TROTZ ALLEDEM!
Die türkische Justiz -eine Farce
Die deutsche Regierung schweigt
Der Europäische Gerichtshof duckt sich weg
Entgegen aller "Demokratie-Beteuerungen", aller Pseudo-Gesetztesänderungen laufen die türkischen Justizmühlen und die Repressionsmaschine in gewohnter Form: Terror gegen fortschrittliche Menschen, Folter, Verhaftungen, Verschwinden lassen, Morde auf offener Straße. In den letzten Monaten gab es eine umfassende und gezielte Aktion unter dem Slogan des "Antiterrorkampfes" gegen die MLKP und ihr nahe stehende Massenorganisationen. So wurde der Vorsitzende von BEKSAV (Kulturverein), Haci Orman drei Tage lang entführt und gefoltert. Insgesamt wurden 63 RevolutionärInnen verhaftet, so JournalistInnen der Zeitung Atilim, Mitglieder des Vereins der werktätigen Frauen (EKD), TeilnehmerInnen der sozialistischen Plattform der Unterdrückten (ESP) usw.
Der Vorsitzende, Ahmet Türk, der DTP, Demokratik Toplum Partisi - Partei der demokratischen Gesellschaft (von dem türkischen Staat als legale PKK Partei verfolgt) und die zweite Vorsitzende, Aysel Tugluk wurden für sechs Monate inhaftiert, weil in dem Flugblatt einer Ortsgruppe von dem "verehrten Abdullah Öcalan" gesprochen wurde. Bei den Vorbereitungen zu ihrem Parteikongress am 27. Februar wurden 11 weitere Mitglieder der DTP beim Sturm der Polizei auf ihre Zentrale in Büyükcekmece verhaftet.
Der Bericht des Menschrechtsvereins der Türkei (IHD) trägt den Titel: Rekordanstieg der Menschenrechtsverletzungen für 2006. Es werden darin unter anderem 179 zur Anzeige gebrachte Fälle schwerer Foltervergehen bei Festnahmen und in den Gefängnissen konkret aufgelistet.
Der Fall von Mehmet Desde, deutscher Staatsbürger, Mehmet Bakir, türkischer Staatsbürger in Deutschland lebend, M. Karadag, H.Taskin, S. Parmak, M. Özgünay, Ö. Güner und E. Yildirim ist manchen LeserInnen vielleicht schon bekannt. Amnesty International, deutsche Gewerkschaften wie ver.di haben über diesen Fall informiert und gegen die türkische Willkürjustiz protestiert.
Die türkische Justiz hat jetzt in diesem Verfahren ihr letztes Wort gesprochen: Trotz Antrag des Staatsanwaltes auf Freispruch wurden die Angeklagten vom höchsten Gericht zu Haftstrafen bis zu zweieinhalb Jahren verurteilt. In den nächsten Wochen werden die Verurteilten ihre Gefängnisstrafen antreten müssen. Wir fassen kurz die obskure Odysse dieses "Falles" zusammen und dokumentieren die Erklärung M. Desde`s vom 3. Februar 2007 zu diesem Skandalurteil.
Der in Deutschland lebende Mehmet Desde hatte die sterblichen Überreste seines Vaters in die Türkei gebracht und in Denizli beigesetzt. Anschließend besuchte er Bekannte und lernte ein paar neue Freunde in und um Izmir kennen. Nach einem gemütlichen Beisammensein im Ferienort Kusadasi machte er sich mit dem in Berlin lebenden Journalisten Mehmet Bakir am
9. Juli 2002 auf den Weg zur Ferienwohnung von Mehmet Bakirs Eltern. Bei Menemen-Asarlik wurden sie von der Polizei angehalten und ohne Angaben von Gründen festgenommen. Sie wurden zur Anti-Terror Abteilung auf dem Polizeipräsidium in Bozyaka (Izmir) gebracht und in getrennte Zellen gesteckt. Mehmet Desde erfuhr lediglich, dass die Polizei einen Hinweis erhalten habe und ermittelt. Ihre Bitte um Rechtsbeistand wurde ebenso nicht beachtet, wie das Verlangen Verwandte und /oder das deutsche Konsulat in Izmir zu benachrichtigen. Dafür wurden ihnen Pässe und sonstiger Besitz abgenommen.
In den Verhören, zu denen sie mit verbundenen Augen geführt wurde, beschuldigte die Polizei ihn, führende Mitglieder der Bolschewistischen Partei Nordkurdistan/Türkei zu sein. Beide Festgenommenen machten trotz physischer und psychischer Folter keine weiteren Angaben, da sie diese Fragen nicht beantworten konnten. Sie wurden gefoltert. So wurde Mehmed D. wüst beschimpft. Er wurde splitternackt entkleidet, musste sich bücken und unter Androhung von Vergewaltigung bekam er einen harten Gegenstand am After zu spüren. Ihm wurde gedroht, dass er mit einem Betonklotz im Meer versenkt werde, wenn er die Anschuldigungen nicht endlich zugebe. Zwischen den Verhören wurde er in einer überhitzten Zelle mit starkem Licht gehalten, erhielt kaum etwas zu essen und zu trinken.
Gleichzeitig gab es weitere Festnahmen. Einige Häftlinge legten unter Druck und Folter "Geständnisse" ab, in denen sie auch Mehmet D. und Mehmet B. belasteten. Die angeblichen Geständnisse nahmen sie vor Gericht mit deutlichem Hinweis auf Folter zurück, aber erst einmal kamen Desde und Bakir und 3 Mitangeklagte in Untersuchungshaft, wo sie bis zum
21. Januar 2003 blieben. An diesem Tag wurde gegen Desde und Bakir auch ein Ausreiseverbot verhängt, das bis heute gültig ist.
Der Staatsanwalt am Staatssicherheitsgericht (SSG) Izmir klagte die Inhaftierten zunächst nach Artikel 168 des türkischen Strafgesetzes (TSG) wegen Mitgliedschaft in einer bewaffnten Bande an. In der Hauptverhandlung wurde der Vorwurf dann auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation abgeändert (Artikel 7 des Anti-Terror-Gesetzes), da keine bewaffneten Aktionen der Organisation bekannt waren.
Eine terroristische Organisation setzt nach Artikel 1 ATG jedoch voraus, dass sie mit Mitteln wie "Drohung und Einschüchterung" arbeitet. Dieser Nachweis wurde vom Gericht nie erbracht. Das Gericht stellte die von einigen Gefangenen erfolterten Aussage nicht in Frage, der anwesende Staatsanwalt regte ebenso wenig Ermittlungen gegen die Folterer an und akzeptierte, wie später das Gericht, die erfolterten Aussagen als Beweis.
Am 24. Juli 2003 sprach das SSG Izmir das Urteil, nachdem am 21.01.2003 alle Gefangenen aus der U-Haft entlassen worden waren. Die Angeklagten M. Desde, M. Karadag, H. Taskin,
S. Parmak und M. Bakir wurden als Gründer und leitende Mitglieder einer terroristischen Organisation nach Artikel 7 ATG zu einer Strafe von je 50 Monaten (vier Jahren und zwei Monaten) Haft und einer Geldstrafe von 7,27 Milliarden TL (ca. 4.800 Euro) verurteilt. M. Özgünay, Ö. Güner und E. Yildirim wurden wegen Unterstützung dieser Organisation zu je 10 Monaten Haft und Geldstrafen von 795 Millionen TL verurteilt. Zwei Angeklagte wurden freigesprochen. Die Verurteilten legten Revision ein. Die Angeklagten blieben bis zu einer Entscheidung des Kassationsgerichtshofs auf freien Fuß. Das Ausreiseverbot gegen M. Desde und M. Bakir wurde explizit bestätigt. Durch das Ausreiseverbot haben sie den Kontakt zu ihren Familien, aber auch Jobs und Wohnungen in Deutschland verloren.
Bezüglich der Folterungen an M. Desde kam Dr. Andreas Wildermann (Praxis in Izmir) in einem Attest vom 03.03.2005 zu der Schlussfolgerung, dass "die vorliegenden Leiden eine relevante Einschränkung des Gesundheitszustandes von Mehmet Desde bewirken. Es besteht Behandlungsbedürftigkeit auf Dauer." Mit der Begründung, dass diese Behandlung in der Türkei nicht sicherzustellen sei, wurde am 29.03.2005 der "Europäische Gerichtshof für Menschenrechte" (EGfMR) angerufen und um eine einstweilige Anordnung, das Ausreiseverbot aufzuheben, gebeten. Mit Entscheidung vom 04.05.2005 teilte der EGfMR mit, dass nach Regel 39 zur Gerichtsbarkeit des EGfMR beschlossen wurde, der Türkischen Regierung keine Mitteilung zu machen.
Im April 2004 hob der türkische Kassationshof das Urteil vom 24. Juli 2003 auf und verwies das Verfahren erneut nach Izmir, wo das SSG nun zur 8. Kammer des Gerichts für Zuchthausstrafen umgewandelt worden war. Am 12.10.2004 verurteilte dieses Gericht die Angeklagten zwar nicht mehr wegen führender Mitgliedschaft sondern einfacher Mitgliedschaft, so dass sich die Strafen auf 2,5 Jahre Haft reduzierten. Der Staatsanwalt hatte mit Hinweis auf die Vorschriften im ATG auf Freispruch plädiert. Auch dieses Urteil ging in Revision.
Im November 2005 schickte der Staatsanwalt am Kassationshof die Akte wieder nach Izmir mit der Bemerkung zurück, dass neue Gesetze in Kraft getreten seien und das Urteil dementsprechend überprüft werden müsse. Am 16. März 2006 fand dann eine Verhandlung statt, in der die 8. Kammer des Gerichts für Zuchthausstrafen in Izmir ihr Urteil vom 12.10.2004 bestätigte, obwohl der Staatsanwalt und die Verteidigung auf Freispruch plädiert hatten.
In letzter Instanz bei dem obersten Gericht der Türkei, der 9. Kammer des Kassationshofes wurde dieses Urteil bestätigt. Dazu dokumentieren wir die Erklärung von M.Desde:
AN DIE PRESSE UND ÖFFENTLICHKEIT
DAS URTEIL DER 9. KAMMER DES KASSATIONSHOFES IST EIN SKANDAL
Am 16. März 2006 hat die 8. Kammer des Landgerichts Izmir zum letzten Mal gegen uns verhandelt. Der Staatsanwalt forderte erneut Freispruch für alle Angeklagten. Das Gericht verurteilte M. Desde, M. Bakir, M. Karada¤, H. Ta
Wir legten Berufung ein und die Akte wurde am 18. Mai 2006 erneut zum Kassationshof geschickt. Am 05.10.2006 legte die Oberstaatsanwaltschaft am Kassationshof seine Meinung vor und beantragte, das Urteil aufzuheben, da mit dem Gesetz 5532 vom 29. 06. 2006 der Artikel 7 des Anti-Terror-Gesetzes (ATG), nach dem wir verurteilt worden war, eine vollkommene Neufassung erfahren hatte.
Die 9. Kammer des Kassationshofs aber bestätigte das Urteil am 25. 12. 2006, ohne eine Begründung anzuführen.
Dazu ein paar Anmerkungen: die Änderungen am Artikel 7 ATG, die am 18.07.2006 in Kraft traten, kommen einer Aufhebung der Strafbestimmung gegen "unbewaffnete Organisationen" gleich. Wir wurden also nach einer nicht mehr vorhandenen Bestimmung verurteilt. Das Urteil der 9. Kammer ist ebenso wichtig, wie die Anwendung des Artikels 301 im türkischen Strafgesetz (TSG). In Zukunft wird es möglich sein, dass im Falle, dass 2 Personen sagen, dass sie an den Sozialismus glauben und deshalb den Staat kritisieren nach dem Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus (ATG) verurteilt werden.
Der Kassationshof hat das Urteil bestätigt, weil die Neufassung des Artikel 7 noch härtere Strafen vorsieht. Früher gab es einen Unterschied zwischen bewaffneten und unbewaffneten Organisationen. Den gibt es nun nicht mehr. Als Kriterium dafür, dass eine Organisation als terroristisch eingestuft wird, wurde die Anwendung von Gewalt genommen.
Also hätte das Gericht in Izmir beweisen müssen, dass wir materielle (physische) Gewalt angewendet haben. Da das nicht gelang, wurde der Begriff der "ideellen Gewalt" erfunden und auf der Grundlage wurden wir verurteilt.
Schon vor der Bestätigung des Urteils wurde die Freiheit von Mehmet Bakir und mir eingeschränkt. Wir wurden zum Aufenthalt in der Türkei gezwungen. Dadurch beträgt die gegen uns verhängte Strafe eigentlich sieben und nicht zweieinhalb Jahre Haft.
In den bevorstehenden Tagen werden wir ins Gefängnis gesteckt. Wir hätten fliehen können, haben das aber nicht gemacht, weil wir die Ungerechtigkeiten aufzeigen wollten. Unser Verfahren hat internationale Aufmerksamkeit erlangt. Im Bericht von Amnesty International vom September 2006 wurde ausführlich darauf eingegangen. Die Bestätigung des Urteils bedeutet nicht, dass wir schuldig sind.
Wir wurden in diesem Land gefoltert. Wir erlitten materielle und ideelle Schäden. Wir wurden auf der Basis von erfolterten Aussagen verurteilt. Vier Polizisten wurden wegen Folter an mir angeklagt. Atteste belegten, dass ich gefoltert worden war. Nicht einmal die Tatsache eines Verfahrens gegen Folterer oder die Existenz von Attesten hat das Gericht gekümmert. Ohne auf ein Ende des Verfahren gegen die Folterer zu warten, wurden wir verurteilt.
Man wird mich (uns) in Gefängnis stecken und dort in Isolationshaft halten können. Aber mein Herz und meine Gedanken können sie nicht in Ketten legen. Mit ungesetzlichen Praktiken, Druck oder Beschneidung meiner Freiheit bringen sie mich nicht zum Aufgeben. Ich werde auch weiterhin meine Stimme gegen Ungerechtigkeiten erheben, koste es was es wolle.
Mehmet Desde
03.02.2007
Anm.: Von meinem Anwalt können detaillierte Informationen bezogen werden,
RA Çetin Bingölbal Büro Tel: (+)90-232- 441 4367 GSM: (+)90-532- 486 4548
In dem ganzen Verfahren waren unter Folter erpresste Aussagen die zentralen Beweise. Selbst die türkische Staatsanwaltschaft plädierte auf Freispruch, weil es keinerlei stichhaltige Beweise gab. Trotzdem hat die türkische Justiz nach ihrem beliebten Motto, was kümmern uns Gesetze, die Urteile fällen wir, entschieden. Dieser Prozess beweist, dass kein Funken Rechtsstaatlichkeit, sondern blanke Willkür in der türkischen Justiz vorherrscht. In diesem Verfahren ist ein Verurteiler, M. Desde deutscher Staatsbürger. Es ist schon interessant, dass der deutsche Staat, welcher bei der wirtschaftlichen Ausplünderung der Türkei durch deutsche Monopole, Banken in enger Kooperation mit dem türkischen steht, in dieser Frage seine Stimme nicht erhebt. Eine Hermes Staatsbürgschaft von Millionen Euro für den Ilisu-Staudamm ist allemal drin, aber die so vielgepriese Demokratie bleibt natürlich außen vor. Aber das ist ja nicht das erste Mal, dass der deutsche Staat dabei zusieht wie "seine Bürger" gnadenlos und ohne Beweise in den Knast geschickt werden in Staaten wie der Türkei.
Sicherlich werden die Verurteilten jetzt eine Klage beim Europäischen Menschengerichtshof einreichen. Nur, falls sie überhaupt angenommen wird, bis sie entschieden ist, werden die Hafstrafen weitgehend abgesessen sein. Da zeigt sich einmal mehr wie geschmiert doch die türkische und europäische Zusammenarbeit läuft.
Wir fordern die Freilassung aller fortschrittlichen politischen Gefangenen in der Türkei/Nordkurdistan!
Wir kämpfen gegen die aus der BRD importierten Isolationsknäste, die F-Typ Knäste.