TROTZ ALLEDEM!

Trotzkismus und Leninismus - Ein Einstieg Teil I

 Vorbemerkung: Trotzkismus heute

Die „linke“ Bewegung weltweit, so auch in der BRD, ist in viele Gruppen, Parteien und Organisationen der unterschiedlichsten politischen Orientierung aufgespalten. Nach wie vor sind die stärksten politischen Kräfte der moderne Revisionismus und der Reformismus in der Arbeiterbewegung. Auch wenn sich viele kommunistische Parteien der Chrustschowrichtung umbenannt und dem sozialdemokratischen Reformismus immer mehr angepasst haben: ihre ideologisch-politischen Wurzeln sind nach wie vor Grundthesen des 20. Parteitages der KPdSU von 1956. Da Konservative, Liberale, Sozialdemokraten und mittlerweile auch die „Grünen“ zu einer politischen Soße geronnen sind, übernehmen diese modern-revisionistischen Parteien die Funktion der Abfederung von Protesten gegen die „Mitte der Gesellschaft“, d.h. der bürgerlichen Herrschaft. In manchen Ländern sind sie selbst an bürgerlichen Regierungen beteiligt, so seit Jahrzehnten in Indien, in Italien und auf kommunaler Ebene die Linke in Deutschland.

Eine politisch und zahlenmäßig anwachsende Kraft in etlichen Ländern der Welt, ganz besonders in Lateinamerika, sind trotzkistische Gruppen und Parteien. Sie haben insbesondere starken Zulauf innerhalb der Studenten- und Schülerbewegungen. Aber auch innerhalb der ArbeiterInnenbewegung und in den Gewerkschaften nimmt ihr Einfluss zu. Größtes Hindernis, damit die Trotzkisten sich zu einer geballten politischen Kraft entwickeln, ist ihr ureigenster Spaltungstrieb. Die trotzkistische Richtung hält in der Aufsplitterung in Hunderte verschiedener Gruppierungen einen einsamen Rekord, zumal sie diese auch zum programmatischen Credo erklärt: Ein Widerspruch – eine Spaltung!

Viele junge RevolutionärInnen sind von den diversen trotzkistischen Gruppen angezogen. Der wuchtige Antistalinismus, der die gesamte politische Debatte und Geschichtsschreibung in der BRD prägt, ist ein enormer „Pluspunkt“ des Trotzkismus. Einerseits propagieren sie offensiv den Sozialismus, berufen sich auf die sozialistische Oktoberrevolution in Russland; gleichzeitig hausieren sie mit ihren Verleumdungen gegen Stalin und sehen die sozialistische Sowjetunion als „degenerierten Arbeiterstaat“. Sie bauen auf dem vorherrschenden Antistalinismus auf, verpassen ihm ein linkes Mäntelchen und ziehen damit ideologisch viele junge RevolutionärInnen an. Verbal geben sie sich sehr radikal, fordern Revolution hier und heute, während sie in der politischen Praxis mit dem modernen Revisionismus, Reformismus kräftig zusammenarbeiten, bzw. in deren Parteien/Organisationen eintreten und versuchen sie von ‚innen zu übernehmen’. Die sogenannte Politik des „ Entrismus“. Aus all diesen Gründen ist es für uns Marxisten-Leninisten zentral, sich mit dem Trotzkismus in Geschichte und Gegenwart auseinander zusetzen. Viele revolutionäre Jugendliche sind interessiert an einer Diskussion unserer Kritiken und Positionen an dieser politischen Richtung.

TROTZKI (biographische Notizen)

KAMPF UM DEN WEG DER REVOLUTION UND DEN AUFBAU DES SOZIALISMUS IN DER KPdSU (Kommunistische Partei der  Sowjetunion):

Leo Davidovich Bronstein wurde geboren am 7. November 1879 in der Ukraine (Janowka). Sein Vater, D. L. Bronstein „war ein unternehmungslustiger Arbeiter, anscheinend viel aktiver und viel intelligenter als seine durchschnittliche Umgebung. Während etwa dreißig Arbeitsjahren erwarb er Grundstücke, ließ ein ordentliches Haus bauen, schaffte es, seinen Kindern eine höhere Schulbildung zukommen zu lassen…“ (Victor Serge, „Leo Trotzki, Leben und Tod“, S. 17, im weiteren „Serge“) Seine Mutter Anna entstammte dem städtischen Kleinbürgertum. Sie brachte acht Kinder zur Welt. Vier Kinder starben in frühen Jahren, die anderen vier, darunter Trotzki, überlebten. Die Familie gehörte der jüdischen Religion an.

Die jüngere Schwester Olga trat später in die SDAPR ein und heiratete Leo Rosenfeld (Kamenjev). 1888 ging Trotzki allein nach Odessa zum Besuch der deutsch-lutherischen Schule. 1897 bestand er das Abitur als bester seines Jahrgangs. Mit 17 entwickelt Trotzki sich zunächst zu einem volkstümlerischen Oppositionellen.

Damals gab es zwei Richtungen in der russischen revolutionären Bewegung: die Volkstümler (Narodniki) und die Marxisten (Sozialdemokraten). Die Volkstümler waren zunächst die vorherrschende Strömung unter der fortschrittlichen Arbeiterschaft und der Intelligenz. Für sie war die Bauernschaft die revolutionäre Hauptkraft (und nicht die Arbeiter). Nach schweren Repressionen des Zarismus setzten die Narodniki vor allem auf einen „terroristischen Weg“ der Machterkämpfung: individueller Terror und Attentate. Der Marxismus in Russland, verfochten von der Gruppe „Befreiung der Arbeit“ breitete sich in scharfer ideologischer Auseinandersetzung mit den Volkstümlern aus. 1898 fand in Minsk der I. Parteitag der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR) statt.

Eine Kontrahentin Trotzkis in dem Oppositionszirkel war die sieben Jahre ältere, Marxistin Alexandra L. Sokolowskaja, die er 1900 in der Verbannung heiratete. Er entwickelte sich hin zum Marxismus. Trotzki war 1897 maßgeblich beteiligt an der Gründung des Südrussischen Arbeiterverbandes. 1898 wurde die ganze Gruppe das erste Mal verhaftet. Trotzki saß ein Jahr im Knast in Odessa. 1899 wurde er in die Verbannung nach Sibirien und 1900 mit Alexandra zur Verbannung nach Irkutsk geschickt. Im selben Jahr wurde seine Tochter Sinadya geboren, 1902 dann Nina.

Die Verbannungsjahre waren für Trotzki Schulungsjahre. In Irkutsk schrieb er für die lokale liberale Zeitung Artikel über Literatur und Kunst. 1902 floh er im Einvernehmen mit seiner Frau, beide Kinder zurücklassend, aus der Verbannung. Sein gefälschter Pass lautete auf den Namen Trotzki. Seine erste Station war Paris. Die Partei war noch nicht gespalten. Exilgruppen unter Führung von Lenin gaben die Zeitung Iskra, Zentralorgan der Partei, heraus. (Lenin, Martow, Plehanow). In Paris lernte er Natalja Sedowa (später Trotzki) kennen und über sie die anderen sozialdemokratischen Führer. Natalya Sedowa erzählte:

„1902 wohnte ich in Paris. Ich nahm meine Mahlzeiten in einer Wohnung in der Rue Lalande ein, wobei wir, um billiger leben zu können, unsere Geldmittel zusammenlegten. Julian Martow kam dorthin. …er war es, der eines Tages bei Tisch die Ankunft eines jungen Flüchtlings aus Sibirien ankündigte… Und Leo Dawidowitsch kam bereits am Tag seiner Ankunft in Paris in die Rue Lalande. Er war dreiundzwanzig Jahre alt; er hatte drei Jahre Verbannung in Ostsibirien hinter sich. Seine Vitalität, sein lebhafter Geist, sein Arbeitseifer ließen in ihm bereits eine energische und reife Persönlichkeit erkennen. … Er legte vor allem Wert darauf, mit der sozialistischen Bewegung der russischen Emigration bekannt zu werden.“ (Serge, S. 22)

1902 ging Trotzki nach London zu Lenin. Dort arbeitet er mit ihm als leitender Redakteur der „Iskra“.


1903 – II. Parteitag der SDAPR

Auf dem II. Parteitag der SDAPR 1903, der in Brüssel begann und dann in London weitergeführt wurde, kam es zur Spaltung zwischen den zwei Flügeln der SDAPR, in die Menschewiki (Minderheit) / Bolschewiki (Mehrheit). Auf der einen Seite standen Martow, Axelrod und Vera Sassulitsch, auf der anderen Seite Lenin. Inhaltlich ging es um das Statut und um die Frage, wer ist Parteimitglied. Nach Lenin ist nur derjenige ein Parteimitglied, der das Programm und das Statut anerkennt, Beitrag zahlt und in einer Organisation der Partei aktiv mitarbeitet. Nach Martow (und alle seine Anhänger in dieser Frage, auch Trotzki) ist jeder Mitglied, der sich zur Partei zugehörig fühlt. Die Frage war also, soll die kommunistische Partei eine Vorhutorganisation, eine Organisation der Revolutionäre sein, oder eine bloße Massenorganisation, wo jeder Mitglied ist, der sich ihr zugehörig fühlt. Lenin betonte immer wieder: Trotzki stand faktisch in der Organisations-Frage auf der Seite der Menschewiki. In seiner Rede auf dem Parteitag geht Lenin speziell auf die Positionen Trotzkis ein: „Genosse Trotzki hat den Grundgedanken meines Buches „Was tun?“ sehr falsch verstanden, als er sagte, die Partei sei keine Verschwörerorganisation (diesen Einwand erhoben auch viele andere gegen mich). ... Er hat vergessen, dass die Partei nur der Vortrupp, der Führer der gewaltigen Masse der Arbeiterklasse sein soll, die sich ganz (oder fast ganz) „unter der Kontrolle und Leitung“ der Parteiorganisationen betätigt, die aber der „Partei“ nicht ganz angehört und nicht ganz angehören darf. In der Tat, man sehe sich an, zu welchen Schlüssen Gen. Trotzki infolge seines Grundfehlers gelangt. … Er betrachtet das als traurig, was jeden einigermaßen erfahrenen Revolutionär nur freuen könnte. Würden sich Hunderte und Tausende von Arbeitern, die wegen Streiks und Demonstrationen verhaftet werden, als Nichtmitglieder von Parteiorganisationen herausstellen, so bewiese das nur, dass unsere Organisationen gut sind ...“. (Lenin Werke, Bd. 6, S. 501)

Zu der Auseinandersetzung auf dem Kongress schreibt Serge: „Ohne näher auf die Debatte einzugehen, kann man sagen, dass die Menschewiki die Zusammenarbeit mit der liberalen Bourgeoisie gegen die alte Regierung anstrebten, während die Bolschewiki an einer Auffassung festhielten, die Lenin kurz darauf als „proletarisches Jakobinertum“ bezeichneten.“ (Serge, S. 24) und zu Trotzkis Haltung: „Trotzki hielt sich aus beiden Fraktionen heraus. Da Lenin begonnen hatte, eine streng zentralistische Organisation aufzubauen, deren Ziel die „Hegemonie des Proletariats“ in der revolutionären Bewegung war, bekämpfte Trotzki seine Formulierung.“ (Serge, S. 24)

Diese Darstellung entsprach auch dem Selbstbild Trotzkis, traf aber nicht das Wesen der Auseinandersetzung.

Die Menschewiki boykottierten eine Zeitlang nach dem II. Parteitag, das vom II. Parteitag gewählte Zentralkomitee. Später schloss sich Plechanow den Menschewiki an und so konnten die Menschewiki die Iskra übernehmen. Während dieser Zeit gab sich Trotzki wieder „überfraktionell“. Inhaltlich war er aber auf der Seite der Menschewiki. Die Bolschewiki nahmen Kurs auf den III. Parteitag.

Von August 1904 an wohnte Trotzki ein halbes Jahr in München. Dort lernte er den Sozialdemokraten Parvus persönlich kennen, der großen Einfluss auf ihn ausübte. Zusammen mit Parvus nahm Trotzki an der 1905 Revolution in St.Petersburg teil. Nach der Biographie von Natalia Trotzki, haben beide gemeinsam die trotzkistische Theorie der permanenten Revolution entwickelt: „Mit Trotzki formulierte er (Parvus A.d.V) die Theorie der „permanenten Revolution“, die die Leitlinie der gesamten ersten Phase der künftigen russischen Revolution werden sollte. Nach dieser Auffassung sollte sich die bürgerliche Revolution in Russland nicht stabilisieren, sondern über sich selbst hinauswachsen unter dem unvermeidlichen Druck des Proletariats und des Bauerntum sozialistisch werden und das Zeichen für die sozialistische Revolution in Zentral- und Westeuropa geben“. (Serge, S. 33/34) (1)

 
1904 russisch-japanischer Krieg, die Niederlage des Zarismus und die Revolution 1905

In dem von beiden Seiten räuberischen Krieg zwischen Russland und Japan um die Vorherrschaft im Pazifischen Ozean und die Aufteilung Chinas, standen die Menschewiki auf den Positionen der Vaterlandsverteidigung. Nach der Geschichte der KPdSU auch Trotzki: „Die Menschewiki, darunter Trotzki, sanken auf die Position der Vaterlandsverteidigung hinab, das heißt der Verteidigung des „Vaterlandes“ des Zaren, der Gutsbesitzer und der Kapitalisten.“ (Geschichte der KPdSU, Bolschewiki, Kurzer Lehrgang S. 70)

Die verheerende Lage der ArbeiterInnen und Bauern, die Lasten des Krieges, führten 1905 zur Revolution in Russland.

Die Bolschewistischen Organisationen kamen im April 1905 in London zum III. Partei-Kongress zusammen. Vertreten waren 20 bolschewistische Komitees mit 24 Delegierten.

Parallel dazu veranstalteten die Menschewiki ihre eigene Konferenz in Genf.

Politisch ging es um die Frage der ‘Zwei Taktiken’ in der demokratischen Revolution: Die Bolschewiki sahen die Arbeiterklasse als Führerin der Bauern gegen Zarismus und liberale Bourgeoisie, und sie kämpften für die Diktatur der Arbeiter und Bauern. Die Menschewiki vertraten: die Führung der demokratischen Revolution muss durch die liberale Bourgeoisie gemacht werden und die Arbeiter und Bauern können sie nur unterstützen. In der Folge entstehen faktisch zwei Parteien. Trotzki kehrte illegal nach Russland/Petersburg – Natalja voraus – zurück. Am 1. Mai wurden sie auf Aktionen überfallen. Natalja kam ins Gefängnis. Trotzki ging nach Finnland. In Moskau und Petersburg entstanden Sowjets, von den Parteien unabhängige Arbeitervereinigungen, die gesetzgebende und exekutive Gewalt haben sollten. In Petersburg wird Trotzki zum Vorsitzenden des Sowjets gewählt. In der Revolution gibt es eine gewisse Annäherung in der Praxis an die Bolschewiki. In der Geschichte der KPdSU wird Trotzki zu den Menschewiki gerechnet und die Rolle der Petersburger Sowjet negativ eingeschätzt: „Der Sowjet der Arbeiterdeputierten von Petersburg als Sowjet des größten industriellen und revolutionären Zentrums Russlands, der Hauptstadt des Zarenreiches, hätte in der Revolution von 1905 eine entscheidende Rolle spielen müssen. Der Sowjet erfüllte jedoch infolge seiner schlechten, menschewistischen Führung seine Aufgaben nicht. Bekanntlich war Lenin damals noch nicht in Petersburg, er weilte immer noch im Ausland. Die Menschewiki nützten die Abwesenheit Lenins aus, schlichen sich in den Petersburger Sowjet ein und rissen dessen Führung an sich. Kein Wunder, dass es unter solchen Umständen den Menschewiki Chrustaljow, Trotzki, Parvus und anderen gelang, den Petersburger Sowjet gegen die Politik des Aufstands zu kehren. Anstatt die Soldaten dem Sowjet näher zu bringen und sie in den gemeinsamen Kampf einzubeziehen, forderten sie die Entfernung der Soldaten aus Petersburg. Anstatt die Arbeiter zu bewaffnen und sie zum Aufstand vorzubereiten, rührte sich der Sowjet nicht vom Fleck und stand der Vorbereitung des Aufstands ablehnend gegenüber.“ (Geschichte der KPdSU Bolschewiki, Kurzer Lehrgang, S. 100)

Nach den Dezember Aufständen wird die Revolution unterdrückt. Die Sowjets wurden aufgelöst. Trotzki wurde verhaftet und zu lebenslanger Verbannung verurteilt.

Im Gefängnis schreibt er „Russland in der Revolution“ und „Ergebnisse und Perspektiven“. Nach 13 Monaten Haft wird er in die Verbannung geschickt und floh abermals 1907 mit Parvus. 1906 wird das dritte Kind, ein Junge geboren, ein Jahr später noch ein Sohn. Die nächsten Stationen sind Petersburg – Finnland – Stockholm – das Habsburgische Wien…

 
Strategie der russischen Revolution und der Fraktionskampf

Eine Hauptthese stellte Trotzki sowohl für Russland (das ein imperialistisches, halbfeudales Land war) wie für die Revolutionen in kolonialen Ländern wie China auf: „Die Losung Diktatur der Arbeiter und Bauern … ist falsch … dies ist die Selbstbegrenzung des Proletariats mit der bürgerlichen Demokratie“. Seiner Meinung nach, müsse der Kampf sofort für die Diktatur des Proletariats geführt werden. Er schrieb in der von Rosa herausgegebenen polnischen Zeitung „Sozialdemokratische Rundschau“ 1909: „… gelangen die Bolschewiki, ausgehend von der gleichen bloßen Abstraktion, ‘demokratische, nicht sozialistische Diktatur’, zu der Vorstellung einer bürgerlich-demokratischen Selbstbeschränkung des Proletariats mit der Macht in der Hand … drohen die antirevolutionären Aspekte des Bolschewismus nur im Fall eines Sieges der Revolution zu einer großen Gefahr.“ (Trotzki, Die permanente Revolution, S. 253)

„Die Bauernschaft ist konservativ, kann nicht ein zuverlässiger Bündnispartner sein.“ ... „Ohne die direkte, staatliche Unterstützung des europäischen Proletariats kann die russische Arbeiterklasse die Macht nicht halten, und seine provisorische Herrschaft nicht in eine sozialistische Diktatur umwandeln.“ (ebenda) Das vertrat Trotzki in einem Land, in dem von der erwerbsfähigen Bevölkerung 80 % Bauern und 10 % ArbeiterInnen sind.

Diese These war entscheidend auch für das ganze weitere Konzept der Weltrevolution von Trotzki: Für alle, also auch für alle kolonialen und halbfeudalen Länder stellte er, sehr wortradikal, den Kommunistischen Organisationen die Aufgabe für die Etappe der sozialistischen Revolution zu kämpfen. „Der Versuch der Komintern, den Ländern des Ostens die Parole von der demokratischen Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft aufzuzwingen, die schon vor langer Zeit von der Geschichte widerlegt wurde, kann nur einen reaktionären Effekt erzielen.“ (Trotzki, Die permanente Revolution, S. 48) Damit legte er die Führung der demokratischen Revolution, die in diesen Ländern an der Tagesordnung war in die Hände der nationalen und Kompradoren-Bourgeoisien. Unter dem Deckmantel der Wahrung der reinen Arbeiterinteressen, nutzte er nicht das Potential der werktätigen Bauern und ArbeiterInnen in den kolonialen Ländern als einer Triebkraft der proletarischen Revolution. Dieser Theorie klebte er das Etikett der „permanenten Revolution“ auf. Die Komintern, Lenin und Stalin wiesen praktisch und theoretisch nach, dass die demokratischen, antiimperialistischen Revolutionen in den kolonialen und abhängigen Ländern unter der Führung ihrer Bourgeoisie nicht mehr siegreich sein konnten. Früher oder später verkauften sich diese Bourgeoisien dem Imperialismus, weil sie noch mehr als die imperialistische Versklavung das kämpfende Proletariat fürchteten. Der Imperialismus hatte alle grundlegenden Widersprüche zugespitzt. Und so stand auch in diesen Ländern die Frage demokratische Revolution und Fortschritt zum Sozialismus unter Führung des Proletariats oder Kooperation und Auslieferung an die imperialistischen Großmächte durch die Bourgeoisie. Daher war die einzige Chance die neudemokratische Revolution unter der Führung der kommunistischen Partei im engen Arbeiter- und Bauernbündnis siegreich durchzuziehen. Bündnisse mit der nationalen Bourgeoisie, unter bestimmten Bedingungen auch mit Teilen der Kompradorenbourgeoisie (z.B. im Falle eines nationalen Befreiungskrieges), wurden dabei nicht von vorneherein ausgeschlossen.

Stalin charakterisiert zutreffend den Gehalt der Theorie von Trotzki zur permanenten Revolution: „Erstens. Trotzkismus ist die Theorie der „permanenten“ (ununterbrochenen) Revolution. Was ist nun aber die permanente Revolution nach der trotzkistischen Auffassung? Es ist eine Revolution ohne Berücksichtigung der unbemittelten Bauernschaft als einer revolutionären Kraft. Die „permanente“ Revolution Trotzkis ist, wie Lenin sagt, ein „überspringen“ der Bauernbewegung, ein „Spiel mit der Machtergreifung“. Worin besteht ihre Gefährlichkeit? Darin, dass eine solche Revolution, sollte man versuchen, sie durchzuführen, unvermeidlich mit einem Zusammenbruch enden würde, denn sie würde den Verbündeten des russischen Proletariats, das heißt die unbemittelte Bauernschaft, vom russischen Proletariat loslösen. Daraus erklärt sich auch der Kampf, den der Leninismus schon seit 1905 gegen den Trotzkismus führt.

Wie schätzt Trotzki den Leninismus vom Standpunkt dieses Kampfes ein? Er betrachtet ihn als eine Theorie, die „antirevolutionäre Züge“ aufweist. Worauf beruht dieses grimmige Urteil über den Leninismus? Darauf, dass der Leninismus seinerzeit die Idee der Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft verfocht und sie durchsetzte.

Trotzki beschränkt sich nicht auf dieses grimmige Urteil. Er geht weiter und behauptet: „Das gesamte Gebäude des Leninismus ist gegenwärtig auf Lüge und Fälschung aufgebaut und trägt den Giftkeim seiner eigenen Zersetzung in sich“ (siehe den Brief Trotzkis an TschcheÏdse von 1913). Wie Sie sehen, haben wir es mit zwei entgegengesetzten Linien zu tun.“ (Stalin, Werke, Bd. 6, S. 312)

Die Bolschewiki sahen durch die Zuspitzung der Widersprüche im Imperialismus die herausragend neue Bedeutung der kolonialen und halbkolonialen Bewegungen als Bündnispartner des Proletariats. Durch die Hegemonie des Proletariats in der Diktatur der Arbeiter und Bauern, der neudemokratischen Revolution eröffneten die Bolschewiki zunächst theoretisch und dann praktisch dem Prozess der Weltrevolution eine neue Perspektive. Sie verwirklichte sich nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch in den osteuropäischen Ländern und in China.

Nach einigen Quereelen hat Trotzki sich später wieder mit den Bolschewiki zusammengetan. 1906 fand im April der IV. Kongress in Stockholm statt. Die formelle Einheit der Partei wurde wieder hergestellt. Die Menschewiki waren in der Mehrheit. Der innerparteiliche Kampf ging weiter. 1907-1912 waren Jahre der tiefsten Konterrevolution. Im Mai 1907 wurde der V. Parteikongress in London abgehalten. Vertreten waren als Delegierte 105 Bolschewiki und 97 Menschewiki, ansonsten noch Vertreter des Bundes, der polnischen, lettischen Sozialdemokratischen Parteien. Trotzki versuchte eine zentristische Gruppe zu bilden, es folgte ihm aber niemand. Während seiner Exilzeit in Wien verfasste er zunehmend Artikel über Kunst und Literatur. Trotzki verhielt sich überfraktionell, er versuchte die Fronten zu „versöhnen“. 1908 gab er mit Adolf Joffe die Pravda (nicht zu verwechseln mit der späteren Parteizeitung) heraus. Zu dieser Zeit versuchte vor allem Kamenjev ihn von Lenins Positionen zu überzeugen. Trotzki polemisiert gegen den angeblichen „Substitutionalismus“ (das Stellvertretertum) in der Volksbewegung. So wirft Trotzki den Bolschewiki vor, wie die Dekabristen Mitte des 19. Jahrhundert, stellvertretend für die Mittelschichten, die Narodniki (Volkstümler) im Namen der Bauern, nun als marxistische Intellektuelle stellvertretend für die Arbeiterklasse Politik zu machen!

Diese Zeit war eine Zeit des Terrors, der Reaktion. Die Antwort der Inteligenz und vieler Revolutionäre und schwankender Elemente waren: Gottsuche; Idealismus; Liquidatorentum. Die Liquidatoren teilten sich in Legalisten (Rechtsopportunisten, die jeglichen illegalen Kampf ablehnten und nur legal in der Duma politisch arbeiten wollten) und in Otzowisten (Linksopportunisten, die keinerlei legalen Kampf akzeptierten: Otzowisten bedeutet „Zurückrufer“. Sie forderten die Dumadeputierten der Partei, die ja legal in der Duma [Pseudoparlament des Zarismus] kämpften, sollten abberufen werden. Die Bolschewiki schlossen sie 1909 aus der Partei aus). Trotzki war zu dieser Zeit in Wien, pflegte die Bekanntschaft mit namhaften Vertretern der internationalen Sozialdemokraten und versuchte sie in den innerparteilichen Auseinandersetzungen der SDAPR auf seine Seite zu ziehen.

Ab 1910 wurde wieder verstärkt versucht eine Einigung aller Teile der Partei zu erzielen, gegen das Liquidatorentum. Die Bolschewiki stellten als Voraussetzung für eine Einheit „die Trennung von den Liquidatoren“. Zu diesem Zeitraum gab sich Trotzki wieder als überfraktionell und großer Versöhner aus. Aber in der Praxis vereinigte er sich praktisch mit jedem gegen die Bolschewiki. Diese Haltung wurde von den Bolschewiki als „Zentrismus“ kritisiert, als in der Mitte der verschiedenen miteinander ringenden Gruppen stehend, praktisch sich aber auf die Seite des Opportunismus schlagend. In seiner Schrift „Über die Fraktion der Versöhnler oder der Tugendhaften“ 1911 erläutert Lenin diesen Zentrismus: „Das Versöhnlertum ist eine Summe von Stimmungen, Bestrebungen und Auffassungen, die mit dem eigentlichen Wesen der historischen Aufgabe, vor die die SDAPR in der Epoche der Konterrevolution der Jahre 1908 bis 1911 gestellt ist, unlösbar verknüpft sind. Deshalb ‘verfiel’ in dieser Periode eine ganze Reihe von Sozialdemokraten, von den verschiedensten Voraussetzungen ausgehend, dem Versöhnlertum. Am konsequentesten hat Trotzki das Versöhnlertum zum Ausdruck gebracht; er versuchte fast als einziger, dieser Richtung ein theoretisches Fundament zu geben. Dieses Fundament sieht so aus: Fraktionen und Fraktionswesen seien ein Kampf der Intelligenz ‘um den Einfluss auf das unreife Proletariat’ gewesen. Das Proletariat erlange immer höhere Reife, und das Fraktionswesen gehe von selbst unter. Nicht die Veränderungen in den Beziehungen zwischen den Klassen, nicht die Evolution der grundlegenden Ideen der zwei Hauptfraktionen liege dem Prozess der Verschmelzung der Fraktionen zugrunde, sondern die Sache hänge von der Einhaltung oder Nichteinhaltung der Vereinbarungen zwischen allen ‘Intellektuellen’fraktionen ab. Trotzki predigt denn auch beharrlich – schon seit langem, dabei bald mehr zu den Bolschewiki, bald mehr zu den Menschewiki hinneigend – eine solche Verständigung (oder ein Kompromiss) zwischen allen und jeglichen Fraktionen.“ (Lenin, Werke, Bd. 17, S. 246)

Zu dieser Zeit polemisierte Lenin „Über die Schamröte des Juduschka Trotzki“ (Notiz Januar 1911, Bd. 17, S. 29) und in dem Brief „An die Redaktion der Zeitung ‘Sozialdemokrat’, August 1909 schreibt er: „Was die ‘Prawda’ betrifft – haben Sie den Brief Trotzkis an Inok gelesen? Ich hoffe, Sie haben sich nach der Lektüre dieses Briefes davon überzeugt, dass Trotzki sich wie der niederträchtigste Karrierist und Fraktionsmacher vom Schlage Rjasanows und Co benommen hat? ... Schwätzt von der Partei und benimmt sich schlimmer als alle übrigen Fraktionsmacher.“ (Lenin, Werke, Bd. 34, S. 392)

1912 versuchten die Bolschewiki auf der Grundlage der leninistischen Positionen die Partei wieder auf die Beine zu bringen und auf ein festes Fundament zu stellen. Gegen diese Anstrengungen organisierte Trotzki maßgeblich den August-Block (Block aller Gegner der Bolschewiki). Gegen diesen Block wurde ein Parteiblock gebildet. Im Januar 1912 wurde in Prag eine Parteikonferenz organisiert, wo sich die Bolschewiki die Aufgabe stellten, die Parteireihen von den Opportunisten zu säubern. Es ist die tatsächliche Gründung der Bolschewistischen Partei (SDAPR/B). Der August-Block löste sich als völlig illusorisches Projekt auf.

1914 rechnete Lenin in dem Artikel „Über die Verletzung der Einheit, bemäntelt durch Geschrei über die Einheit“ mit der politischen windigen Haltung Trotzkis ab. Trotzki versuchte durch die Herausgabe einer Zeitschrift weiterhin die Einheit der sich zusammengeschlossenen Partei zu unterminieren. Lenin kennzeichnet hier schon bissig die Methode Trotzkis: „Gerade so spricht Trotzki, der, außerstande, seine Gedanken zu durchdenken und seine Phrasen miteinander in Einklang zu bringen, bald gegen das Fraktionswesen lamentiert und bald schreit: „Die Spaltung macht eine selbstmörderische Eroberung nach der anderen“ (Nr. 1, S. 6). Der Sinn dieser Erklärung kann nur der eine sein: „Die Prawdisten machen eine Eroberung nach der anderen (das ist eine objektive, überprüfbare Tatsache, die durch das Studium der proletarischen Massenbewegung Russlands, sagen wir in den Jahren 1912 und 1913, festgestellt werden kann) aber ich, Trotzki, verurteile die Prawdisten 1.als Spalter und 2. als Selbstmordpolitiker.

Wollen wir das untersuchen.

Vor allem danken wir Trotzki: Vor kurzem (von August 1912 bis Februar 1914) folgte er Th. Dan, der bekanntlich drohte und aufforderte, das Antiliquidatorentum zu ‘vernichten’ Jetzt droht Trotzki nicht mit dem ‘Vernichten’ unserer Richtung (und unserer Partei – seien Sie nicht böse, Bürger Trotzki, das ist doch die Wahrheit!), sondern prophezeit nur, dass sie sich selbst vernichten werde!

Das ist weit milder, nicht wahr? Das ist fast ‘nichtfraktionell’, nicht wahr?

Aber Spaß beiseite (obwohl Spaß die einzige Methode ist, auf die unerträgliche Phrasendrescherei Trotzkis milde zu reagieren).

Das mit dem ‘Selbstmord’ ist einfach eine Phrase, eine hohle Phrase, bloßer ‘Trotzkismus’.“ („Prawdisten“ – die Bolschewiki, sie gaben die Zeitung Prawda heraus) (Lenin, Bd. 20, S. 332/333)

 

Der I. Weltkrieg und die russische Revolution

Bis 1914 war Trotzki Mitglied der menschewistischen SDAPR mit Martow an der Spitze. Auch wenn er darin eine eigene Fraktion den Augustblock gebildet hatte. Während des ersten imperialistischen Weltkrieges verhielt sich Trotzki weitgehend internationalistisch. Er stellte sich gegen die Vaterlandsverteidigung, im Gegensatz zu 1905. Das brachte ihn wieder politisch den Bolschewiki näher. Nach seiner Ausweisung aus der Schweiz (1915) zog Trotzki nach Spanien. Aber sein Zentrismus hielt an. In Zimmerwald, wo es um die Schaffung einer neuen Internationale gegen die II. Sozialdemokratische ging, versuchte er den Bruch mit den Zentristen zu verhindern. Dabei ist er erfolgreich. Lenin charakterisierte Trotzki in dieser Auseinandersetzung so: „Und Trotzki? Nachdem er mit der Partei Martows gebrochen hat, macht er uns weiterhin den Vorwurf, Spalter zu sein. Er bewegt sich allmählich nach links und schlägt sogar vor, mit den Führern der russischen Sozialchauvinisten (das sind die Vaterlandsverteidiger A.d.V.) zu brechen, ohne uns aber endgütig zu sagen, ob er hinsichtlich der Fraktion TschcheÏdse Einheit oder Spaltung will. Und das ist gerade eine der wichtigsten Fragen.

... In Zimmerwald wollte Trotzki sich nicht der „Zimmerwalder Linken“ anschließen. Trotzki vertrat mit der Genossin Roland-Holst das „Zentrum“.“ (Lenin Werke Bd. 23, S. 208)

1916 zog Trotzki mit seiner Frau Natalja in die USA um. Lenin in einem Brief an Ines Armand, 19. Januar 1917: „Es ist auch noch ein Brief von unserer Freundin Kollontai eingetroffen, die … aus Amerika nach Norwegen zurückgekehrt ist. N. Iw. (Bucharin A.d.V.) und Pawlow ... haben, so schreibt sie, den „Nowy Mir“ erobert, ... aber … da kam Trotzki an, und dieser Schuft hat sofort gemeinsame Sache gemacht mit dem rechten Flügel des „Nowy Mir“ gegen die linken Zimmerwalder!! Da haben Sie es!! Das ist Trotzki!! Er bleibt sich immer gleich: voller Winkelzüge, ein Gauner, spielt sich als Linker auf und hilft den Rechten, solange er nur kann.” (Lenin, Werke, Bd.35, S. 265)

Eine breite Debatte in der internationalen Bewegung nahm die Frage des Selbstbestimmungsrechtes der Nationen ein. Lenin kämpft hier besonders gegen falsche Auffassungen der Menschewiki, Trotzkis aber auch Rosa Luxemburgs. In seiner programmatischen Schrift „Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung“ polemisiert Lenin gegen die opportunistische Haltung Trotzkis in dieser Diskussion: „Die Kautskyaner hingegen erkennen heuchlerisch das Selbstbestimmungsrecht an – bei uns in Russland gehen Trotzki und Martow diesen Weg. In Worten sind beide für das Selbstbestimmungsrecht, ebenso wie Kautsky. Aber wie sieht es in Wirklichkeit aus? Bei Trotzki – man nehme seinen Artikel „Nation und Wirtschaft“ im „Nasche Slowo“ – sehen wir seinen gewohnten Eklektizismus: einerseits würden die Nationen durch die Wirtschaft verschmolzen, andererseits durch die nationale Unterdrückung zersplittert. Und die Schlussfolgerung? Die Schlussfolgerung ist, dass die herrschende Heuchelei nicht entlarvt wird, dass die Agitation ohne Leben bleibt und das Wichtigste, Grundlegende, Wesentliche, der Praxis Nächstliegende gar nicht berührt – das Verhältnis zu der Nation, die von ‚meiner’ Nation unterdrückt wird. … Was immer die subjektiv ‚edlen’ Absichten Trotzkis und Martows sein mögen, objektiv unterstützen sie durch ihre ausweichende Haltung den russischen Sozialimperialismus“. (Lenin Werke, Bd. 22, S. 367 ff.)

Die Nachricht über die Februarrevolution erreichte Trotzki in den USA. Der Zar wurde abgesetzt und die bürgerlich provisorische Regierung unter dem Fürsten Lwow und seinem Kriegsminister Kerenski gebildet. Zugleich entstanden wieder die Sowjets/Räte als Machtorgane der Massen. Es kam die Zeit der Doppelherrschaft von Regierung und Sowjets. Doppelherrschaft bedeutete, dass die Sowjets/Räte neben der provisorischen Regierung Machtorgane waren, die ‘basis’demokratisch in den Betrieben und Wohnvierteln regierten und sich auf die bewaffnete Macht der ArbeiterInnen und Bauern stützten.

Auf dem Weg nach Russland wurde Trotzki in Halifax (Kanada) festgenommen und in ein Internierungslager gebracht. Daraufhin setzte der Petrograder (ehem. St. Petersburg) Sowjet die Provisorische Regierung unter Druck, sich für die Freilassung Trotzkis einzusetzen. Trotzki kam frei und erreichte im Mai 1917 Petrograd. Dort schloss er sich der zentristischen Partei „Überregionale Organisation Vereinigter Sozialdemokraten“ an, welche angeblich das Ziel hatte, die Bolschewiki und Menschewiki auszusöhnen. Er fing an im Sowjet zu arbeiten und verteidigte die richtige Linie, die Sowjets sollten alle Macht übernehmen. Inzwischen hatte die bolschewistische Partei die Aprilthesen Lenins angenommen und Kurs auf die sozialistische Revolution genommen.

„Alle Macht den Räten“ war die Hauptlosung. Die Bolschewistische Partei hatte an alle Internationalisten, und an alle, die Zusammenarbeit mit der Provisorischen Regierung ablehnenden Revolutionäre, den Aufruf gemacht, sich der bolschewis tischen Partei anzuschließen. Die theoretischen Positionen deckten sich nun mit den praktischen Fragen der Revolution.

Die Partei Trotzkis hatte nach internen Debatten beschlossen sich der Bolschewistischen Partei anzuschließen. Dabei spielten die Juli-Ereignisse auch eine wichtige Rolle. Mitte Juli 1917 brach ein nicht genug vorbereiteter Aufstand in Petrograd los. Auslöser war die Weiterführung des Krieges durch die bürgerliche Regierung und die Niederlage an der Front. Der Aufstand wurde blutig unterdrückt. Die Menschewiki gingen vollständig auf die Seite der Konterrevolution über. Die Doppelherrschaft hatte de facto aufgehört zu existieren. Lenin verfasste seine „April-Thesen“ die den Übergang zur sozialistischen Revolution vorbereiteten. Die Bolschewistische Partei wurde zum Hauptangriffsziel der Bourgeoisie mit dem „deutschen Agenten Lenin“ an der Spitze. Lenin musste nach Finnland in den Untergrund. Die Bolschewistische Partei hielt unter diesen Bedingungen, zwischen dem 26. Juli – 3. August 1917 illegal in Petrograd ihren VI. Parteikongress ab. Die Partei nahm Kurs auf die Aufstandsvorbereitung.

In den Julitagen hatte die „Zwischengruppe“ (die Gruppe Trotzkis wurde so genannt) praktisch dieselbe Haltung angenommen wie die Bolschewiki. Ihr Antrag zur Aufnahme in die Bolschewistische Partei wurde vom VI. Kongress der Partei angenommen. So wurde Trotzki, der in Haft war, Mitglied der SDAPR. Er wurde in Abwesenheit in das ZK gewählt. Ein Beispiel trotzkistischer Geschichtsklitterung sei hier angeführt. In der Reihe theorie.org ist in dem Band „Trotzkismus – Einführung in seine Grundlagen – Fragen nach seiner Zukunft“ folgende Version nachzulesen: „In den Monaten zwischen Februar- und Oktoberrevolution von 1917 näherte Lenin seine Position derjenigen Trotzkis weitgehend an, was auch den Eintritt Trotzkis und seiner Anhänger in die bolschewistische Partei ermöglichte“ (S. 53) Das ist definitiv falsch. Lenin hat seine Positionen kein Gramm verrückt. Nur die demokratische Revolution war durchgeführt, das Proletariat ging zur proletarischen Revolution über und da sprang Trotzki sozusagen auf den abgefahrenen Zug auf. Theoretisch rechtfertigte er seine Position damit, dass jetzt sein Modell der „reinen“ proletarischen Revolution sich durchgesetzt habe.

Trotzki verteidigte Lenin von der Tribüne der vereinigten Sowjets der Arbeiter, Soldaten und Bauern gegen die Verleumdungen, er sei ein Agent Deutschlands und verfasste einen offenen Brief an die provisorische Regierung, in der er ihn in Schutz nimmt. „Jeder glaubt, dass er an Lenin hinterrücks Rufmord begehen kann (…). Wer Lenin als deutschen Agenten bezeichnet, ist ein Schuft!“ (Serge, S. 58) Er wurde deswegen am 24. Juli wieder in Haft genommen und Mitte September freigelassen. Am 23. September wurde er zum Vorsitzenden des Petrograder Sowjets gewählt. Er organisierte in dieser Funktion die „Kampfverbände der Roten Garde.“ In der Parteileitung lief eine heiße Debatte darüber, ob die Zeit reif für den bewaffneten Aufstand war. Sinowjev und Kamenjev hielten den Aufstand für verfrüht und als militärisches Abenteurertum. Lenin trat vehement für den Aufstand ein. Trotzki stimmte auch für den Aufstand, mit der Begründung, die Machtübernahme in Russland, würde die Initialzündung für die Revolution in Europa sein.

„Unsere ganze Hoffnung setzen wir darauf, dass unsere Revolution die europäische Revolution entfesseln wird. Werden die aufständischen Völker Europas den Imperialismus nicht erwürgen, dann werden wir erwürgt werden. Das ist unbestreitbar. Entweder wird die russische Revolution einen Sturm des Kampfes im Westen hervorrufen, oder die Kapitalisten aller Länder werden unsere Revolution erdrosseln.“ (Rede am 26. Oktober 1917, im Allrussischen Sowjetkongress, zitiert in Victor Serge, „Leo Trotzki Leben und Tod“ S. 89/90)

Am 10. Oktober 1917 fasste das ZK der Bolschewistischen Partei den Aufstandsbeschluss. Militärrevolutionäre Komitees in Petrograd, und Moskau wurden gebildet.

Am 26. Oktober war der organisierte Aufstand in Petrograd und Moskau erfolgreich. Der II. Gesamtrussische Kongress der Arbeiter und Soldaten Deputierten wählte eine Regierung der Sowjets der Volkskommissare. Die ersten Dekrete über Frieden und über den Grund und Boden wurden verabschiedet. In der Regierung der Volkskommissare waren nur Bolschewiki. Die Parteien in der Duma lehnten die Anerkennung der neuen Regierung ab. Die Duma wurde später aufgelöst. Der 1.Akt der Oktoberrevolution war beendet.

Anmerkung:

1) Alexander Parvus (Israel Lazarevich Helphand) war jüdischer Sozialdemokrat aus Weißrussland. Er war politischer Migrant, der in vielen Ländern Europas lebte, vor allem in Deutschland. Parvus war Mitglied der SPD und einer ihrer Theoretiker. 1906 Deportation nach Sibirien und Flucht nach Deutschland. In einer dubiosen Finanzaktion hat er Autorengelder von Maxim Gorki veruntreut. Die Bolschewiki machten diesen Skandal öffentlich und die SPD Zeitungen veröffentlichten keine Artikel mehr von ihm. Die SPD-Linke distanzierte sich von Parvus. Parvus lebte von 1910-1914 in der Türkei, schloss sich politisch den Jungtürken an und war ein Vordenker des Kemalismus. Er begründete ein Handelsunternehmen, beteiligte sich an Rüstungsgeschäften und war Generalvertreter deutscher Konzerne wie Krupp, aber auch englischer Rüstungsunternehmen. Er verdiente ein Vermögen an den Balkankriegen des osmanischen Reiches. Er arbeitete bereits in der Türkei mit amtlichen deutschen Stellen zusammen. Zurück in Europa wurde er einer der Theoretiker des „Kriegssozialismus“ der SPD, d.h. der Rechtfertigung der Vaterlandsverteidigung im 1. imperialistischen Weltkrieg. Trotzki trennte sich bei Beginn des 1. Weltkrieges von ihm. Parvus arbeitete seit 1915 gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt des Deutschen Reiches an Plänen zum Sturz des Zarismus. Er hat dafür hohe Summen vom deutschen Staat einkassiert. Im Rahmen seiner Geheimdienstaktivitäten organisierte er die Durchreise Lenins in Deutschland mit.

 Literatur

Leo Trotzki, Denkzettel, Politische Erfahrungen im Zeitalter der permanenten Revolution, Hrg.Deutscher u.a., edition suhrkamp, 1981

Leo Trotzki, Verratene Revolution, Raubdruck

Leo Trotzki, Die permanente Revolution, Fischer Bücherei, 1969 u. Verlag neue kritik frankfurt, 1965

Leo Trotzki, Stalin, Eine Biographie, Pawlak

Leo Trotzki, Mein Leben, Versuch einer Autobiographie, Dietz Verlag, 1990

Lenin über Trotzki, Marxistische Taschenbücher, 1970

Victor Serge, Leo Trotzki, Leben und Tod, Europaverlag, 1973

Heinz Abosch, Trotzki und der Bolschewismus, Ullstein Materialien, 1984

Manuel Keller, Trotzkismus, Einführung in seine Grundlagen – Fragen nach seiner Zukunft, Reiher theorie.org, Schmetterling Verlag, 2004

Max Seydewitz, Die große Alternative (Trotzkismus-Kritik 1938), reprint ML-LitVertrieb, Wien 2003

Stalin, Werke

Lenin, Werke 

DOKUMENTIERT  

 
 

 
 
 
 
 

 
 

In der heutigen trotzkistischen Geschichtsschreibung werden die Differenzen zwischen Lenin und Trotzki, die scharfe Kritik Lenins am Opportunismus Trotzkis völlig verharmlosend dargestellt. „Bis zum Jahr 1923 war Trotzki neben Lenin der führende Bolschewik mit dem größten Prestige in Sowjetrussland … Seine Rolle wurde später unter Stalin systematisch verfälscht und er selbst als Konterrevolutionär und Agent des Klassenfeinds und sogar Hitlers diffamiert. Seine wirklichen Meinungsverschiedenheiten mit Lenin (der nach seinem Tod zum Säulenheiligen gemacht wurde) oder mit der Mehrheit der bolschewistischen Führung, sei es in früheren Jahren, sei es in der Zeit der jungen Sowjetrepublik – als kontroverse Debatten noch ganz selbstverständlich waren – wurden zu diesem Zweck maßlos aufgebauscht und in gänzlich verzerrter Weise dargestellt.“ (Manuel Keller, Trotzkismus, S. 25) Die LeserInnen können sich selbst davon überzeugen, ob die Kritiken Lenins völlig untergeordnete Punkte oder fundamentale Kritiken an opportunistischen Grundpositionen und vor allem auch Methoden Trotzkis waren.


Teil II

Vorbemerkung:

Die Kapitel im ersten Teil dieser Schrift in der Trotz Alledem Nr. 48 lauteten:

* 1903 II. Parteitag der SDAPR, * 1904 russisch-japa­nischer Krieg, die Niederlage des Zarismus und die Revolution 1905, * Strategie der russischen Revolu­tion und der Fraktionskampf, * Der l. Weltkrieg und die russische Revolution.

Wir beendeten dieses letzte Kapital mit dem Sieg der Oktoberrevolution. Ergänzend möchten wir noch ei­nige Gedanken hinzufügen: In unserem Artikel cha­rakterisierten wir Trotzkis Haltung zum Aufstand, im Gegensatz zu der ablehnenden von Sinowjew und Kamenjew, so: „Trotzki stimmte auch für den Auf­stand, mit der Begründung, die Machtübernahme in Russland, würde die Initialzündung für die Revolution in Europa sein." (TA 48, S. 45) Was wir nicht erwähn­ten ist, dass es über den Zeitpunkt des Aufstandes sehr wohl auch schwerwiegende Widersprüche zwi­schen Lenin und Trotzki gab. Kern der Frage war, soll auf die Einberufung des Sowjetkongresses gewartet oder sofort zu den Waffen gegriffen und zum Auf­stand übergegangen werden. Trotzki, Vorsitzender des Petrograder Sowjets, trat für ein Abwarten ein.

Trotzki in seiner Rede vor dem Petrograder Sowjet am 16.Oktober: „Ich erkläre im Namen des Petrogra­der Sowjet, daß wir uns zu keinen bewaffneten Aktio­nen entschlossen haben ...Der Petrograder Sowjet wird dem Kongreß der Sowjets vorschlagen, daß sie die Macht übernehmen." (Trotzki, Geschichte der russischen Revolution, Bd. 3, S. 332)

Lenin hingegen in seinem Artikel am 7. Oktober „Die Krise ist herangereift": „Auf den Sowjetkongreß zu ,warten' ist deshalb absolute Idiotie, weil es bedeutet Wochen zu verlieren, zumal Wochen und sogar Tage jetzt alles entscheiden ...Den Sowjetkongreß ,abzuwarten' ist Idiotie, denn der Kongreß wird nichts ergeben, kann nichts ergeben!" (Le­nin, Werke, Bd. 26, S.66) und in seinem Brief vom 14. Oktober an das ZK, das Moskauer Komitee, das Pe­trograder Komitee und an die bolschewistischen Mit­glieder der Sowjets von Petrograd und Moskau: „Die Ereignisse schreiben uns so klar unsere Aufgabe vor, daß eine Verzögerung entschieden zum Verbrechen wird ...die Bolschewik! haben nicht das Recht, auf den Sowjetkongreß zu warten, sie müssen die Macht sofort ergreifen!".(Lenin, Werke, Bd. 26, S. 125)

SU

TROTZKI (biographische Notizen) KAMPF UM DEN WEG DER REVOLUTION UND DEN AUFBAU DES SOZIALISMUS IN DER KPdSU (Kommunistische Partei der Sowjetunion):

 

Separat-Frieden mit Deutschland
In den Revolutionstagen wurden die Meinungsunterschiede zwi­schen Trotzki und den Bolschewik! in den Hintergrund gedrängt. Es schien, als ob der ehemalige Zen­trist tatsächlich die bolschewisti­schen Positionen übernommen hätte. Dass dies nicht der Fall war, wurde aber sehr schnell klar: Die Revolution hat gesiegt, die Dik­tatur des Proletariats war errichtet, der Kampf gegen den Weltimperia­lismus und für den Aufbau des So­zialismus ging weiter! Trotzki, der Anfang September 1917 - kurz vor dem Aufstand Mitglied des ZK der SDAPR/B wurde - wird in der neuen Sowjetregierung zum Volks­kommissar für Äußere Angele­genheiten ernannt. Die Sowjet­macht erklärte einseitig das Ende der Teilnahme Russlands am 1. Weltkrieg und rief alle Völker zu Friedensverhandlungen auf. Nur das geschwächte imperialistische Deutschland trat in separate Frie­densverhandlungen mit der So­wjetregierung ein. Diese hatte den Beschluss gefasst, mit Deutsch­land möglichst schnell einen Frie­densvertrag zu unterzeichnen. In Brest Litowsk trafen sich die Ge­sandten beider Seiten. Am 3. De­zember 1917 begannen die Ver­handlungen. Die Sowjetdelegation wurde von Trotzki geleitet. Am 5. Dezember wurde ein Waffenstill­standsabkommen erzielt. Dann be­gannen die Friedensverhandlun­gen. Die Vertragsentwürfe des deutschen Imperialismus waren ein brutales ,Friedensdiktat' und be­deuteten schwere Verluste für die junge Sowjetmacht. In der Partei gab es eine scharfe, kontroverse Debatte über die Annahme bzw. Ablehnung des Friedensvertrages. Ein ultralinker Flügel in der bol­schewistischen Partei um Bucharin / Radek lehnte diesen prinzipiell ab und forderte, den revolutionären Krieg gegen den deutschen Impe­rialismus zu führen. Trotzkis Taktik war „Weder Krieg noch Frieden" und in seiner Funktion als Verhand- lungsführer, entgegen dem Be-schluss der Sowjetregierung, „Zeit zu schinden", um das deutsche Heer an der Ostfront zu binden und damit dem Proletariat im Westen den Rücken frei zu kämpfen. Die deutsche Armee hielt er für nicht mehr kriegsbereit. Lenin trat für die sofortige Unterzeichnung des Frie­densvertrages ein. Er schätzte voll­kommen richtig ein, dass das rus­sische Volk eine Atempause brauchte, dass ihm so viele Opfer im Krieg abverlangt wurden, dass es nicht bereit war, in einen revolu­tionären Krieg gegen den deut­schen Imperialismus zu ziehen. Des weiteren kritisierte er die Unterschätzung der Kampffähig­keit des Deutschen Heeres, auch damit sollte er Recht behalten. Die Taktik Trotzkis hatte die deut­sche Heeresführung, mit der Be­gründung, Russland wolle keinen Frieden, dazu gebracht, am 18. Fe­bruar 1918 in Russland einzumar­schieren. Am Ende musste das re­volutionäre Russland einen Frie­densvertrag mit noch viel schlechteren Bedingungen, als die ersten Vertragsentwürfe des deutschen Imperialismus vorsahen, abschließen. Polen, Lettland und Estland wurden von deutschen Truppen besetzt, die Ukraine wurde zum Vasallenstaat des Deutschen Reiches! Trotzki wurde massiv kritisiert, und musste sich vom Volkskommissariat für Auswärtiges zurückziehen. Im März 1918 begann der VII. Kongress der SDAPR/B. In seinem Bericht auf diesem Parteitag über den Brester Frieden bewertet Lenin die Bedeutung der Auseinandersetzung: „...die schwere Krise, die unsere Partei durchmacht, angesichts der Entstehung einer linken Opposition innerhalb der Partei, eine der größten Krisen ist, die die russische Re­volution durchzumachen hat." („Geschichte der KPdSU(B) Kurzer Lehrgang", S. 272) Der Friedens­vertrag wird mit großer Mehrheit vom Parteitag bestätigt. Auf dem VII. Parteitag wird auch der Name der Partei in Kommuni­stische Partei Russlands (Bolsche­wiki) geändert, 1925 auf dem 14. Parteitag in Kommunistische Partei der Sowjetunion (Bolschewiki). Am 14. März 1918 wird Trotzki zum Volkskommissar für das Kriegs­wesen ernannt. Trotzki beginnt mit dem Aufbau der Roten Arbeiter und Bauernarmee. Der Frieden mit Deutschland war geschlossen, die Antwort der Ententemächte war der Interventionskrieg in Sowjet­russland. Die Großmächte Eng­land, Frankreich, USA und Japan besetzten sowjetisches Territorium ohne Kriegserklärung. Verbündet waren sie mit den gestürzten Klas­sen, den Gutsbesitzern und Kapita­listen und deren militärischen For­mationen, also der inneren russi­schen Konterrevolution. Die ehemalige zaristische Armee wurde von allen ausländischen Imperiali­sten unterstützt. 70.000 Japaner, 2.500 Briten, 1.500 Franzosen, 1.500 Italiener, 8.000 US Soldaten und Polen kämpften in Russland gegen die rote Macht. Es begann der Bürgerkrieg in Russland gegen die inneren und äußeren Feinde, der bis 1922 andauerte. Um den Interventionen der geballten impe­rialistischen Offensive gegen die junge Sowjetunion widerstehen zu können, wurden ehemalige zaristi­sche Offiziere als „Militärspeziali­sten" in der Roten Armee einge­setzt. Bisher wurden in den Roten Garden die Offiziere von den Mannschaften gewählt. Soldaten wählten ihre Offiziere, das wurde von Trotzki abgeschafft. Im März 1919 tritt der l. Kongress der III. Internationale (Komintern) in Moskau zusammen.
 
Grundfragen des Überlebens des ersten sozialistischen Staates
Von 1918 bis zum Tode Lenins 1924 brachen immer neue, tiefge­hende Meinungsunterschiede zwi­schen Lenin und Trotzki auf. Die wichtigsten betrafen die Frage, ist es möglich, den Sozialismus in Russland zu errichten, die Politik gegenüber den Bauern, Fragen der Neuen Ökonomischen Politik (NÖP), die Rolle der Gewerk­schaften und die Arbeitsweise der Kommunistischen Partei. Im März 1919 findet der VIII. Par­teitag der KPR/B statt. Ein neues Parteiprogramm wird auf dem Parteitag angenommen: „In dem Programm werden die konkreten Aufgaben der Partei im Kampf für den Sozialismus eingehend darge­legt: Zuendeführung der Expropria­tion der Bourgeoisie, Leitung der Wirtschaft des Landes nach einem einheitlichen sozialistischen Plan, Teilnahme der Gewerkschaften an der Organisierung der Volkswirt­schaft, sozialistische Arbeitsdiszi­plin, Ausnutzung von Spezialisten in der Volkswirtschaft unter Kon­trolle der Sowjetorgane, allmähli­che und planmäßige Einbeziehung der Mittelbauernschaft in die sozia­listische Aufbauarbeit." (Geschichte der KPdSU(B), S. 314) 1920 folgt Ende März der IX. Par­teitag, auf dem der Plan zum öko­nomischen Aufbau des Sozia­lismus in Russland verabschiedet wurde. Der leninsche Slogan lautet: Kommunismus = Sowjetmacht + Elektrifizierung!
Ein Jahr später, März 1921 folgt der X. Parteitag der KPR/B. Er fand in einer sehr kritischen Zeit der Diktatur des Proletariats statt. Der Krieg war beendet. Der Kriegs­kommunismus, der die Bauern durch die Ablieferungspflicht stark beschränkte, musste nun umge­wandelt werden. Auch in der Arbei­terklasse kam es zur Unzufrieden­heit als Resultat von Hunger und völliger Erschöpfung der Kräfte. Die Klassenbasis der KP begann zu bröckeln. In dieser Situation setzten die Sozialrevolutionäre und Menschewiki zusammen mit den Weißgardisten auf die Option des Sturzes der Diktatur des Proletari­ats, indem sie diese Unzufrieden­heit für Aufstände nutzten. Die Lo­sung lautete nicht mehr „Nieder mit den Sowjets!" sondern „Für die So­wjets, aber ohne Kommunisten". Die heftigste Auseinandersetzung entwickelte sich unter den Matro­sen der Roten Armee in der Fe­stung Kronstadt. Die Konterrevolu­tion jubilierte. Der X. Parteitag schickte seine Delegierten zum Kampf nach Kronstadt/Petrograd und Trotzki war einer der militäri­schen Führer der Niederschlagung des Aufstandes!
Verschiedene Fraktionen und Gruppierungen in der Partei lagen in heftigen politischen und ideolo­gischen Kämpfen um den richtigen Weg zum Aufbau des Sozialismus: Die „Arbeiteropposition", „Links­kommunisten", „Demokratische Zentralisten" und Trotzki. Eine Fra­ge in der sich die Positionen scharf zuspitzten, war die Gewerkschafts­frage.
 
Gewerkschaften -Staats- oder Massenorganisationen?
Trotzki versuchte die Methoden der militärischen Kriegsführung auf die Gewerkschaftsarbeit zu über­tragen. Erforderte: „Die Schrauben anzudrehen", „Die Gewerkschaften
durchschütteln", „Verstaatlichung der Gewerkschaften", „Dekrete er­lassen und Militarisierung" zur Aus­richtung der Gewerkschaften. Trotzki in seiner Autobiographie: „Ich sah im System des Kriegskom­munismus, der alle vorhandenen Mittel mindestens im Prinzip natio­nalisierte und nach den Bedürfnis­sen des Staates verteilte, keinen Platz für eine selbständige Rolle der Gewerkschaften. Stützte sich die Industrie auf die staatliche Ver­sorgung der Arbeiter mit den nöti­gen Produkten, so mußten die Ge­werkschaften in das System der staatlichen Verwaltung der Indu­strie und der Verteilung der Pro­dukte eingefügt werden. Das bilde­te den Kern der Frage über die Ver­staatlichung der Gewerkschaf­ten. ..."(Trotzki, S. 414)
Um in den ganzen Zusammenhang und die Tragweite der Debatte über die Gewerkschaftsfrage halbwegs einzudringen haben wir Stalins Be­wertung über Entwicklung und Ge­halt der Diskussion, sowie die Hal­tung Lenins ausführlich dokumen­tiert. Lenin und Sta­lin standen auf einer gemeinsamen Position gegen Trotzki. Damit ist auch nachgewiesen, dass das Wü­ten Trotzkis gegen Stalin im Grun­de auch gegen Lenin gerichtet ist. Lenin hält direkt zur Gewerk­schaftsfrage eine „Rede, gehalten in der gemeinsamen Sitzung der Mitglieder der KPR(B) unter den Delegierten des VIII. Sowjetkon­gresses sowie den Mitgliedern des Gesamtrussischen Zentralrates und des Moskauer Gouverne­mentsrats der Gewerkschaften, 30. Dezember 1920 - 'Über die Ge­werkschaften, die gegenwärtige Lage und die Fehler Trotzkis': „Als wichtigstes Material dient mir die Broschüre des Gen. Trotzki 'Über die Rolle und die Aufgaben der Gewerkschaften'. Vertiefe ich mich in diese Broschüre und ver­gleiche sie mit den Thesen, die er im Zentralkomitee vorgelegt hat, so staune ich, welch eine Unmenge theoretischer Fehler und himmel­schreiender Unrichtigkeiten in ihr zusammengetragen ist. Wie konnte man, wenn man sich zu einer gro­ßen Parteidiskussion über diese Frage anschickte, ein so missrate-nes Zeug fabrizieren, anstatt etwas gründlich Durchdachtes vorzule­gen?" (Lenin, Werke, Bd. 32, S. 1-2)
Inhaltlich geht es um die zentrale Frage, die Trotzki einfach unter den Tisch fallen lässt „Die Gewerk­schaften sind nicht nur historisch notwendig, sie sind auch eine hi­storisch unumgängliche Organisa­tion des Industrieproletariats, das unter den Verhältnissen der Dikta­tur des Proletariats fast in seiner Gesamtheit von ihr erfaßt wird. Das ist die Erwägung, die allem zugrun­de liegt, und das wird von Gen. Trotzki ständig vergessen, davon geht er nicht aus, das versteht er nicht zu würdigen". (Lenin, ebenda)
Und weiter: „Überhaupt besteht der kolossale Fehler, der prinzipiel­le Fehler darin, daß Gen. Trotzki die Partei und die Sowjetmacht zu­rückzerrt, wenn er jetzt die Frage ,prinzipieir stellt. Wir sind Gott sei Dank von den Prinzipien zur prakti­schen, sachlichen Arbeit überge­gangen." (Lenin, ebenda, S. 4) „Nach ihm (Trotzki) ist der Schutz der materiellen und geistigen Inter­essen der Arbeiterklasse nicht Sa­che der Gewerkschaften im Arbei­terstaat. Das ist ein Fehler. Gen. Trotzki spricht vom ,Arbeiterstaat'. Mit Verlaub, das ist eine Abstrak­tion. Als wir 1917 vom Arbeiterstaat schrieben, war das verständlich, sagt man aber jetzt zu uns „Wozu und gegen wen soll die Arbeiter­klasse geschützt werden, wo es doch keine Bourgeoisie gibt, wo wir doch einen Arbeiterstaat haben, so begeht man einen offensicht­lichen Fehler. Es ist nicht ganz ein Arbeiterstaat, das ist es ja gerade. Hier liegt eben einer der grundle­genden Fehler des Gen. Trotzki... Wir haben in Wirklichkeit nicht ei­nen Arbeiterstaat, sondern einen Arbeiter-Bauernstaat.... Aber nicht genug damit. Aus unserem Partei­programm ... ist bereits ersichtlich, daß unser Staat ein Arbeiterstaat mit bürokratischen Auswüchsen ist. Ja, mit diesem traurigen - wie soll ich mich ausdrücken - Etikett mussten wir ihn versehen. ...Da ha­ben sie die Realität des Über­gangs. Was meinen Sie, haben in einem praktisch derart beschaffenen Staat die Gewerkschaften nichts zu schützen, kann man ohne sie auskommen, wenn man die materiellen und geistigen Interessen des in seiner Gesamtheit orga­nisierten Proletariats schützen will?" (Lenin, ebenda, S. 7, Hervor­hebung von uns)
 
Über die Verschärfung der Ausein­andersetzung bis hin zur „Krise in der Partei" urteilt Lenin so: „Das ZK wählt eine Gewerkschaftskommis­sion, der auch Gen. Trotzki ange­hört. Trotzki weigert sich, in dieser Kommission zu arbeiten, und erst durch diesen Schritt erfährt der ur­sprüngliche Fehler des Gen. Trotz­ki eine Übersteigerung, die im weiteren zur Fraktionsmacherei führt. Ohne diesen Schritt wäre der Fehler des Gen. Trotzki (das Einbringen falscher Thesen) ganz geringfügig, von der Art, wie er wohl schon allen ZK-Mitgliedern ohne jede Ausnahme unterlaufen ist." (Lenin, Werke Bd. 32, S. 29, Hervorhebung von uns)
Trotzkis ,Thesen' sind politisch schädlich. Seine Politik ist letzten Endes eine Politik des bürokratischen Herumzerrens an den Gewerkschaf­ten." (ebenda, S. 26)
Im „Referat auf dem gesamtrussi­schen Verbandstag der Bergarbei­ter" (1921) macht Lenin die Dimen­sionen der Meinungsverschiedenheiten und der fatalen Methoden Trotzkis deutlich:
Ich frage, vom Standpunkt des fraktionellen Auftretens: ziemt es sich für eine so angesehene Per­sönlichkeit, einen so bedeutenden Führer, in dieser Weise gegen Parteigenossen aufzutreten? Ich bin überzeugt, daß 99 Prozent der Genossen, ausgenommen nur diejenigen, die sich in den Haaren liegen, sagen werden, daß man so nicht auftreten darf. ... Im November trat die Gesamtrussi­sche Konferenz zusammen und auf dieser Konferenz fällt das Schlagwort vom ,Durchrütteln'. Es war ein Fehler von Trotzki, daß er das gesagt hat. Es ist politisch klar, daß ein solches Herangehen an die Dinge zur Spaltung und zum Sturz der Dik­tatur des Proletariats führt." (Lenin, Werke Bd. 32, S. 40/41)
Nicht um ein Haar besser steht es mit Trotz­ki. Er tritt mit der Beschuldigung auf; Lenin möchte die Diskussion über den Kern der Frage um jeden Preis absetzen und hintertreiben" (S. 65)
Er (Trotzki) erklärt: Warum ich der Kommission nicht beigetre­ten bin, habe ich im ZK klar gesagt: solange mir, genauso wie allen an­deren Genossen, nicht gestattet wird, diese Fragen in vollem Um­fang in der Parteipresse aufzurol­len, verspreche ich mir von der Be­handlung dieser Fragen hinter ver­schlossener Tür und somit auch von der Arbeit in der Kommission keinerlei Nutzen'." (S. 69)
Und das Ergebnis? Es ist noch kein Monat verstrichen, seitdem Trotzki am 25. Dezember mit der, breiten Diskus­sion' begonnen hat, und es wird sich unter hundert verantwortlichen Parteiarbeitern kaum einer finden, dem diese Diskussion nicht zum Halse heraushinge, der ihre Zwecklosigkeit (wenn nicht noch Schlim­meres) nicht erkannt hätte. Denn Trotzki hat der Partei Zeit geraubt mit einem Streit um Worte, um schlechte Thesen, und als Behand­lung ,hinter verschlossener Tür' hat er gerade die sachliche, der Wirt­schaft dienliche Behandlung in ei­ner Kommission beschimpft, die sich die Aufgabe gestellt hätte, die praktischen Erfahrungen zu studie­ren und zu überprüfen, um aus die­sen Erfahrungen zu lernen und in der wirklichen ,Produktions'arbeit vorwärtszuschreiten, anstatt zu­rück, von der lebendigen Sache zur toten Scholastik aller möglichen ,Produktionsatmosphären' ". (Le­nin, Noch einmal über die Gewerk­schaften, Januar 1921 Werke, Bd. 32, S. 77)
Wird sich auch nur ein ernster, von fraktioneller Eigenliebe der,Zektran'- [Zektran - Zentralko­mitee des Vereinigten Gewerk­schaftsverbandes der Eisenbahn-Schifffahrtsarbeiter 1920] oder der ,Puffer'fraktion nicht verblendeter Mensch finden, der im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ein solches Auftreten eines s o maßgeben­den Führers, wie es Trotzki ist, in den Frage der Gewerkschaftsbe­wegung für revolutionär zweckmäßig hielte??" (ebenda, S. 63)
Die Gewerkschaften sind das Re­servoir der Staatsmacht, eine Schule des Kommunismus, eine Schule des Wirtschaftens. Auf die­sem Gebiet ist das Spezifische und Wichtigste nicht die Verwaltung, sondern die ‚Verbindung' ,zwischen der zentralen' (und na­türlich auch der örtlichen), Staats­verwaltung der Volkswirtschaft und den breiten Massen der Werktäti­gen' (wie es in unserem Parteipro­gramm, Paragraph 5 des wirt­schaftlichen Teils, der den Gewerk­schaften gewidmet ist, heißt.)". (ebenda, S. 89)
 
Wir haben vielleicht die Geduld un­serer Leser mit so vielen Zitaten sehr strapaziert, aber wir denken, gerade um sich eine selbständige Bewertung der Auseinanderset­zungen anzueignen, ist es wichtig, möglichst auch mit den Originalzi­taten zu arbeiten. Der X. Parteitag billigte mit großer Mehrheit die Thesen Lenins in der Gewerk­schaftsfrage.
 
Einheit der Partei und Freiheit der Kritik
Eine weitere zentrale Differenz auf dem X. Parteitag war die Frage nach den Normen des innerpartei­lichen Kampfes. Um die Hand­lungsfähigkeit der Partei zu wah­ren, den ideologischen Kampf in richtige Bahnen zu lenken, wird der Beschluss über die Einheit der Par­tei mit einer großen Mehrheit gefasst. Dieser beinhaltet auch das Verbot Fraktionen in der KP Russ­lands zu bilden: „In Anbetracht der gewaltigen Gefahr, die das Vorhan­densein fraktioneller Gruppen für die bolschewistische Partei und für die Diktatur des Proletariats dar­stellte, widmete der X. Parteitag der Frage der Einheit der Partei be­sondere Aufmerksamkeit. Das Re­ferat zu dieser Frage hielt Lenin. Der Parteitag verurteilte alle oppo­sitionellen Fraktionierungen und betonte, daß diese 'in Wirklichkeit den Klassenfeinden der proletari­schen Revolution helfen'. Der Par­teitag gab die strikte Weisung, alle fraktionellen Gruppen sofort aufzu­lösen und beauftragte alle Organi­sationen, streng darüber zu wa­chen, daß keinerlei fraktionelle Handlungen zugelassen werden, wobei die Nichterfüllung des Par­teitagsbeschlusses den unbeding­ten und unverzüglichen Parteiaus­schluß nach sich zog. Der Parteitag bevollmächtigte das Zentralkomi­tee, im Falle eines Disziplinbruchs durch Mitglieder des Zentralkomi­tees und im Falle des Wiederaufle­bens oder der Zulassung der Fraktionsmacherei alle Disziplinarmaßnahmen der Partei bis zum Aus­schluß aus dem Zentralkomitee und aus der Partei anzuwenden. Al­le diese Beschlüsse wurden in der von Lenin vorgeschlagenen und vom Parteitag angenommenen be­sonderen Resolution 'Über die Ein­heit der Partei' niedergelegt." (Ge­schichte der KPdSU(B), Kurzer Lehrgang, S. 323)
 
Trotzki hatte diesem Beschluss auf dem X. Parteitag selbst zugestimmt, um ihn dann in den 30er Jahren so zu kommentieren: „Das Verbot der Oppositionsparteien zog das Verbot der Fraktionen nach sich; das Fraktionsverbot mündete in das Verbot anders zu denken als der unfehlbare Führer. Die polizeili­che Einheitlichkeit der Partei brach­te die bürokratische Straffreiheit mit sich, die zur Quelle aller Formen der Zügellosigkeit und des Verfalls wurden." (Trotzki, neue Ausgabe 1988, Bd. 1, S. 804)
Der „Schüler Lenins", - Trotzki über Trotzki -stellt einen Beschluss den Lenin in­itiiert hat, als quasi faschistisch-diktatorische Maßnahme hin! So­viel zum Leninismus von Trotzki!
 
Debatte über den Aufbau des Sozialismus in einem Land
1922 Ende März folgt der XI Par­teitag und „Im Dezember 1922 fand der I. Unionskongreß der Sowjets statt. Auf diesem Kongreß wurde auf Vorschlag Lenins und Stalins ein freiwilliger Staatsver­band der Sowjetvölker - die Union der Sozialistischen Sowjetrepubli­ken (UdSSR) - geschaffen." (Ge­schichte der KPdSU(B) Kurzer Lehrgang S. 332). Zu dieser Zeit wurde Lenin schwer krank. Nach der Gründung der Sowjetunion gab sich Trotzki nun als Kämpfer gegen den entstehenden Bürokratismus, Totalitarismus und Nationalismus aus. Der XII. Parteitag, März 1923 war der erste ohne Beteiligung Le­nins. Lenins Vorschläge wurden mit einbezogen. Trotzkis Politik gegenüber der Bauernschaft und seine Kritiken wurden zurückge­wiesen. Nach dem Parteitag orga­nisierte Trotzki eine Plattform der 46 Oppositionellen und zwang der Partei eine erneute Diskussion über die Zulassung von Fraktionen, über die Wirtschaftspolitik etc. auf. Im Januar 1924 tagte die 12. Par­teikonferenz. Die oppositionelle Plattform wurde als eine kleinbür­gerliche Abweichung verurteilt. Der XIII. Parteitag im Mai 1924 (nach dem Tode Lenins am 21. Januar 1924) bestätigte die Ergebnisse dieser Konferenz: „Der Parteitag verurteilte einstimmig die Plattform der trotzkistischen Opposition, die er als kleinbürgerliche Abweichung vom Marxismus, als Revision des Leninismus kennzeichnete, und be­stätigte die Resolutionen der XIII. Parteikonferenz 'Über den Partei­aulbau' und 'Über die Ergebnisse der Diskussion'." (Geschichte der KPdSU(B), Kurzer Lehrgang, S. 343)
 
Nach Lenins Tod setzte Trotzki die Debatte über seine ‚Nachfolge’ auf die Tagesordnung. Wie ein Feudal­herr beanspruchte er -sich auf Pri­vatgespräche mit Lenin berufend -nicht weniger als die .exklusive' Parteiführung. In seiner Biographie (1929) phantasiert er sich Ge­schichten zusammen, die nicht be­legbar sind, aber alle auf die Posi­tion hinauslaufen, einige Monate vor seinem Tod habe Lenin sein Verhältnis zu Trotzki verändert und beabsichtigt einen „Block Trotzki-Lenin" zu bilden: „die von Lenin be­gonnene Kampagne (hatte) das un­mittelbare Ziel, die günstigsten Be­dingungen für meine leitende Ar­beit zu schaffen, entweder neben ihm, wenn er sich erholt haben würde, oder an seiner Stelle, wenn die Krankheit ihn überwinden sollte." (Trotzki, Mein Leben, S. 472)
Eine zentrale Rolle in der Diskussion über die .Nachfolge' Lenin spielt das sogenannte „Testament Lenins".
Da Lenin davon ausgegangen war, krankheitsbedingt am XIII. Parteitag nicht persönlich teilnehmen zu können, hat er im Dezember 1922 / Januar 1923 in Briefform politische Vorschläge an den Parteitag verfasst, u.a. auch über die Zu­sammensetzung des ZKs. Lenin schreibt über die Eignung, Vorzü­ge, Fehler und Mängel einzelner Genossinnen. Zu Stalin: „Gen. Stalin hat, nachdem er Generalsekretär geworden ist, eine unermessliche Macht in seinen Händen konzen­triert, und ich bin nicht überzeugt, daß er es immer verstehen wird, von dieser Macht vorsichtig genug Gebrauch zu machen... und weiter: Stalin ist zu grob" (Lenin, Werke Bd.36, S. 579)
Zu Trotzki äußert er sich wie folgt: „Anderseits zeichnet sich Gen. Trotzki, wie schon sein Kampf gegen das ZK in der Frage des Volkskommissariats für Ver­kehrswesen bewiesen hat, nicht nur durch hervorragende Fähigkei­ten aus. Persönlich ist er wohl der fähigste Mann im gegenwärtigen ZK, aber auch ein Mensch, der ein Übermaß von Selbstbewusstsein und eine übermäßige Vorliebe für rein administrative Maßnahmen hat." (Lenin, Werke Bd. 36, S. 579)
 
Bezogen auf Trotzki und Stalin: „Diese zwei Eigenschaften zweier hervorragender Führer des gegen­wärtigen ZK können unbeabsichtigt zu einer Spaltung führen, und wenn unsere Partei nicht Maßnahmen er­greift um das zu verhindern, so kann die Spaltung überraschend kommen. Ich werde die anderen Mitglieder des ZK nicht weiter auf ihre persönlichen Eigenschaften hin charakterisieren. Ich erinnere nur daran, daß die Oktoberepisode Sinowjews und Kamenjews natür­lich kein Zufall ist, daß sie ihnen aber ebenso wenig als persönliche Schuld angerechnet werden kann wie Trotzki der Nichtbolsche­wismus." (Lenin, Werke Bd. 36, S. 579)
 
Diese Briefe, die als Lenins„Testament" bezeichnet werden, wurden auf dem Parteitag verlesen. Stalin bot an sich von der Funktion des Generalsekretärs zurückzuziehen, das wurde abgelehnt. In der weite­ren Auseinandersetzung zwischen der ,Linken' Opposition, Trotzki und der Parteimehrheit wurde 1926/1927 dieses Testament im­mer wieder in die Polemik einbezo­gen. Sie setzen die Verleumdung in die Welt, das ZK habe das „Testament" Lenins „verheimlicht". Gleichwohl hat selbst Trotzki in einer Polemik gegen einen un­seriösen ameri­kanischen Jour­nalisten, East­man 1925 in ei­nem Artikel in der Prawda (Zentralorgan der KPdSU) ge­gen diesen Ty­pen geschossen: „An einigen Stel­len seines Büch­leins spricht Eastman davon, daß das ZK eine Reihe außeror­dentlich wichti­ger Dokumente, die Lenin in der letzten Periode seines Lebens geschrieben ha­be (es handelt sich um Briefe zur nationalen Frage, um das so genannte Testament usw.), vor der Partei, verheimlicht' habe; das kann man nicht anders nennen als eine Verleumdung des ZK unse­rer Partei." (zitiert in Stalin, Werke Bd. 10, S. 152)
Das ist nur ein wei­teres Beispiel für die fragwürdige Methode Trotzkis heute das eine und morgen genau das Gegenteil zu vertreten.
 
Der weitere politische Kampf verlief an zwei Strängen: Ist der Sozialismus in einem rückständi­gen Land wie Russland aufzubau­en? Kann der Sozialismus in einem Land, ohne Sieg der Revolutionen in anderen Ländern überhaupt auf­gebaut werden??
Richtig legt die aktuelle „Einfüh­rung in den Trotzkismus" den zen­tralen Streitpunkt dar: „Gegen Trotzki und die maßgeblich von ihm angeführte ,Linke Opposition' ver­trat Stalin jedoch die Auffassung, es sei möglich in der Sowjetunion den Sozialismus aufzubauen - also eine klassenlose Gesellschaft -oh­ne zuvor den Kapitalismus in den entwickelten Industrieländern zu stürzen." (Kellner, Trotzkismus, S. 61)
Es fehlt nur eine kleine, aber bedeutende Tatsache: Das war nicht nur Stalins Auffassung, son­dern auch die Position Lenins. Trotzki hat mit allen Tricks ver­sucht, das unter den Tisch fallen zu lassen und die Möglichkeit des Aufbaus des Sozialismus in einem Land zu einer Stalinthese umge­dichtet! Das ist ausgemachter Blödsinn und nur ein weiterer Be­weis wie einfache, leicht nachweis­bare Tatsachen von den Trotzki­sten auf den Kopf gestellt werden. Lenin (und nicht Stalin) hat bereits 1915 in dem Artikel „Über die Lo­sung der Vereinigten Staaten von Europa" aufgrund der politisch­ökonomischen Tendenzen des Im­perialismus folgende Analyse ge­macht: „Als selbständige Losung wäre jedoch die Losung Vereinigte Staaten der Welt wohl kaum richtig, denn erstens fällt sie mit dem Sozi­alismus zusammen und zweitens könnte sie die falsche Auffassung von der Unmöglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Land und eine falsche Auffassung von den Beziehungen eines solchen Landes zu den übrigen entstehen lassen. Die Ungleichmäßigkeit der ökono­mischen und politischen Entwik-klung ist ein unbedingtes Gesetz des Kapitalismus. Hieraus folgt, daß der Sieg des Sozialismus zu­nächst in wenigen kapitalistische Ländern oder sogar nur in einem einzeln genommenen Land mög­lich ist" (Lenin, Werke, Bd. 21, S. 345)
 
Die Gegenthese Trotzkis war: „Oh­ne die direkte staatliche Unterstüt­zung durch das europäische Prole­tariat kann die russische Arbeiter­klasse sich nicht an der Macht hal­ten und ihre zeitweilige Herrschaft in eine dauernde sozialistische Dik­taturumwandeln." (Trotzki, Ergeb­nisse und Perspektiven, S. 109)
Damit verbunden war die Theorie vom Export der Revolution: „Wenn das Proletariat, das vorübergehend die Macht erlangt hat, nicht aus ei­gener Initiative die Revolution auf den Boden Europas überträgt, so wird die europäische feudal = bourgeoise Reaktion es dazu zwin­gen." (Trotzki, Ergebnisse und Per­spektiven, S. 112)
1932 begründet Trotzki z.B. in sei­ner Schrift „Oktoberrevolution" an­hand der konkreten Entwicklung der Sowjetunion, wie falsch es sei in nur einem Land den Sozialismus aufbauen zu wollen: „Die Schaf­fung einer nationalen sozialisti­schen Gesellschaft, wäre ein sol­ches Ziel überhaupt zu verwirk­lichen, würde die äußerste Herab­minderung der ökonomischen Macht des Menschen bedeuten; und gerade deshalb ist sie un­durchführbar ... In Wirklichkeit bleibt das Wachsen der heutigen Sowjetwirtschaft ein antagonisti­scher Prozeß. Indem sie den Arbei­terstaat festigen, führen die ökono­mischen Erfolge keinesfalls auto­matisch zur Schaffung einer har­monischen Gesellschaft. Im Ge­genteil, sie bereiten auf einer höhe­ren Grundlage die Zuspitzung der Widersprüche des isolierten soziali­stischen Aufbaus vor." (Trotzki, S. 676ff)
Faktisch bedeutet die Posi­tion Trotzkis den Aufbau des Sozi­alismus in der Sowjetunion aufzu­geben, militärisch die Revolution weltweit zu exportieren und abzu­warten, wer dann siegt. Auf dem XIV. Parteitag im Dezem­ber 1925 stellt sich die Leningra­der (Petrograder) Parteiorganisa­tion in Opposition zum ZK der Par­tei. Als zentrale Aufgabe der Partei wurde auf diesem Parteitag der Kampf für die sozialistische Indu­strialisierung des Landes und der Kampf für den Sieg des Sozia­lismus aufgestellt. „'Unser Land aus einem Agrarland in ein Indu­strieland zu verwandeln, das im­stande ist, aus eigener Kraft die notwendige Produktionsausrü­stung zu erzeugen, darin besteht das Wesen, die Grundlage unserer Generallinie', erklärte Genösse Sta­lin.
Die Industrialisierung des Landes war geeignet, die wirtschaftliche Selbständigkeit des Landes zu si­chern, seine Wehrkraft zu stärken und die für den Sieg des Sozia­lismus in der Sowjetunion notwen­digen Vorbedingungen zu schaffen. Gegen die Generallinie der Partei traten die Sinowjewleute auf. Dem Stalinschen Plan der sozialistischen Industrialisierung stellte der Sinowjewmann Sokolnikow einen bürger­lichen Plan entgegen, der unter den Haifischen des Imperialismus im Schwange war. Gemäß diesem Plan sollte die Sowjetunion ein Agrarland bleiben, das hauptsächlich Rohstoffe und Lebensmittel er­zeugt, diese ins Ausland ausführt und von dort Maschinen einführt, die es selber nicht erzeugt und nicht erzeugen soll. Wie die Dinge im Jahre 1925 lagen, nahm sich dieser Plan aus wie ein Plan der ökonomischen Versklavung der So­wjetunion durch das industriell ent­wickelte Ausland, wie ein Plan der Verewigung der industriellen Rück­ständigkeit der Sowjetunion zu Nutz und Frommen der imperialisti­schen Haifische der kapitalisti­schen Länder.
Diesen Plan annehmen hätte gehei­ßen, unser Land in ein hilfloses agrarisches Anhängsel der kapitali­stischen Welt zu verwandeln, es gegenüber der kapitalistischen Umwelt zu Wehrlosigkeit und Ohn­macht zu verurteilen und, am Ende, die Sache des Sozialismus in der Sowjetunion zu begraben. Der Parteitag brandmarkte den wirtschaftlichen 'Plan' der Sinow­jewleute als einen Plan der Verskla­vung der Sowjetunion. Der 'neuen Opposition' halfen auch solche Vorstöße nicht wie die Behauptung (entgegen Lenin!), daß der Mittel­bauer angeblich kein Bundesge­nosse der Arbeiterklasse in der so­zialistischen Aufbauarbeit sein kön­ne. Der Parteitag brandmarkte die­se Vorstöße der 'neuen Opposition' als antileninistisch." („Geschichte der KPdSU(B) Kurzer Lehrgang", S. 351/352)
 
Trotzki wird 1925 vom Politbüro seiner Funktionen als Vorsitzender des Obersten Kriegsrates, als Volkskommissar für die Armee und die Marine enthoben (Trotzki behauptet „er sei freiwillig zurück­getreten", Kellner S. 29) und die Aufgabe wird Frunse übertragen. Trotzki wird zum Vorsitzenden des Komitees für ausländische Konzes­sionen, Chef der elektrotechni­schen Verwaltung und zum Vorsit­zenden des wissenschaftlich-tech­nischen Büros der Industrie er­nannt.
 
Kampf gegen den Trotzkismus...
Seit dem Tode Lenins hatte sich die Auseinandersetzung zwischen Leninismus und Trotzkismus im­mer mehr zugespitzt. Trotzki sprengte die Aktionseinheit der Partei an zentralen Fragen und verstärkte in der Praxis die Organisierung von immer neuen Fraktionen und Oppositionsgruppen. 1924 wächst in der Partei die Stimmung gegen Trotzki und es werden Ausschlussanträge gestellt. Stalin (Bürokrat und Diktator laut Trotzki!)! wandte sich gegen diese und trat vehement für den entfalteten ideologischen Kampf ein: „Was Repressalien betrifft, so bin ich entschieden gegen sie. Wir brauchen jetzt keine Repressalien, sondern einen entfalteten Ideenkampf gegen den ´wiedererstehenden Trotzkismus." (zitiert nach Seydewitz S. 178, Stalin, Probleme des Leninismus) 1925 beteuert Trotzki in einem Brief an das ZK: „Ich dachte im Laufe der letzten acht Jahre kein einziges Mal daran, an irgend ein Problem vom Gesichtspunkt des sogenannten ,Trotzkismus' aus heranzutreten. Der Trotzkismus war und ist für mich längst liquidiert. (zitiert in  Seydewitz, S. 69) doch nur da weiterzumachen wo er kurz vorher aufgehört hat. Im Sommer 1926 schlossen sich die oppositionelle Gruppen um Trotzki und Sinowjew erneut zu einem parteifeindlichen Block zusammen. Sie versuchten der Partei eine erneute Plattformdiskussion aufzuzwingen. Sie scheiterten aber in den Parteiorganisationen und machten Selbstkritik wegen fraktionistischer Tätigkeit. Der innerparteiliche Kampf ging aber unvermindert weiter. Der Block führte verdeckt seine fraktionistische Organisierungsarbeit weiter. Sie wurden auf der XV. Parteikonferenz (November 1926) und dem EKKI (Exekutiv Komitee der Kommunistischen Internationale) Plenum der Komintern (Dezember 1926) verurteilt. Trotzki wurde aus dem Politbüro/ZK ausgeschlossen.
1927 in einer Situation, in der die englische konservative Regierung eine Offensive gegen die sozialistische Sowjetunion startete (Embargo), legte Trotzki mit dem Opposi­tionsblock eine neue „Plattform de 83" vor und forderte eine Generaldebatte der Partei. Es ging bei diesen Plattformen immer wieder um ihre zentralen Forderungen wie: die Parteibeschlüsse gegen fraktionistische Tätigkeit aufzuheben, mehr ausländische Konzessionen zuzulassen, das Bündnis der Arbei­terinnen mit den armen Bauern ab­zulehnen stattdessen auf die „zivi­lisierten Pächter" (Kulaken), auf dem Dorf zu setzen, die Revolution in andere Länder zu tragen, da der Sieg und Aufbau des Sozialismus nur in Russland nicht möglich sei. „Im Oktober 1927, das heißt zwei Monate vor dem XV. Parteitag, er­klärte das Zentralkomitee der Partei die allgemeine Parteidiskussion für eröffnet. Die Diskussionsversamm­lungen begannen. Die Ergebnisse der Diskussion waren für den trotzkistisch-sinowjewistischen Block mehr als kläglich. Für die Politik des Zentralkomitees stimmten 724.000 Parteimitglieder. Für den Block der Trotzkisten und Sinowjewleute stimmten 4.000, das heißt weniger als ein Prozent. Der parteifeindliche Block war aufs Haupt geschlagen. Somit hatte die Partei in ihrer über­wältigenden Mehrheit die Plattform des Blocks einmütig abgelehnt." („Geschichte der KPdSU(B) Kurzer Lehrgang", S. 362)
und in der Zu­sammenfassung dieses Kapitels der Parteigeschichte folgt die Fest­stellung: „Die Trotzkisten, die von der bolschewistischen Partei ideo­logisch geschlagen waren, und je­den Boden in der Arbeiterklasse verloren hatten, hörten auf, eine politische Strömung zu sein, und verwandelten sich in eine prinzi­pienlose Karrieristenclique politi­scher Gauner, in eine Bande politi­scher Doppelzüngler." (ebenda, S.380)
Am. 7. November 1927 versuch­ten die Oppositionellen in Moskau und im ganzen Land zum 10. Jah­restag der Oktoberrevolution De­monstrationen gegen die Politik des ZK zu organisieren. Die Mas­sen blieben aus bzw. demonstrier­ten mit der Partei. Am 14. Novem­ber 1927 hat die gemeinsame Sit­zung des ZK und der Kontrollkom­mission der Partei Trotzki und Sinowjew aus der Partei ausge­schlossen.
Selbst auf in der Plattform der rus­sischen Opposition, vorgelegt auf dem XV. Parteitag Dezember 1927 hat die Opposition nochmals heftig bestritten in irgendeiner Form mit dem Trotzkismus zu sympathisieren: „Vor dem Angesicht der gan­zen Komintern... haben wir mit den Unterschriften Sinowjews, Kamen-jews und Trotzkis erklärt: ,Es ist falsch, daß wir den Trotzkismus verteidigen. Trotzki hat vor dem Antlitz der ganzen Komintern er­klärt: daß in allen einigermaßen prinzipiellen Fragen, über welche er mit Lenin stritt, Lenin recht hatte, insbesondere in der Frage der per­manenten Revolution und der Bau­ernschaft." (zitiert in Seydewitz, S. 70)
Auch das war einer der vielen taktischen Schachzüge Trotzkis sich im Spiel zu halten, aber seine Interessen weiter zu verfolgen. In der Auseinandersetzung 1927 zwischen Trotzki, der Mehrheit des ZK der KPdSU(B), sowie Stalin spielte die Haltung zur chinesi­schen Revolution, die Ursachen der Niederlage der revolutionären Erhebung in China 1927 eine zen­trale Rolle. Wir gehen hier nicht weiter auf dieses umfangreiche Thema ein, da wir in unserer Ein­schätzung Mao Zedongs und der KP China in einer unserer nächsten TAs ausführlich darauf eingehen. In der Politik zur Bauernschaft hat­te Trotzki Anfang der 20er Jahre für den unmittelbaren Übergang zur Kollektivierung in den Dörfern plä­diert und wollte sofort allen Privat­besitz enteignen. Lenin warnte, das würde zum Zusammenbruch der sozialistischen Macht führen. Als 1929 die Kollektivierung der Landwirtschaft und die Industri­alisierung mit großen Schritten voran ging, wurde diese Entwick­lung vehement von Trotzki kriti­siert. Diesmal wegen des angeblich zu hohen Tempos!!!
Trotzki sprach sich nun „für die freiwillige Kollekti­vierung der Bauernschaft auf der Basis einer neu zu errichtenden Sowjetdemokratie" aus! Erneut ei­ne 180 Grad Wendung des Trotz­kismus!
Die Trotzkisten begannen nun mit konterrevolutionären Aktionen, um ihre These, der Unmöglichkeit des Sieges des Sozialismus in einem Land zu beweisen. Es gab Kom­plotte, terroristische Aktionen, Sa­botageakte. Am 16. Januar 1928 wurde Trotzki nach Alma Ata ver­bannt. (Serge, S. 198 ff)
Er betä­tigte sich weiter gegen die Linie der Partei. Er wurde aufgefordert, seine sowjetfeindliche Tätigkeit einzu­stellen. Trotzkis Antwort lautete: „Ihr wollt auch fernerhin den Einflü­sterungen, der dem Proletariat feindlichen Klassenkräften folgen. Wir kennen unsere Pflicht. Wir wer­den sie bis zum Ende erfüllen." (Serge, S. 204)
Am 20. Januar 1929 wurde ihm vom sowjetischen Staat mitgeteilt: „Gemäß Artikel 58/10 der Strafgesetzordnung ... wegen Anschuldigung, sich mit konterrevolutionärer Arbeit befasst zu haben, die in der Organisierung einer illegalen sowjetfeindlichen Partei bestand, deren Tätigkeit ... auf Provozierung antisowjetischer Erhebungen und auf Vorbereitung des bewaffneten Kampfes gegen die Sowjetmacht gerichtet ist ... wird beschlossen, den Bürger Leo-nid Davidovich Bronstein aus den Grenzen der UdSSR auszuweisen."
Die Türkei erklärte sich bereit Trotzki aufzunehmen. Die Sowjet­union organisiert seine Ausreise. Trotzki und Familie kamen am 12. Februar 1929 mit dem Schiff in Istanbul an und wurden zunächst in der sowjetischen Botschaft unter­gebracht und erhielten 1.500 Dollar zum Lebensunterhalt. Konsul Minksi organisierte auf der Insel Prinkipo ein Mietshaus. (Serge, S. 57 207) In Istanbul verfasste Trotzki „Geschichte der Russischen Revolution" und seine Autobiogra­phie „Mein Leben". Er begann eine umfangreiche politische Tätigkeit gegen die Sowjetmacht, wobei er sich der bürgerlichen Presse „be­diente" oder besser: sich der bür­gerlichen Presse andiente! Er war zugleich Herausgeber des „Bulle­tins der Opposition". Er schätzte die Sowjetunion als „Bürokrati­schen Staat mit Arbeiter Anachro­nismen" ein.
Am 20. Februar 1932 erließ das Politbüro die Aberkennung der so­wjetischen Staatsbürgerschaft für Trotzki und jene Mitglieder seiner Familie, die sich mit ihm im Aus­land befanden (Serge, S. 234).
1933 gewährte die Regierung Daladier ihm Asyl in Frankreich. 1935 ging er nach Norwegen, dort schrieb er „Die verratene Revolu­tion".
Im August 1936 begannen die Moskauer Prozesse. Trotzki wurde in Norwegen interniert, da­nach folgte seine Ausweisung. En­de 1936 fuhren seine Frau und er mit einem Öltanker nach Mexiko. Im Januar 1937 kamen sie im Ha­fen von Tampico an. Sie wohnten zunächst bei den mexikanischen Malern Diego Rivera/Frida Kahlo in Cocoyan. 1939 mietete Trotzki dort ein Haus an.
 
Trotzkis Kampf
 
Hauptschriften Trotzkis
Die russische Revolution, 1905
Ergebnisse und Perspektiven, 1906
Die Grundfragen der Revolution, 1923
Die Geburt der Roten Armee, 1924
Die wirkliche Lage in Rußland, 1928
Mein Leben, 1929
Die permanente Revolution, 1930
Die Verratene Revolution (Was ist die UdSSR und wohin treibt sie?) 1936
Zwischen Imperialismus und Re­volution, Wer leitet heute die Kommunisti­sche Internationale Geschichte der russischen Revo­lution 1931-1933
Stalin, Eine Biographie (Fragmen­te, aus dem Nachlaß 1940)
 
Im Exil unternahm Trotzki sofort den Versuch eine Internationale Linke Opposition zu schaffen. Über seine Rolle darin schreibt er ganz .bescheiden' „Der Zusammen­bruch zweier Internationalen (der II. und der III. Internationale A.d.V.) hat ein Problem entstehen lassen, zu dessen Lösung kein einziger Führer dieser Internationale auch nur im geringsten geeignet ist. Im Vollbesitz schwerwiegender Erfah­rungen, bin ich durch die besonde­ren Umstände meines persönlichen Schicksals mit diesem Problem konfrontiert. Gegenwärtig gibt es niemanden außer mir, der die Auf­gabe erfüllen könnte, die neue Ge­neration mit der Kenntnis der Me­thode der Revolution über die Köp­fe der Führer der II. und III. Interna­tionale hinweg ausrüsten." (Trotzki, Tagebuch im Exil, M. Kellner, „Trotzkismus", S. 33)
Aber es soll­te ihm nicht so recht gelingen. Die Gruppierungen waren untereinan­der zerstritten, spalteten sich und es wurde keine stabile Organisa­tion herausgebildet. Ab Mitte der 30er Jahre riefen Trotzki und seine Anhänger offen­siv zum Sturz der verbürokratisier­ten Arbeitermacht in der Sowjetu­nion auf, richteten ihre praktische Arbeit darauf aus, die Diktatur des Proletariats zu stürzen. Trotzkis mehr als unstimmig und inkonse­quenter Position nach, gab es zwar noch sozialistische Ökonomie und Planwirtschaft, aber der Überbau, der Staat und die Partei waren bürokratisiert. Seine Konsequenz: „Einen friedlichen Ausweg aus der Krise gibt es nicht. Kein Teufel hat jemals freiwillig seine Krallen be­schnitten. Die Sowjetbürokratie wird ihre Positionen nicht kampflos aufgeben. Die Entwicklung führt eindeutig auf den Weg der Revolu­tion" (Trotzki, Verratene Revolution, 1936,8.279).
 
In den Moskauer Prozessen war Trotzki einer der Hauptbeschuldig­ten. Viele alte Bolschewiki gaben zu, sich mit ihm oder seinen Ge­sandten, getroffen und von ihm In­struktionen für terroristische Akte erhalten zu haben. Trotzki wies alle diese Beschuldigungen zurück. In den USA wurde eine „Untersuchungskommmission für die Mos­kauer Prozesse" gegründet. Diese nahm vom 10. bis zum 17. April 1937 die Aussagen Trotzkis zu Pro­tokoll. „Mit Ausnahme von Albert Goldman bestand die Kommmis­sion aus Intellektuellen, die gegen den Bolschewismus eingestellt wa­ren, weil sie in ihm die natürliche Voraussetzung für den Stalinismus sehen." (Serge, S. 276)
Stalin war der Hauptfeind Trotzkis und damit fischte er natürlich bei der internationalen Bourgeoisie im Trüben „Nach dem Zusammen­bruch der Mittelmächte im Novem­ber 1918 bildeten sich neue Fron­ten. Überdies war dem jeder Intrige abholden Trotzki innerhalb der ei­genen Partei ein Gegner erwach­sen, dessen Verschlagenheit nie­mand erkannte: Josef Stalin, Ober­ster Politischer Kommissar der 10. Armee." (rororo, S.123)
Trotzkis Charakteristik von Stalin in seiner Autobiographie 1929 sagt mehr über Trotzki als über Stalin aus: „Bei seinen großen, neiderfüllte Ambitionen musste Stalin seine in intellektuelle und moralische Minderwertigkeit auf Schritt und Tritt fühlen. Er versuchte offensichtlich; sich mir zu nähern. Erst spät habe ich seine Bemühungen, so etwas wie familiäre Beziehungen zu mir herzustellen, erkannt. Aber er wirkte auf mich durch jene Eigenschaften abstoßend, die später, in der Welle des Niedergangs, seine Stärke ausmachten: die Enge der Interessen den Empirismus, die psychologische Plumpheit und jenen besonderen Zynismus des Kleinstädters, den der Marxismus von vielen Vorurteilen befreit hat, jedoch ohne diese durch eine voll erfaßte und in Psychologie übergegangene Weltanschauung zu ersetzen."
(Trotzk S. 425)
 
Trotzki verfasste das Buch „Stalins Verbrechen" 1937 als Auftragsarbeit für den amerikanischen Buchkonzern Harpers. 1938 gründete Trotzki die IV. Internationale als Alternative zur III. Internationale. Fast täglich schickte er Artikel an die New York Times. (Serge, S. 271)
 
 
Trotzki, „Mein Leben":
„Für Lenin war, als er die vergangene Entwicklung der Partei zurückschauend betrachtet, der Trotzkismus weder eine feindliche noch eine fremde, sondern im Gegenteil die dem Bolschewismus nächste Strömung des sozialistischen  Gedankens."(S. 299)
Der bürgerliche Kommentar : „Unverständlich bleibt, daß Trotzki nach über einem Vierteljahrhundert in seinem Buch Mein Leben diese Taschenspielertricks Lenins guthieß und sich selber des Irrtums bezichtigte, dabei hatte er die Machenschaften Lenins schon damals durchschaut" (rororo, S. 42)
 
 
Trotzki arbeitete unermüdlich an seinem Zerrbild der Geschichte der Bolschewiki  und der russischen Revolution. Seine ideologischen Differenzen mit Lenin ließ er in seinen literarischen Ergüssen nach und nach unter den Tisch fallen. Hat er in frühen Schriften wie in seiner Autobiographie „Mein Leben" (1929) noch harsche Kritiken an Le­nin vorgebracht, stilisierte er Lenin nun zum Genie der russischen Re­volution und sich selbst zu seinem besten Schüler. Er gestand halb­herzig eigene  Fehler in seinem Kampf gegen Lenins Parteikonzept zu und distanzierte sich dezent von seinem eigenen Zentrismus. Diese völlig unseriöse Geschichtsklitterung werfen ihm auch durchaus wohlwollend gegenüber stehende AntiStalinisten vor: „...projizierte umgekehrt Trotzki spätere Ansich­ten auf die Vergangenheit. 1930 äußerte er die Meinung, er sei min­destens seit dem Herbst 1902, d.h. seit dem Moment meiner ersten Flucht ins Ausland ein Schüler Le­nins' gewesen. Gegensätze redu­zierte er auf simple (einfache) ,Missverständnisse'." (Heinz Abosch, „Trotzki und der Bolsche­wismus", S. 10)
Sein Ziel war da­mit einen ideologisch-politischen Graben zwischen der KPdSU(B) unter der Führung Lenins und der unter Führung Stalins aufzureißen. Das Feuer richtete er auf Stalin. Er war sozusagen der „Erfinder" des bürgerlichen Kampfbegriffes „Stali­nismus". Und niemand war ihm da­für dankbarer als die internationale Bourgeoisie. Seine politischen Schriften sind keine wissenschaft­lich fundierten politischen Ausein­andersetzungen, sondern von A- Z durchdrungen von blankem Haß, persönlicher Gekränktheit und strotzender Eigenliebe. Sie sind geprägt von einer völlig subjektivistischen Sichtweise. Schärfste ‚Beweismittel' sind Anekdoten und unbewiesene Behauptungen, so­wie nicht greifbare Dokumente. Neben dem Gegeneinanderausspielen von Lenin und Stalin be­treibt er gleichzeitig eine Herab­minderung der Bedeutung Lenins in der Geschichte der Oktoberrevo­lution und der internationalen kom­munistischen Bewegung. Das ist gepaart mit der absurden Überhö­hung seiner eigenen Bedeutung in der Oktoberrevolution. In seiner Geschichtsschreibung, war er der Macher, der Dirigent der Oktober­revolution und Lenin ist ihm einfach nur gefolgt. Die bürgerlich-imperia­listischen Geschichtsverfälscher folgen dieser Deutung nur zu gern um ihrerseits den Leninismus zu verdammen. Eine Kostprobe aus der rororo Bildmonographie. Dem Lobgesang auf Trotzki, „Schöpfer der Roten Armee", (S. 36),
Gene­ralissimus der Roten Armee, die seine ureigenste Schöpfung war", (S. 86), folgen obskure Verleum­dungen Lenins: „Grundlegendes Element seines (Lenins) Handelns war sein unbändiger Haß gegen das Zarenregime (den Millionen teilten), gepaart mit einem beispiel­losen Willen zur Macht, dem er al­les opferte, selbst Freunde und Ge­sinnungsgenossen. " (Trotzki, 1969 14. Auflage 2006)
 
Insofern sei jedem/r Leser/in ange­raten das eine oder andere Werk Trotzkis durchzulesen und mit den Texten, Polemiken und Ausein­andersetzungen Lenins, Stalins, anderer Bolschewik! und den Do­kumenten der Kl und der KPDSU(B) zu den entsprechenden Fragen zu beschäftigen. Am 24. Mai 1940 wurde Trotzkis Haus in Mexiko von einer bewaff­neten Gruppe unter Beschuss ge­nommen. Er überlebte das Attentat unverletzt. Aus Angst vor weiteren Anschlägen wurde die Wohnung zur Festung ausgebaut. Trotzki be­schuldigte David Alvaro Siqueros als Agent der GPU als Verantwort­licher des Überfalls. (Serge, S. 318)
Die KP Mexikos verlangte sei­ne Ausweisung. Jaime Ramon Mercader Hernandez, gab sich un­ter dem Namen Jacson Mornard als Trotzkist aus und erwarb das Vertrauen Trotzkis. Am 20. August verletzte er Trotzki mit einem Eis­pickel schwer am Kopf. Am näch­sten Tag erlag Trotzki diesen Ver­letzungen. Mercader wurde nach zwanzig jähriger in Mexiko abge­sessener Haftstrafe 1960 freigelas­sen. Er lebte in Havanna, Prag und Moskau und kehrte nach Kuba zu­rück. Er starb 1978 in Havanna. Seine Urne wurde in Moskau bei­gesetzt.
 
Schluss
Trotzki war Repräsentant einer ide­ologischen opportunistischen Strö­mung in der russischen und inter­nationalen Kommunistischen- und Arbeiterbewegung. Seine eigene politische Linie begann er bereits zu Beginn seiner revolutionären Tä­tigkeit zu entwickeln. Nach und nach bildete er in den Meinungs­kämpfen in der SDAPR, bzw. ge­gen die SDAPR sein politisches Sy­stem, den Trotzkismus in Theorie und Praxis heraus. Trotzdem nahm er eine führende Rolle während der Oktoberrevolution ein, aufgrund seiner Übereinstimmung in einigen wesentlichen Positionen mit den Bolschewiki und seiner Fähigkeiten im revolutionären Kampf. Die fun­damentalen und prinzipiellen Diffe­renzen zwischen Trotzki, dem Trotzkismus und den Leninisten verschärften sich nach der Revolu­tion in der Praxis des Aufbaus des Sozialismus. Aber auch anhand von Fragen der internationalen kommunistischen Weltbewegung, wie der Revolution in China. Ab 1926 hörte der Trotzkismus auf, ei­ne politische Strömung zu sein. Er verwandelte sich in eine konterre­volutionäre Strategie und Taktik zur Zerschlagung des ersten sozialisti­schen Sowjetstaates. Um dieses Ziel zu erreichen verbündete sich Trotzki mit Tod und Teufel, mit den Imperialisten. International schuf er die IV. Internationale deren Haupt­zielscheibe ebenfalls die sozialisti­sche Sowjetunion und Stalin wa­ren.
 
Literatur
Leo Trotzki, Denkzettel, Politische Erfah­rungen im Zeitalter der permanenten Re­volution, Hrg.Deutscher u.a., edition suhrkamp, 1981
Leo Trotzki, Verratene Revolution, Raub­druck
Leo Trotzki, Die permanente Revolution, Fischer Bücherei, 1969 u. Verlag neue kritik frankfurt, 1965
Leo Trotzki, Stalin, Eine Biographie, Pawlak
Leo Trotzki, Mein Leben, Versuch einer Autobiographie, Dietz Verlag, 1990
Lenin über Trotzki, Marxistische Taschen­bücher, 1970
Victor Serge, Leo Trotzki, Leben und Tod, Europaverlag, 1973
Heinz Abosch, Trotzki und der Bolsche­wismus, Ullstein Materialien, 1984
Harry Wild, Trotzki, rororo, bild mono graphien, 2006
Manuel Keller, Trotzkismus, Einführung in seine Grundlagen - Fragen nach seiner Zukunft,
Reihe theorie.org, Schmetter­ling Verlag, 2004
Max Seydewitz, Die große Alternative (Trotzkismus-Kritik 1938), reprint ML-Lit-Vertrieb, Wien 2003 Stalin, Werke
 

SU1

Dokumentiert
Stalin: TROTZKISMUS ODER LENINISMUS?
3. In der Frage der Führer des Bolschewismus. Der alte Trotzkismus war bemüht, Lenin mehr oder weni­ger offen zu diffamieren, ohne sich um die Folgen zu kümmern. Der neue Trotzkismus geht vorsichtiger vor. Er ist bemüht, das Werk des alten Trotzkismus unter dem Schein der Lobpreisung, unter dem Schein der Verherrlichung Lenins zu vollbringen. Ich glaube, daß es sich lohnt, einige Beispiele anzuführen. Die Partei kennt Lenin als unerbittlichen Revolutionär. Sie weiß aber auch, daß Lenin vorsichtig war, daß er es nicht leiden konnte, wenn jemand über die Strän­ge schlug, und nicht selten mit fester Hand Terror­liebhabern in die Zügel fiel, darunter auch Trotzki selbst. Trotzki berührt dieses Thema in seinem Buch „Über Lenin".
Seiner Charakteristik zufolge aber wür­de Lenin so gut wie nichts anderes getan haben, als „bei jeder passenden Gelegenheit den Gedanken von der Unvermeidlichkeit des Terrors einzuhämmern". Es entsteht der Eindruck, als ob Lenin der blutdür­stigste aller blutdürstigen Bolschewik! gewesen wäre. Wozu brauchte Trotzki diese überflüssige und durch nichts zu rechtfertigende dicke Auftragung der Far­ben?
Die Partei kennt Lenin als vorbildliches Parteimitglied, der es nicht liebte, Fragen allein zu entscheiden, oh­ne ein leitendes Kollegium, auf Anhieb, ohne sorgfäl­tiges Sondieren und Überprüfen. Trotzki kommt in seinem Buch auch auf diese Seite der Sache zu spre­chen. Aber was er schildert, ist nicht Lenin, sondern eine Art chinesischer Mandarin, der die wichtigsten Fragen in der Stille seines Arbeitszimmers aus Einge­bung entscheidet.
Sie wollen wissen, wie unsere Partei über die Ausein­anderjagung der Konstituierenden Versammlung ent­schied? Hören Sie Trotzki:
'Selbstverständlich muß die Konstituierende Ver­sammlung auseinandergejagt werden', sagte Lenin, ,aber wie steht es mit den linken Sozialrevolutionä­ren?'
Allein der alte Natanson erfreute uns sehr. Er kam zu uns, um sich ,zu beratschlagen', und meinte gleich bei den ersten Worten: ,Die Konstituierende Ver­sammlung wird wohl doch mit Gewalt auseinander­gejagt werden müssen.'
,Bravo!', rief Lenin aus, ,das ist ein wahres Wort! Wer­den die Ihrigen aber damit einverstanden sein?' »Einige schwanken bei uns, doch glaube ich, daß sie schließlich zustimmen werden', antwortete Natan­son."
So wird Geschichte geschrieben. Sie wollen wissen, wie die Partei über die Frage eines Obersten Kriegsrats entschied? Hören Sie Trotzki: „'Ohne seriöse und erfahrene Militärs werden wir aus diesem Chaos nicht herauskommen', sagte ich Wladimir lljitsch jedesmal nach einem Besuch beim Stab. ,Das scheint richtig zu sein. Wenn sie nur nicht Verrat üben...' ,Wir stellen einem jeden einen Kommissar zur Seite.'
,Noch besser zwei Kommissare', rief Lenin aus, ,und zwar Leute, die richtig zupacken können. Es kann doch nicht sein, daß es bei uns keine Kommunisten mit richtigen Fäusten gibt.'
So kam es zum Aufbau des Obersten Kriegsrats."
So schreibt Trotzki Geschichte.
Wozu braucht Trotzki diese Lenin kompromittierenden orientalischen Märchen? Etwa, um den Führer der Partei, W. I. Lenin, zu verherrlichen? Es sieht nicht danach aus.
Die Partei kennt Lenin als größten Marxisten unserer Zeit, als tiefschürfenden Theoretiker und erfahrensten Revolutionär, dem jede Spur von Blanquismus fremd ist. Trotzki kommt in seinem Buch auch auf diese Seite der Sache zu sprechen. Aus seiner Charakteristik aber ersteht nicht der Riese Lenin, sondern ein zwerghafter Blanquist, der der Partei in den Oktobertagen rät, „die Macht mit eigener Hand zu ergreifen unabhängig vom Sowjet und hinter seinem Rücken" Ich habe jedoch schon davon gesprochen, daß die Charakteristik nicht im Geringsten der Wirklichkeit entspricht. Wozu braucht Trotzki diese schreiende Ungenauigkeit? Haben wir es hier nicht mit einem Versuch tun, Lenin „ein klein wenig" zu diffamieren? Das sind die Charakterzüge des neuen Trotzkismus. Weshalb ist der neue Trotzkismus gefährlich? Weil der Trotzkismus seinem ganzen inneren Gehalt nach alle Chancen hat, zum Mittelpunkt und Sammelbecken nichtproletarischer Elemente zu werden, die die Schwächung, die Zersetzung der Diktatur des Proletariats anstreben. Was aber weiter? - wird man fragen. Welches sind die nächsten Aufgaben der Partei angesichts der neue literarischen Ergüsse Trotzkis? Das jetzige Vorgehen des Trotzkismus hat den Zweck, den Bolschewismus zu diffamieren und seine Grundlagen zu untergraben. Die Aufgabe der Partei besteht darin, den Trotzkismus als ideologische Strömung zu begraben. Man spricht von Repressalien gegen die Opposition und von der Möglichkeit einer Spaltung. Das ist Unsinn, Genossen. Unsere Partei ist stark und mächtig. Sie wird keine Spaltungen zulassen. Was die Repressalien anbelangt, so bin ich entschieden dagegen. Nicht Repressalien, sondern einen entfalteten ideologischen Kampf gegen den wiederauflebenden Trotzkismus brauchen wir jetzt. Wir haben diese literarische Diskussion nicht gewollt und nicht angestrebt. Der Trotzkismus zwingt sie uns durch seine antileninistischen Vorstöße auf. Nun, wir sind bereit, Genossen.
Auszug, „Prawda" Nr. 26, 26. November 1924, Gesammelte Werke Bd. 6, S. 31