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Interview mit Faruk Üstün

TA: Können Sie kurz erklären, welche großen Gewerkschaften gibt es in der Türkei, und wo ordnet sich die TEZ-KOOP-İŞ ein?

Faruk Üstün : Der größte Dachverband in der Türkei ist TÜRK-İŞ der zweitgrößte HAK-İŞ und der drittgrößte ist DISK. Als viertgrößten Dachverband, für Werktätige mit Beamtenstatus gibt es noch KESK. Vor dem Militärputsch 1980 war die DISK der zweitgrößte Dachverband und auch stärker und aktiver als heute. Von der Organisationsstruktur her, ist der Unterschied, dass TÜRK-İŞ in der Regel ArbeiterInnen organisiert hat, die im öffentlichen, also im staatlichen Sektor arbeiten. Das führte dazu, dass TÜRK-İŞ eine staatstreue Politik geführt hat, als verlängerter Arm des Staates agierte. Der Dachverband DISK hat vor 1980 im privaten Sektor die ArbeiterInnen organisiert. Sie betrieb eine militante, revolutionäre Gewerkschaftspolitik.

Die Hauptstoßrichtung des faschistischen Putsches 1980 auf der Ebene der Arbeiterbewegung war die, DISK zu vernichten und deren Kader auszulöschen. Was ihnen auch gelungen ist. DISK hat nie wieder ihre alte Schlagkraft erlangt. Jetzt ist es leider so, dass keine Kampfkraft und kein Kampfwille da sind und die Entwicklung ging so weit, dass in den Sektoren, in denen die DISK aktiv war, nun faschistische Gewerkschafter die Wahlen gewonnen haben. Zum Beispiel in der Mineralölindustrie gewannen in manchen Gewerkschaften, die zur DISK gehören, extreme Nationalisten die Präsidentschaftswahlen.

Wir, als TEZ-KOOP-İŞ setzen uns zur Zeit mitder SOSYAL-İŞ Gewerkschaft,die zur DISK gehört, auseinander. Die SOSYAL-İŞ Gewerkschaft ist vom Metro-Unternehmen gekauft worden, um eine Organisierung durch die TEZ-KOOP-İŞ zu verhindern. Vor 1980 war die SOSYAL-İŞ ganz im Gegensatz zu ihrer heutigen Politik eine der Gewerkschaften, die den Klassenstandpunkt in den Mittelpunkt ihrer Politik stellte.

TEZ-KOOP-İŞ kommt aus der TÜRK-İŞ Tradition. Bis 1995 stand die TEZ-KOOP-İŞ unter einer Führung, die sehr versöhnlerische Tendenzen hatte. Seit 1986 führte die Oppositionsbewegung innerhalb der TEZ-KOOP-İŞ einen Kampf gegen diese Richtung. Das führte dazu, dass 1995 die Gewerkschaftsführung geändert wurde. Sie stand dem Klassenstandpunkt nahe. Aber sie haben keine effektive Arbeit geleistet, was dazu führte, dass 1997 eine neue Führung gewählt wurde. Obgleich auch diese neue Führung sich nicht vollständig von der klassenversöhnlerischen Politik gelöst hatte, versuchte sie insbesonders über Schulungen ein neues Verständnis von Gewerkschaftsarbeit durchzusetzen. Meiner Meinung nach, haben wir es noch nicht geschafft, die Überreste von Versöhnlertum zu überwinden. Das führt in unserer Gewerkschaftspolitik zu Inkonsequenz. Was die Politik des Dachverbandes TÜRK-İŞ betrifft, der auch die TEZ-KOOP-İŞ angehört, gab es, bedingt durch die starke Arbeiterbewegung von 1989-97, eine Belebung. Das war aber keine bewusst gewählte Politik, denn nachdem sich die Arbeiterklasse zurückgezogen hatte, hat die TÜRK-İŞ ihre alte Rolle in der Praxis weiter durchgesetzt. Das bedeutet:

• Sozialdialog im Namen der Sozialpartnerschaft

• Staatstreue Gewerkschaftspolitik

• Versöhnlertum

Aber die schlimmste Folge dieser Politik war, dass sie große Massen ihrer Mitglieder verloren haben. Außer bei der KESK beträgt der Mitgliederschwund bei den 3 anderen Dachverbänden 1 Millionen. Wenn wir einen Vergleich der KESK mit den anderen Arbeiterföderationen machen, ist es so, dass die KESK und ihre angehörigen Gewerkschaften, zum Beispiel die Lehrergewerkschaft, eine progressive Politik betreibt.

TA: Welche ArbeiterInnen vertretet ihr, wieviel Frauen sind bei euch organisiert? Habt ihr eine besondere Politik für weibliche Mitglieder?

Faruk Üstün: Wir haben in Betrieben, wie in den Einzelhandelsketten und in der Verwaltung der Universitäten weibliche Mitglieder. Zum Beispiel die Medizinischen Fakultäten haben viele weibliche Angestellte. Dort sind wir auch organisiert. Insgesamt sind etwa 33% unserer Mitglieder Frauen. Bis vor kurzem haben wir keine bewusste Frauenpolitik gemacht. Wir sind dann auf diesen Mangel aufmerksam geworden, seitdem fördern wir eine Frauenpolitik. Wir fördern weibliche Mitglieder … bei der Übernahme von Verantwortung in der Frauengewerkschaftspolitik. Das Gesetz über Gewerkschaftsarbeit verbietet uns, Quoten festzulegen. Aber bei den kommenden Wahlen werden wir eine Resolution verabschieden, damit in die Vorstände Frauen gewählt werden. Außerdem führen wir spezielle Bildungsmaßnahmen für unsere weiblichen Mitglieder durch.

TA: Betreibt die TEZ-KOOP-İŞ eine Politik der Sozialpartnerschaft oder steht der Klassenstandpunkt im Mittelpunkt?

Faruk Üstün: Ich will keine falschen Informationen geben, oder Illusionen verbreiten. Innerhalb der führenden Kräfte ist die Idee der Sozialpartnerschaft immer noch vorherrschend. Die sozialistische Bewegung in der Türkei ist schwach und gespalten. Das führt dazu, dass die GewerkschafterInnen, die den Klassenstandpunkt vertreten, sehr schwach sind. Deshalb sind die, die die Politik der Sozialpartnerschaft vertreten, bestimmend in der Gewerkschaftspolitik. Die Schwäche der politischen und ideologischen Führung in der Arbeiterklasse hat damit zu tun, dass in der Gewerkschaftsbewegung der Klassenstandpunkt schwach vertreten ist. Die Kräfte innerhalb der Gewerkschaft, die den Klassenstandpunkt vertreten, sind in der Minderheit. Das gibt den anderen, die eine Politik der Sozialpartnerschaft vertreten, die Möglichkeit ihre Politik stärker zu vertreten. Nach dem faschistischen Putsch 1980 haben sich 2 Tendenzen abgezeichnet, die die Ideologie der Sozialpartnerschaft gefördert haben:

• die Herrschenden haben innerhalb der Arbeiterklasse Misstrauen gegen die Gewerkschaften geschürt

• die Gewerkschaften haben keine konsequente Politik gemacht.

Die Kräfte innerhalb der Gewerkschaft, die sozialpartnerschaftlich arbeiten, verstärken durch die von ihnen verfolgte Politik das Misstrauen der breiten Arbeitermassen gegenüber den Gewerkschaften noch mehr. Denn die ArbeiterInnen sehen, dass die Gewerkschaften nichts für sie tun. Diesen Umstand nutzen die reaktionären extrem nationalistischen Führer in der Türkei. Sie sagen: „Die ArbeiterInnen wollen ja gar nicht kämpfen“. Deswegen müssen wir die Politik der Sozialpartnerschaft bekämpfen, und somit das Misstrauen der Massen gegen die Gewerkschaften abbauen. Ich will ein Beispiel geben:

1995 gab es einen zentralen Protestmarsch in Ankara. Wir haben uns aus Istanbul auf den Weg gemacht, nach vielen Auseinandersetzungen mit Polizeikräften konnten wir nach 13 Stunden Ankara erreichent. An dieser Aktion nahmen Tausende von ArbeiterInnen teil, da sie sahen, dass unsere Forderungen sich gegen die damalige Regierung richteten und für die Interessen der Arbeiterklasse waren. Aber die rechten Führer haben dieses Potential leerlaufen lassen, inkonsequent gehandelt und noch nicht einmal punktuell die Forderungen der ArbeiterInnen durchgesetzt. Das führte dazu, dass die ArbeiterInnen sagten „Warum sollen wir uns an Aktionen beteiligen und all den Schwierigkeiten die Stirn bieten, wenn unsere Aktionen zu nichts führen und unsere Rechte sowieso nicht erkämpft werden?". Die rechten Führer haben das aber wiederum benutzt und sagen „Warum sollen wir was tun, die Massen kommen doch sowieso nicht."

TA: Ich habe in der ver.di publik über Probleme mit dem Metro-Konzern gelesen. Was ist der Delta-Plan und wie bekämpft ihr ihn?

Faruk Üstün: Das Wesen der Politik des Metro-Unternehmens besteht darin, die gewerkschaftliche Organisierung unserer Gewerkschaft in den Cash&Carry Filialen zu zerstören. Dazu haben wir auch Fakten gesammelt. Nach der Bekanntgabe des Delta-Plans war klar, dass nicht die türkische Geschäftsführung unser Hauptfeind ist, sondern das Metro-Unternehmen selbst, weil der Vorstand des Konzerns selbst diesen Plan ausgearbeitet hat.

Viele in unserer Gewerkschaft glaubten damals, dass diese Politik eine spezifische Politik der türkischen Geschäftsführung ist. Aber das war eine falsche Annahme und das Bekanntwerden des Delta-Plan hat das auch eindeutig bewiesen. Diese falsche Annahme einiger Kollegen in der Gewerkschaft verband sich mit der Hoffnung, dass der Metro-Vorstand in der BRD von uns überzeugt werden kann, und dass die sozialdialog-feindliche Politik der türkischen Geschäftsführung durch den Metro-AG Vorstand gestoppt werden kann. Aber nach Bekanntgabe des Delta-Plan und dessen Deckung durch den Vorstand, war allen klar, dass diese gewerkschaftsfeindliche Politik direkt vom Vorstand kam. Die türkische Metro Führung setzt sowieso nur die Direktiven des Metro-Vorstandes durch. Auf internationaler Gewerkschaftsebene gab es Vorschläge von Kräften, die einen passiven Sozialdialog empfahlen. Wir sollten bloß keine Aktionen machen, die den Metro-Konzern schaden könnten. Aber es wurde auch die Idee vertreten aktiv sozialpartnerschaftlich zusammenzuarbeiten.

Jetzt sind bei uns alle der Überzeugung, dass es falsch ist, allein auf Sozialpartnerschaft zu setzen. Sondern der Dialog muss mit Aktionen unterstützt werden. Durch die Bekanntgabe des Delta-Plan und dessen Deckung durch den Metro-Hauptvorstand wurde uns allen klar, dass der eigentliche Gegner die Politik des Metro-Konzern ist und wir unseren Kampf gegen diesen führen müssen. In Hinsicht auf das Ziel unseres Kampfes hat das viel verändert. Unsere Aktionen zielen jetzt in erster Linie gegen den Metro-Konzern. Dieser hat jetzt auch seine Taktik verändert. Der Konzern hat eine Gewerkschaft gekauftund setzt diese gegen uns ein. Wir bekämpfen auch diese Gelbe Gewerkschaft, aber unser Hauptgegner ist der Metro-Konzern.

TA: Wie lassen sich die ArbeiterInnen bei Metro organisieren, welche Kämpfe führt ihr dort und wie können wir euch unterstützen?

Faruk Üstün: Unser fünfjähriger Kampf gegen die feindliche Haltung des Metro-Konzerns hat den Beschäftigten dort neue Erfahrungen gebracht. Sie haben viel gelernt. Zum Beispiel: Metro musste aufgrund dieses langwierigen Kampfes einsehen, dass es nicht möglich ist eine gewerkschaftliche Organisierung in den Metro-Filialen zu verhindern. Deshalb hat der Metro-Konzern selbst eine verräterische (gelbe) Gewerkschaft in den Betrieb geholt. Dass sie sich überhaupt gezwungen sehen eine gewerkschaftliche Organisierung in dem Konzern zu akzeptieren, ist ein Erfolg unseres Kampfes. Die Behandlung der Beschäftigten, wie eine Schafherde die sich jeder Direktive fügen müssen,hat dazu geführt, dass die Beschäftigten sich spontan den Direktiven des Konzern widersetzten. Viele Beschäftigte sind jetzt zu uns gekommen und haben gesagt „wir wollen bei euch eintreten". Sie wollen nicht akzeptieren, dass ihre Rechte mit Füßen getreten werden. Viele Beschäftigte, die gezwungen wurden bei SOSYAL-İŞ einzutreten, sind dort wieder ausgetreten und haben sich bei uns organisiert. Etwa 1000 ArbeiterInnen sind unter Zwang bei SOSYAL-İŞ eingetreten. Aber jetzt ist es so, dass SOSYAL-İŞ auch Angst bekommen hat, offen bei den Metro-Filialen aufzutreten, weil sie sich vor den Reaktionen der Beschäftigten fürchten. Dass die SOSYAL-İŞ als eine gelbe Gewerkschaft offen auftreten konnte, brachte mit sich, dass wir nun auch ganz offen bei Metro agieren und ArbeiterInnen organisieren können.

Die größte Unterstützung für unseren Kampf gegen den Metro-Konzern und die größte Hilfe, die wir uns von unseren FreundInnen aus Deutschland wünschen ist, die gewerkschaftsfeindliche Politik des Metro-Konzerns zu entlarven und zu brandmarken und solidarisches Bewusstsein innerhalb der Arbeiterklasse zu schaffen.

Die Lüge, dass es schlechte aber auch gute Arbeitgeber gibt, kann man anhand der Kämpfe bei Metro effektiv entlarven. Dieses Beispiel belegt ganz klar, dass es keine arbeitnehmerfreundlichen Arbeitgeber gibt.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Behandlung des Widerspruchs zwischen Kapital und Arbeit. Dieser Widerspruch ist ein antagonistischer. Das Beispiel des Metro-Konzerns zeigt, dass es nicht ausreicht, nur für partielle Verbesserungen des kapitalistischen Systems zu kämpfen, sondern dass die Hauptaufgabe des Kampfes für den Sturz des Kapitalismus geführt werden muss. Wenn wir durch unseren Kampf für die Entwicklung dieses richtigen Bewusstseins auf internationaler Ebene und in Deutschland einen Beitrag leisten, dann haben wir viel erreicht. Um es mit den Worten des großen Dichters Nazim Hikmet's zu sagen „Wir müssen die Lüge in unserem Herzen, im Buch und auf der Straße besiegen..."

TA: Vielen Dank, Herr Üstün für das Interview und wir schicken unsere allerwärmsten solidarischen Grüße an die ArbeiterInnen, die diesen Kampf führen.