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Zum 125. Geburtstag (2003) des Dichters Mühsam: ‘Anarchist im Gefühl, Kommunist vom Verstand’ (Mühsam über Mühsam)

Zum 125. Geburtstag des Dichters und Revolutionärs Erich Mühsam fanden verschiedene Initiativen in München statt. Es gab Lesungen, Gesänge und das Sommerfest "Amore, Arte, Anarchia" ("Liebe, Kunst, Anarchie") sowie eine sehr gut gemachte Ausstellung unter dem Motto "Sich fügen, heißt lügen" in der Monacensia vom 13.6. bis zum 17.10.03. In der Stadt seiner Kindheit - Lübeck - wurde dieselbe Ausstellung gezeigt und in Berlin fanden "feucht-fröhliche" Feiern statt. Die bürgerliche Presse nahm ebenfalls den 125. Geburtstag von Erich Mühsam zum Anlass und "würdigte" ihn auf ihre Weise. So schrieb der Berliner Tagesspiegel am 02.11.03: "Ein zerfurchtes, ein sperriges Leben. Keines das man nachahmen, sondern eines, vor dem man davonlaufen möchte." Mühsam wäre über solche Einschätzungen sicherlich noch erfreut gewesen. Völlig menschenverachtend aber, wenn geurteilt wird: "Wer es derart frontal auf die Wirklichkeit abgesehen hat, muss auf seine Bestrafung nicht lange warten." Wie zynisch! – Erich Mühsam wurde in verschiedenen Knästen und Lagern, in KZ"s (Plötzensee, Brandenburg, Oranienburg) bestialisch gefoltert und 1934 im KZ Oranienburg umgebracht! Wir wollen den 125. Geburtstag des Dichters und Revolutionärs zum Anlass nehmen, um seinen unermüdlichen Kampf gegen das kapitalistische System und für eine gerechte Gesellschaft zu würdigen! Und um unseren LeserInnen zu zeigen, wie wenig Erich Mühsam doch mit den ‘heutigen‘ Anarchisten gemeinsam hatte.

Mühsam Das Schreckensbild von Erich Mühsam: Der Anarchist und der wilde Bohemien (1). So sah er auch aus: "schmuddelig", langbärtig, langhaarig. So wie man sich "so einen" vorstellt. Im Jahre 1878 geboren, aus einem jüdischen Elternhaus stammend, 22 Jahre alt bei der Jahrhundertwende, schon zu alt für den 1. Weltkrieg. Aufgewachsen in der reaktionären, zutiefst menschenfeindlichen Gefängnis-Gesellschaft der Ära des Kaisers Wilhelm II. Ein Rebell von Jugend auf: gegen das Elternhaus, das ihn mit brutaler Gewalt ins bürgerliche Schema pressen wollte, gegen die Schule (aus der er auch dann rausgeschmissen wurde), gegen jede Unterdrückung der Freiheit der Persönlichkeit.

Bekannt wurde Erich Mühsam, nachdem er 1909 nach München gekommen war, und zur dortigen "Boheme" gezählt wurde, zu den "freien", unkonventionellen (die bestehenden bürgerlichen Regeln ablehnenden) Dichtern und Künstlern, den Suchern, den Wilden, die weder mit den kaiserlichen Autoritäten noch mit der Sozialdemokratie, in der die Tendenz der Verbürgerlichung immer mehr zunahm, etwas zu tun haben wollten. Wie unterschiedlich diese Gruppe jedoch war, schildert Mühsam in seinem Buch "Namen und Menschen". Was dachte Mühsam von "Graswurzelrevolutionären" und "Alternativen" verschiedener Couleur (Farbe), die in diesem Milieu anzutreffen waren? 1905 erschien sein Buch "Ascona. Eine Broschüre". Ascona ist ein Städtchen an der schweizerisch-italienischen Grenze, in dessen unmittelbarer Nähe sich eine Gruppe Alternativer angesiedelt hatte, um ihre Ideen von einer "freien" Gemeinschaft zu leben. Unabhängig davon, dass der Versuch ein radikal anderes Leben als das bürgerliche innerhalb einer Nische früher oder später sowieso scheitern muss, war speziell diese Gemeinschaft total unterschiedlich und in ihren Konzepten völlig unüberlegt und unausgegoren. So gab es dort z.B. Leute, die sehr viel Geld besaßen und ihre Projekte damit unbekümmert umsetzten, während andere, die gar kein Geld besaßen, dort sogar in bitterste Armut kamen, weil die Unterschiede des Besitzes erhalten blieben und die Gemeinschaft sich nicht selbst erhalten konnte. Erich Mühsam kommentierte diese "Alternativen" mit beißendem Humor. Er schrieb: Sie "lebten von Rohkost, lobten den Herrn und sich selbst". Mühsam erfand für diese alternative Erholungsstätte "Monte Verità" den Namen "Salatarium". Und darin hockten, wie er spottete, "ethische Wegelagerer mit ihren spiritistischen, theosophischen, okkultistischen oder potenziert vegetarischen Sparren", "schmachtäugige Blassgesichter, die von morgens früh bis abends spät nur beflissen sind, in untadeligem Lebenswandel Leib und Seele im Gleichgewicht zu halten". Mühsam war schon ein anderer: als "Anarchist im Gefühl, Kommunist vom Verstand" hat er sich selbst bezeichnet. Es gibt ein Spannungsverhältnis zwischen Anarchismus und Kommunismus: "Der Grundstein des Anarchismus ist die Persönlichkeit, deren Befreiung seiner Ansicht nach die Hauptbedingung für die Befreiung der Masse, des Kollektivs ist. Nach Ansicht des Anarchismus ist die Befreiung der Masse unmöglich, solange die Persönlichkeit nicht befreit ist, weshalb seine Losung lautet: Alles für die Persönlichkeit. Der Grundstein des Marxismus dagegen ist die Masse, deren Befreiung seiner Ansicht nach die Hauptbedingung für die Befreiung der Persönlichkeit ist. Das heißt, nach Ansicht des Marxismus ist die Befreiung der Persönlichkeit unmöglich, solange die Masse nicht befreit ist, weshalb seine Losung lautet: Alles für die Masse." (Stalin, Stalin Werke, Bd. 1, S. 259) Und es gibt keinen "Automatismus", der persönliche Rebellion, die Ablehnung reaktionärer Verhaltensschemata, alternativen Lebensstil etc. sofort mit der sozialen Revolution verbinden würde. Auch der radikalste Kritiker bürgerlicher Kultur kann es schaffen, dem sozialen Kampf vollkommen gleichgültig gegenüberzustehen. Damit reduziert er sich und sein Leben auf die Rolle des scheinbar-befreiten Beobachters... Aber Mühsam gehörte eben nicht zu dieser Gruppe!

Mühsam

Er versuchte sein Leben lang, den Stil des anti-autoritären Bohemien mit revolutionärer Organisierung und sozialem Kampf zu vereinen. Mühsam war ein Dichter. Viele seiner Poesien wurden vertont, er schrieb Theaterstücke, ein wunderschönes Kinderbuch, gab die anarchistischen Zeitschriften "Kain" und "Fanal" heraus. Er verfasste Schriften und ein Drama ("Staatsräson") über den Prozess gegen die italienisch-stämmigen Anarchisten Sacco und Vanzetti in den USA, die 1927 hingerichtet wurden etc. Berühmt wurde in der Weimarer Republik sein ironisches Lied "War einmal ein Revoluzzer, vom Berufsstand Lampenputzer, ging im Revoluzzerschritt..." Und: Er war begeistert von der Oktoberrevolution: Endlich habe man Marx mit Bakunin versöhnt, sagte er. Das war zwar nicht zutreffend, aber seine persönliche Sicht. Die proletarische Oktoberrevolution, getragen von den Arbeiter- und Soldatenräten, hatte mit dem Kollektivismus des Bauerntheoretikers Bakunin überhaupt nichts zu tun. Mühsam hätte eben die Einheitsfront der revolutionären Linken gern überall verwirklicht gehabt, Einheitsfront hieß für ihn: Einheit der Anarchisten verschiedener Richtung mit der in Deutschland neugegründeten Kommunistischen Partei. In der Münchner Räterepublik, in der der Anarchist Gustav Landauer und der Links-Sozialdemokrat und Schriftsteller Ernst Toller vertreten waren, spielte auch er eine Rolle. Mühsam trat - als er noch wegen seiner revolutionären Tätigkeit in der Münchner Räterepublik im Gefängnis war - für sechs Monate in die KPD ein. Dem Konzept der je nach den gegebenen Umständen wechselnden Taktik und dem Prinzip der bolschewistischen Kaderorganisation stand er jedoch so fremd gegenüber, dass er die Partei schnell wieder verließ.

Aber auch als Ex-Mitglied stand er der KPD niemals feindselig oder sogar hasserfüllt gegenüber wie andere Anarchisten seiner Zeit, und wie auch später lange nach ihm. Und auch für die KP war er ein Genosse im gemeinsamen Kampf. So erschienen Arbeiten von Mühsam auch im KPD-Verlag Malik, wichtiger war jedoch die jahrelange organisatorische Zusammenarbeit mit der KPD in der Roten Hilfe Deutschland (RHD). Die RHD war auf Initiative der KPD und der Kommunistischen Internationale gegründet worden, als parteiübergreifende Organisation des Beistands, der konkreten Hilfe der revolutionären, proletarischen, politischen Gefangenen. Schon in der ach-so-demokratischen Weimarer Republik steckten zeitweilig über 7.000 revolutionäre AktivistInnen im Gefängnis. Die RHD setzte sich aber auch für andere gesellschaftliche Fragen ein. So kämpfte sie z.B. mit Dr. Magnus Hirschfeld für die Legalisierung der Homosexualität. Bei bestimmten Projekten hatte die RHD auch Thomas Mann und Albert Einstein als Unterstützer. Für die Freilassung des "Rätekommunisten" und Partisanen Hölz, der in Sachsen und Thüringen, damals Hochburgen der Arbeiterbewegung, eine Guerilla für die Revolution organisiert hatte, schrieb Erich Mühsam "Gerechtigkeit für Max Hölz" - ein Text, der im Verlag der RHD die damals beträchtliche Auflage von 45.000 Exemplaren erreichte.

MühsamWeder Max Hölz noch Erich Mühsam waren KPD-Mitglieder. Hölz wurde später mit einem deutschen Spion ausgetauscht und konnte in der Sowjetunion Asyl finden.

Weil Mühsam in der "kommunistischen" RHD aktiv war und sich -korrekterweise- zugunsten revolutionärer Gewalt aussprach, wurde er 1925 aus der FKAD, der "Föderation Kommunistischer Anarchisten Deutschlands", ausgeschlossen! Erich Mühsam war einer der ersten, die 1933 vom Henkerregime Hitlers verhaftet wurden. Er wurde gefoltert, taub geschlagen, war halbblind und wurde in seiner Zelle aufgehängt.

 

"Sich fügen heißt lügen."

Egon Erwin Kisch, Schriftsteller und Journalist, Kommunist, schrieb über ihn: "Oft mochte sich in seinen Kreisen die Frage regen, was Erich Mühsam mehr sei, ein ironischer Bohemien oder ein unerbittlicher Rebell. Solange er lebte und spöttelte, konnte er manche darüber hinwegtäuschen, dass es ihm blutig, tödlich ernst war um seine Überzeugung. Nun, da er starb wie ein Held, ist kein Zweifel mehr möglich."

(1) Bohemien, Boheme. Kein "normaler" Lebemann/Lebefrau sondern solche, die dieses Leben mit einem alternativ gesinnten Lebensstil verbinden, die die bürgerlichen Regeln ablehnen, die ein "freies" Leben anstreben, die oft KünstlerInnen sind, LiteratInnen, MalerInnen, SängerInnen, TänzerInnen ..

Quellen:

* "Sich fügen heißt lügen"- Prospekt zur Ernst-Mühsam-Ausstellung in der Monacensia, München

* Erich Mühsam, Wir geben nicht auf! Texte und Gedichte, (Neuerscheinung zur Ausstellung), Allitera Verlag, München

* Erich Mühsam, Namen und Menschen, Verlag Klaus Guhl

* Brauns, Schafft Rote Hilfe! Geschichte der RHD, Pahl-Rugenstein Verlag (Neuerscheinung!)