TROTZ ALLEDEM!

Der deutsche Imperialismus:

Wer den Feind besiegen will, muß ihn kennen

Eine Einleitung

Dies ist der Anfang einer Artikelserie, die sich mit dem deutschen Imperialismus auseinandersetzt. Für Menschen, die sich als revolutionär begreifen, dürfte es mehr oder minder normal sein sich zu fragen, wen sie für ihren Kampf und ihre Ideen gewinnen wollen. Wir KommunistInnen z.B. begreifen das Proletariat als führende Klasse innerhalb der Unterdrückten, daher müssen wir untersuchen, wer gehört in einem Land zum Proletariat oder welche Schichten gibt es innerhalb des Proletariats.

Wir denken, daß die Frage nach "denen da oben" genauso zentral ist. Wenn wir einen revolutionären Kampf führen, müssen wir wissen, mit wem genau wir es zu tun haben. Denn wie wollen wir die herrschende Klasse besiegen, wenn wir über sie kein Wissen besitzen? Wer den Feind besiegen will, muß in Feindesland gehen ... Wir müssen die Stärken und Schwächen des deutschen Imperialismus kennen; wir müssen wissen, wie die herrschende Klasse strukturiert ist, welche Veränderungen es gibt, und nach welcher ökonomischen Mechanik das herrschende System tickt. Diese Fragen wollen wir mit dieser Artikelserie beantworten.

Wir denken, daß wir uns nach wie vor in der Epoche des Imperialismus und der proletarischen Revolution befinden und daß die Imperialismusanalyse Lenins richtig ist. Wir legen daher an den deutschen Imperialismus die Kriterien an, die Lenin in seiner Imperialismusanalyse benutzte. Unsere Untersuchung wird also auch aufzeigen, daß das imperialistische System, so wie Lenin es analysierte, in seinen Grundzügen gleichgeblieben ist. Genauso sollen aber auch die Veränderungen innerhalb des imperialistischen Systems am Beispiel von Deutschland aufgedeckt werden.

Bevor wir nun endlich loslegen, noch zwei Anmerkungen bezüglich des Rahmens dieser Artikelserie. Es gibt eine ganze Reihe von Vorstellungen vom Imperialismus, die wir für falsch halten. Ein Beispiel ist die sogenannte Stamokap-Theorie, die verficht, daß das kapitalistische System -nach Konkurrenzkapitalismus und Imperialismus im Leninschen Sinne- in eine dritte Phase, die des "staatsmonopolistischen" Kapitalismus, eingetreten ist. Diese Theorie teilt die Bourgeoisie ein in einen kleinen ultrareaktionären Teil, den sogenannten militärisch-industriellen Komplex (="MIK") und in einen Teil, der fortschrittliche Eigenschaften besitzt und mit dem man auch in imperialistischen Ländern paktieren kann. Wir konzentrieren uns hier auf die Darstellung unserer Einschätzung des heutigen deutschen Imperialismus. Eine Entlarvung diverser falscher Imperialismus-Theorien werden wir in den ersten Folgen dieser Artikelserie nicht in den Mittelpunkt stellen, weil das den Rahmen einfach sprengen würde, was natürlich die eine oder andere Polemik am Rande nicht ausschließt. In dieser Artikelserie geht es uns darum, ein Gesamtbild des heutigen deutschen Imperialismus zu zeichnen, seine grundsätzlichen Wesenszüge herauszuarbeiten und durch Zahlenmaterial zu belegen. Diese Artikelserie kann als Grundlage betrachtet werden für weitere Artikel, die einzelne Aspekte des Imperialismus herausgreifen und noch umfassender beleuchten. Wir wollen aber zunächst einen allgemeinen Überblick geben, so daß wir hinterher die Frage beantworten können "Was macht heute den deutschen Imperialismus aus?".

Unser Ausgangspunkt:
Die Leninsche Imperialismusanalyse

Viele bürgerliche Wissenschaftler, Ökonomen, Sozialwissenschaftler, Banker, stellten Anfang des 20. Jahrhunderts fest, daß der Kapitalismus sich tiefgreifend wandelte. Während sie allerdings vor einer konsequenten Analyse und den Schlußfolgerungen zurückschreckten, war es Lenin, der den sich herausbildenden Imperialismus als erster einer marxistischen Analyse unterwarf. Dies tat er 1916 in seinem Werk "Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus". Er wies nach, daß der Kapitalismus vom Konkurrenzkapitalismus in sein zweites Stadium, in das monopolistische, eingetreten war. Hier eine kurze Definition des Imperialismus von Lenin:

" Deshalb muß man -ohne zu vergessen, daß alle Definitionen überhaupt nur bedingte und relative Bedeutung haben, da eine Definition niemals die allseitigen Zusammenhänge einer Erscheinung in ihrer vollen Entfaltung umfassen kann- eine solche Definition des Imperialismus geben, die folgende fünf seiner grundlegenden Merkmale enthalten würde: 1. Konzentration der Produktion und des Kapitals, die eine so hohe Entwicklungsstufe erreicht hat, daß sie Monopole schafft, die im Wirtschaftsleben die entscheidene Rolle spielen; 2. Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital und Entstehung einer Finanzoligarchie auf der Basis dieses Finanzkapitals; 3. der Kapitalexport, zum Unterschied zum Warenexport, gewinnt besonders wichtige Bedeutung; 4. es bilden sich internationale monopolistische Kapitalistenverbände, die die Welt unter sich teilen, und 5. die territoriale Aufteilung der Erde unter die kapitalistischen Großmächte ist beeendet." ("Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus", im folgenden abgekürzt mit "Der Imperialismus", Lenin Werke, Bd. 22, S. 270)

Der vorliegende Artikel setzt sich mit dem ersten Punkt der Definition, mit der Konzentration, auseinander. Als Maß für die Konzentration der Wirtschaft wandte Lenin folgende Kriterien an:

- Anteil der Großbetriebe an der Gesamtzahl der Betriebe.

- Anteil der ArbeiterInnen in Großbetrieben an der Zahl aller ArbeiterInnen. Überhaupt die Anzahl von ArbeiterInnen in den einzelnen größten Betrieben.

- Verhältnis der verbrauchten Energie in Großbetrieben zum Energieverbrauch in allen Betrieben.

- Die Jahresproduktion in Großbetrieben im Vergleich zur Gesamtjahresproduktion.

- Existenz von Kombination, Kartellen, Syndikaten etc. Wieviel Prozent der Produktion eines Industriezweiges ist kartelliert, vertrustet?

- Bedeutung von Aktiengesellschaften. Anteil der in Aktiengesellschaften beschäftigten ArbeiterInnen. Anteil der Aktiengesellschaften an der Jahresproduktion.

Man muß nun nicht alle Kriterien unverändert übernehmen, sondern sehen, was Lenin damit bezweckte. Die Jahresproduktion und der Energieverbrauch eines Betriebes zum Beispiel sind beides Kenngrößen für sein Gewicht am Markt. Eine wichtige Kenngröße, die heute sehr oft dafür herangezogen wird, ist der Umsatz eines Unternehmens, der praktisch das gleiche mißt wie die zwei anderen Größen. Wenn es zum Umsatz ein viel umfangreicheres Material gibt, dann können wir auch den als Kriterium nehmen. (Siehe auch weiter unten)

Und nun zum eigentlichen Teil:

Die "Konzentration der Produktion
und des Kapitals.."

Immer mehr Beschäftigte arbeiten in immer größeren Betrieben

Lenin sprach schon bei Betrieben mit 50 ArbeiterInnen oder mehr von Großbetrieben. Für Deutschland gab er an, daß im Jahr 1907 0,9 % aller Betriebe (Anmerkung 1) solche Großbetriebe waren. ("Der Imperialismus", S. 200) Betriebe mit 1000 und mehr ArbeiterInnen gab es im Jahr 1907 in Deutschland nur 586.

Um das gewaltige Wachstum der Industrie und die Zusammenballung der Produktion in immer größeren Betrieben zu zeigen, stellte Lenin diesen Zahlen den Anteil der ArbeiterInnen in Großbetrieben an der Gesamtzahl aller ArbeiterInnnen gegenüber. Er gab an, daß 39% aller ArbeiterInnen in Großbetrieben arbeiteten und fast 10% der ArbeiterInnen in Betrieben mit mehr als 1000 ArbeiterInnen. Um die Konzentration noch deutlicher zu machen, zieht er den Energieverbrauch der Großbetriebe hinzu. Denn Lenin sagt richtig, "die Konzentration der Produktion ist viel stärker als die Konzentration der Arbeiter, denn die Arbeit ist in den Großbetrieben viel produktiver." Er kommt zu der Aussage, daß weniger als ein Hundertstel der Betriebe nicht nur 39% aller ArbeiterInnen beschäftigten sondern auch mehr als drei Viertel des Energieverbrauchs aller Betriebe bestritten.

Er zieht den Schluß: "Auf die 2,97 Mill. Kleinbetriebe (mit höchstens 5 Lohnarbeitern), die 91 % der Gesamtzahl der Betriebe ausmachen, entfallen im ganzen 7 % der Dampf -und Elektrizitätskraft! Einige zehntausende Großbetriebe sind alles; Millionen von Kleinbetrieben sind nichts." ("Der Imperialismus", S. 200)

Diese ersten Zahlen zeigen, daß die Konzentration der Wirtschaft damals tatsächlich kolossal war. Die folgende Tabelle zeigt, daß die Konzentration der Beschäftigten auf die großen Betriebe noch weiter zugenommen hat.

Im statistischen Jahrbuch von 1999 sind die Zahlen alt und wie im Jahre 1989 von einer Erhebung von 1987!! Deswegen ist das Jahr 1999 nicht aufgeführt.

Alle Zahlen beziehen sich auf die Beschäftigten im sogenannten verarbeitenden Gewerbe (z.B. Chemie, Maschinenbau, Papier-, Leder-, Ernährungs- und Tabakindustrie) und des Bergbaus der alten Bundesländer. Das Baugewerbe gehört nicht dazu. Die Angaben für das Jahr 1960 sind ohne Berlin und Saarland. Quellen sind die Statistischen Jahrbücher (StBA) der einzelnen Jahre.

Die Tabelle liest sich z.B. wie folgt: Im Jahr 1989 gab es 1002 Industriebetriebe mit mehr als tausend Beschäftigten, umgekehrt arbeiteten 39,4% aller Beschäftigten in der Industrie in diesen 1002 Betrieben, das waren 2,8 Mill. Beschäftigte.

Während Lenin anführte, daß Anfang des Jahrhunderts fast 10% der ArbeiterInnen in Betrieben (Industrie, Handel, Verkehr u.a.m.) mit mehr als 1000 ArbeiterInnen arbeiteten, arbeiten heute knapp 40% der Beschäftigten in Industriebetrieben mit mehr als 1000 Beschäftigten. Lenin sprach von ArbeiterInnen, während unter den Begriff "Beschäftigter" heute vom Vorstandsmitglied bis zum/r Arbeiter/in alle gemeint sind. So findet man in den statistischen Jahrbüchern, daß im Jahr 1960 über 80% aller Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe ArbeiterInnen waren und 1999 65% ArbeiterInnen (ArbeiterInnen im Sinne in der Produktion tätige Lohnabhängige). Nur, man muß auch fragen, worauf wollte Lenin hier hinaus? Es ging ihm um den Grad der Konzentration der Arbeitenden auf die großen Unternehmen. Und da denken wir, sprechen die Zahlen eine klare Sprache: Heute arbeitet eine viel größere Masse der Werktätigen in Riesenbetreiben. Und die Betriebe an sich sind enorm stark gewachsen. Diese Entwicklung hin zu gigantisch großen Betrieben kann man auch an der Entwicklung der folgenden drei Betriebe exemplarisch ablesen.

(*) Hoechst ist vom französischen Konzern Rhône-Poulenc übernommen worden und wurde im Laufe der Jahre 1998/99 mit Rhône-Poulenc zu einem neuen Konzern namens Aventis verschmolzen. In diesem Rahmen gab es bei Hoechst viele Entlassungen, Verkäufe, Umstrukturierungen ... Die angegebene Zahl stammt von der Aventis-Homepage und ist eine Angabe für den Aventis-Teil, der Ex-Hoechst verkörpert. In einem Artikel der Zeitung "Die Welt" vom 2. Juli 1999 wird als Mitarbeiterzahl bei Hoechst für das Jahr 1998 die Zahl 97.000 genannt.

Diese Liste ließe sich für Siemens, Daimler, Thyssen und wie sie alle heißen genauso fortsetzen. Immer mehr Beschäftigte arbeiten in immer größeren Betrieben.

An den Zahlen wird aber auch sichtbar, daß verschiedene Veränderungen für die letzten Jahrzehnte sichtbar werden. So wächst die Zahl der Beschäftigten in Großbetrieben (Industrie) nicht mehr an, sondern stagniert. Hierbei muß gesehen werden, daß in den letzten Jahrzehnten die Absolutzahl der Erwerbstätigen im produzierenden Bereich insgesamt nicht mehr wächst, sondern stagniert und sogar sinkt. Darüber macht die Grafik auf Seite 24 eine Aussage.

(Die Zahl aller Beschäftigten im produzierenden Gewerbe ist bei dieser Grafik und der vorhergehenden Tabelle "Anteil der Beschäftigten in Großbetrieben in der Industrie" unterschiedlich. Bei der Grafik wurden offensichtlich mehr Branchen zur Bestimmung der Beschäftigtenzahl im produzierenden Gewerbe herangezogen als in der vorhergehenden Tabelle.)

Aus der Grafik läßt sich entnehmen, daß der Anteil der Erwerbstätigen im produzierenden Bereich an allen Erwerbstätigen von 43% im Jahre 1950 auf 34% im Jahre 1997 gesunken ist. Die Absolutzahl der Beschäftigten im produzierenden Bereich stieg zwar von 1950 bis 1960 von 8,7 Mill. Beschäftigte auf 12,5 Mill. an. Aber von 1960 an ist ein Rückgang zu verzeichnen, der im Jahre 1997 zu nur noch 9,5 Mill. Erwerbstätigen im produzierenden Bereich führt.

Die Beobachtungen der 20er, 30er, 40er Jahre waren zwar auch schon, daß der prozentuale Anteil der ArbeiterInnen im produzierenden Gewerbe an der Gesamtzahl der Erwerbstätigen sinkt, weil der Dienstleistungsbereich auch schon damals stark anwuchs. Aber damals stieg im Unterschied zu heute die Zahl der ArbeiterInnen im produzierenden Gewerbe absolut an.

Die heutige Entwicklung -also nicht nur daß der prozentuale Anteil der Beschäftigten im mehrwertproduzierenden Bereich an allen Erwerbstätigen sinkt sondern auch die Absolutanzahl- hat im wesentlichen zwei Ursachen.

Die erste ist folgende: Rationalisierung der Produktion und die darauffolgende Freisetzung von ArbeiterInnen zur Profitmaximierung ist ein Motor des Kapitalismus. Der Prozeß der Rationalisierung ist in den letzten Jahrzehnten zu einem regelrechten Rationalisierungskarussell geworden, so daß schon einige linke Kreise die These aufstellten, in den reichen imperialistischen Ländern gäbe es bald nur noch menschenleere Fabriken. Diese These ist falsch, das Kapital braucht menschliche Arbeitskraft. Doch die Güterherstellung bedarf heute noch viel weniger ArbeiterInnen. Der Grad der Maschinisierung, der Automation und der Fertigung per Roboter und Computer ist enorm vorangeschritten und heute schon kaum mehr vergleichbar mit dem der 60er Jahre.

Der zweite Hauptgrund ist, daß die Bedeutung der alten Industrie wie Stahl- oder Bergbauindustrie, wo traditionell sehr viele Arbeiter und Arbeiterinnen konzentriert sind, in den imperialistischen Ländern abgenommen hat. Das kommt zum einen daher, weil die neuen Technologien wie die Chip- und Computerfertigung, Herstellung von Robotern und hochautomatisierten Industriestraßen/Chemieanlagen für die imperialistische Wirtschaft so wichtig geworden sind und in diesen Bereichen mit noch weniger Arbeiter/innen produziert wird. Und zum anderen ist ein stetig wachsender Teil der alten Industrie wie Stahl/Textil/Autoindustrie heute in den abhängigen Ländern angesiedelt (und auch der neuen Industrie wie die Chipherstellung). Die Wirtschaft im produzierenden Bereich in den imperialistischen Ländern wie Deutschland ist sehr stark auf bestimmte Kernbereiche konzentriert.

Wir möchten hier noch anmerken, daß die Begriffe alte Industrie und neue Industrie nicht im Sinne der Leute verstanden werden dürfen, die verfechten, die Entstehung der neuen Industrie wie die der Informationstechnologie beweise, daß der Kapitalismus sich grundlegend wandele. Es ist dem entgegenzuhalten, daß es eine Grundeigenschaft des Kapitalismus ist, daß er die Produktion, die Welt dauernd verändert. Die Autoindustrie ist zu Lenins Zeiten im Vergleich zur Textilindustrie auch neu gewesen; die heutige Schwerindustrie ist im Vergleich mit der damaligen auch hochmodern. In diesem Sinne ist heute die Informationstechnologie genauso neu gegenüber der Flugzeug- und Automobilindustrie wie diese damals gegenüber anderen Industriezweigen. Der Kapitalismus kann in der Zukunft wiederum noch neuere Technologien hervorbringen, die die heutigen hochmodernen alt machen.

Die größten Unternehmen haben die Macht!

Ein weiteres wichtiges Merkmal, das Lenin für den Konzentrationsgrad einer Wirtschaft heranführt, ist die Jahresproduktion der größten Betriebe verglichen mit der Jahresproduktion aller Unternehmen. Denn natürlich macht es einen gewaltigen Unterschied, ob es sich um einen Chemiegiganten wie BASF handelt, der pro Jahr Millionen von Tonnen allein eines chemischen Produktes herauswirft oder um einen chemischen Kleinstbetrieb, der nur einen winzigen Bruchteil dieser Menge herstellen kann. Die Jahresproduktion ist ein Maß für das Gewicht, für die Macht eines Unternehmens auf dem Markt. Auch dieses Kennzeichen läßt erkennen, wie überaus fortgeschritten die Konzentration schon zu Beginn des imperialistischen Systems war. Lenin gab ein Beispiel für das Land, in dem die Konzentration der Produktion am weitesten gediehen war, die USA. Im Jahr 1909 bestritten 1,1% der US-amerikanischen Industriebetriebe 43,8% der gesamten Jahresproduktion in der Industrie. Lenin bewertete das so:

"Fast die Hälfte der Gesamtproduktion aller Betriebe des Landes liegt in den Händen eines Hundertstels der Gesamtzahl der Betriebe! Und diese dreitausend Riesenbetriebe umfassen 258 Industriezweige. Daraus erhellt, daß die Konzentration auf einer bestimmten Stufe ihrer Entwicklung sozusagen von selbst dicht an das Monopol heranführt. Denn einigen Dutzend Riesenbetrieben fällt es leicht, sich untereinander zu verständigen, während andererseits gerade durch das Riesenausmaß der Betriebe die Konkurrenz erschwert und die Tendenz zum Monopol erzeugt wird. Diese Verwandlung der Konkurrenz in das Monopol ist eine der wichtigsten Erscheinungen -wenn nicht die wichtigste- in der Ökonomik des modernen Kapitalismus ....." ("Der Imperialismus", S. 201)

Wer fühlt sich da nicht an heute erinnert?? Die Zahlen jedenfalls sprechen auch heute die gleiche Sprache wie damals. Auch hier nur wieder ist heute, fast 100 Jahre später, alles viel verstärkter, in viel größerem Ausmaß zu beobachten.

An dieser Stelle möchten wir einflechten, daß Lenin in diesem Zitat wie sehr oft von der "Tendenz zum Monopol" im Imperialismus spricht. Er meinte damit, daß es im Imperialismus eben nicht in praktisch allen Branchen einen Monopolisten gibt. Es gibt in einigen Branchen einen Monopolisten, aber im allgemeinen gibt es "die Tendenz zum Monopol". Das heißt, es gibt mehr oder minder viele große Unternehmen ("Oligopolisten", z.B. drei, vier, zehn oder mehr), unter denen im wesentlichen der Markt aufgeteilt ist. (Die sich gleichzeitig aber auch erbittert bekämpfen!)

Ebenso führt Lenin an verschiedenen Stellen aus, daß Imperialismus als "monopolistisches Stadium" des Kapitalismus nicht heißt, es gäbe keine Konkurrenz mehr. Die Konkurrenz existiert im Imperialismus weiter. Nur der Stempel wird dem Imperialismus durch seine "Tendenz zum Monopol", durch die Herrschaft der Monopole und der Oligopole aufgedrückt. Das ist entscheidend im Imperialismus. Beweise für die im Imperialismus fortbestehende Konkurrenz gibt es viele. So ist es im extremsten Fall möglich, daß in einem von Großen beherrschten Markt ein Kleiner aus dem Nichts eindringt und selber zum Großen wird. Beispiel wäre hier Bill Gates mit seinem Gigantenunternehmen Microsoft, der in einer Garage seine ersten Computer zusammenschraubte. Hierbei ist natürlich der jeweilige Wirtschaftszweig zu berücksichtigen: Bill Gates kometenhafter Aufstieg ist sicherlich im Zusammenhang mit der Erschließung neuer Märkte und Technologien -hier ist es der relativ junge Computermarkt- zu sehen. Umgekehrt ist es unwahrscheinlich, daß ein ganz Neuer in die schon ausgewachsene Erdölindustrie eindringt, in der man von Anfang an ein enormes Kapital benötigt. Es ist auch im Imperialismus möglich, daß ganz Große einer Branche abstürzen und untergehen oder ein Unternehmen nur zeitweise ein Monopol besitzt.

Zurück zur von Lenin verwendeten Meßgröße Jahresproduktion. Wie wir schon einleitend sagten, ziehen wir hier nicht die Jahresproduktion oder den Energieverbrauch heran sondern den Umsatz, weil die drei Kriterien faktisch das gleiche aussagen und der Umsatz heute eine deutlichere Meßgröße darstellt. Alle drei Kriterien drücken die Größe und die Macht eines Unternehmens im Vergleich mit anderen aus. Der Umsatz eines Unternehmens umfaßt die Summe aller verkauften Waren/Dienstleistungen pro Jahr in Geld, die Jahresproduktion die Summe aller produzierten Güter, also auch die, die nicht verkauft wurden. Zinserträge oder Erträge aus anderen Geldanlagen eines Unternehmens fallen nicht in den Umsatz.

Aus einer Wirtschaftsforschungs-Broschüre läßt sich entnehmen, daß es nach der Umsatzsteuerstatistik in Deutschland 1992 insgesamt 2,6 Millionen umsatzsteuerpflichtige Unternehmen gab. (Umsatzsteuer=Mehrwertsteuer, müssen praktisch alle Unternehmen zahlen, nach dem Statistischen Bundesamt gibt es 2000 cirka3,4 Mill. Unternehmen in Deutschland) Danach vereinigten die Kleinst- und Kleinunternehmen (85% der Unternehmen) im Jahre 1992 10% des Umsatzes auf sich, die Mittelstands-Unternehmen (15% der Unternehmen) 40 % des Umsatzes. Beim Umsatz fehlt jetzt noch die Hälfte; bei der Zahl der Unternehmen nur noch Prozentbruchteile: 0,22% aller Unternehmen (das sind weniger als 6000 Unternehmen) hatten 1992 jeweils mehr als 100 Mio. DM Umsatz, zusammen genau 50% des Gesamtumsatzes. (alle Zahlen aus der Broschüre "Macht und Herrschaft in der Marktwirtschaft", isw-Report Nr. 32, Franz Garnreiter, sozial-ökologische Wirtschaftsforschung München e.V., 1997, S. 18, im folgenden zitiert mit "isw Nr. 32") Während Lenin also für das Jahr 1909 angab, daß knapp die Hälfte der US-Industrieproduktion von 3000 Riesenbetrieben in 250 Branchen bestritten wurde, wird heute die Hälfte des Umsatzes in der gesamten Wirtschaft von weniger als 6000 Unternehmen gemacht. Hält man sich dann noch vor Augen, daß in den fast 100 dazwischen liegenden Jahren eine enorme Vielzahl an neuen Produkten, an ganzen Industriezweigen und Branchen entstanden sind, so bedeutet die Zahl 6000 zu 3000, daß pro einzelne Branche noch weniger Riesenbetriebe als zu Lenins Zeiten vorhanden sind. In dem Zusammenhang sei der/die Leser/in mit noch einer Zahl gefüttert: Aus der Broschüre ergibt sich, daß im Jahre 1992 in Deutschland ein Hundertstel der Unternehmen ca. zwei Drittel des Geschäfts (65 % des Gesamtumsatzes der Wirtschaft) machen, während es vor rund 100 Jahren wie gesagt nur die Hälfte der industriellen US-Produktion war.

In einer anderen Untersuchung, die in der gleichen Broschüre vorgestellt wird, werden die unterschiedlichen Branchen ins Spiel gebracht. Die Industrie wurde in 35 Branchen unterteilt. Für jede Branche wurden die branchengrößten Unternehmen herausgegriffen, deren Umsatzanteil am Branchenumsatz berechnet und der Durchschnitt aus diesen 35 prozentualen Werten gebildet (im folgenden auch als Marktanteil bezeichnet). Auch hier wieder ist das Ergebnis schier unglaublich: Der Anteil der drei größten Unternehmen einer Branche macht im Schnitt allein ein Viertel des Branchenumsatzes aus, allein die fünfzig größten Unternehmen einer Branche haben einen durchschnittlichen Marktanteil von fast 60%! Das "isw" hebt die enormen Größenunterschiede bereits innerhalb der größten fünfzig hervor. Im Durchschnitt ist ein Unternehmen aus der Gruppe der zehn Größten neun- bis zehnmal größer als die restlichen der 50 Größten. Und selbst diese Zahlen werden vom "isw" noch kommentiert mit:

"Nun ist die Aufteilung der Industrie auf 35 Branchen noch viel zu global, denn es konkurrieren nicht Lkws gegen Pkws oder Gemüsedosen gegen Molkereiprodukte. Die Monopolkommission (Ein Expertengremium, vergleichbar mit dem viel bekannteren Sachverständigenrat, AdV) hat denn auch für rund 300 differenzierte Teilmärkte Marktanteile berechnet. Eine überschlägige Schätzung kann den Effekt dieser weiteren Ausdifferenzierung zeigen: Beim Maschinenbau insgesamt hatten die größten drei einen Anteil von 4,2% in 1993; unterteilt man diese sehr heterogene Branche aber in etwa 45 Teilbranchen/Produktgruppen, dann hatten die jeweils größten drei Unternehmen auf diesen Spezialmärkten im Durchschnitt einen Marktanteil von annähernd 30%. Das ist ein enormer Sprung, der in den anderen Branchen quantitativ wohl geringer, qualitativ aber sicherlich ähnlich ausfallen würde. Er zeigt an, daß die Marktanteile der großen Anbieter umso höher ausfallen, je präziser die Untersuchung die Märkte abgrenzt. Je genauer die Untersuchung, desto größer die Marktmacht. Auf dem Großteil der eng definierten Märkte haben die großen Unternehmen eine überwältigend starke Position. Noch weitaus mehr als in der Industrie ist laut Monopolkommission eine sehr starke Konzentrationswelle im Handel zu beobachten .." (ebenda, S. 18)

Umgekehrt ist es so, daß die Rolle der Kleinbetriebe im imperialistischen Wirtschaftsgeschehen immer bedeutungsloser wird. Man denke allein an das Sterben der kleinen Lebensmittel-Läden. Heute ist dieser Markt von großen Lebensmittel-Konzernen, Bäckerei-, Fleischereiketten beherrscht, die dann oft in den einzelnen Orten und Städten an jeder Ecke zu finden sind. Auch der erbitterte Preiskrieg des amerikanischen Einzelhandelsgiganten Walmart gegen den "Rest" spricht eine deutliche Sprache. Walmart senkte in diesem Jahr die Preise unter den Einkaufspreis, um sich einen Platz unter den Großen im Einzelhandel zu erobern und um dann mit den nicht vom Markt geworfenen Großen satte Monopolprofite einzufahren. Die, die konnten wie Aldi oder Penny, fuhren dann auch die Preise herunter. Welche Rolle bleibt bei diesem Kampf der Götter den heute noch verbliebenen kleinen Lebensmittelläden außer die des Zuschauers und des Verlierers? Man vergegenwärtige sich auch noch einmal die oben genannten Zahlen: 85% der Unternehmen machten im Jahr 1992 nur mickrige 10% des gesamten in Deutschland erzielten Umsatzes. Das bedeutet, daß 2,2 Mill. von insgesamt 2,6 Mill. Unternehmen nur einen Zehntel des Umsatzes machten, während weniger als 6000 Unternehmen die Hälfte des Umsatzes erreichten!

Darüberhinaus wird ein immer größerer Teil der Kleinbetriebe in die Rolle von Zulieferern an Großunternehmen gedrängt. Dann sind sie in aller Regel auf Gedeih und Verderb an einen Konzern (siehe Anmerkung 2) gekettet, der sie als Monopolist total von sich abhängig hält. "Liefer an mich zu meinen Konditionen oder stirb!" ist die Devise.

Ein Beispiel ist die Autoindustrie. Die große Masse der 30.000 Zulieferer sind Klein- und Mittelbetriebe. Sie bedienen oft genau einen Automobilhersteller wie VW oder Daimler mit für diesen maßgeschneiderten Teilen. Die Masse der Zulieferer sind nichts als die verlängerten Werkbänke der großen Konzerne. Ein weiteres Beispiel ist der Siemens-Konzern, der allein 30.000 Zulieferer kommandiert.

Im Imperialismus gibt es aber auch die Tendenz der Aufsplittung von großen Betrieben in kleinere. So führte schon Lenin die "Spaltung des einheitlichen Betriebes in mehrere Teile in Form einer Errichtung oder Angliederung von Tochtergesellschaften" als damals weitverbreitete Methode der Kapitalisten an. Dies war nach Lenin ein "Mittel, um eine Bilanz undurchsichtig zu machen." ("Der Imperialismus", S. 233) Schon damals gab Lenin als Meister dieses Faches die Firma AEG an. Die Aktiengesellschaften bedienen sich auch heute dieses Mittels sehr ausgiebig. Ein weiterer Grund dafür ist die Möglichkeit der Erhöhung des Profits durch Verschlechterung der Löhne und Arbeitsbedingungen, gehören doch dann die kleineren Betriebe nicht mehr zur Mutter sondern sind formal gesehen Kleinbetriebe, in denen nun mal zu wesentlich schlechteren Arbeitsbedingungen gewirtschaftet wird. Die Aufspaltung eines einheitlichen Betriebes in viele kleine, die mehr oder minder stark vom Mutterkonzern abhängen, ist also nicht etwas ganz Neues, wie von vielen bürgerlichen Journalisten, Wirtschaftlern etc. behauptet wird, sondern ein Kennzeichen des Imperialismus.

Die Kombination in einer
imperialistischen Wirtschaft

"Die amerikanische Statistik besagt: 3000 Riesenbetriebe in 250 Industriezweigen. Demnach kämen im ganzen je 12 Betriebe größten Ausmaßes auf jeden Industriezweig.

Dem ist aber nicht so. Nicht in jedem Industriezweig gibt es Großbetriebe; und andererseits ist eine äußerst wichtige Besonderheit des Kapitalismus, der die höchste Entwicklungsstufe erreicht hat, die sogenannte Kombination, d. h. die Vereinigung verschiedener Industriezweige in einem einzigen Unternehmen; diese Industriezweige bilden entweder aufeinanderfolgende Stufen der Verarbeitung des Rohstoffes (z.B. Gewinnung von Roheisen aus Erz, seine Verarbeitung zu Stahl und unter Umständen auch die Erzeugung dieser oder jener Stahlfabrikate) oder spielen in bezug aufeinander eine Hilfsrolle (z.B. Verarbeitung von Abfällen oder Nebenprodukten; Herstellung von Verpackungsmaterial).

... die Kombination, schreibt Hilferding, gleicht Konjunkturunterschiede aus und bewirkt daher für das kombinierte Werk eine größere Stetigkeit der Profitrate. Zweitens bewirkt die Kombination Ausschaltung des Handels. Drittens bewirkt sie die Möglichkeit technischer Fortschritte und damit die Erlangung von Extraprofit gegenüber dem reinen ... Werk. Viertens stärkt sie die Stellung des kombinierten Werkes gegenüber dem reinen im Konkurrenzkampf zur Zeit einer starken Depression ..., wenn die Senkung der Rohmaterialpreise nicht Schritt hält mit der Senkung der Fabrikatspreise. " ("Der Imperialismus", S. 202)

Dies sind Wahrheiten, die auch heute die bürgerlichen Wirtschaftler anerkennen und man findet diese Aussagen auch in den heutigen bürgerlichen Wirtschaftsbüchern. In diesen Büchern wird die Vereinigung aufeinander folgender Produktionsstufen in einem Unternehmen als vertikale (senkrechte) Kombination bezeichnet. Die Zusammenfassung von Produktionseinheiten der gleichen Produktionsstufe in einem Unternehmen bringt in der Regel auch Vorteile. Es ergeben sich mehr Möglichkeiten, was einander ergänzende Produkte wie das Produkt selbst und das Verpackungsmaterial, verschiedene Varianten des Produktes oder die Herstellung ähnlicher Produkte z.B. in einem Stahlbetrieb anbelangt. Dies nennt man auch horizontale (waagerechte) Kombination. Die Vorteile der Kombination, die Lenin in Form des Hilferding-Zitats sehr gedrängt aufzählt, werden auch heute in bürgerlichen Büchern über Wirtschaft angegeben. Wichtig an dem Zitat ist die Feststellung, daß die Erscheinung der Kombination im Imperialismus die Tendenz zum Monopol noch stärker werden läßt.

Die Kombination ist heute nach wie vor eine feste Größe im gesamten Wirtschaftsleben. Die Großbetriebe sind alles kombinierte Unternehmungen. Blättert man das Buch "Wem gehört die Republik?" durch, das die 100 größten Unternehmen der Republik beschreibt, stellt man fest: Wo man auch liest, es sind alles kombinierte Werke und die Kombination hat ein Riesenausmaß angenommen.

Dann gibt es noch das Konglomerat, auch als Konglomerat- oder Mischkonzern bezeichnet:

"Konglomerat: Viele in der Wirklichkeit vorkommende Konzerne sind weder horizontal noch vertikal aufgebaut, sondern umfassen Unternehmungen der unterschiedlichsten Branchen und Produktionsstufen. So gehören zum Oetker-Konzern zum Beispiel Puddingpulver- und Eiskremefabriken, Konservenfabriken, eine Hochseeflotte, Brauereien und Banken." ("Grundwissen Wirtschaft", Ernst-Klett-Verlag, 1999, S. 53, im folgenden bezeichnet mit "Grundwissen Wirtschaft")

"Die Konglomerat-Konzerne sind eine neue Form der Vereinigung von Kooperationen, sie schließen die verschiedenartigsten Wirtschaftseinheiten ein, die nicht durch die Logik der Technologie der Produktion oder des Absatzes miteinander verbunden sind. " ("Politische Ökonomie - Kapitalismus", Dietz Verlag Berlin 1972, S. 98)

Auch hier zeigt wiederum das Buch "Wem gehört die Republik?", daß viele der größten Unternehmen in Deutschland Konglomerate sind. Schmökert man in diesem Buch, schwirrt einem schon nach kurzer Zeit der Kopf, was ein solcher Riesenbetrieb alles herstellt.

Beispiel VIAG AG. Dies ist eine Holding in vier Kernbereichen: Energie, Chemie, Verpackung und Logistik. Der Energiebereich mit dem Bayernwerk an der Spitze (1994 von VIAG aufgekauft) ist die ertrags- und finanzstarke Basis des Viag-Konzerns. Der Energiebereich gliedert sich in Elektrizität, Gas und Entsorgung/Umwelttechnik. Das Bayernwerk zählt zu den ersten zehn im west- und mitteleuropäischen Strommarkt. Mehr als die Hälfte des Bayernwerk-Stroms stammt aus Kernkraftwerken. Die Chemieaktivitäen des Viag-Konzerns umfassen Bauchemie, Salze und Gartenpflegemittel sowie Naturstoffe wie Gelatine, Riechstoffe, Hopfenextrake u.a.m.. Viag ist im Chemiebereich bei vielen Produkten an der Weltspitze angesiedelt. Viag stellt Verpackungen aus Aluminium, Weißblech, Glas und Kunstoff für die Nahrungsmittel-, Getränkeindustrie, die chemisch-technische, kosmetische und pharmazeutische Industrie her. Kerngeschäfte sind u.a. Walz- und Formgußteile sowie flexible Verpackungen aus Aluminium hier ist Viag der größte europäische Anbieter. Viag zählt zu den führenden europäischen Behälterglasproduzenten. Zum Logistikbereich von Viag gehört die internationale Verteilung von Stahl- und Personal Computer-Produkten sowie Luftfracht und Seefahrt. Neben diesen vier Bereichen will VIAG ihr Geschäftsfeld Telekommunikation zu einem weiteren Kernbereich ausbauen, was sie im Moment ja auch fleißig tut. Mit der British Telecommunications plc (BT), weltweit eines der größten Telekommunikationsunternehmen, hat die Viag 1995 mit der Gründung der VIAG INTERKOM eine strategische Allianz gegründet, um in Deutschland Telekommunikationsdienstleistungen für Privat- und Geschäftskunden anzubieten. 1996 wurde diese Allianz ausgebaut, um sich in allen Sparten als schlagkräftiger "Full-Service-Anbieter" gegen die Deutsche Telekom durchzusetzen. VIAG besitzt verschiedene Netze z.B. Glasfaser, Kupfer die jeweils tausende von Kilometern umfassen. VIAG hat in diesem Jahr auch an der staatlichen Versteigerung der Mobilfunklizenzen teilgenommen.

Oder Mannesmann (in diesem Jahr übernommen von dem englischen Konzern Vodafone). Tätig in den Branchen Maschinenbau- und Anlagenbau, Eisen- und Stahlindustrie, Elektrotechnik, Feinmechanik und Optik, Groß- und Außenhandel, Telekommunikation. Es gibt bei Mannesmann u. a. die Geschäftsbereiche Hüttentechnik, Verdichter, Energie- und Umwelttechnik, Kunststofftechnik, Krantechnik, Verkehrstechnik (Lokomotiven, Magnetbahn, Transrapid), Flugzeugelektronik, Automationstechnik. Mannesmann stellt auch Flugabwehrsysteme her oder den Kampfpanzer Leopard 2, ebenso Komponenten für Automobile, Luxusuhren, Rohre in allen Variationen (Pipelines etc.).

Ein anderes Beispiel ist Bertelsmann, weltweit einer der größten Medienkonzerne. Bertelsmann hat alles rund um Medien im Angebot, Verlage, Print- und elektronische Medien, Ton- und Druckträger, Druckbetriebe usw. usf.

Oder der Tschibo-Konzern. Er umfaßt Bereiche wie Genußmittel (Kaffee, Tabak), chemische Industrie, pharmazeutische Indutrie, Kosmetika. Tschibo hat u. a. Produktionsstätten für Zigaretten in nahezu allen Ostblockstaaten, in der Ukraine, in der Slowakei, aber auch in der Mandschurei. In Deutschland wird in einigen Tschibo-Betrieben jeden Tag rund um die Uhr gearbeitet.

Als letztes Beispiel Tengelmann, in den Branchen Lebensmittelindustrie, Einzelhandel, Nahrungs- und Genußmittelhandel, Haushaltswaren und Textilien aktiv. Tengelmann ist weltweit der größte Einzelhandelsfilialist.

Zum Tengelmann-Reich gehören u. a. 650 Tengelmann-Filialen, 595 Kaisers Supermärkte, 2301 Plus-Supermärkte, 195 LeDi-Märkte, 87 GUBI-Lebensmittelmärkte, 35 MAGNET-Märkte und 48 GROSSO-Märkte; 618 kd-Märkte (Drogerie), 177 Rudis-Reste-Rampe-Märkte, 292 MODEA-Bekleidungsmärkte, 201 TAKKO Mode-Märkte, 124 KiK-Diskontmärkte (Textil), 286 OBI-Bau- und Heimwerkermärkte. Tengelmann besitzt Schokoladenfabriken, Fleischwerke (Qualitätsfleischmarken: "Birkenhof", "Vitasi", "Wörthersee"), Holzwerke, Kaffeeröstereien, Papierverarbeitungswerke, Versicherungsgesellschaften usw. usf. (Alle Beispiele und Zahlen aus: "Wem gehört die Republik?", Rüdiger Liedtke, Eichborn Verlag, 1996)

Diese Beschreibungen sind gerade mal Kurzsteckbriefe. Jedes dieser Riesenunternehmen ist ein kleines Königreich. Sie sind zum größten Teil Konglomeratkonzerne mit einem Schwerpunkt, mit zwei, drei Standbeinen oder auch mit ganz verschiedenen Standbeinen wie der Oetker-Konzern.

Diese Tendenz hin zu Konglomeraten, also hin zu Unternehmen, die sowieso horizontal und vertikal kombiniert sind und die darüberhinaus in ganz verschiedenen Branchen tätig sind, hat sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts im großen Ausmaß verstärkt.

"Diesem Prozeß (hin zu Mischkonzenen, AdV) liegt das Bestreben zugrunde, überschüssiges Kapital in Wirtschaftszweigen anzulegen, in denen besonders hohe Profitraten erzielt werden können. Das Konglomerat umfaßt deshalb auch Unternehmungen, die miteinander keinerlei Zusammenhang haben - außer der Zielsetzung, höchstmögliche Profite zu erzielen.

Die Konglomerate entwickeln sich vor allem durch systematischen Aufkauf von besonders profitablen Unternehmen der verschiedensten Branchen ..., wobei die wenig rentablen Betriebe abgestoßen werden." ("Politische Ökonomie - Kapitalismus", Dietz Verlag Berlin 1972, S. 98)

Typische Gigantenunternehmen der damaligen Zeit waren Kohle- oder Stahlsyndikate wie Krupp oder Thyssen. Die waren zwar horizontal und/oder vertikal kombiniert, aber sie waren eben nicht gleichzeitig z.B. auf dem Immobilienmarkt tätig oder besaßen eine Schiffsflotte. Daß diese Entwicklung in den letzten Jahrzehnten noch rasanter vorangeschritten ist, zeigt sich im folgenden.

"Jeder dieser Konzerne (gemeint sind die größten Konzerne, AdV) kauft täglich Firmen, häufiger als der Durchschnittsmensch Brot und Milch kauft. Jeder dieser Konzerne kauft und gründet Firmen, gründet sie um, schlachtet sie aus, zerlegt und zerteilt sie, fügt sie neu zusammen, fusioniert Teile, verscherbelt die unbrauchbaren Reste, verkauft unpassend gewordene Firmen, führt mit ihnen Tauschgeschäfte mit anderen Konzernen durch. Anlagenverwaltung, asset managenement auf konzerndeutsch, und Beteiligungs-Controlling sind zentrale Tätigkeitsbereiche der Konzern-Holdings (=nicht produzierende, nur die Beteiligungen verwaltende Konzernspitze); Profit, Profit, Profit ist das Ziel dieser Tätigkeiten, wie es Daimler-Chef Schrempp, bemerkenswert eindeutig, formulierte .." ("isw", S. 22)

Die herrschende Klasse, die Finanzkapitalisten wie Schrempp (Daimler), von Pierer (Siemens), Breuer (Deutsche Bank) sind heißhungriger und raubgieriger denn je; ihre Hauptmethoden zur Erlangung des Profits, nämlich Finanzmachenschaften, immer riskantere Spekulationen, Geldtransfers und -tricks im Riesenausmaß treten immer mehr in den Vordergrund.

Konkrete Gründe für diese Entwicklung sind die immer weiter anwachsenden Mengen an Kapital, das mehr und mehr überschäumt, wie Lenin es nennt. Dies führt zu einem immer schnelleren Abstoßen von weniger profitablen Bereichen und zu einem immer rascheren Hineinströmen des Kapitals in die gewinnträchtigsten Branchen - was immer das im einzelnen auch ist. Dies bedeutet heute zum Teil auch das Abstoßen der alten traditionellen Industriebetriebe und den Zukauf im Bereich der neuen Technologien wie Telekommunikation, Internettechnologie. Auch die immer größeren Grenzerleichterungen des Kapitalverkehrs begünstigen die Tendenz zum Mischkonzern. Daß der Finanzhai, der Finanzjongleur das Wirtschaftsleben dominiert, darauf verweist auch schon Lenin als grundlegende Eigenschaft des imperialistischen Systems:

"Auch innerhalb der rein wirtschaftlichen Tätigkeit, schreibt Kestner, tritt eine Verschiebung vom Kaufmännischen im früheren Sinne zum Organisatorisch-Spekulativen ein. Nicht der Kaufmann kommt am besten vorwärts, der auf Grund seiner technischen und Handelserfahrungen die Bedürfnisse der Kunden am genausten versteht, der eine latente Nachfrage zu finden und wirksam zu erwecken vermag, sondern das spekulative Genie (?!), das die organisatorische Entwicklung, die Möglichkeit der Beziehungen zwischen den einzelnen Unternehmungen und zu den Banken vorauszuberechnen oder auch vorauszufühlen vermag.

In eine menschliche Sprache übertragen, bedeutet das: Der Kapitalismus ist so weit entwickelt, daß die Warenproduktion, obwohl sie nach wie vor herrscht und als Grundlage der gesamten Wirtschaft gilt, in Wirklichkeit bereits untergraben ist und die Hauptprofite den Genies der Finanzmachenschaften zufallen." ("Der Imperialismus", S. 210

Die Geld- und Finanzmärkte, die Geschäfte mit der Spekulation, die gerade im letzten Jahrzehnt noch einmal eine immense Ausdehnung und Erweiterung erfahren haben, werden ein wichtiges Thema in einem der Folgeartikel sein.

Von Kartellen, Trusts und anderem

Zunächst einmal was sind Kartelle, Syndikate oder Trusts?? Solange die einzelnen Teilmärkte unter tausenden, zehntausenden Betrieben mehr oder minder gleicher Größe aufgeteilt sind, sind Kartelle u. ä. schwer möglich oder gar nicht möglich. Wenn allerdings im Imperialismus praktisch jede Branche von einigen oder auch von ein paar Dutzenden Firmen beherrscht wird, bietet es sich für diese Firmen an, Absprachen zu treffen, um die gegenseitige Konkurrenz auszuschalten und um auf diese Weise Vorteile ganz unterschiedlicher Natur zu erlangen wie erhöhte Preise oder die Ausschaltung von anderen Konkurrenten. Kartelle, Syndikate etc. sind gerade solche Absprachen/Zusammenschlüsse. Der Hauptunterschied liegt darin, wie locker oder wie eng das Bündnis der Kapitalisten ist. (Siehe Kästen)

So bleibt im Fall der Kartelle die Selbständigkeit erhalten und die Konkurrenz ist teilweise (zeitweilig, punktuell) eingeschränkt zwischen den Unternehmen, die das Kartell bilden. Der Trust hingegen ist ein sehr fester Zusammenschluss, da die vertrusteten Unternehmen auch ihre Selbständigkeit aufgeben.

Die Übergänge zwischen den Formen sind fließend. Vergleicht man z.B. einen Trust mit einem Konzern, so sind die Konzerntöchter im Gegensatz zu den vertrusteten Unternehmen formal unabhängig. Beide Formen des Zusammenschlusses sind aber inhaltlich betrachtet sehr ähnlich: Sie stellen ein sehr enges Bündnis dar; die Steigerung davon ist nur noch die Fusion zu einem einzigen Unternehmen.

Und natürlich gibt es heute neue Formen des Unternehmenszusammenschlusses wie Joint Ventures, strategische Allianzen, freundliche/feindliche Übernahme. Auch hier ist es wichtig jenseits der Form auf den Inhalt zu schauen: Wie weitgehend ist der Zusammenschluss? Denn umso weitgehender der Zusammenschluss, umso eingeschränkter der Wettbewerb und darum gehts schließlich. So ist eine strategische Allianz -beispielsweise eine offizielle Vereinbarung, bzw. Kooperation zwischen zwei Unternehmen zwecks gemeinsamer Eroberung bestimmter Märkte in einer bestimmten Region auf der Welt- auf dem Niveau von Kartellen anzusiedeln.

Die Situation Anfang des 20. Jahrhunderts schilderte Lenin so:

" So trat die Kartellbewegung in ihre zweite Epoche. (in die des Imperialismus, AdV) Statt einer vorübergehenden Erscheinung werden die Kartelle eine der Grundlagen des gesamten Wirtschaftslebens ...

Der große Aufschwung zu Ende des 19. Jahrhunderts und die Krisis von 1900-1903 stehen wenigstens in der Montan- und Hüttenindustrie zum ersten Male ganz im Zeichen der Kartelle. Und wenn man das damals noch als etwas Neuartiges ansah, so ist es dem Allgemeinbewußtsein inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden, daß große Teile des Wirtschaftslebens der freien Konkurrenz regelmäßig entzogen sind...

Die Zahl der Kartelle in Deutschland wurde 1896 ungefähr auf 250, 1905 auf 385 mit etwa 12.000 Betrieben geschätzt. ... (AdV: Zahl der Kartelle Ende der zwanziger Jahre: 2500, "Waffenschmidt", S. 19)

Die Kartelle und Trusts vereinigen vielfach sieben bis acht Zehntel der Gesamtproduktion des betreffenden Industriezweiges in ihren Händen. Im Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikat waren bei seiner Gründung 1893 86,7% und im Jahre 1910 bereits 95,4% der gesamten Kohlenförderung des Gebiets konzentriert. Das auf diese Weise entstehende Monopol gewährleistet Riesengewinne und führt zur Bildung technischer Produktionseinheiten von unermeßlichem Umfang." ("Der Imperialismus", S. 205ff)

Lenin führt hier auch den berühmten Petroleumtrust in den Vereinigten Staaten an, die Standard Oil Company oder den US-amerikanischen Stahltrust (United States Steel Corporation). Er beschreibt die astronomische Macht dieser Trusts. Er bezieht sich auf ein Buch, das sich auschließlich mit den verschiedenen Sorten von Absprachen der Kartelle und ihren Methoden beschäftigt und beschreibt den gnadenlosen, erbitterten Kampf der Kartelle, einen Kampf bis aufs Äußerste, gegen den "Rest".

Auch hier wieder weist Lenin nach, daß die Kartellierung die gleiche Wirkung hat wie das ungeheure Anwachsen einzelner Betriebe oder die Kombination: Der Kapitalismus tritt im Imperialismus in sein monopolistisches Stadium.

Und heute?? Ein Aspekt ist, daß die Gesetze heute vielfach die verschiedenen Formen der Absprachen der Kapitalisten verbieten oder nur eingeschränkt erlauben. In Deutschland wurden nach 1945 viele Trusts wie die Vereinigten Stahlwerke AG aufgelöst, weil sie im besonderen Maße den Hitlerfaschismus verkörperten. Kartelle sind in Deutschland (allerdings mit zahlreichen Ausnahmen) offiziell verboten. Auch Syndikate sind im allgemeinen verboten. Früher waren die Kartelle ganz legal und die Bedingungen wurden in Verträgen festgelegt. Ebenso waren die Trusts ganz legale Organisationen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde das Bundeskartellamt eingerichtet, das verbotene Kartelle aufspüren soll, aber auch darüber wachen soll, daß einzelne Unternehmen nicht zu groß werden, z.B. durch eine Fusion. Daher existieren nicht solche offiziellen Zahlen wie z.B. über die Zahl der Kartelle, weil es diese offiziell gar nicht mehr gibt.

Bestimmte Tatsachen zeigen allerdings, daß sich auch in der Frage nichts grundsätzlich geändert hat. So winkt das Bundeskartellamt auch die größten Unternehmenszusammenschlüsse in aller Regel durch. Da fragt man sich eigentlich, wie groß die Unternehmen werden sollen, damit das Bundeskartellamt mal was verbietet. Die Unmengen an Megafusionen in der letzten Zeit sind ja auch alle mehr oder minder reibungslos über die Bühne gegangen. Mißt man das an den Gesetzen, auf die das Bundeskartellamt solche Fusionen prüfen muß, dann scheint das Bundeskartellamt in der letzten Zeit des Fusionsfiebers offenbar in den Urlaub gegangen zu sein. Die Gesetze sind nur auf dem Papier.

Auch die aufgedeckten Kartelle zeigen, daß die größten Produzenten sehr oft Absprachen treffen. Aufgedeckt wurden Chemiefaser-, Arzneimittel-, Zement-, zahllose Baupreiskartelle u.a. So wurde bekannt, daß nach dem Fall der Mauer zwei große Immobilienfirmen die Grundstücke direkt um Berlin -natürlich inoffiziell- untereinander aufgeteilt hatten. Unter den potentiellen Käufern kursierten Listen, an welche der beiden Firmen sie sich zu wenden hätten, auch wenn im Grundbuch jemand anders als Eigentümer eingetragen war. Auch die hochoffizielle Aufteilung der Stromvermarktung unter eine Handvoll Stromkonzerne (die bis vor kurzem gültig war), was ist das faktisch anderes als eine staatlicherseits abgesegnete Kartellierung des Marktes?

"Große Schwierigkeiten bereitet dem Bundeskartellamt jedoch das Erkennen der sogenannten Sekt- oder Frühstücks-Kartelle, bei denen zwar Absprachen zwischen Unternehmungen getroffen werden, das abgestimmte Verhalten jedoch nur in Form interner Aktenvermerke oder überhaupt nicht schriftlich festgelegt wird." ("Grundwissen Wirtschaft", S. 51) Was also früher offiziell lief, läuft heute vielfach unter der Hand.

In der Frage von Unternehmenszusammenschlüssen, Kartellen etc., hat sich grundsätzlich also nichts geändert. Wenn die Unternehmer eine Allianz für profitbringend ansehen, dann finden sie Mittel und Wege dieses Bündnis/Absprache einzugehen in welcher Form auch immer, ob verboten oder nicht. Bestimmte Formen wie Trusts oder Syndikate sind in Deutschland heute nicht (mehr) so verbreitet, andere sind neu entstanden.

Wir denken, daß in diesem Zusammenhang eins gesehen werden muß. Betrachtet man die Entwicklung der letzten 100 Jahre, so sieht man, daß die Kapitalisten oftmals nicht auf die Karte der Allianz gesetzt haben, sondern daß das große Unternehmen das kleine gleich mit Haut und Haar fraß oder daß das große sich das kleinere durch Beteiligungen faktisch angliederte und beherrschte. Diesen Prozeß beobachten wir im Moment im vermehrten Maße. Die imperialistische Wirtschaft ist zur Zeit in einem absoluten Fusionsrausch. Die Hauptform, in der sich die Konzentration der imperialistischen Wirtschaft der letzten 100 Jahre vollzog, war die der Fusionen, Elefantenhochzeiten, Firmenaufkäufe. Das Ergebnis ist, daß noch viel weniger große Unternehmungen übriggeblieben sind, die in aller Regel als Mutterfirmen mit vielen angegliederten Töchtern existieren. Auch die immer stärkere Kapitalverflechtung zwischen den Konzernen muß berücksichtigt werden. In diesem Rahmen muß man die verschiedenen Allianzen der Unternehmen sehen. Daß die ganz Großen sich allerdings untereinander absprechen, ist mehr als logisch. Man betrachte allein die Benzinpreiserhöhungen Mitte 2000 durch die Treibstoff- und Ölindustrie im Zusammenhang mit der von Rot-Grün geplanten Benzinsteuererhöhung. Die Erdölkonzerne haben sich zusammengetan und gesagt, wenn Vater Staat die Benzinsteuern erhöhen kann, dann können wir auch den Preis alle gleichzeitig erhöhen und so einen schönen Profit machen.

Die Bedeutung von Aktiengesellschaften nimmt im Imperialismus mehr und mehr zu

Lenin zeigte auf, daß die größten, wichtigsten Unternehmen fast immer Aktiengesellschaften waren. Als einen wichtigen Grund gab er an, daß das große Wachstum einzelner Unternehmen im Imperialismus einhergeht mit einem ungeheuer großen Kapitalbedarf und dieser kann praktisch nur durch die Unternehmensform einer Aktiengesellschaft gedeckt werden. In anderen Unternehmensformen ist es ja so, daß die Gesellschafterzahl gesetzlich begrenzt ist. Bei Kapitalbedarf muß das Unternehmen einen Kredit aufnehmen oder einer der wenigen Gesellschafter weiteres privates Kapital reinstecken, wobei er meistens sowieso schon ziemlich viel Kapital in der Firma hat. Insbesondere bei einer gut laufenden Aktiengesellschaft geht die Kapitalbeschaffung viel leichter. Die AG gibt einfach neue Aktien raus und jeder der will, kann auch für einen kleinen Betrag sein Kapital da reinstecken. Die AGs sind also bestens dafür geeignet, großes und kleines Kapital einzusammeln und so Unmengen an Kapital anzuhäufen.

Auch heute noch sind die größten Unternehmen der Republik in der Regel Aktiengesellschaften und sie bestimmen maßgeblich das Wirtschaftssleben. 1980 waren von den 25 größten Konzernen der BRD 23 Aktiengesellschaften, nur Bosch und Krupp waren GmbHs. 1996 waren von den 100 größten Konzernen 72 Aktiengesellschaften, 19 GmbHs, die restlichen 9 waren Kommanditgesellschaften und anderes.

Was heißt das alles nun für heute??

Was ist das Ergebnis dieser ersten Untersuchung?

Das wichtigste Ergebnis ist, daß die Aussage Lenins, "Konzentration der Produktion und des Kapitals, die eine so hohe Entwicklungsstufe erreicht hat, daß sie Monopole schafft, die im Wirtschaftsleben die entscheidende Rolle spielen", seine volle Gültigkeit behalten hat. Die Untersuchungskriterien Lenins zeigen, daß die grundlegenden Charakteristika des Imperialismus heute nach wie vor gültig sind. Wenn man so will, ist es eigentlich verblüffend, wie "frisch" die Analyse Lenins heute ist.

Ein anderes Ergebnis ist, daß die Merkmale, die Lenin für die imperialistische Wirtschaft untersuchte, sich deutlich stärker herausgebildet haben. Die Unternehmen sind noch viel größer geworden als Anfang des 20. Jahrhunderts, noch weniger Unternehmen gebieten über noch mehr Menschen und Produktionsmittel, die Konzentration der Wirtschaft ist noch größer geworden.

Die horizontale und vertikale Kombination hat sehr stark zugenommen und darüberhinaus sind heute im Gegensatz zu vor 100 Jahren die großen Firmen in der Regel Konglomeratkonzerne.

Bestimmte Formen der Firmenbündnisse zwecks Einschränkung des Wettbewerbs untereinander haben in Deutschland an Bedeutung verloren wie Trusts oder Syndikate, neue Formen wie strategische Allianzen sind entstanden. Man muß dabei sehen, daß die Hauptform der Konzentration der Wirtschaft nicht die der Allianzen und Bündnisse ist sondern die der Fusionen, Firmenaufkäufe, Übernahme, Beherrschung durch Beteiligung, Fressen und Gefressenwerden. In diesem Rahmen finden heute natürlich Absprachen/Allianzen zwischen den Kapitalisten statt.

Was die einzelnen Wirtschaftszweige betrifft, so hat der Dienstleistungsbereich immens zugenommen, die Informations-, Computer- und Automationsbranche ist praktisch neu entstanden und hat sich enorm vergrößert, die klassische Schwerindustrie wie die Stahl- und Bergbauindustrie hat sich in den reichen imperialistischen Ländern wie Deutschland verkleinert.

In dem Zusammenhang ist es wichtig zu erwähnen, daß diese Veränderungen nicht das imperialistische System an sich grundsätzlich verändert haben. Die Konzentration der Produktion ist grundsätzlich gleichgeblieben, die Herrschaft der Monopole ist nach wie vor vorhanden, einige wenige Unternehmen bewirken viel, hunderttausende Unternehmen sind nichts.

In der Hinsicht ist es auch wichtig zu betonen, daß der Artikel zeigt, daß der Imperialismus schon Anfang des 20. Jahrhunderts voll ausgebildet war. Im Imperialismus heute haben sich seine Eigenschaften nur noch schärfer herausgebildet. Dies sei bezogen auf alle Globalisierungstheoretiker, auf die vom Fusionsfieber Berauschten, auf die, die meinen, dass die Megafusionen ein neues Zeitalter, eine neue Ära eingeläutet haben. Ihnen muß entgegengehalten werden, daß sie die Geschichte nicht richtig kennen. Monopole waren Anfang des 20. Jahrhunderts schon eine allgemeine Tatsache. "So ist es dem Allgemeinbewußtsein inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden, daß große Teile des Wirtschaftslebens der freien Konkurrenz regelmäßig entzogen sind", schrieb Lenin 1916.

Diesen "Theoretikern" wollen wir die folgende Beschreibung Lenins des damaligen Wirtschaftslebens entgegenstellen:

"Das ist schon etwas ganz anderes als die alte freie Konkurrenz zersplitterter Unternehmer, die nichts voneinander wissen und für den Absatz auf unbekanntem Markte produzieren. Die Konzentration ist so weit fortgeschritten, daß man einen ungefähren Überschlag aller Rohstoffquellen (beispielsweise der Eisenerzvorkommen) in dem betreffenden Lande und sogar, wie wir sehen werden, in einer Reihe von Ländern, ja in der ganzen Welt machen kann. Ein solcher Überschlag wird nicht nur gemacht, sondern die riesigen Monopolverbände bemächtigen sich dieser Quellen und fassen sie in einer Hand zusammen. Es wird eine annähernde Berechnung der Größe des Marktes vorgenommen, der durch vertragliche Abmachungen unter diese Verbände aufgeteilt wird. Die qualifizierten Arbeitskräfte werden monopolisiert, die besten Ingenieure angestellt, man bemächtigt sich der Verkehrswege und -mittel der Eisenbahnen in Amerika, der Schiffahrtsgesellschaften in Europa und in Amerika. In seinem imperialistischen Stadium führt der Kapitalismus bis dicht an die allseitige Vergesellschaftung der Produktion heran, er zieht die Kapitalisten gewissermaßen ohne ihr Wissen und gegen ihren Willen in eine Art neue Gesellschaftsordnung hinein, die den Übergang von der völlig freien Konkurrenz zur vollständigen Vergesellschaftung bildet.

Die Produktion wird vergesellschaftet, die Aneignung jedoch bleibt privat. Die gesellschaftlichen Produktionsmittel bleiben Privateigentum einer kleinen Anzahl von Personen." ("Der Imperialismus", S. 209)

Lenin erwähnt hier als Beispiel die damals weltweit monopolisierten Eisenerzvorkommen. Die heutigen Zahlen sprechen die gleiche Sprache: Im Jahr 1999 bestritten die drei Konzerne RoyalDutch/Shell, BP und Exxon fast 70 % des weltweiten Ölmarktes, im heutigen Jahr 2000 sind über 75% des weltweiten Musikhandels unter den vier Musikriesen Bertelsmann, Warner, Sony und Universal aufgeteilt. Den Verfechtern der neuen Ära sei zugerufen, daß Lenin hier doch das beschreibt, was sie für angeblich als so ganz neu hinstellen. (Wobei in einem der Folgeartikel bezüglich der internationalen Monopolisierung näher darauf eingegangen werden wird, inwieweit bestimmte Erscheinungen sich verstärkt haben und wo es Veränderungen gegeben hat.)

In diesem Lichte muß auch das ungeheure Fusionsfieber der letzten Zeit betrachtet werden. Natürlich bedeuten diese Unmengen an "Elefantenhochzeiten" eine ungeheure Konzentration der Wirtschaft. Die Folge des Fusionsfiebers wird sein, daß bestimmte Eigenschaften des Imperialismus noch deutlicher, noch krasser hervortreten werden. Aber auch das ändert nichts daran, daß die Wirtschaft in Deutschland schon vorher monopolistisch war.

 

Anmerkungen:

(1) Bei den Betrieben handelt es sich laut Lenin um "Industrie im weiteren Sinne", also Handel, Verkehrswesen usw. miteingeschlossen.

(2) Konzerne: Es gibt eine Mutterfirma, die in aller Regel eine Aktiengesellschaft ist. Diese Mutterfirma ist an zahlreichen anderen Aktiengesellschaften über den Besitz von Aktienanteilen beteiligt. Hält die Mutter den ganz überwiegenden Anteil der Aktien, spricht man auch auch von Tochterfirmen. Die Aktiengesellschaften sind formal unabhängig, sind aber faktisch abhängig von der Mutter und werden von ihr beherrscht. Die Mutterfirma und die ihr über ein schwer durchschaubares Beteiligungssystem mehr oder minder angeschlossenen Töchter nennt man Konzern.

Einige Erläuterungen: