TROTZ ALLEDEM!
Wo laufen sie denn? Kein Schlag gegen Sozialkahlschlag!
Zu den Demonstrationen am 3. April in Berlin, Köln und Stuttgart
In Deutschland gibt es derzeit ca. 6 Millionen Menschen, die auf Arbeitssuche sind. Die Erwerbslosenzahlen steigen unaufhörlich. Die Angriffe auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Werktätigen bedeutet für viele Armut. Wir sind in dieser Nummer im vorherigen Artikel ausführlich auf die Hintergründe und Auswirkungen der Reformangriffe der Herrschenden eingegangen. Hier soll es jetzt um die Fragen gehen:
Wo steht der Widerstand? Wie wehren sich die Werktätigen?
Blick zurück: 2003 hatten sich verschiedene soziale Bündnisse und Bewegungen zusammengeschlossen und für den 1. November unter der Parole: Alle gemeinsam gegen Sozialkahlschlag zur bundesweiten Protestaktion nach Berlin aufgerufen. Mehr als 100.000 protestierten dann auf der Straße. Im Vorfeld, seit der Veröffentlichung der Pläne der Hartz-Kommission und spätestens seit März 2003 mit Ausrufung der Agenda 2010, gab es immer wieder verschiedene regionale Aktionen. Als Antwort auf die Politik der Herrschenden hatten sich Anti-Hartz-Initiativen, Bündnisse und Bewegungen gegen Sozial-und Bildungsabbau gegründet. Sich sozialistisch vertstehende Organisationen und KommunistInnen, soziale Bewegungen und Bürgerrechtsbewegungen hatten die Proteste gegen den schärfsten Sozialraub in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkriegs in die Hand genommen. Ziemlich unberührt oder zumindest unbeteiligt zeigten sich die Gewerkschaftsführungen. Kein Wunder - die waren ja an den verschiedenen Reform-Vorschlägen, z.B. in der Hartz-Kommission, aktiv beteiligt. Also traten die Gewerkschaften in den Reihen der Protestierenden auch erst einmal nur in Form von aktiven Ortsgruppen oder gewerkschaftlich organisierten aktiven Belegschaften auf. Zu der bundesweiten Demonstration am 1.11.03 jedenfalls gab es von Seiten der Gewerkschaften keinen bundesweiten Aufruf. Na klar wissen wir, dass trotzdem am 1.11. auch viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter in Berlin auf der Demonstration waren. Wir waren ja auch dort. Die Politik der Gewerkschaftsführung war aber eindeutig gegen diese Demonstration. Und jetzt? Wie kam es dazu, dass sich die Gewerkschaftsführungen, namentlich der DGB, so in die Aktionen vom 3. April reingehängt - sogar diese Aktionen vollständig vereinnahmt haben? Vorbereitet wurden die April-Aktionstage auf dem Europäischen Sozialforum in Paris. Fünf Aktionskonferenzen in Deutschland folgten. Dort zeigte sich dann immer deutlicher, dass es dem DGB im Verein mit den Kirchen nicht um eine gemeinsame und gleichberechtigte Vorbereitung, sondern eher um eine Feindliche Übernahme der Protesttage ging. Einzig attac schien noch auf Augenhöhe mit dem Gewerkschaftsapparat zu sein. Während Erwerbsloseninitiativen und regionale Bündnisse schon früh auf die Ausgrenzungspolitik des Gewerkschaftsapparats hinwiesen, unterstützte attac, offensichtlich vorbehaltslos, das Konzept des DGB-Bundesvorstandes. Der hatte sich mit seiner Organisationsmaschinerie über die europaweiten Aktionstage einfach drüber gestülpt. Ab der Aktionskonferenz am 22. Februar war es nur mit massivem Druck der verschiedenen Bündnisse und Organisationen möglich, den Alleinentscheidungsanspruch des DGB-Bundesvorstandes zu durchbrechen. Der wollte sich nämlich nicht reinreden lassen, wer als RednerIn bestellt wird, wo und wann die Kundgebungen sein sollen und auch wer in das Bündnis einbezogen werden soll. Das hatte natürlich auch Folgen auf die Ausrichtung der Aktionen: Die diversen Bündnisse ... befürchten, dass der deutlich kämpferische und kritische Ton vom Herbst verstummt und die Regierung geschont wird. (junge welt 4.3.2004) Die das befürchteten, hatten eindeutig recht behalten, wie auf allen drei Demonstrationen zu sehen und zu hören war! In klarer Rangabfolge hatten zuerst die Gewerkschaftsbonzen und dann vom Bundesvorstand Ausgewählte das Wort. DGB-Chef Sommer, IG Metall-Chef Peters, ver.di-Chef Bsirske sind schon ein Schlag ins Gesicht der protestierenden Werktätigen. Schließlich vertreten sie ungebremst die Reformpolitik der SPD-GRÜNEN-Regierung. Genauso die VertreterInnen der Regierungsparteien, wie z.B. Ursula Engelen-Kefer aus dem SPD-Bundesvorstand, die noch eineinhalb Wochen vor der Demonstration auf die pünktliche Einführung des Arbeitslosengeld II (Hartz IV) gepocht hat. Und was hat der ehemalige Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) mit seinem makabren Dauerwitz: Die Renten sind sicher. (damit meint er wohl die der Herrschenden) auf der Abschlusskundgebung in Köln verloren? Wenigstens wurde seine Rede massiv gestört durch Pfiffe und Buhrufe. Die DGB-Führung gibt sich mächtiger als die sozialen Bewegungen, als die Masse der Protestierenden, und der DGB sieht sich offensichtlich als Sonderpolizei der SPD. Alles unter dem Motto: Wir wollen ja auch Reformen, aber eben nicht so scharfe. Zwangsarbeit für Sozialhilfeempfänger ja, aber nicht so doll! Wenn wir den Sozialstaat retten wollen, müssen wir schon reformieren, aber das Ganze bitte milde, milde und bloß nicht die SPD abwählen, denn mit einer anderen Regierung wäre es noch viiiiiel schlimmer. Es seien nur Kurskorrekturen notwendig und auf keinen Fall eine Konfrontation zur herrschenden sozialdemokratischen Politik. In Stuttgart wurde dann von Bsirske auch der wahre Feind ausgemacht - die CDU. Die hätte mit ihren Forderungen die Sozialkahlschlagspolitk weiter verschärft. Das ist altbekannte Politik der reformistischen Gewerkschaftsbürokratie: Die SPD muss an der Regierung bleiben, die SPD macht Politik für die Arbeitnehmer, die Gewerkschaften unterstützen die Politik der SPD, die die Gewerkschaften unterstützt. Dass die Werktätigen dieser Politk nicht leichtgläubig gegenüberstehen, dafür müssen wir KommunistInnen alles was in unseren Händen liegt tun! Wir müssen das Bewußtsein schaffen: Ob CDU oder SPD, ob GRÜNE oder FDP - für die Werktätigen ist das alles die Politik des ausbeuterischen kapitalistischen Systems. Die Gewerkschaften sitzen schon längst mit den Herrschenden im gleichen Boot: Der bürgerliche Parteienapparat und das deutsche Kapital können sich auf das Komanagment der Gewerkschaftsführung verlassen!
Europaweite Aktionstage
Verschiedene Länder in Europa haben ihre eigene Agenda 2010
Am 3. April waren in Berlin ca. 300.000 in Köln ca. 120.000 und in Stuttgart ca. 140.000 Leute auf der Strasse. Europaweit wurden mehr als 1,5 Millionen Protestierende gezählt. Es waren riesige Demonstrationen. Das wiederum ist kein Verdienst der Gewerkschaftsführung: Wir meinen es ist Fakt, dass auch ohne die für den Transport und die Organisiation der Aktionen veranschlagten 3 Millionen Euro diese Masse an Werktätigen in Deutschland auf die Straße gegangen wären. Viele sind dem Aufruf ihrer Gewerkschaften gefolgt. Dennoch haben sowohl die Veranstalter als auch die Polizei nicht mit so vielen protestierenden Werktätigen gerechnet. In Stuttgart wurde der Verkehr lahmgelegt, weil die Straßen nicht gesperrt worden waren. Viele Busse kamen sehr spät an. So viele TeilnehmerInnen sind der Beweis dafür, dass die Gewerkschaften, weil an der Basis Druck ist, in der Lage sind, Leute zu mobilisieren. Warum sie das für diese Aktionen konnten und sonst eher dafür sorgen, dass der Widerstand der Werktätigen kleingehalten wird, liegt daran, dass die Gewerkschaftsführung diese Proteste für sich vereinnahmen wollten. Zum einen sollten die Kolleginnen und Kollegen Dampf ablassen und zum anderen auf die reformistische Politik der Gewerkschaftsführung eingeschworen werden. Die Gewerkschaften werden immer nur das tun, was letztendlich auch der Politik der Herrschenden dient. Wenn es um unsere Interesen geht, müssen wir den Kampf dafür in die eigenen Hände nehmen. In Köln verlief die Demo-Route durch enge Altstadtgassen, es gab nicht, wie in Berlin, einen Sternmarsch. Also waren bei Beginn der Abschlusskundgebung nur ein Teil der DemonstrantInnen auf dem Platz. Stuttgart hatte zwei Demo-Züge, die sich auf einem viel zu kleinen Platz trafen. Auch hier konnten nicht alle die gesamte Abschlusskundgebung verfolgen. Zum Charakter der Demonstrationen: Grundsätzlich muss man sagen, obwohl mehr Werktätige als erwartet auf die Straße gingen, waren es Demonstrationen mit viel zu wenig Kampfkraft. Und in diesem Zusammenhang muss man auch sehen, dass die Mobilisierungskraft der Gewerkschaften längst nicht ausgeschöpft war. Es gibt in Deutschland ca. 2,5 Millionen Mitglieder allein in der IG Metall und ca.7 Millionen Gewerkschaftsmitglieder insgesamt. Da sind 500.000 noch nicht einmal 10 %. So gesehen waren die Demonstrationen auch ein Ausdruck der Schwäche der Arbeiterbewegung. Dennoch müssen wir sie im Moment als wichtigen Schritt vorwärts einordnen. Es ist wichtig und geht in die richtige Richtung, sich aus dem Sofa der Gleichgültigkeit zu erheben und die sozialen Rechte auf der Straße einzufordern. Es waren in allen drei Städten die Masse der DemonstrantInnen ArbeiterInnen. Während in Köln sehr viele ältere GewerkschafterInnen auf der Strasse waren, bestimmten in Berlin und Stuttgart eher JungarbeiterInnen das Bild der Demonstration. Die Gewerkschaftsfunktionäre waren überall dominant. Viele Fahnen und Transparente zeigten den Gewerkschaftskurs. Es gab aber auch pfiffige und kämpferische Transparente, Schilder und Aktionen mit klaren Unmutsäußerungen: Z.B.: In Stuttgart ein Transparent einer ver.di-Jugendgruppe aus München: Der Hauptfeind steht im eigenen Land mit der Unterschrift ver.di München. Schilder von einzelnen ArbeiterInnen: Stoppt die Agenda 2010!, Weg mit den Rotgrünen Sozialräubern!, Gegen Sozialabbau Soziale Revolution oder Sozialabbau - ein Projekt von SPD=CDU=GRÜNE=PDS=FDP. In Köln forderte eine Initiative ab einem bestimmten Punkt der Demonstration die Leute zum Weitergehen auf.Sie hatten ein großes Transparent über die Strasse gespannt und verteilten Flugblätter, die die Gewerkschaftspolitik kritisierten und dazu aufforderten nicht nur symbolisch weiter zu gehen. Man sollte nicht bei der Kritik am Sozialraub stehen bleiben, sondern eine gesamte Politikveränderung einfordern. Dabei blieb es aber leider auch. Dem Angebot zur Alternativdemo folgten trotz dem Verhinderungsversuch von Gewerkschaftsordnerketten etwa 2.000 DemonstrantInnen. In allen Städten gab es Autonome auf den Demonstrationen, die unter anderem Solidarität mit Florida Rolf, Luxus für alle forderten. In Stuttgart war das der Block der RAS (Revolutionäre Aktion Stuttgart). Dieser Block war gut formiert, sehr lautstark und kämpferisch. Die erwähnte Forderung finden wir zwar lustig, meinen aber, dass das politisch bei den ArbeiterInnen keine Überzeugungskraft hat. In Berlin und Köln hatten wir AgitProp-Gruppen, die Zeitungen verkauften und Flugblätter verteilten. Unser Transparent: Aufstehn - Gegen Agenda 2010 - Gegen das kapitalistische System - Trotz alledem! war in jeder Stadt vertreten. In Berlin und Köln haben wir es immer wieder an verschiedenen Stellen für die Demonstration gut sichtbar angebracht. In Stuttgart trugen wir unser Transparent in unserem Block. Dort wurden unsere Parolen, immer wieder mitgerufen: Z.B.: Wer hat uns verraten Sozialdemokraten! Wer war mit dabei? Die Grüne Partei! Wer schaut weg? Die PDS! Die Arbeiterinnen und Arbeiter, die aus Versehen in den Block kamen, waren schon sehr diskussionsfreudig, wenn sie unsere Parolen für Revolution hörten. Eine Gruppe Frauen von ver.di, die zu uns kamen, blieben, weil sich unsere Parolen gegen das Kapital richteten. Wir liefen in Stuttgart zusammen mit AGIF (Almanya Göçmen ÝIçiler Federasyonu - Föderation der MigrantenarbeiterInnen Deutschland) und ILPS (International League for Peoples Struggle - Internationaler Kampfbund der Völker). Über den Lautsprecher von ILPS konnten wir spontan eine Rede halten. Als wir die gelbe Gewerkschaft kritisiert haben, hat sich ein Arbeiter fürchterlich aufgeregt: Was redet ihr für einen Scheiss!?! Er wurde von Genossen bei ILPS zurückgehalten. Wir müssen uns immer wieder den Stand des Bewusstseins in der Arbeiterklasse klar machen. Dieser Arbeiter ist keine Seltenheit. Unter den kämpferischen Kolleginnen und Kollegen gibt es sehr viele, die voll und ganz hinter der Linie der Gewerkschaftspolitik stehen. Unsere Aufgabe ist es, diese Gewerkschaftspolitik zu entlarven und die Alternativen aufzuzeigen. Dazu müssen wir in den Gewerkschaften aktiv werden und nach und nach unsere revolutionären Positionen so in die Arbeiterklasse hineintragen. Es gibt wirklich viele Felder, die uns die herrschende Gewerkschaftspolitik bietet. Woher kommt denn die Resignation vieler Arbeiterinnen und Arbeiter, die auf den Aktionen waren? Viele der DemonstrantInnen waren durchaus wütend, teilweise auch auf die Gewerkschaftsführungen. Ohne eine Alternative wird aus Wut aber schnell Frust und Resignation. Die Gewerkschaft unterstützt das ganz klar: Zum einen, indem sie die Leute zuschüttet mit ihrer reformistischen Glanzbroschürenpolitik, die den ArbeiterInnen erklärt, dass der Wettbewerb des Standorts Deutschlands gesichert werden soll, dass man die Unternehmer unter Druck setzen müsse, damit sie keine Arbeitsplätze ins Ausland verlagern und dass man mit Druck von unten die Regierung zu Kurskorrekturen zwingen solle. Zum anderen gabs auch am 3. April jede Menge Bier und Wurst, auf dass den Werktätigen am Ende einer Aktion wieder alles Wurst ist und sie ihren Frust in Bier ertränken können. Wir sind dagegen und fordern:
Wir müssen aufstehen und uns wehren!
Nicht Dampf ablassen, sondern Dampf machen!
Für den Sozialismus!
Nicht für die deutschnationale Wettbewerbsicherheit, sondern für die internationale Solidarität der Arbeiterklasse!
April 2004