TROTZ ALLEDEM!

 

Resolutionen zu den nationalen Fragen in Mitteleuropa und auf dem Balkan.

Inprekorr 1924, S. 1775-1778

Der imperialistische Krieg, in den die Bourgeoisie die Werktätigen mit betrügerischen Losungen über den Schutz kleiner Körperschaften und über das Selbstbestimmungsrecht hineinzureißen bestrebt war, hat in Wirklichkeit infolge des Sieges der einen kapitalistischen Staatengruppe zur Verschärfung der nationalen Gegensätze und der nationalen Unterdrückung in Mitteleuropa und auf dem Balkan geführt.

Die durch die Kraft der siegreichen Entente diktierten Friedensverträge von Versailles, Saint-Germain usw. haben zum Kampfe gegen die proletarische Revolution neue imperialistische Kleinstaaten Polen, Tschechoslowakei, Jugoslawien, Rumänien, Griechenland geschaffen, die auf der Annexion bedeutender Gebiete mit andersstämmiger Bevölkerung gegründet sind und Herde nationaler Unterdrückung ist gegenwärtig für jene großstaatlichen Nationen aktuell geworden, die vor dem Kriege kein Objekt, sondern Subjekte der Unterdrückungspolitik waren. Ein anschauliches Beispiel hierfür ist Deutschland. Ihm gegenüber begnügte sich der Ententeimperialismus nicht mit einer offenen, auf Grund der Friedensverträge vollzogenen Annexion deutschbevölkerter Gebiete. Er war auch bestrebt, Deutschland mit Hilfe verhüllter raffinierter Formen der Annexion in der Gestalt der Komödie der nationalen Selbstbestimmung (Besetzung des Rheinlandes) oder in der Form unverhüllter, über die Rahmen der Friedensverträge hinausgehender Raubakte, wofür die Ruhr als Beispiel dienen kann, zu zergliedern.

Die nationale Frage hat somit in Europa nach dem Weltkrieg eine neue Bedeutung erlangt und ist gegenwärtig zu einer der wichtigsten politischen Fragen für Mitteleuropa und den Balkan geworden. Der Kampf der unterdrückten Völker gegen die nationale Unterdrückung wird somit gleichzeitig zu einem Kampfe gegen die Macht der im Kriege siegreichen imperialistischen Bourgeoisie, genau so wie die Erstarkung der neuentstandenen imperialistischen Staaten das Erstarken der Kräfte des Weltimperialismus bedeutet.

Die Bedeutung des Kampfes gegen die nationale Unterdrückung vergrößert sich noch dadurch, daß die durch Polen, die Tschechoslowakei, Jugoslawien, Rumänien und Griechenland unterdrückten Nationalitäten ihrer sozialen Zusammensetzung nach vorwiegend Bauernvölker sind und der Kampf für ihre nationale Befreiung gleichzeitig ein Kampf der Bauernmassen gegen die fremdstämmigen Großgrundbesitzer und Kapitalisten ist. Infolgedessen stehen die kommunistischen Parteien Mitteleuropas und des Balkans vor der Aufgabe, die nationalrevolutionäre Bewegung der unterdrückten Völkerschaften mit allen Mitteln zu unterstützen. Die Losung "Selbstbestimmungsrecht jedes Volkes, das Recht auf Lostrennung inbegriffen muß in der gegenwärtigen vorrevolutionären Periode in den neuentstandenen imperialistischen Staaten seinen Ausdruck in der Losung Staatliche Lostrennung der unterdrückten Völker vom Staatskörper Polens, Rumäniens, der Tschechoslowakei, Jugoslawiens, Griechenlands finden.

Der Kongreß stellt fest, daß bei einzelnen Parteien eine Abweichung zu konstatieren ist, die sich darin offenbart, daß einzelne Genossen und Gruppen ihre Stellung zur nationalrevolutionären Bewegung in ihren Ländern auf Grund der im Ergebnisse der Verträge von Saint-Germain usw. geschaffenen Staatsformationen ausarbeiten. Die Losungen dieser Genossen und Gruppen bezüglich der nationalrevolutionären Bewegung sind nicht gegen diese auf die nationale Unterdrückung gegründeten und gegen die proletarische Revolution gerichteten Staaten, sondern auf eine teilweise Reform dieser Staaten abgestellt, indem Losungen über Autonomie der unterdrückten Völkerschaften im Rahmen dieser imperialistischen Staaten herausgegeben werden.

Der Kongreß verurteilt entschieden diese großstaatliche Abweichung in der Richtung zur Sozialdemokratie, wie er die Abweichung des Nationalbolschewismus ablehnt, der dazu führt, daß die Unterstützung, die die Kommunistische Partei in der nationalrevolutionären Bewegung angedeihen läßt, in eine Förderung der Führung dieser Bewegung durch die besitzenden Klassen und ihre Parteien übergeht, was die schaffenden Massen unter den Einfluß und die Hegemonie der chauvinistischen Bourgeoisie stellt.

Der Kongreß macht es allen kommunistischen Parteien zur Aufgabe, unter voller Unterstützung der nationalrevolutionären Bewegung der unterdrückten Völker gegen die Macht der herrschenden Bourgeoisie in den nationalrevolutionären Organisationen kommunistische Zellen zu schaffen und bestrebt zu sein, sich an die Spitze des nationalrevolutionären Kampfes der unterdrückten Völkerschaften zu stellen und sie auf dem klaren und bestimmten Wege des revolutionären Kampfes gegen die Macht der Bourgeoisie auf der Grundlage einer engen Solidarität aller Werktätigen und ihres gemeinsamen Kampfes in jedem einzelnen Staate für die Errichtung der Arbeiter- und Bauernmacht zu führen. Nur eine solche Zusammenfassung der kommunistischen Elemente innerhalb der nationalrevolutionären Organisationen kann den schaffenden Massen die führende Stellung sichern, im Gegensatz zu den bürgerlich-großgrundbesitzerischen und Abenteuerelementen, die diese Organisation oft für Klassenzwecke ausnützen oder sie in verschiedenen kapitalistischen Staaten oft zum Werkzeug ihrer imperialistischen Ziele machen.

Der Kongreß macht es allen kommunistischen Parteien zur Pflicht, einen energischen Kampf gegen die Entfachung des nationalen Hasses und des Chauvinismus von Seiten der bürgerlichen und der sozialverräterischen Parteien zu führen und den schaffenden Massen, sowohl der unterdrückten Völkerschaften wie auch der unterdrückenden Völker, den sozialen Charakter der nationalen Unterdrückung und des nationarevolutionären Kampfes sowie die Abhängigkeit dieses Kampfes vom Kampfe des Weltproletariats für die völlige soziale und nationale Befreiung der Werktätigen klarzumachen.

Der Kongreß verurteilt in der gleichen Weise die partikularistische Abweichung in der Lösung der nationalen Frage und ist der Ansicht, daß die Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes der Völker einschließlich der Lostrennung mit Partikularismus nichts gemein hat und der Entwicklung der Produktionskräfte nicht zuwiderläuft.

Der Kongreß weist hin auf die konterrevolutionäre Bedeutung des von den herrschenden Klassen der kleinen imperialistischen Staaten betriebenen Kolonisatorentums, das zur äußersten Zuspitzung der nationalen Gegensätze führt. Der Kongreß macht es den kommunistische Parteien Polens, Rumäniens, Jugoslawiens, der Tschechoslowakei und Griechenlands zur Pflicht, einen energischen Kampf gegen dieses Kolonisatorentum zu führen.

Der Kongreß billigt die von den kommunistischen Parteien der Balkanländer herausgegebene Losung für eine Balkanföderation gleichberechtigter und unabhängiger Arbeiter- und Bauernrepubliken.

Unter Feststellung des außerordentlichen Anwachsens des Antisemitismus auch in den neuentstandenen imperialistischen Staaten, namentlich Polen, Rumänien und Ungarn, und unter Feststellung des Strebens der herrschenden Klassen, die Aufmerksamkeit der schaffenden Massen durch den Antisemitismus von den wahren Schuldigen an ihrer elenden Lage abzulenken und vom revolutionären Kampf zurückzuhalten, macht es der Kongreß allen kommunistischen Parteien zur Pflicht, einen entschiedenen und energischen Kampf gegen den Antisemitismus zu führen und in ihren Losungen die unbedingte Beseitigung jeglicher rechtlicher Beschränkungen für die jüdische Bevölkerung und die Sicherstellung ihrer freien kulturellen Entwicklung zu fordern.

In Bezug auf die einzelnen nationalen Fragen in den einzelnen Ländern Mitteleuropas und des Balkans stellt der Kongreß folgende Grundsätze fest:

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III.

Jugoslawische Frage:

1. Jugoslawien ist ein Staat mit vielen Nationalitäten. Die serbische Bourgeoisie, die ihre Hegemonie errichtet hat, vertritt ein Volk, das bloß 39% der Gesamtbevölkerung Jugoslawiens bildet. Die übrigen Völker, die insgesamt die gewaltige Mehrheit der Bevölkerung darstellen, leiden mehr oder minder unter nationalem Druck, und es wird gegen sie eine Entnationalisierungspolitik betrieben.

2. die Serben, Kroaten und Slowenen sind drei verschiedene Völker. Die Theorie über das einheitliche, drei Namen tragende Volk der Serbo-Kroaten und Slowenen ist bloß eine Maske des serbischen Imperialismus.

3. Die Aufgabe der KPJ. ist, einen entschiedenen Kampf gegen die nationale Unterdrückung in allen ihren Formen und für die Selbstbestimmung der Völker zu führen, um die nationalen Befreiungsbewegungen zu fördern, unter dem ständigen Streben, diese Bewegungen dem Einflusse der Bourgeoisie zu entreißen und sie mit dem allgemeinen Kampf der schaffenden Massen gegen Bourgeoisie und Kapitalismus zu verquicken.

4. Die nationale Frage in Jugoslawien ist keine Verfassungsfrage und kann daher mit der Frage einer Revision der Vidovdan-Verfassung nicht identifiziert werden. Sie ist erstens eine Frage des Kampfes der national unterdrückten Bevölkerung für ihr nationales Selbstbestimmungsrecht und zweitens eine Frage des revolutionären Kampfes der schaffenden Massen in ganz Jugoslawien.

5. Der Kampf gegen die nationale Unterdrückung, für das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das Recht auf Lostrennung inbegriffen, und für die Arbeiter- und Bauernmacht muß mit dem allgemeinen Kampfe gegen die gewalttätige serbische Bourgeoisie gegen den Monarchismus und gegen die Vidovdan-Verfassung verknüpft werden.

6. Wiewohl die nationale Frage durch eine Revision der Verfassung nicht gelöst werden kann, muß die KPJ trotzdem aktiven Anteil am Kampfe für die Revision der Verfassung nehmen, um das gegenwärtige gewalttätige Regime der serbischen Bourgeoisie zu stürzen und möglichst große Garantien, politische und Freiheitsrechte für die schaffenden Massen der unterdrückten Nationalitäten zu erkämpfen, unter dem ständigen Streben, die schaffenden Massen im Kampfe für die Errichtung der Arbeiter-und Bauernmacht zusammenzufassen und den Massen klarzumachen, daß nur die Arbeiter- und Bauernmacht die nationale Frage endgültig lösen kann.

7. Da es in Jugoslawien eine Massenbewegung gegen die nationale Unterdrückung in allen ihren Formen, eine Massenbewegung für das Selbstbestimmungsrecht gibt, trägt die nationale Frage dort ein aktuelles und scharfes Gepräge und berührt unmittelbar die Interessen der schaffenden Massen.

Infolgedessen muß die von der KPJ herausgegebene allgemeine Losung bezüglich des Selbstbestimmungsrechtes in der Form der Forderung nach einer Lostrennung Kroatiens, Slawoniens und Mazedoniens vom Staatskörper Jugoslawiens und nach der Bildung unabhängiger Republiken aus demselben zum Ausdruck gebracht werden.

In Bezug auf die kroatische und slowenische Bevölkerung des durch Italien okkupierten Gebietes muß die KP. Italiens im Kontakt mit der jugoslawischen Bruderpartei eine Propaganda und Agitation im Geiste der obrigen Losungen entfalten.

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X.

Albanische Frage

In Bezug auf Albanien, wegen dessen Aufteilung und Eroberung sich ein Wettkampf zwischen Italien, Jugoslawien und Griechenland abspielt, ist es notwendig, den Unabhängigkeitskampf der albanischen Bevölkerung mit allen Mitteln zu unterstützen.