TROTZ ALLEDEM!


TAMIL EELAM/SRI LANKA

Aktuelle Reise nach Vavuniya 

„Die Zukunft ist düster und hoffnungslos“

 
tamileelamDie letzten spärlichen Meldungen aus dem tamilischen Gebiet/Tamil Eelam in Sri Lanka sind verheerend. Die srilankanische Diktatur setzt auf „vernichtenden Sieg“ im Krieg gegen die tamilische Nationalbewegung, die LTTE und die tamilische Bevölkerung. Zusammengedrängt auf wenige Quadratkilometer harren über 100.00 Menschen aus. Die Regierungstruppen rüsten zum entscheidenden Schlag. Aber auch wenn sie militärisch siegen sollten, werden sie den tamilischen Widerstand nicht vollständig unterdrücken können. Nur die Anerkennung des Rechtes auf Lostrennung für die tamilische Nation kann eine wirklich demokratische Lösung herbeiführen.

Im Februar 2009 erreichte uns von der TRO (Tamil Rehabilitation Organisation) dieser Bericht eines Augenzeugen aus Vanni, Sri Lanka (ehemals von der LTTE kontrolliertes Gebiet), den wir zur Information unserer LeserInnen abdrucken. Es gilt das Schweigen über diesen Völkermord zu brechen. Aber die Herrschenden und ihre gleichgeschaltete Presse verbreiten sich in Schweigen. In der TA Nr. 47/März 2008 haben wir letztmalig über die Hintergründe des Konflikts, seine aktuelle Eskalation berichtet und auch einen Überblick zum damaligen „Friedensprozess“ gegeben. Interessierte mögen das bitte nachlesen.

Im folgenden Augenzeugenbericht wird die humanitäre Katastrophe, das menschliche Leid dieses Krieges aus der Sicht eines tamilischen Priesters geschildert. Die internationale Gemeinschaft schweigt nicht nur zu den Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen in Sri Lanka, obwohl sie von allem unterrichtet ist, sondern sie unterstützt das Regime mit Logistik, Waffen und Geldern, auch der deutsche Imperialismus.

 
„Obwohl ich die Nachrichten über den Krieg in Vanni (nördliche Provinz, mehrheitlich von Tamilen bewohnt, in der aktuellen Kriegseskalation hart umkämpftes Gebiet), über die Vernichtung von Leben und Eigentum hautnah verfolgt habe, habe ich mir die Ausmaße der Zerstörung nicht so verheerend vorgestellt, bis ich sie selbst gesehen habe. Ich von einem unserer Gemeindemitglieder aus einem der Internierungslager angerufen worden (Die Armee hält alle Personen aus den umkämpften Gebieten unter Generalverdacht in den Internierungslagern fest. Sie unterzieht alle Personen einem Check, ob sie für die LTTE gearbeitet haben). Das Gemeindemitglied teilte mir mit, dass unser Adoptivsohn und Pfarrer Daniel im Krieg umgekommen sind. Zum ersten Mal erlebte ich eine tiefe Trauer, über die ich manchmal in meinen Vorträgen spreche. „Nein, nein, das kann nicht sein“, schrie ich. Ich ging schnurstracks in das Büro des anglikanischen Bischoffs. Ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten als ich Pastor Nesakumar sah. Sie erzählten mir aber, dass mein Sohn am Leben sei und sich in einem dieser Internierungslager befände.

Am nächsten Tag buchte ich einen Platz im Zug nach Vavuniya. Ich startete frühmorgens und erreichte Vavuniya nachmittags. Meine Adoptivtochter erwartete mich am Bahnhof. Wir fuhren sofort zum Lager. Niemandem war es erlaubt dort reinzugehen.

Die Schulen werden als Lager genutzt. Zelte von 5-6 Metern wurden aufgebaut. Um das Lager war Stacheldraht gezogen, wie bei den Armeecamps. Nur von der anderen Straßenseite aus war uns erlaubt, einen Blick in das Lager zu werfen. Die Sicherheitskontrollen waren sehr scharf. Ich ging zu dem Verantwortlichen des Lagers und ignorierte die Rufe anderer Soldaten: „Sie dürfen nicht näher kommen,… gehen sie zurück, gehen sie zurück!“ Ich näherte mich ihm und sprach in Englisch, weil mein Singalesisch sehr schlecht ist. Ich erzählte ihm, dass ich meinen Sohn, der ein Priester sei, sehen wolle. Er war freundlich genug nach ihm zu schicken, aber bat mich auf der anderen Straßenseite zu warten. Er sagte mir, dass er uns nur fünf Minuten geben würde. Nach zehn Minuten kam Daniel raus. Er war abgemagert, müde und traumatisiert.

Daniel erzählte, dass sie von einem Ort zum anderen geflohen waren. Die Bombardierungen waren so intensiv, dass sie sich nicht aus den Bunkern (die Bunker sind nicht mit den hiesigen zu vergleichen. Damit werden Löcher, Verschläge etc., die in die Erde gegraben sind, benannt) heraustrauten. In regelmäßigen Abständen wurde geschossen und bombardiert. Er war verantwortlich für die Behinderten-Einrichtung Karunanilajam. Dort waren behinderte Kinder gemeinsam mit jungen Schulmädchen untergebracht. Am Sonntagmorgen wurde eine Predigt gehalten und am Nachmittag haben sie entschieden zu fliehen. Sie verließen ihren Unterschlupf erst um 1.30 Uhr morgens. Ich kann mir ihre verängstigten Gesichter sehr gut vorstellen. Seit dem wir in Vanni arbeiteten, war die Gefahr aus Granathagel und Bombenregen allgegenwärtig.

In dem dichten Dschungel mussten sie auf alle großen und kleinen Kreaturen, ob Elefant oder giftige Schlange, Acht geben. Sie liefen Stunden im Dunkeln, verängstigt, nicht über tote Körper oder herumliegende Körperteile zu fallen. Schließlich fanden sie Busse, die sie nach Vavuniya brachten. Als sie gerade in einen der Busse einstiegen, schlug in dem anderen eine Granate ein und acht Insassen wurden getötet.

Beim Besuch von anderen Lagern, natürlich von der anderen Straßenseite, beobachtete ich, dass hunderte Männer für eine Dusche Schlange standen. Vielleicht das erste Mal nach einer tagelangen Flucht. Die Männer wuschen und schoben sich zugleich unter den zehn Duschen, die im Freien angebracht waren, um noch etwas Wasser abzubekommen. Denn das Wasser wurde nach einer Weile abgestellt. Ich fragte mich wie die Frauen das erledigen! In diesen offenen Duschen unter den Augen der Männer und Soldaten? Wie würden sie ihre Toilette erledigen?

Ich besuchte auch ein Krankenhaus. Die Patienten wussten nicht wo ihre Familienangehörigen verblieben waren. Sie blickten völlig traumatisiert. Nachts schauderten und schrieen sie, wegen Schmerzen und Alpträumen. Viele hatten beide Beine verloren und manche ihre Hände. Eine Schwangere hatte beide Beine und Hände verloren und bat die Schwester um Sterbehilfe. Einige waren durch schwere Verletzungen an der Wirbelsäule gelähmt. Ich wurde zu einem Jungen gebracht. Er war kahl geschoren und am Kopf operiert worden. Er fragte mich, ob ich seinen Vater und seine jüngste Schwester ausfindig machen könnte. Seine Mutter und zwei seiner Brüder waren umgekommen. Er war allein. ‚Ich habe überlebt, aber wie wird meine Zukunft sein? Sie sagen, sie werden uns alle nach Trincomalee bringen’, sagte er. Ich hatte keine Antwort für ihn. Ich konnte ihm nur voller Mitgefühl zuhören.

Wenn es den Patienten etwas besser geht, dann werden sie in die Lager geschickt. Es ist ihnen verboten zu ihren Verwandten in Vavuniya zu gehen, obwohl nur wenige Familienmitglieder überlebt haben. Sie werden zu verschiedenen voneinander entfernten Orten wie Kinniya, Polannaruwa, Mannar etc. deportiert, wodurch eine Familienvereinigung unmöglich gemacht wird.

Eine Mutter saß mit leerem Blick einfach da. Als sie zu rennen begannen, wurde eines ihrer Kinder getötet. Sie hatte ihren ganzen Mut zusammen genommen und ihr Kind mit einer Schaufel selber begraben. Sie wollte nicht, dass ihr Kind von wilden Tieren gefressen wird. Sie weinte nicht.

In manchen Fällen landeten die Raketen direkt in den Bunkern. Es wurden mit Sicherheit Tausende umgebracht. Diejenigen, die in Vanni (ehemals unter Kontrolle der LTTE) ausharren, haben viele Gründe den Ort nicht zu verlassen und sich dort zu verstecken. Für sie ist Sterben besser als gefoltert zu werden.

Überall auf der Insel, insbesondere in Colombo wurden die Sicherheitskontrollen durch die Armee erhöht. Für Personen mit Geburtsorten wie Vanni, Mullaitevu, Kilinochchi oder sogar Jaffna sind Schikanen vorprogrammiert. Unsere Wohnung wurde letzte Woche durchsucht und besonders das Zimmer meiner 16jährigen Tochter einschließlich ihres Kleiderschranks und ihrer Kleider. Sie wurde verhört. Auch wenn die Menschen aus Vanni herauskommen wollten, wissen sie, was sie erwartet.

Was hier passiert, ist ein Völkermord! Ich brauche es eigentlich nicht zu erwähnen, dass die Vertreibung der Menschen zu unbekannten Orten und das Auseinanderreißen der Familien und Gemeinschaften zu einem Sinken der Bevölkerung, zu einer Zerstörung unserer Kultur, Bildung und Beziehungen führen wird. Eine verstümmelte Generation von Tamilen ohne Zukunft. Die internationale Gemeinschaft mag Resolutionen verabschieden. Diese werden sowieso nicht beachtet.

Für mich zieht die Zukunft düster und hoffnungslos aus.“