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Filmkritik: 11’’ 09’ 01 – September 11

FilmplakatDie Bilder der getroffenen und dann einstürzenden Zwillingstürme waren allgegenwärtig in den Medien. Nichts hatte mehr Bedeutung, keine Nachricht war wichtig genug, um die Medienbedeutung der "amerikanischen Tragödie" zu verringern. Massenhaft strömten diese Bilder auf uns ein. Und teilweise konnten die Menschen live den Einsturz des zweiten Turmes und die sterbenden, in den Tod springenden Menschen am Fernsehbildschirm verfolgen... Hier soll aber nicht die Auseinandersetzung mit der herrschenden Medienarbeit geleistet werden. Im Zusammenhang mit der Einschätzung des Films "11’ 09’’ 01 - September 11" lohnt es aber, sich noch einmal diese weltweite Medienpräsenz der Anschläge klar zu machen.

Einen Tag nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York am 11 September 2001 hatte der französische Filmproduzent Alain Brigand die Idee zu diesem Filmprojekt.

Um das weltumspannende Echo auf dieses Ereignis auf andere Art als durch diese entsetzlichen Bilder festzuhalten, wurde mir sehr bald klar, dass wir die Pflicht der Reflexion hatten. Diese Reflexion sollte nicht der Gegenwart verhaftet sein, sondern sich ausdrücklich der Zukunft zuwenden. Sie sollte in allen Ländern und Regionen verstanden und mitempfunden werden können. Eine Reflexion, die diese Bilder mit anderen Bildern beantwortete.

So bat ich elf bekannte Regisseure und Regisseurinnen um einen Beitrag - einen Blick auf ihre eigene Kultur, ihre eigene Erinnerung, ihre eigenen Geschichten und ihre eigene Sprache. Die Vorgabe lautete: "Ein Film, der 11 Minuten, 9 Sekunden und 1 Bild — 11’09’’01 — dauert und sich um die Ereignisse des 11. September und ihrer Folgen dreht."

Die Regisseure und Regisseurinnen erfassten das Thema und brachten ihre Sicht der Ereignisse zum Ausdruck, geleitet von den Sorgen und Anliegen ihres eigenen Landes und ihrer eigenen Geschichte. Der Film bringt unterschiedliche Prioritäten und Engagements zum Ausdruck. Jede Meinung ist frei und in völliger Gleichberechtigung zum Ausdruck gebracht.

Diesem filmischen Mosaik liegt kein Konsens zugrunde. Zwangsläufig ist es voller Kontraste, so dass es möglicherweise Gefahr läuft, vom künstlerischen und ethischen Standard abzuweichen, dem sich jeder Regisseur verpflichtet fühlt.

Alain Brigand, Künstlerischer Produzent

Den Rahmen für die elf Kurzfilme bildet eine schwarze Weltkarte, die zwischen den Kurzfilmen eingeblendet wird und auf der immer ein rotes Licht in Amerika in der Gegend von New York blinkt, gleichzeitig leuchtet die Fläche des Landes, aus der der jeweilige Regisseur, die Regisseurin kommt. Die elf Filmemacher/innen kommen aus verschiedenen Teilen der Erde:

Samira Makhmalbaf aus Iran, Claude Lelouch aus Frankreich, Youssef Chahine aus Ägypten, Danis Tanovic aus Bosnien-Herzegowina, Idrissa Ouedraogo aus Bukina Faso, Ken Loach aus Großbritannien, Alejandro Gonzalés Iñárritu aus Mexiko, Amos Gitaï, aus Israel, Mira Nair aus Indien, Sean Penn aus den USA, Shohei Imamura aus Japan.

Schon alleine diese Unterschiedlichkeit macht "11’ 09’’ 01 – September 11" zu einem besonderen Kinoereignis. Es sind 11 sehr verschiedene Kurzfilme, die durch den gemeinsamen Rahmen eine Einheit bilden. Sie haben keine gemeinsame Aussage und trotzdem hat man nach dem Film den Eindruck, dass da versucht wurde eine andere Sichtweise auf den elften neunten zu eröffnen. Man muss aber jeden Film einzeln einschätzen.

Samira Makhmalbaf

Samira Makhmalbaf aus Iran gibt in ihrem Film einer jungen Lehrerin die Aufgabe afghanischen Flüchtlingskindern zu erklären, was am elftenneunten passiert ist.

Die Lehrerin geht auf dem Weg zur Schule durch ein Gelände, auf dem Ziegel produziert werden. Das geschieht in mühsamer Hand– und Fußarbeit. Kinder stampfen den Lehm, Erwachsene transportieren Lehm und Ziegel auf Schubkarren. Aus den Ziegeln sollen Schutzunterstände für den nächsten drohenden Krieg gebaut werden. Im Vorbeigehen spricht die Lehrerin mit den Menschen und erklärt, dass die Ziegelbauten keinen Schutz gegen Atomwaffen bieten können. Sie ruft die Kinder zur Schule. Auch die Schule zeugt von der bitteren Armut: Die Kinder sitzen auf dem Boden in einer Art Flur. Ob sie wüssten, was Schlimmes passiert sei, fragt die Lehrerin und sie antworten in ihrem Verständnis von "Was Schlimm ist", dass zwei Männer in einen Brunnen gefallen seien und dass eine Tante gesteinigt wurde. Ein World Trade Center ist für die Kinder vollkommen abstrakt. Und die Vorstellung, dass da jemand mit dem Flugzeug reinfliegen könnte, löst bei ihnen eine Diskussion über Gott aus: Das kann nur Gott gemacht haben. – Aber wieso sollte Gott die Menschen, die er gemacht hat, so umbringen? Um an das Schlimme zu gedenken, das diesen Leuten vom World Trade Center widerfahren ist, versucht die Lehrerin eine Schweigeminute durchzuführen. Das ist aber in der Schule unmöglich. Der höchste Turm in der Nähe ist ein Schornstein, dort gibt es die Gedenkminute. Die Kinder haben trotzdem nicht verstanden.

Samira Makhmalbaf ist mit dem Filmen dieser Kinder eine Kostbarkeit gelungen – fast unübertreffbare Natürlichkeit in den Aussagen und im Ausdruck. Und sie zeigt mit diesem Film, dass die Sichtweise und Wahrnehmung der Ereignisse vom elftenneunten eine andere ist, wenn man nicht in den europäischen Metropolen oder in den USA lebt.

Viele Menschen reden über den 11. September, doch nur wenige führen die Ereignisse auf die Diskrepanz zwischen der entwickelten und der unterentwickelten Welt zurück. Die Armen ertrinken in ihrer Armut und die Reichen im Meer ihres Reichtums.

Es kommt mir vor, als würde das, was nicht per Satellit gezeigt wird, überhaupt nicht existieren. In der heutigen Welt achten die entwickelten Länder nur dann auf die armen Länder, wenn ihr Profit gefährdet ist. Dann lenken alle Länder und die Medien ihre Aufmerksamkeit in diese Richtung.

Claude Lelouch

Claude Lelouch aus Frankreich hat sich überlegt, ob es Menschen gibt, die für die Medienpräsenz der Ereignisse in New York nicht erreichbar waren und beschäftigt sich in seiner Sequenz mit der Liebesbeziehung zwischen einer Taubstummen und einem Reiseführer für Taubstumme in New York. Am Tag des elftenneunten will sie ihren Freund verlassen. Während der Boden bebt und im Hintergrund im Fernseher die Bilder der brennenden Zwillingstürme laufen, von ihr nicht wahrgenommen, schreibt sie den Trennungsbrief: "Nur ein Wunder könnte unsere Beziehung noch retten..." In diesem Moment kehrt ihr Freund zurück, der sich mit einer Reisegruppe am World Trade Center verabredet hatte. Voller Staub steht er da, und der erste Moment des Glücks über dieses "Wunder" schlägt bei der Frau in Entsetzen um.

Claude Lelouch fragt nach den Menschen in den Metropolen. Wie erleben sie die Anschläge. Welche Bedeutung haben sie für den einzelnen. Er fragt nicht nach den Zusammenhängen.

Die Darstellung dieser Ereignisse in den Medien hat mich derart fasziniert, dass ich mich fragte, ob es auch nur einen Menschen auf der Welt gab, der sich nicht bewusst war, was gerade passierte.

Youssef Chahine

Youssef Chahine aus Ägypten setzt sich in seinem Film selbst in Szene und versucht darzustellen, dass es für die Region im Nahen Osten keinen Frieden geben kann. Youssef Chahine "trifft" einen bei einem Hizbollah-Angriff getöteten amerikanischen Soldaten und unterhält sich mit ihm. Er besucht gemeinsam mit ihm die Familie eines Selbstmordattentäters, der kurz darauf bei seinem Einsatz umkommt. Der elfteneunte ist die Gelegenheit, sich zu treffen. Auf dem US-amerikanischen Soldatenfriedhof treffen sich alle drei. Die Botschaft des Films ist, dass keiner von beiden hätte sterben sollen. Die beiden Soldaten kommen aber auch zu Wort: Der palästinensische Kämpfer macht darauf aufmerksam, dass seine Seite die gerechte ist. Youssef Chahine lenkt mit seinem Beitrag den Blick auf die Konflikte im Nahen Osten. Er kommt aber über seine moralischen Hinweise nicht hinaus.

Kann man es einem leidenschaftlichen Liebhaber der USA verdenken, dass er sich betrogen fühlt und ärgerlich wird, wenn er mit ansehen muss, wie sein Traum immer wieder ungestraft mit Füßen getreten wird?

Danis Tanovic

Danis Tanovic aus Bosnien-Herzegowina zeigt in seinem Beitrag Frauen aus Srebrenica: Seit dem 11 Juli 1995 gehen sie jeweils am elften eines Monats auf die Strasse, um an das Massaker vom 11.07.1995 in Srebrenica zu erinnern. Auch am elften neunten sammeln sie sich für die Demonstration. Sie werden von der Nachricht über die Anschläge in New York überrascht und beschließen trotz anfänglicher Bedenken auf die Strasse zu gehen. "Für uns und auch für sie"

Die Botschaft des Filmes ist, dass der elfte neunte nicht das einzige Ereignis ist, bei dem Menschen leiden mussten. Man soll die anderen nicht vergessen

Zum einen finde ich, dass alle Künstler sich mit den Fragen ihrer Zeit auseinandersetzen sollten und dass die Ereignisse in New York wirklich gravierend waren; in gewisser Hinsicht ist es meiner Ansicht nach ihre Pflicht. Zum anderen weiß ich noch, als ich in Sarajewo war und die Leute hörte, wie sie über die Ereignisse dort redeten, war es mir immer ein persönliches Anliegen, dafür zu sorgen, dass das nicht in Vergessenheit gerät. Vor diesem Hintergrund — der Vergesslichkeit der Menschen - entwickelte sich die Idee zu meinem Film, denn ich finde, wir vergessen zu oft und zu schnell, was in der Welt passiert — ich spreche von Bosnien, von Tschetschenien, von Ruanda -, all diese Ereignisse, die ein paar Tage lang in den Schlagzeilen stehen und dann in Vergessenheit geraten.

Idrissa Ouedraogo

Idrissa Ouedraogo aus Bukina Faso zeigt eine Art Jugendtheaterstück im Stil von "Emil und die Detektive". Fünf Schulfreunde leben in einer afrikanischen Stadt. Weil die Mutter des einen dringend Medizin braucht, geht der Junge nicht in die Schule, sondern verkauft Zeitungen, um dass Geld für die Medizin zusammen zu bekommen. In einer Zeitung entdeckt er, dass für das Einfangen von Usama bin Laden ein hoher Preis ausgesetzt ist. Die Freunde entdecken auf einem Markt einen Doppelgänger von Usama bin Laden; sie beschließen, ihn zu fangen und das Kopfgeld zu kassieren. Ein Junge "leiht" sich von seinem Vater eine Videokamera. Mit Papas Kamera beobachten sie "bin Laden", aber bevor die fünf zuschlagen können, fliegt er weg. Mit Tränen in den Augen sehen sie dem Flugzeug nach: "Komm zurück – du bist unsere Hoffnung." Die Freunde lösen das Geldproblem, indem sie Papas Kamera verkaufen.

Ein sehr sympathischer Film, in gezeigt wird, dass die Welt nicht nur aus den westlichen Ländern besteht. Ouedraogo zeigt auch die Solidarität zwischen den Jugendlichen.

Ich stamme aus Westafrika, aus Burkina Faso. Wie alle Afrikaner war ich entsetzt von der Gewalttätigkeit der Angriffe. Wie sie empfand ich Mitgefühl für das Leiden der Familien und für das amerikanische Volk. Ich warte auch (wie alle Afrikaner überall) auf dieselbe Woge der Solidarität für Afrika, das von Malaria, AIDS, Hungersnot und Dürre usw. heimgesucht wird.

Ken Loach

Ken Loach aus Großbritannien dreht einen politischen Film der die Heuchelei der US-amerikanischen Regierung entlarvt. Vladimir Vega, ein in London lebender Chilene, schreibt einen Brief an die Angehörigen und Überlebenden der Anschläge vom elftenneunten. Er teilt die Trauer und erzählt von einem anderen 11. September. Am 11. September 1973 wurde die gewählte Allende-Regierung durch einen von der CIA eingefädelten Putsch gestürzt. Die Szenen, in denen Vega schreibt, erzählt oder zur Gitarre singt werden abgelöst von schwarz-weißen Dokumentaraufnahmen von Ermordeten, Gefolterten, von den Gefangenen im Stadion aus der Zeit nach dem Putsch in Chile. In Loachs Film sehen wir zuerst einen Ausschnitt der Rede G. W. Bushs zu den Angriffen: "Das war ein Angriff auf die Freiheit..." Nach der Rede wird gezeigt wie Allende umgebracht wurde und wie der Präsidentenpalast in Santiago de Chile bombardiert wird. Ken Loach zeigt die Heuchelei. Wir sollen die Ereignisse in Chile nicht vergessen. Loach stellt auch den Bezug her zu den Problemen der Exilanten: Vega sagt, er könne jetzt zwar zurück nach Chile, will aber seinen Kindern, die in England aufgwachsen sind, diese Erfahrung des Fremdseins ersparen. Wie Danis Tanovic zeigt uns auch Ken Loach: Es gibt auch andere elfteneunte, wobei in dem Film ganz klar wird, dass die Verantwortung für den Putsch und seine Folgen in Chile der US-Imperialismus mit seinen Marionetten trägt.

Die Interpretation dieser Ereignisse wurde von Massenmedien bestimmt, die im Großen und Ganzen den Politikern und den Interessen, die sie vertreten, dienen, und werden von ihnen manipuliert. Das war zu erwarten gewesen. Deswegen muss es auch andere Stimmen geben.

Weil das Kino reflektierter ist als der Journalismus — ob nun Print- oder Funkmedien -, kann es meiner Ansicht Dinge vermitteln, die von größerer Dauer sind. Das Kino kann nur als Teil einer größeren Bewegung zu einem friedlichen Ausweg beitragen.

Es war ein symbolischer Angriff auf die Macht, für die das World Trade Centre und das Pentagon eben stehen. Widerstand gegen diese Macht wird auf viele Arten zum Ausdruck gebracht. So, wie die US-amerikanische Regierung seit vielen Jahren handelt, muss sie davon ausgehen, dass sie sich in allen Teilen der Welt Feinde macht.

Alejandro Gonzalés Iñárritu

Alejandro Gonzalés Iñárritu aus Mexiko hat einen experimentellen Beitrag abgegeben. Nahezu die gesamte Länge des Films bleibt die Leinwand schwarz. Wir hören verschiedene Geräusche: Das kollektive Gebet der Chamula-Indios, eine Frau, die aus einem der Flugzeuge auf dem Handy ihre Familie anruft. Immer wieder wird das Bild eines Menschen, der von einem der Türme fällt, eingeblendet. Der Film endet mit einer weißen Leinwand auf der sich der Schriftzug: "..." in Helligkeit auflöst. Iñárritu hat versucht einen Beitrag zu leisten, in dem sich die Menschen ihre eigenen Bilder machen oder die Bilder, die sie gesehen haben verarbeiten können.

Mir hat dieser Kurzfilm überhaupt nicht gefallen. Hauptsächlich wegen seiner religiösen Anspielungen und einfachen Schemen wie "Gut" und "Böse", "Hell" und "Dunkel". Da hilft auch nicht die scheinbar kritische Aussage, dass uns Gottes Licht blendet. Iñárritu kritisiert zwar den Umgang mit Gott und die daraus resultierenden Folgen. Und er lässt uns immer wieder das Bild des fallenden Menschen sehn, um uns mit "Ikarus", mit dem wir alle zusammen fallen, zu konfrontieren.

Diese Idee, dass sich die Menschen einmal, ohne Bilder ansehen zu müssen, mit den Ereignissen vom elftenneunten beschäftigen, ist ja eigentlich gut, vor allem angesichts der Bilderflut, die uns überschwemmt hat. Wenn man Iñárritus Aussagen über seinen Film ansieht, wird aber klar, dass er selbst diese wenigen Bilder und die Geräusche vollgestopft hat mit Symbolik und Anspielungen. Und das widerspricht der angeblichen Grundidee. Iñárritu will zum Nachdenken anregen, leider bleibt es bei dem Wunsch.

Mir kam es darauf an zu zeigen, dass dieses Ereignis über eine rein politische Dimension hinausgeht; dass es mehr mit der dunklen Seite unseres Wesens zu tun hat. Es hat mehr mit Kain und Abel zu tun als mit Bush und Osama. Das Problem, um das es hier geht, ist, dass Menschen sich selbst, ihre Ängste und Wünsche durch einen Gott projizieren, den sie sich ihren eigenen Wünschen entsprechend zurechtgebogen haben, und auf den berufen sie sich, um ihre eigenen Taten zu rechtfertigen. Dies kann man im Osten ebenso beobachten wie im Westen. Es geht um die emotionale Spiritualität, den Fanatismus, den Fundamentalismus, den Nationalismus und die falsche Deutung des Lichts Gottes durch die Menschen: Anstatt sie zu erhellen, blendet es ihren Verstand.

Ich habe diesen Kurzfilm als Erfahrung einer Volksgruppe konzipiert: ein kollektives Gebet mit den Chamula-Indios aus meinem Land für diese unschuldigen Menschen, die an jenem Tag starben. Diese Gebete der Leute aus Chiapas funktionieren wie ein Mantra, und ich habe sie als Geschenk von mir und meinem Land eingesetzt, das dazu beitragen soll, die Wunden jenes leidvollen Tages zu heilen. Diese Opfergabe ist nicht nur für das amerikanische Volk gedacht, sondern für die Menschheit insgesamt, für das Ereignis selbst und für das, was nach diesem Ereignis passierte. Die Chamula glauben, dass man nach einem langen, schmerzvollen Prozess ans Licht gelangt, aber nur dann, wenn man in der Lage ist, die Realität zu erkennen und sich mit ihr auseinander zu setzen.

Er war meine Inspiration, denn ich fragte mich immer, was dieser Mensch beim Hinunterfallen wohl dachte. Ich nahm die fallenden Menschen als metaphorisches Bild von uns allen: die Menschheit, die abstürzt wie Ikarus.

Die romantische Vorstellung von der Globalisierung, von der Welt als kleines Dorf wird in Zukunft eine völlig andere sein. Oberflächlich gesehen scheint es, als sollte die Welt um ihr Überleben willen diesen Weg weiter verfolgen; doch unterschwellig besinnen sich die Menschen wieder auf ihre eigene Kultur, Tradition, Sprache und Herkunft. Es entsteht eine neue Art von Rassismus, von Fremdenfurcht und Nationalismus.

Amos Gitaï

Amos Gitaï, aus Israel hat für die 11 Minuten, 9 Sekunden und 1 Bild eine einzige lange Einstellung von 300 Metern Filmmaterial gedreht. 11. September 2001 – Tel Aviv: In der Jerusalemer Strasse gab es einen Bombenanschlag. Es herrscht Chaos – Verletzte sollen ins Krankenhaus, eine weitere Bombe muss entschärft werden, überall sind Sanitäter, Polizisten, Soldaten und Gaffer. Ein Reporterteam, das zufällig in der Nähe war, versucht eine Live-Berichterstattung hinzubekommen. Die Reporterin denkt, dass sie eine sehr wichtige Arbeit macht. Über Telefon ist sie in Kontakt mit dem Sendezentrum. Offensichtlich versucht ihr am anderen Ende der Leitung jemand klar zu machen, was in New York passiert ist. Wir hören und sehen nur ihre Antworten: "... wie bitte ich kann nicht auf Sendung – ja, ich weiß, dass heute der 11. September ist... was am 11. September passiert ist, ja das weiß ich... (sie zählt einige Ereignisse auf, die jeweils an einem 11.09. stattfanden) aber wir haben hier in der Jerusalemer Strasse ein Attentat ... warum bin ich nicht auf Sendung?..." und so weiter. Der Film endet abrupt.

Dieser Kurzfilm kritisiert scharf die Praxis der Medien. Ausserdem wird hier auch gezeigt, dass es nicht nur diesen einen elfterneunten gibt.

Mira Nair

In dem Film von Mira Nair aus Indien wird die reale Geschichte einer Auswanderer Familie aus Pakistan gezeigt. Der Sohn wird nach dem elften neunten vermisst. Die Familie wird mit dem wachsenden Rassismus konfrontiert. Die Mutter sucht verzweifelt nach dem Sohn oder einem Zeichen von ihm. Auch das FBI sucht ihn – ein muslimischer Pakistani "kann nur ein Terrorist sein". Die Familie, die zuvor durchaus auch Freundschaften mit Weißen hatte, gerät in die Isolation. Schließlich werden die Überreste des Sohns in Ground Zero gefunden, womit klar ist, dass der vermeintliche Terrorist ein zur Hilfe eilender Feuerwehrmann war. Zuerst zum Terroristen dann zum Helden erklärt und in US-Flagge eingewickelt begraben. Mira Nair stellt die Frage: Was wäre, wenn die Knochen nicht gefunden worden wären, und fordert auf, darüber nachzudenken, was nach dem elftenneunten passiert ist. Dieser Film greift klar den wachsenden Rassismus der Herrschenden und in der Gesellschaft an.

Ich wollte mich gegen die augenblickliche Welle der Islamophobie aussprechen, die die Welt seit dem 11. September heimsucht.

Das Kino muss der Welt, in der wir leben, einen Spiegel vorhalten. Wir müssen das Medium einsetzen, um zu provozieren, aufzurütteln, zu unterhalten und die Menschen aus dem Schlaf zu reißen.

Sean Penn

Sean Penn aus den USA – Im Schatten der Zwillingstürme lebt ein alter Mann in seinen Erinnerungen und mit seiner längst verstorbenen Frau. Jeden Tag zieht er ein neues Kleid aus dem Schrank und legt es auf das Doppelbett. Er spricht mit seiner verstorbenen Frau. In seinem eintönigen Leben ist seine Hauptsorge, dass die augenscheinlich vor langer Zeit verblühten Blumen auf dem Fensterbrett wieder blühen sollen. Von dem alten Mann nicht beachtet, sehen wir im stumm laufenden Fernseher den ersten Turm einstürzen. Gleichzeitig sinkt an der Hauswand der Schatten und die Blumen fangen an zu blühen. Der alte Mann will diese Freude mit seiner Frau teilen: "Das solltest du gesehen haben..." er scheint erst jetzt festzustellen, dass sie tot ist und nicht mehr da. Er weint im Angesicht der Wahrheit, während auch der zweite Schatten an der Hauswand sinkt. Ernest Borgnine spielt diesen alten Mann grossartig und der Film ist in einer schonungslosen Genauigkeit gedreht, die in jedem Teil der Abgerissenheit noch Schönheit findet.

Sean Penn zeigt mit seinem Film: Vielleicht ist der elftenenute ein neuer Anfang. Während ein Grossteil der Amerikaner in Chauvinismus und Kriegslust versinkt, kritisiert dieser Film mutig den eigenen Staat.

Die Ereignisse jenes Tages, so tragisch sie waren, wurden von den Massen und von den Medien auf überwältigende Art verinnerlicht, und ich glaube, irgendwo erleben wir dabei nicht nur die Verluste und die Folgen dieser schrecklichen Ereignisse mit, wir sehen darin auch die Mutter, die ihren Sohn wegen eines betrunkenen Autofahrers verloren hat, wegen einer Überdosis, eine Tochter wegen eines Mörders, einen Vater wegen einer Krankheit usw. Verluste gibt es jeden Tag, danach folgt der Schmerz. Die Frage ist doch immer, wie man mit dem Heute seinen Frieden schließen und glauben kann, dass es morgen besser sein könnte.

Shohei Imamura

Shohei Imamura aus Japan erzählt die Geschichte eines aus dem zweiten Weltkrieg zurückkehrenden Soldat, der sich wegen seiner entsetzlichen Kriegserlebnisse entscheidet, als Schlange zu leben. Er verlässt schließlich die menschliche Gesellschaft vollständig. Am Ende des Films "spricht" die Schlange: "Es gibt keinen heiligen Krieg" Imamuras Beitrag hat nur in dieser Aussage etwas mit dem elftenneunten zu tun. Ansonsten stellt er in seinem Beitrag dar, dass der Krieg die Menschen zu Bestien macht.

Muss man da nicht kämpfen, um die Menschen wieder zu Menschen zu machen?

 

Der Enderlös des Films "11’09’’01 — September 11" geht an Handicap International

Alle, die am 11. September ums Leben kamen, verlängern die ohnehin lange Liste von Opfern kriegerischer Übergriffe auf Zivilisten. Der weit verbreitete Einsatz von Antipersonenminen ist eine Form dieser Grausamkeit. Seit 20 Jahren setzt Handicap International sich gegen diese Kriegswaffe ein, die nicht wieder gut zu machende physische, psychische und soziale Folgen hat 

"11’’ 09’ 01 – September 11" ist ein Kinoereignis, das sich jede und jeder unbedingt ansehen sollte. Das Konzept und die Umsetzung, die einzelnen Filme mit ihren Aussagen sind auf jeden Fall eine gute Grundlage für eine gute Auseinandersetzung mit dem elften neunten und den Folgen.