten auf dem Balkan bleiben in ihrer revolutionären Taktik in der Nationalitätenfrage konsequent, doch verbinden sie gegenwärtig, zum Unterschiede von der Vorkriegsperiode, die nationale Revolution nicht mit der bürgerlichen-demokratischen, sondern mit der proletarischen. Deshalb ist auch die Losung der balkanischen Kommunisten gegenwärtig nicht die "Balkanische Demokratische Föderative Republik", sondern die Föderation der Arbeiter- und Bauernrepubliken auf dem Balkan."

Auf dem Balkan bildeten und entwickelten sich keine unabhängigen nationalen kapitalistischen Staaten, wie dies im vorigen Jahrhundert in den meisten Ländern West- und Mitteleuropas der Fall war. Der imperialistische Krieg und die auf diesen folgende revolutionäre Epoche traten früher ein, als die Balkanvölker die nationale Frage zu lösen vermochten, eine Aufgabe, die seinerzeit der Bourgeoisie zufiel. Die Ursachen, daß die nationale Frage nicht gelöst wurde, waren sowohl innere (die wirtschaftliche Rückständigkeit der Balkanstaaten, die späte unzureichende Entwicklung des Kapitalismus in ihnen, die vielgestaltige ethnographische Zusammensetzung der Bevölkerung), als auch äußere (annexionistische Politik der großen kapitalistischen Staaten, deren Interessen sich auf dem Wege nach Konstantinopel, nach den Dardanellen und Asien liegenden Balkan kreuzten).

Die Balkanbourgeoisie erwies sich als unfähig, die nationale Frage zu lösen. Den revolutionären Weg einer nationalen Befreiung lehnte die balkanische Bourgeoisie ab, da die schon im Augenblick der Befreiung der balkanischen Völker vom Joche der türkischen Sultane zum blinden Werkzeug des russischen Zarismus und des europäischen Imperialismus in deren Wetteifer um die Aufteilung des Balkans geworden war und ihre Interessen mit den Interessen der Dynastien verknüpfte, die von den großen kapitalistischen Mächten in den balkanischen Staaten zum Schutze ihrer Eroberungspläne eingesetzt wurden. Die nationale Politik der balkanischen Bourgeoisie nahm ebenfalls die Form einer nationalen Eroberungspolitik an, die die Befreiung und Vereinigung der Nationen durch Kriege, Eroberungen und Annexionen zu erreichen strebt. Die Kriege, die die letzten Jahrzehnte der Geschichte der Balkanvölker erfüllen, haben jedoch das nationale Problem nicht gelöst. Im Gegenteil, gerade während dieser Kriege erlitt die nationalistische Eroberungspolitik der balkanischen Bourgeoisie einen vollständigen und endgültigen Bankrott, was durch die Ergebnisse der Balkan- und der imperiaistischen Kriege bestätigt wird. Ein Teil der Balkanvölker wurde durch diese Kriege auseinandergerissen und neuer nationaler Knechtschaft unterworfen, andere aber erreichten ihre Vereinigung im Rahmen der neugeschaffenen Staaten durch Annexionen fremder Gebiete und Unterwerfung anderer Volksstämme. Hierbei gerieten sowohl die einen wie die anderen nach dem Kriege in noch größere wirtschaftliche und politische Abhängigkeit von den europäischen imperialistischen Staaten."