TROTZ ALLEDEM!

Venezuela und der Sozialismus des 21. Jahrhunderts

Demo

In vielen linken Gruppen und Organisationen wird Hugo Chavez und die Theorie des Sozialismus des 21. Jahrhunderts hochgejubelt.

Was ist der Sozialismus des 21.Jahrhunderts?

Diese Frage werden wir in diesem Artikel beantworten. In der TROTZ ALLEDEM Nr. 45 haben wir bereits zwei Artikel aus der PROLETARISCHEN RUNDSCHAU aus Österreich, zur Entwicklung in Venezuela veröffentlicht. Wir stimmen mit deren Positionen grundlegend überein. Wer den Artikel gerne lesen möchte, kann ihn sich unter www.komak-ml.tk aus dem Netz laden oder bei uns die TA Nr. 45 bestellen. In einem weiteren Artikel werden wir auf die Haltung der Linken in der BRD zu Venezuela eingehen.

Es weht ein linker Wind in Lateinamerika...?

Die meisten Länder Lateinamerikas waren ehemals spanische Kolonien. Im Kampf um die Vormacht in den Kolonien zwischen den USA und Spanien wurden die USA von einigen Befreiungsbewegungen als Bündnispartner gesehen. Um 1930 verstärkten die USA, ihre Bestrebungen in Lateinamerika, um die europäischen Rivalen (allen voran Spanien, England, Frankreich und Deutschland) zu vertreiben. Nach dem 2. Weltkrieg wurden die USA der hauptsächlichste imperialistische Ausbeuter des Kontinents, Lateinamerika wurde zum Hinterland der USA. (1) Die Abhängigkeit vom IWF (Internationaler Währungsfond) verstärkte sich. In vielen Ländern Lateinamerikas jagte eine Wirtschaftskrise die andere. Die Diktatoren gaben sich die Türklinken in die Hand, Volksbewegungen wurden brutal unterdrückt. In den letzten Jahrzehnten entstanden „Bewegungen gegen die Globalisierung“, eine Bewegung von Unten, die ihre Unzufriedenheit gegenüber den Herrschenden zum Ausdruck brachte. Als erster „linker“ Präsident und Hoffnungsträger der Antiglobalisierungsbewegung wurde Lula in Brasilien gewählt. Er kam aus der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. Aber schon nach kurzer Regierungszeit war offensichtlich, dass er nicht die Interessen der Arbeiterklasse und unterdrückten Völker als Ausgangspunkt nahm. In Argentinien und Ecuador wurden innerhalb kürzester Zeit mehrere Präsidenten gestürzt. In Argentinien kam es zu einer revolutionären Situation, die sich vor allem gegen die Maßnahmen des IWF und der Weltbank richtete. Das Ende der revolutionären Situation war die Wahl des Peronisten Kirchner.

Weltpolitisch kam der 11. September 2001 hinzu. Die USA startete den „Antiterror“krieg gegen Afghanistan, später gegen den Irak und war damit beschäftigt den Nahen/Mittleren Osten zu beherrschen. In Lateinamerika kam es zu einer Gegenbewegung gegen den „Krieg gegen den Terror“ und gegen ALCA (Gesamt-Amerikanische Freihandelszone – unter der SchirmHERRschaft USA). (2)

In dieser Situation kommt Hugo Chavez an die Macht und wird zum Liebling der Linken. Chavez wurde 1999 zum Präsidenten Venezuelas gewählt. Bei seiner Antrittsrede präsentierte er sich nicht als Revolutionär, sondern als zuverlässiger Partner der Finanzoligarchie. „Ich heiße sie willkommen zu investieren, um das Projekt voranzubringen“, spricht er in Richtung IWF und Weltbank. Er verspricht, die Auslandsschulden zu zahlen, internationale Verträge einzuhalten und die Investitionen internationaler Unternehmen zu respektieren. (3)

2002 putschte die Opposition gegen Chavez und er wurde entführt. Volk und Militär haben ihn befreit, er kam wieder an die Macht. Ab da änderte sich seine Haltung gegenüber den USA und der Opposition. Der Sozialismus des

21. Jahrhunderts und die partizipative Demokratie kamen ins Gespräch. Es wurde eine neue Verfassung ausgearbeitet und viel Propaganda um das kleine blaue Buch gemacht. Es ist das Wahrzeichen der partizipativen Demokratie. Partizipative Demokratie bedeutet einfach, dass die Arbeiterklasse und die Völker nicht selbst die Macht ergreifen, sondern sich mit der Teilhabe zufrieden geben sollen.

Gemeinsam mit Fidel Castro aus Cuba führt Chavez die Ablehnungsfront gegen ALCA an (Cuba war sowieso ausgeschlossen). „Wir wollen nicht in ALCA, wir wollen unseren eigenen Staat“. Seitdem wird Hugo Chavez und der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ als „Retter“ des linken Windes gesehen.

Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts - Revolution oder Reformismus?

Die Theorie des Sozialismus des 21. Jahrhunderts wurde von Heinz Dieterich (4), der zeitweise als Berater für die „bolivarische Revolution“ im Umfeld Chavez wirkte, für Lateinamerika entwickelt. Sie baut auf die Äquivalenztheorie von Arno Peters. (5) Die Äquivalenztheorie geht davon aus, dass die Ungleichheit auf dem Weltmarkt dadurch bedingt ist, dass der Tauschwert der Ware Arbeit auf dem Weltmarkt ungleich gehandelt wird.

„Der Weltmarktpreis als Hebel der Ausbeutung. Nicht das Bevölkerungswachstum und nicht die Natur oder der Mensch tragen die Schuld an der wachsenden Not und am Hunger in den armen Ländern, sondern unser Wirtschaftssystem, die Marktwirtschaft, in der Güter und Dienstleistungen nicht zu ihrem Wert ausgetauscht werden, sondern zum Weltmarktpreis, der sich seit den sechziger Jahren ständig weiter zugunsten der reichen Industrieländer verschiebt. So muss Brasilien für eine Lokomotive, für die es vor zwanzig Jahren 15.000 Sack Kaffee zahlte, heute das Dreifache (46.000 Sack Kaffee) geben. Der Wert der Lokomotive hat sich in diesen zwanzig Jahren nicht verdreifacht, und der Wert des Kaffees hat sich nicht verringert. Verändert hat sich nur der Weltmarktpreis, der das Austauschverhältnis zwischen den überwiegend von den reichen Ländern angebotenen Industrieprodukten und den vorwiegend von den armen Ländern angebotenen Naturprodukten bestimmt.“ (6)

Die Äquivalenztheorie ist protektionistischer Staatskapitalismus

Seine Lösung ist das Äquivalenz-Prinzip für den weltweiten Warenaustausch. Das bedeutet, es soll in gleichwertigem Maßstab weltweit getauscht werden, also acht Stunden Arbeit z.B. in den USA werden gegen acht Stunden Arbeit z.B. in Bolivien getauscht. Wenn also z.B. Computer aus den USA gegen Kaffee aus Bolivien getauscht werden sollen, dann in dem Maßstab Arbeitszeit gegen gleichviel Arbeitszeit.

Wenn für „eine Lokomotive vielleicht nur noch 7.300 Sack Kaffee zu zahlen wären, nämlich so viele, wie die Arbeiter in Brasilien in der gleichen Zeit ernten, die zum Bau ihrer Lokomotive gebraucht wird [kumulierte Arbeitszeit inklusive Schulung und Ausbildung von Facharbeitern, Ingenieuren, Rohstoffgewinnung und -verarbeitung] würde diese neue Preisrelation Naturprodukt/Industrieprodukt die notwendige wirtschaftliche Gleichberechtigung der Völker untereinander herbeiführen.“ (7)

Entscheidend für die Ausbeutungsverhältnisse sind demnach nicht mehr die Eigentumsverhältnisse, insbesondere der Besitz an den Produktionsmitteln, sondern der „ungerechte Austausch“.

Sowohl Peters, als auch Dieterich gehen davon aus, dass der Sozialismus tot ist und dass die Sowjetunion die Probleme der Gesellschaft nicht lösen konnte. Die Grundlage des, nach Dieterich, „real existierende Sozialismus“, ist zwar der wissenschaftliche Sozialismus von Karl Marx, es hat aber seit Marx keine wesentliche Weiterentwicklung in der Theorie gegeben. Beide vertreten auch, dass der Sozialismus in einem Land nicht möglich ist.

„Seit 1917 gab es nun eine Folge von Revolutionen, die sich grundsätzlich von allen bisherigen Revolutionen unterschieden: Sie waren erfolgreich, denn sie erreichten eine Annäherung an die Äquivalenz. Die kommunistischen Länder hätten aber nicht bei der Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln stehen bleiben dürfen. Sie mussten den Warenaustausch zum echten Warenwert (= die Summe aller darin enthaltenen Arbeitszeit) verwirklichen und sie mussten die Entlohnung allein nach der Summe der individuell aufgewendeten Arbeitszeit vornehmen; ihre Wirtschaft musste also äquivalent werden. Aber das konnte kein Land erreichen, wenn nicht der Rest der Welt folgte, denn das Äquivalenz-Prinzip ist auf Dauer nur global zu verwirklichen.“ (8)

Wir sollen also alle weltweit aufeinander warten mit der Revolution, bis auch wirklich weltweit alle gleichzeitig, sowohl objektiv als auch subjektiv, für die Revolution bereit sind.

Der Computer-Sozialismus

Ebenso gab es in der Sowjetunion, nach dieser Theorie, keine direkte Basisdemokratie. Diese konnte es auch nach Peters und Dieterich nicht geben, weil es keine Computer gab, so dass der Bedarf an Ware nicht ermittelt werden konnte. Jetzt, durch die technische Errungenschaft der Computertechnik – das ist laut Peters ein neuer qualitativer Sprung – ist direkte Demokratie per Knopfdruck möglich. „Computer steuern Produktion nach Bedürfnissen“, so was wie Computer-Sozialismus (9). Wer die Knopfdrücke bedient, auswertet und wie damit umgegangen wird, bleibt bei ihnen völlig offen.

Die Theorie des Sozialismus des 21. Jahrhunderts ist eine Form postmodernen Revisionismus

Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts will weder den Markt noch das Privateigentum abschaffen. Die Grundlage dieses „neuen historischen Projekts“ bildet die bürgerliche Gesellschaft und nicht der Klassenkampf oder die klassenlose Gesellschaft. Nach Dieterich ist die Veränderung der bestehenden Verhältnisse innerhalb des Systems möglich: wir fangen jetzt an und tauschen gleichwertig, dann gibt es keine ungleiche Verteilung mehr. So einfach ist das! Das sind die Reformen des 21. Jahrhunderts. Keine Enteignung der Bourgeoisie, keine Zerschlagung des bürgerlichen Staates. Weder proletarische Diktatur, noch Revolution sind seine Lösung. Dieterich ist natürlich nicht der einzige „Theoretiker“ des ‚bolivarischen Prozesses’. Soeben neu erschienen ist eine ‚Kampfschrift’ „Befreiung im 21. Jahrhundert“ von Helmut Thielen. Auch Thielen, Ingenieur und Soziologe, lebt in Lateinamerika, Brasilien. Überschwänglich feiert auch er den Prozess der bolivarischen Revolution in den lateinamerikanischen Staaten. Er ist ebenfalls glühender Verfechter der „partizipatorischen Demokratie“. Die Auseinandersetzung mit diesen diversen kleinbürgerlichen Theoriekonstruktionen, die eine Überwindung des Kapitalismus mit der nationalen Bourgeoisie in den abhängigen Ländern vorschlagen, ist wichtig um Klarheit in der antiimperialistischen Bewegung zu gewinnen.

Das Privateigentum an Produktionsmitteln wird vom Staat gesichert

Die Verstaatlichung im Öl- und Gassektor wird unter der Kontrolle der Regierung Hugo Chavez durchgeführt. Das Projekt ‚Bolivarische Revolution’ kostet viel Geld und woher soll man das nehmen, wenn nicht aus der Verstaatlichung. Vor allem nach dem Streik der ArbeiterInnen im Erdölsektor brauchte Hugo Chavez die Unterstützung des Volkes.

Daher hat die neue Regierung einige soziale Errungenschaften für die Arbeiterklasse und die Völker natürlich zugestanden. Eine Alphabetisierungskampagne wurde gestartet. Alle sollen Lesen und Schreiben können, jeder kann zur Schule und zur Universität gehen. Es sind Ärzte aus Cuba gekommen, um die Gesundheitsversorgung zu gewährleisten, die Rechte der indigenen Bevölkerung werden zum ersten Mal ernst genommen. Das sind positive Entwicklungen für die Arbeiterklasse und die Völker.

Aber was bedeutet eigentlich Verstaatlichung und Enteignung? Enteignung heißt Wegnehmen! In Venezuela wird der besitzenden Klasse aber nichts weggenommen. Das Bodengesetz sieht vor, ungenutzte Böden vom Staat über Petrogeld zu kaufen und an landlose Bauern zu verteilen. Allerdings nur, wenn der Großgrundbesitzer mehr als 5.000 Hektar besitzt. Es werden auch nur ungenutzte Böden vom Staat gekauft, und an die Bauern weitergegeben. Land soll nicht brachliegen, es soll im kapitalistischen Sinne bewirtschaftet werden. Land, welches bearbeitet wird, wird nicht enteignet. Ausdrücklich verbietet das Bodengesetz Landbesetzungen! Bei stillgelegten Fabriken ist das ähnlich.

In der Zeit vor Chavez befanden sich Erdöl und Gas vollständig unter Kontrolle der USA, Frankreichs, unter Kontrolle von Exxon und BP. In Worten ist die Regierung Chavez gegen Privatisierung und für die nationale Souveränität. Es wurde daher eine Verstaatlichung von Erdöl und Erdgas durchgeführt. Seitdem befinden sich 51% der Ölfirma PDVSA in den Händen des Staates, 49% betreiben weiterhin die multinationalen Konzerne. Faktisch wurde durch die Verstaatlichung nur eine Kontrolle über die Firma erreicht, und keine vollkommene Verstaatlichung des Eigentums. Und diese Kontrolle ist im Interesse der nationalen Bourgeoisie und richtet sich natürlich gegen das Interesse der imperialistischen Großmächte und der Finanzmonopole. Ihr Extraprofit wird beschnitten.

Der Plan ALBA

Es gibt eine Vielzahl von wirtschafts-politischen Zusammenschlüssen / Wirtschaftsverbänden von Staaten Südamerikas untereinander, wie ALBA. Auch gibt es solche Bündnisse von Ländern Lateinamerikas mit imperialistischen Großmächten wie die USA – ALCA, oder der vorwiegend unter EU Dominanzpartnerschaft stehende MERCOSUR. (10)

Das Projekt ALBA - „Bolivarische Alternative für die Völker unseres Amerikas und der Karibik“ als Staatenzusammenschluss wurde von Chavez ins Leben gerufen, um für Venezuela eine neue wirtschaftliche Basis in Lateinamerika zu schaffen. ALBA wird als „herrschaftsfreie“ Alternative zu ALCA gepriesen.

Chavez erster Liebespartner bei ALBA war 2005 Cuba. Cuba brauchte Öl und Gas und Venezuela brauchte Ärzte und LehrerInnen. Gemeinsam haben sie ALBA gestartet, Weitere Mitglieder sind Bolivien (2006) und Nicaragua (2007). In Bolivien ist mit Evo Morales zum ersten Mal ein Indigener zum Präsidenten gewählt worden. Morales ist Anführer einer nationalen- und Bauernbewegung. Nach seiner Wahl gab es schnell einen Widerspruch zwischen Bolivien und den USA wegen des Koka Anbaus und Handels. ALBA war eine Alternative für Morales um das Diktat der USA teilweise zu umgehen und sich Aktionsfreiheit zu verschaffen. Mit der Wahl von Ortega zum Präsidenten, trat auch Nicaragua in ALBA ein. Ortega ist alles andere als fortschrittlich. Ehemals Sandinist, ist er heute ein fundamental-christlicher Sozialdemokrat.

Ziel von ALBA soll sein, keinen herrscherfreundlichen Handel, sondern einen gleichberechtigten Handel zu betreiben. ALBA regelt einen wirtschaftlichen Austausch im Sinne der Äquivalenztheorie.

Auch Banco del Sur, auch Bancosur - „Bank des Südens“ (11), Petrocaribe (12), Petrosur, teleSUR (13) sind von Venezuela ins Leben gerufene Projekte zur Befreiung von Weltbank (WB) und IWF. Seit dem 12.04.2007 ist Venezuela frei von Schulden gegenüber der IWF und der WB. Ende April kündigte Chavez den Rücktritt seines Landes aus dem IWF und der WB an.
Wie schon gesagt, es geht aber nicht nur um Befreiung von den herrschenden Institutionen, es geht auch um eine Vormachtstellung in Lateinamerika. Venezuela ist mittlerweile in den Mercosur eingetreten. Dort ist Venezuela Handelspartner mit Brasilien und Argentinien, aber sie sind auch Konkurrenten. Chavez hat allerdings Öl und Gas, deshalb versucht er über Petrosur eine Pipeline durch Lateinamerika zu bauen, um sein Öl dort zu verkaufen. Dadurch sollen die Beziehungen zu den USA begrenzt werden, denn trotz aller Differenzen ist die USA mit großem Abstand erster Handelspartner Venezuelas, sowohl was Export, als auch was Import betrifft. (Anteil des Imports aus USA nach Venezuela 2000: 44%; 2007: 30%, Export in die USA aus Venezuela 2000: 25%; 2007: 57%)

Eine neue Klassenstruktur ist im Entstehen

Venezuela ist ein ökonomisch abhängiges Land und hoch verschuldet. Laut Botschaft der Bolivarischen Republik Venezuela arbeiten 11% der Bevölkerung in der Landwirtschaft, 20% in der Industrie und 69% in der Dienstleistung. Die Haupteinnahmequellen in Venezuela sind Öl und Gas. Öl macht 80% des Exports, 50% der Staatseinnahmen und 25% des BIP aus. (14) Dementsprechend einseitig ist die Industrie entwickelt. Außer den Raffinerien gibt es nicht viel Industrie. In den Städten lebt überwiegend das Kleinbürgertum. Die indigenen Völker leben größtenteils auf dem Land.

Durch die Verstaatlichung der Ölfirma entsteht eine neue Klassenstruktur. Die nationale Bourgeoisie wird gestärkt. Diese neue Klassenstruktur entscheidet, wer in Zukunft an die Macht kommt oder bleibt. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen im Dezember 2006 haben umgerechnet 55% der VenezolanerInnen für Hugo Chavez gestimmt. Da momentan die Unterstützung der Bevölkerung für Chavez stärker ist, als für die Opposition, hat Chavez Mut bekommen und ein Ermächtigungsgesetz erlassen, das ihm erlaubt, für 18 Monate mit Sonderrechten zu regieren – im Namen des Sozialismus. Das ist sein Verständnis von Basisdemokratie! Am 2. Dezember 2007 wird die Verfassung, die sicher keine Verfassung des Sozialismus ist, in einem Volksentscheid abgestimmt. (siehe Kritik in TA Nr. 45, S. 35 ff) Widersprüche dazu gibt es nicht nur aus den Reihen der reaktionär-faschistoiden Opposition sondern auch von „Mitkämpfern“ Chavez, wie dem ehemaligen Verteidigungsminister, General außer Dienst, Raul Baduel. Im Juli wurde er von seinem Posten abgesetzt. Jetzt ruft er zur Ablehnung der Reform der Verfassung auf, die eine „Umwandlung des Staates“ bedeute. Baduel hatte das Vorwort zur spanischen Ausgabe von Dieterichs Buch „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ verfasst.

Chavez, als Vertreter der nationalen Bourgeoisie, sagt selber, die Bolivarische Revolution ist für das nationale Unternehmertum, für die Mittelschicht und für die Armen (15). Das ist kein Sozialismus! Seine Familie hat er sofort in Politik und Wirtschaft integriert. Sie haben wirtschaftliche Macht und Kapital. Chavez Vater ist Ministerpräsident des Bundesstaates Barinas, sein Bruder Bildungsminister, sein Cousin Leiter der staatlichen Ölfirma PDVSA (16).

Venezuela im „Kampf gegen den Imperialismus“?

Einige linke Organisationen und Gruppen befinden sich im Chavez-Hype. Sie unterstützen die Bolivarische Revolution, sie sagen „Chavez sei ein Antiimperialist“, manche sagen „es weht ein linker Wind in Lateinamerika“, einige sich kommunistisch nennende Gruppen gehen sogar soweit und nennen Venezuela, Cuba und Bolivien die „Achse der Revolution“.

Es ist ganz klar eine Schwäche der weltweiten kommunistischen Bewegungen, dass ein bürgerlicher Reformer wie Chavez zum Revolutionär stilisiert und ihm hinterhergerannt wird. Die kommunistischen Organisationen sind weltweit sehr schwach, es gibt keine Vorbilder, es gibt nur sehr wenige Organisationen bzw. Parteien, die momentan in der Lage sind, eine Revolution durchzuführen, falls ihr Land in eine revolutionäre Krise gerät.

 

Gibt es eine objektive Schwächung des Imperialismus durch Venezuela, ist Chavez ein Antiimperialist? Inwieweit kann man in der heutigen Weltsituation mit Chavez sympathisieren?

Einige Errungenschaften und Reformen in Venezuela verbessern ganz klar die Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Arbeiterklasse und für die unterdrückten Völker, das haben wir bereits oben angeführt. Chavez ist im Konflikt mit den USA, aber das ist kein Antiimperialismus, das ist Anti-USA-Politik. Er greift nicht das ganze imperialistische System an, sondern den US-Imperialismus. Venezuela hat gute wirtschaftliche Beziehungen zu den EU-imperialistischen Ländern, zu der imperialistischen Macht China und zu Südafrika. Durch seinen Konflikt mit den USA versucht Chavez eine Anti-USA Front aufzubauen. Dazu braucht er letztendlich Organisationen, wie die Hamas, und politisch unabhängige Mächte, wie Ahmedinejad im Iran.

Als Teil der nationalen Bourgeoisie hat Chavez die Möglichkeit, die Interessen seiner Klasse durchzusetzen, sie besitzen Öl und Gas. Schwächt Chavez dadurch objektiv den Imperialismus? Politisch hat kein imperialistisches Land, keine Koalition aktuell die Möglichkeit Chavez und Venezuela in irgendeiner Form anzugehen. Die USA sind mit dem Nahen Osten, Asien zu sehr verstrickt und in den Krieg eingebunden. Die EU-Imperialisten sind verhalten und trauen sich noch nicht wirklich, das Hinterland der USA aggressiver anzugreifen, bereiten dafür aber alles vor. China versucht mit wirtschaftlichen Mitteln Lateinamerika zu erobern. Es ist positiv, dass es Mächte gibt, die politisch nicht voll unter der Kontrolle der Imperialisten stehen, so wie die Regierungen Hugo Chavez, Fidel Castro und Evo Morales. Sie versuchen eine dritte Kraft gegen den Imperialismus aufzubauen. Das kann auch eine Zeitlang gut gehen. Aber können wir das unterstützen?

Wir machen heute keine Kampagnen für Venezuela oder für Chavez. Es ist nicht die Aufgabe der Kommunisten, die nationale Bourgeoisie zu unterstützen. Wenn aber gegen Chavez und Venezuela ein pro-amerikanischer Putsch gemacht wird oder wenn die USA (oder auch ein anderes imperialistisches Land, was aber unter den heutigen Bedingungen ziemlich unwahrscheinlich ist) einmarschiert, würden wir den Kampf der Völker natürlich unterstützen.

Unsere Hauptaufgaben ist es heute, innerhalb der Linken die euphorische Unterstützung für Chavez auf den harten Boden der Tatsachen zu stellen. Außer dem Namen hat das nichts mit Sozialismus zu tun. Die Chavez Bewegung ist eine nationalbürgerliche Bewegung, putschistisch und in Zusammenarbeit mit Teilen der Kompradorenbourgeoisie.

Hugo Chavez ist weder der Freund der Völker, noch der Arbeiterklasse. In Venezuela wird zwar über Sozialismus diskutiert, aber das, was als Sozialismus präsentiert wird, ist eine Karikatur des Sozialismus und macht es nur schwieriger sich positiv auf den wahren Sozialismus zu beziehen und ihn populär zu machen. Für die Zukunft gibt es nicht viele Möglichkeiten für Chavez. Entweder er wird von den venezuelanischen Kompradoren in gemeinsamer Aktion mit den US-Imperialisten weggeputscht oder er verkauft sich an die Imperialisten, so wie Gaddafi. Aus dem „Terroristen“ und Freund der Linken Gaddafi wurde ein Lieblingskind der Imperialisten.

Oktober 2007

DemoAnmerkungen

(1) A Classe Operaria, Heft 22, Organ des ZK der KP Brasiliens 1969

(2) ALCA oder FTAA: Von Kanada bis Feuerland

Seit Jahren wird an einer gesamtamerikanischen Freihandelszone von Alaska bis Feuerland unter US-Diktat gebastelt. (FTAA (engl) oder ALCA (span)), das 34 Länder einschließt. Nur Cuba darf nicht mitmachen. ALCA bedeutet ein fast grenzenloser Handel in einer Region, in der mehr als 800 Millionen Menschen leben, die 13 Billionen US$ erwirtschaften. Das sind etwa 40% des Welthandelsvolumen. ALCA wäre dann der weltweit größte Handelsblock, von den USA dominiert, denn deren BSP ist 10 mal so hoch, wie das aller lateinamerikanischer Staaten zusammen. Vor allem Brasilien und Argentinien, und seit dem Regierungswechsel Uruguay, bremsen die ALCA pläne der USA, sie setzen auf ihr Projekt: MERCOSUR-EU.

(3) Christopf Twickel: Hugo Chavez, Eine Biografie, Nautilus Verlag 2006, S. 141

(4) H. Dieterich, geboren 1943 in Deutschland, Studium bei Adorno und Horkheimer in Frankfurt. Dieterich lebt seit Mitte der 1970er Jahre in Lateinamerika, vor allem Mexiko. In Mexiko Stadt hat er seit 1977 eine Professur für Soziologie und Methodologie. Er ist, neben Arno Peters, Verfechter der Äquivalenztheorie, mit der er für eine gerechtere, vor allem ökonomisch begründete Wirtschaftsordnung eintritt. Dieterichs Ansatz nimmt Planungsprozesse zur Begründung eines „Computer-Sozialismus“ (Konrad Zuse) des 21. Jahrhunderts auf. Seine Leitstudie befasst sich mit den „Produktionsverhältnissen in Lateinamerika“. (wikipedia)

(5) Arno Peters (1916-2002) war Historiker und Kartograph. Er erstellte die Synchronoptische Weltgeschichte, die auf materialistischer Grundlage die afrikanischen, asiatischen, vorkolumbischen und europäischen Kulturen und ihre Geschichte gleichrangig darstellt. Er befasste sich zudem mit dem Konzept der Äquivalenzökonomie, als alternatives Wirtschaftssystem zum kapitalistischen. Dazu sind seine Hauptwerke: „Computer-Sozialismus-Gespräche mit K. Zuse“, „Das Äquivalenz-Prinzip als Grundlage der Globalökonomie“.

(6) Arno Peters, „Das Äquivalenz-Prinzip als Grundlage der Globalökonomie“, 1996 Akademische Verlagsanstalt, S. 8

(7) Arno Peters, S .24

(8) Arno Peters, S. 25

(9) Arno Peters, S. 24

(10) MERCOSUR (Mercado Comun der Sur): Gemeinsamer Markt des Südens. Gegründet 1991 mit dem Vertrag von Asuncion 1991. (orientiert an dem Modell EU, also Schaffung eines gemeinsamen Marktes und einer politischen Einheit der Mitgliedsstaaten)

Mitglieder sind: Argentinien, Brasilien, Uruguay, Paraguay, Venezuela (Beitritt 2007). Assoziierte Staaten sind: Chile (1996), Bolivien (1997), Peru (2003), Kolumbien (2004), Ecuador (2004). Mit Mexiko laufen noch Verhandlungen um Aufnahme. Es handelt sich dabei um einen Binnenmarkt mit mehr als 280 Millionen Menschen, über 13 Millionen Quadratkilometern das entspricht ungefähr 73% der Fläche Südamerikas bzw. 59% der Fläche Lateinamerikas. Im Mai 2007 tagte zum ersten Mal in Uruguay das neu errichtete Parlament des MERCOSUR.

Die MERCOSUR- Staaten haben zusammen 12 Millionen km2 Fläche, das entspricht ca. 58% der Fläche Lateinamerikas. Sie haben einen BIP von ca. 735 Mrd. US$, ein Export von ca. 55 Milliarden US$ und importieren im Wert von ca. 45 Milliarden US$.

Im Oktober 2004 ist der Vertrag über das Freihandelsabkommen zwischen dem MERCOSUR und der Andengemeinschaft (Bolivien, Peru, Kolumbien, Ecuador und Venezuela) abgeschlossen worden. Mit dem Abkommen ist der weltweit fünft größte Handelsblock entstanden, mit mehr als 361 Millionen EinwohnerInnen, einer Fläche von 17 Millionen km2 und einem BIP von etwa 800 Milliarden US$.

(11) Bancosur: Entwicklungsbankprojekt, das die wirtschaftliche Entwicklung der Mitgliedsländer der UNASUR – „Union südamerikanischer Nationen“ - finanzieren soll. Initiiert von Argentinien und Venezuela haben sich inzwischen Ecuador, Paraguay, Bolivien, Brasilien und Uruguay angeschlossen. Kolumbien hat im Oktober 2007 den Antrag auf Mitgliedschaft gestellt. Finanziert werden soll die Bancosur durch die Übernahme eines Teils der internationalen Reserven jeder einzelnen Nationalbank der Mitgliedsstaaten (wikipedia). Oktober 2007 wurde die Gründung für den 3.11.07 beschlossen. Ohne Angabe von Gründen wurde diese auf den 5.12.07 verschoben. Hintergrund sind Widersprüche und Machtkämpfe der einzelnen Bourgeoisien, insbesondere zwischen Venezuela und Brasilien. Brasilien ist im Grunde nicht an der Bank interessiert, da sie selbst über eine Entwicklungsbank verfügen und sie ihren Hegemonialanspruch auf eine Großmachtrolle in Lateinamerika durch den Bancosur nicht gefördert sondern gefährdet sieht.

(12) Petrocaribe: Abkommen, das die Möglichkeit für die Karibikstaaten eröffnet Erdöl aus Venezuela zu kaufen, und dafür zunächst nur einen kleinen Teil zu bezahlen. Der Rest kann bei 1% Zinsen bis auf 25 Jahre hinaus gestundet werden. Unter den Karibikstaaten ist auch Kuba

(13) teleSUR: „Fernsehen des Südens“ ist vor allem im Informationssektor die mediale kulturpolitische Antwort Venezuelas auf die Vorherrschaft der Mediengiganten in Lateinamerika wie die englische BBC, amerikanische CNN und Univision. Vorgeschlagen von Fidel Castro hat Chavez das Projekt 2005 umgesetzt. Der TV-Satellitensender ist „multistaatlich“ konzipiert und organisiert. Sein Sitz ist in Venezuela. Getragen wird das Projekt von Venezuela, Argentinien, Kuba, Uruguay, Bolivien, Ecuador, Nicaragua. Brasilien kooperiert, ebenso gibt es einen Kooperationsvertrag mit dem arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira.

(14) www.wikipedia.de

(15) Twickel S. 192

(16) TAZ, 10.01.07