Vergessene Westsahara: Nicht endende Besatzung! Sahrauische Volk im Widerstand!
Saguia
el Hamra y Rio de Oro, UN-Bezeichnung: Westsahara, gilt als letztes, kolonial
besetztes Land auf dem afrikanischen Kontinent. [1] . Die
heutige Besatzungsmacht Marokko hat die Kolonialmacht Spanien 1975/76 in der
Westsahara ‚abgelöst’. Die Antwort des sahrauischen Volkes und seiner
Befreiungsorganisation, Frente Polisario [2]
war 1976, in Ausübung ihres Rechtes auf nationale Selbstbestimmung, die
Proklamation der „Demokratischen Arabischen Republik Sahara“ (DARS). Seitdem
führt die marokkanische Monarchie für ihr chauvinistisches Ziel eines
„Groß-Marokko“, einen grausamen Vernichtungskrieg gegen die sahrauische Nation
und hält die illegale, auch international durch UN-Resolutionen geächtete,
Besatzung aufrecht. Auf der internationalen Agenda der Herrschenden
soll dieses Thema möglichst gestrichen werden. Die Fakten werden verschwiegen.
Das Volk der Sahrauis und seine anerkannten Rechte werden bewusst ignoriert.
Seine unerträgliche Lage soll vergessen gemacht werden.
[1] Unter spanischer kolonialer Besatzung stehen heute nur noch die „Enklaven“-Städte/Gebiete Melilla und Ceuta auf dem Territorium Marokkos
[2] Frente Popular para la liberación de Saguia el Hamra y Rio de Oro – Volksfront zur Befreiung von Saguia el Hamra und Rio de Oro
Verschweigen,
vergessen, verschwinden, vernichten… Das ist die Situation im Jahre 2013.
Viele
Informationen und Zahlenangaben hinsichtlich der Westsahara sind teils sehr
unterschiedlich und teils auch sehr widersprüchlich. Wenn die bürgerlichen
Medien ausnahmsweise über die Westsahara berichten, dann transportieren sie vor
allem die Sichtweise der Besatzermacht Marokko. In den linken und
revolutionären Medien, die über die Westsahara informieren, werden auch oft sich
widersprechende, bzw. unzureichende Angaben gemacht. Das liegt an der sehr
unübersichtlichen Situation und der totalen Abschirmung der besetzten
Westsahara durch die marokkanische Diktatur. Daher werden wir soweit als
möglich alle Quellen, aus denen wir unsere Informationen haben angeben. So
können sich die LeserInnen selbständig ein Bild machen. Der Vertreter der
Polisario in der BRD, Jamal Zakari, hat auf einer Veranstaltung „Sahara?“ im
Dezember 2012 in Berlin zu verschiedenen strittigen, bzw. unklaren Fakten und
Einschätzungen, die Position der Polisario vorgetragen. Das war sehr hilfreich
und diese sind auch in diesen Artikel eingeflossen.
Heute,
2013 steht ca. 80%-85% des Territoriums der „Demokratischen Arabischen
Republik Sahara“ unter Marokkos Besatzung. Reiche Fischfang-Gründe sowie
vorgelagerte Erdölquellen, Bodenschätze, so die Phosphatminen von Bou-Craa und
der Großteil fruchtbaren Landes machen den Reichtum dieses Gebietes aus. Durch
seine 1 000 Kilometer lange Küste hat es auch gewaltige strategisch-militärische
Bedeutung und ein großes Potenzial für die Gewinnung von Windenergie. Für
Solarthermische Kraftwerke ist genug Wüstenland vorhanden, das in die
Infrastruktur ausreichend eingebunden ist.
Die befreiten
Gebiete, ca. 15%-20% der Westsahara, werden von der DARS und der Polisario
verwaltet. Das wirtschaftlich weitgehend unbedeutende und fast unbewohnbare
Wüsten- und Steppengebiet liegt entlang der Ostgrenze zu Algerien und
Mauretanien.
Beide
Gebiete in der Westsahara sind durch eine, sich von oben nach unten durch das
Land ziehende, circa 2 000 km lange Mauer getrennt. Marokko begann
den Mauer-Bau 1980 im Krieg gegen den Befreiungskampf des sahrauischen Volkes.
Heute zieht sich die Mauer entlang der Waffenstillstandslinie von 1991. (Dazu
später, siehe Karte). Sie ist dreimal so lang, wie die Mauer in
Palästina! Die Besatzer sprechen vom „inneren marokkanischen Schutzwall“. „Wall
der Schande“ heißt die Mauer bei den Sahrauis. Es ist über weite Strecken ein
fünf Meter hoher Sand- und teils Steinwall, mit Wachtürmen, Gräben,
Stacheldraht und Minenfeldern. An „neuralgischen Abschnitten“ sind zusätzlich
elektronische Sicherungseinrichtungen angebracht. Dieser Festungswall wird von
etwa 150 000 marokkanischen Soldaten bewacht.
Die
besetzte Westsahara ist ein „Freiluft-Gefängnis“, aus dem es für das
sahrauische Volk kein Entkommen gibt, vergleichbar mit dem Gaza in Palästina.
Die
Sahrauis sind ein Nomadenvolk, Beduinen und sprechen sahrauisch, das keine arabische Sprache ist.
Sie haben eine eigene Kultur und nationale Identität. Das sahrauische Volk ist
eine Nation.
Die
Bevölkerungszahl liegt bei ungefähr 500 000 Menschen. In der
marokkanischen Besatzerzone leben circa 200 000 Sahrauis. Insgesamt sind
circa 1 Million marokkanische Siedler, und 1 Million Polizei und
Armeekräfte in der Westsahara. (Auf jeden Sahraui kommen 10 marokkanische
Staatsbürger. Diese Angaben zur marokkanischen Besatzerzahl von der Frente
liegen weit höher als bei allen anderen Quellen, die höchstens von 400 000
Marokkanern sprechen.)
Die
Sahraui im besetzten Gebiet leben rechtlos, in Armut und ohne
Zukunftsperspektiven. Schwere Menschenrechtsverletzungen durch die Besatzer
sind an der Tagesordnung.
Das
befreite Gebiet der „DARS“ ist kaum besiedelt, da es keine Lebensgrundlagen gibt.
Im DARS Gebiet sind vor allem Truppen der F. Polisario stationiert. Sie
kontrollieren die Einhaltung der Waffenstillstandslinie und verhindern, dass
Marokko seine Besatzung ausweitet und sich noch mehr Land unter den Nagel
reißt.
Die
vier großen Flüchtlingslager in Algerien, östlich der Stadt Tindouf (benannt
nach Städten in der Westsahara: El Aaiun, Smara, Ausserd, Dakhla) werden von
der Frente Polisario verwaltet. Hier leben mittlerweile etwa 175 000
sahrauische Menschen. Laut UNHCR sind weitere 26 000 Flüchtlinge in
Mauretanien. Alle Flüchtlinge sind für ihr Überleben abhängig von den Almosen
der World Food Programme und dem UN-Flüchtlingshilfswerk. Weitere ca.
100 000 Sahrauis leben in anderen Staaten, überwiegend in Spanien. [1]
Erste
Winde des „arabischen Frühlings“ wehen Anfang Oktober 2010 durch die besetzte Westsahara.
10-20 Jugendliche Sahrauis errichten vor El Aaiun, besetzte Hauptstadt der
Westsahara, eine Zeltstadt. In wenigen Tagen schließen sich Zehntausende dem
Protest gegen die unerträglichen Lebensbedingungen und die Besatzung an. Am
8. November 2010 wird das Camp brutal-faschistisch von marokkanischen
Polizeikräften und Militär überfallen und nieder gebrannt. Der Ausnahmezustand
wird verhängt. Die kolonialistische Politik Marokkos gegenüber der Westsahara
wird für einen Moment ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Die Westsahara
findet plötzlich Resonanz in den Medien. Allerdings hat der losbrechende Sturm
der Rebellion des arabischen Frühlings in Tunesien und Ägypten die Westsahara
dann sehr schnell wieder in den Hintergrund gerückt.
In
Deutschland machen linke, revolutionäre, autonome Jugendorganisationen bzw.
Gruppen mit phantasievollen Aktionen immer wieder auf die Tragödie des
sahrauischen Volkes aufmerksam. Mit diesem Artikel wollen wir das
„Schweigekartell“ zur Westsahara mit durchbrechen. Die Besetzung der Westsahara
und der antikoloniale Befreiungskampf dürfen nicht in Vergessenheit geraten.
Wir wollen die Machenschaften des BRD-Imperialismus anklagen, der das seine
dazu tut, die hoffnungslose Situation des sahrauischen Volkes weiter
aufrechtzuerhalten.
1882
besetzt Hauptmann Bonelli im Namen des Bourbonenkönigs von Spanien, Alfonso XII
das Gebiet Rio de Oro. Auf der, zwischen 15. November 1884 – 26. Februar
1885 tagenden „Kongo-Konferenz“ in Berlin vollziehen die europäischen
Mächte die imperialistische Aufteilung Afrikas. Rio de Oro, der Süden der
Westsahara wird Spanien als Protektorat zugeschanzt. Im letzten Akt der
kolonialistischen Aufteilung werden am 27. Juni 1904 die „Rechte
Spaniens“ auf Saguiat El Hamra, Norden der Westsahara ausgedehnt. Die
Kolonisatoren beschränkten sich zunächst auf militärische Stützpunkte an der
Küste, ohne weiter ins Landesinnere vorzudringen. „Das Ende des Bürgerkriegs
in Spanien 1939 bedeutete den Beginn eines der grausamsten und am wenigsten
bekannten Kapitel des Franco-Regimes: die Kolonisierung der Sahara.“ [2]
Das
versklavte sahrauische Volk widersetzt sich von Beginn an in Aufständen und
Revolten der kolonialen Besatzung, wie zum Beispiel in den Jahren 1957-1958.
Am 14.
Dezember 1960 wurde von der UNO die Deklaration „Gewährung der
Unabhängigkeit für die kolonialen Länder und Völker“ in der Resolution 1514
(XV) verabschiedet. In dieser wurden die Richtlinien für die Entkolonialisierungspolitik
festgelegt. (Report Nr. 1, S. 36) Seit 1963 steht Westsahara auf der Liste der
zu entkolonialisierenden Länder. [3]
Die
UN Vollversammlung ratifiziert die Selbstbestimmungsakte der Sahraui und „verabschiedete
1966 die Resolution 2229 (XXI), in der nach ‚Konsultierung der interessierten
Nachbarländer eine Volksbefragung’ empfohlen wird. Diese wurde für 1971
vorgesehen.“ (Report Nr. 1, S. 36)
In
den folgenden Jahren fordert
die UN-Generalversammlung Spanien wiederholt auf, das Referendum durchzuführen.
Spanien schiebt die Volksabstimmung immer wieder auf. Aufgrund zunehmender
Demonstrationen und Kämpfe der sahrauischen Befreiungsbewegung und des brüchig
werdenden Franco-Regime (Franco stirbt 1975) setzt Spanien 1974 das Referendum
für das Jahr 1975 an.
Auf
Initiative Marokkos und Mauretaniens, die seit der vorgesehenen
„Entkolonialisierung“ Ansprüche auf das Territorium der Westsahara stellten,
beschließt die UN-Generalversammlung im Dezember 1974, vom Internationalen
Gerichtshof (IGH) ein Gutachten zum Status der Westsahara einzuholen. Parallel
wird Februar 1975 eine UN-Delegation für die Westsahara-Frage bestimmt. Diese
trifft Anfang Mai 1975 in Spanien ein und besucht über einen Monat lang die
betroffenen Länder, vom 12.-20. Juni die Westsahara. Sie bestätigt in ihrem
Bericht das Selbstbestimmungsrecht der Sahraui. Die Frente Polisario wird
als legitime Vertretung des sahrauischen Volkes anerkannt. Erneut wird die
Abhaltung eines Referendums eingefordert.
Am
16. Oktober 1975 legt der Internationale Gerichtshof seine Ergebnisse vor. Kernpunkt
ist: Es gibt „keine Beziehung der territorialen Souveränität zwischen
dem Gebiet der West-Sahara und dem Königreich Marokko oder der mauretanischen
Entität“. Bekräftigt wird das „Prinzip der Selbstbestimmung durch den
freien und unverfälschten Ausdruck des Willens der Völker“ des Territoriums
der Westsahara. [4]
Am
selben Tag startet der marokkanische Monarch einen Mobilisierungsfeldzug für
einen sog. „Grünen Friedensmarsch“. Bereits am 6. November dringen
350 000 marokkanische Staatsbürger in den Norden der Westsahara ein,
flankiert von der marokkanischen Armee, um den territorialen Anspruch des
Herrscherhauses zu untermauern.
Die
erste Fluchtwelle des sahrauischen Volkes setzt ein. Zehntausende fliehen nach
Algerien. Am 9. November wird der Marsch abgebrochen, da sich Spanien auf
Geheim-Verhandlungen einlässt. Am 14. November 1975 vereinbarten
Spanien mit Marokko und Mauretanien die Aufteilung der Westsahara unter den
beiden nordafrikanischen Staaten im so genannten „Dreiseitigen Abkommen von
Madrid“. In diesem wird das Selbstbestimmungsrecht der sahrauischen Nation
vollständig missachtet. (Siehe S. 6)
Am 27. November
beginnen die Truppen Marokkos und Mauretaniens den Krieg und marschieren vom
Süden und vom Norden kommend in die Westsahara ein. Zwei Drittel des
Territoriums geht an Marokko und ein Drittel an Mauretanien.
Die
Frente Polisario nimmt umgehend den Guerillakrieg gegen die Invasionstruppen
auf. Sie proklamiert am 27. Februar 1976 in Bir Lahlou die
„Demokratische Arabische Republik Sahara“ (DARS) mit El Aaiun (Laayoune,
marokkanischer Besatzername) als Hauptstadt.
An
die 160 000 Sahrauis fliehen in diesem Krieg vor den Gemetzeln der
Besatzer durch die Wüste. Von heute auf morgen mussten sie alles stehen und
liegen lassen, um ihr Leben zu retten. Die Wüste ist offenes Land, in dem es
keinerlei Schutzmöglichkeiten gibt. Die Flüchtenden werden von der Luftwaffe
Marokkos gejagt und mit Phosphor- und Napalmbomben beschossen. Wie viele
Menschen insgesamt ermordet wurden, lässt sich nicht genau sagen, so die Frente
Polisario. Aber mit Sicherheit waren es Zehntausende. Mitte 1976 geht die
Frente in die militärische Offensive gegen Marokko und Mauretanien.
Im
Juli 1978 destabilisiert ein Militärputsch Mauretanien und die Frente setzt mit
ihren militärischen Angriffen Mauretanien stark unter Druck. 1979 stimmt
Mauretanien einem Friedensabkommen zu und zieht sich zurück. Marokko besetzt daraufhin die gesamte Westsahara.
Der
spanische Kolonialismus endet, in dem er durch den Kolonialismus Marokkos für
seine regional-hegemonialen Ansprüche ersetzt wird. Den westlichen Großmächten,
vor allem Frankreich und USA, Oberherren des faschistischen marokkanischen
Königreiches, war eine unter dessen Besatzung stehende Westsahara allemal
lieber als eine unabhängige demokratische Republik Sahara unter der Führung der
Frente Polisario. Algerien stand auf Seiten der Frente und gegen den
Expansionisdrang Marokkos, das auch Gebiete Algeriens als marokkanische
beansprucht. Algerien ist Mitglied der „Blockfreien-“ [5]
und „3. Welt-Bewegung“ vieler unabhängig gewordener Staaten in Afrika, Asien
und Lateinamerika, die zum damaligen Zeitpunkt, mit dem russischen
Sozialimperialismus, oder mit China sympathisierten.
Die
Aufteilung der Einflusssphären zwischen dem Westen und dem Ostblock verlief
sozusagen durch die Westsahara. Marokko und Algerien rivalisierten seit ihrer
staatlichen Unabhängigkeit um einen beherrschenden Einfluss in Nordafrika.
Aufgrund des Westsahara-Konfliktes war die Grenze zwischen Algerien und Marokko
Jahrzehntelang geschlossen.
„Die Freiheit kommt aus den
1968
schlossen sich drei Befreiungsorganisationen, entstanden Anfang der sechziger
Jahre, zur Frente Polisario zusammen. 1970 organisierte die Befreiungsbewegung
eine mächtige Demonstration für die Unabhängigkeit der Westsahara. Sie endete
in einem Massaker der spanischen Kolonialherren an der Zivilbevölkerung,
Hunderte wurden verhaftet und viele „verschwanden“.
Am 10.
Mai 1973 hält die Polisario ihren Gründungskongress ab. Der Aufruf des
Kongresses „Die Freiheit kommt aus den Gewehrläufen“ wird das Fanal für
den beginnenden bewaffneten Kampf „gegen Imperialismus und das faschistische
Spanien“. In kürzester Zeit erstarkte die Polisario und kontrollierte
bereits zwei Jahre nach ihrem Gründungskongress weite Teile, der von Spanien
besetzten Westsahara. Die auf dem zweiten Kongress der Polisario im Jahr 1974
klar formulierten, „Zehn Voraussetzungen für eine Volksbefragung“,
gelten im Prinzip nach wie vor auch für die heutige Situation gegen die
marokkanischen Besatzer.
Auf
ihrem 4. Kongress, März 1976, verabschiedete die Polisario im nationalen
Programm folgende zentralen Maßnahmen: „Die Partizipation der Massen an der
Verwaltung; die Kaderausbildungen; die Herausbildung eines kulturellen
politischen Bewusstseins; Bildung und Förderung der Alphabetisierung der
Frauen. Nach der Befreiung der Westsahara sollen zudem folgende Ziele
verwirklicht werden: die Schaffung eines demokratischen und unionistischen
Systems; die Realisierung des Sozialismus; die gerechte Verteilung der
nationalen Ressourcen; die Aufhebung von Ungleichheit und Ausbeutung; die
Realisierung der politischen und sozialen Rechte der Frau; die Arabisierung des
Unterrichts; die ausgewogene Entwicklung des Landwirtschaftssektors; die
Industrialisierung und der Schutz der Meeresressourcen.“ [6]
Die Verfassung der DARS wird alle vier Jahre erneut diskutiert, teilweise
aktualisiert und verabschiedet. Im Parlament der DARS sind, ohne Quotenregelung,
34% der Abgeordneten Frauen. Traditionell haben die Frauen der Beduinenstämme
aufgrund der nomadischen Lebensbedingungen nicht so eine unterdrückte Stellung
wie z.B. in arabischen Staaten.
Die
Frente Polisario ist eine Befreiungsbewegung für die Unabhängigkeit der
Westsahara und für einen demokratischen Staat. Die Frente sieht sich als eine
Plattform aller politischen Strömungen im sahrauischen Volk. Der Sprecher
der Polisario, Jamal Zakari nennt das „politische Familien“. Natürlich gibt es
unterschiedliche Richtungen, die eigene politische Zukunftsvisionen haben. So
haben z.B. in den 1970er und 1980er Jahren die sozialistischen einen
ausschlaggebenden Einfluss gehabt. Heute, so der Polisario Vertreter, gibt es
sogar eine grün orientierte „politische Familie“, obwohl, so setzte er
scherzhaft hinzu, in den Flüchtlingslagern der Wüste kein Grün wächst.
Auf
den Polisario-Kongressen wird eine breite Diskussion geführt und
Mehrheitsbeschlüsse werden gefasst. Entscheidender und alle verbindender
Grundkonsens ist die Durchsetzung der Rechte des sahrauischen Volkes durch das
Referendum.
Der
Aufstand des sahrauischen Volkes und der Frente gegen die Besatzung mit allen
Mitteln zu kämpfen ist gerecht. Die Frente hat, nach eigenen Angaben immer
versucht ihren eigenen Weg, in Solidarität mit den Befreiungsbewegungen
weltweit zu gehen. Sie hat sich gegen falsche Einvernahme von anderen
Staaten, auch Algerien, bzw. Machtblöcken wie USA-Westen, oder SU-Ostblock oder
Blockfreienbewegung-China, gewehrt. Die Polisario hat sich ihre
politische und organisatorische Unabhängigkeit teuer erkämpft. Zum Beispiel hat
Libyen 1984 seine Unterstützung der DARS komplett eingestellt. Die Frente hatte
das Regime von Gaddafi als alles andere als demokratisch bewertet.
Nach
dem Rückzug Spaniens, musste die Polisario von nun an gegen die Besatzung durch
Marokko und bis 1979 auch Mauretanien, kämpfen. In diesem Guerillakrieg wird
die Polisario von Algerien militärisch, politisch und humanitär
(Flüchtlingslager) unterstützt. 1981 kontrollierte die Frente nahezu das gesamte Land. Die marokkanischen
Besatzer konnten nur durch massive US-amerikanische und französische
Rüstungshilfe sowie den Beginn des Mauerbaus ihre Macht
aufrechterhalten. Im weiteren Verlauf der Kämpfe drängte Marokko die Polisario-Kämpfer
immer weiter ins Landesinnere zurück. Parallel dazu wurde ein System von Wällen
angelegt, welche das Eindringen von Polisario-Kämpfern in marokkanisch
kontrolliertes Gebiet verhinderten. Dieses Mauersystem wurde nach jedem
bedeutenden Gebietsgewinn Marokkos erweitert, um die neu eroberten Gebiete „zu
schützen“.
Die
Befreiungsarmee der Polisario hatte zeitweise bis zu 20 000 KämpferInnen.
Die Polisario führte den bewaffneten Kampf bis 1989 gegen die marokkanischen
Besatzer. Dann wurden – unter Führung der UN – ein Waffenstillstandsabkommen
und ein Friedensplan zwischen Marokko und der DARS, der auch ein Referendum
vorsah, geschlossen.
Dieses
trat 1991 in Kraft und legte, mit Zustimmung auch Marokkos, das Referendum für
Februar 1992 fest. Parallel wurde für die Westsahara die „Mission der Vereinten
Nationen für das Referendum in Westsahara, die MINURSO“ geschaffen. Sie
soll das Einhalten des Waffenstillstandsabkommens und die Durchführung des
Referendums kontrollieren.
Aber
bis heute passierte nichts. Die Westsahara Friedensmission der UN ist die drittälteste,
erfolglose Mission der UN, neben der Palästina- und Zypern-
„Friedensmission“. Papierberge von 196 Resolutionen der UN, Berichten,
Entschließungen, Untersuchungskommissions-Ergebnissen, die das Recht auf
Selbstbestimmung des sahrauischen Volkes bestätigen, türmen sich auf. Es wird
formal anerkannt, aber… die brutale, mörderische koloniale Besatzung geht
weiter.
Bis
heute hat es Marokko geschafft durch hunderte von Winkelzügen und
Hinhaltetaktiken das Referendum zu verhindern. Und es schafft weiterhin Fakten:
Die Umsiedlung und „Landnahme“ von marokkanischen SiedlerInnen in die
Westsahara wird forciert. Z.B. lockt Marokko mit günstigen Steuersätzen,
hohen Löhnen und zahlreichen Privilegien. Anders als in Marokko werden in der
besetzten Westsahara Arbeitskräfte gebraucht: im Bergbau, für die Fischerei und
für den Ausbau von Infrastruktur, im Tourismus und für den Bau von
Solarkraftwerken, wie dem Desertec-Projekt! (Siehe Interview, S. 17)
Im
Februar 1982 wurde die DARS auch in die Organisation für Afrikanische
Einheit (Organisation of African Unity, OAU, heutige Afrikanische Union,
AU) aufgenommen. Marokko trat daraufhin aus der AU aus. Die DARS ist 2013 zwar
international von 84 Staaten (Angabe Frente Polisario) anerkannt
und unterhält diplomatische Vertretungen. Aber die DARS hat keinen Sitz bei den
Vereinten Nationen, da diese die Aufnahme vom Ausgang eines Referendums über
den Status der Westsahara abhängig machen. Die Polisario ist lediglich von der
UNO als Verhandlungspartner und rechtmäßiger Vertreter des sahrauischen Volkes
anerkannt.
In
der Frage des Referendums sind zwei Fragen zentral: Über welchen rechtlichen
Status der Westsahara soll abgestimmt werden und wer nimmt an der Abstimmung
teil?
Marokko
hat von Anfang an ein Referendum über das Recht der Sahraui auf einen eigenen
Staat abgelehnt. Als Feigenblatt für die Okkupation, hat es immer wieder die
Variante einer, im Rahmen des marokkanischen Staates, begrenzten Autonomie ins
Spiel gebracht. Die Autonomie-Lösung wird auch von den westlichen Großmächten
Frankreich, USA, BRD, EU favorisiert. Wann immer sich Marokko scheinbar auf
einen Kompromiss einließ, so in den Verhandlungen von 1991 bis 1997, oder bei
den verschiedenen Plänen des UN Sonderbeauftragten Baker, torpedierte es am
Ende selbst wieder alle Lösungen. [7]
In
der Frage der Abstimmungsberechtigung ist die Position der Polisario
folgende: alle die in der Westsahara während der spanischen Besatzung lebten und
deren Nachkommen sind bei einem Referendum wahlberechtigt. Das heißt natürlich
auch alle Flüchtlinge. Besatzer und deren Nachkommen sind ausgeschlossen. Diese
Position teilt auch die UN in ihren Resolutionen.
Die Okkupationsmacht
Marokko will, dass alle Bewohner der Westsahara, auch die marokkanischen
Siedler, teilnehmen. Dadurch würde sich natürlich das Kräfteverhältnis und
damit der Ausgang des Referendums verschieben. „Eine jahrzehntelange
Einwanderung von Marokkanern in die Westsahara hat inzwischen die Sahrauis zur
Minderheit im eigenen Land gemacht.“ [8]
2003
stimmte die Frente sogar einer erweiterten Autonomielösung (Baker Plan II) für
die besetzte Westsahara innerhalb Marokkos und der Abhaltung des Referendums
erst 5 Jahren nach dem Autonomiestatus, zu. 2004 sichert die Frente schriftlich
zu, die wirtschaftlichen Interessen Marokkos in einer unabhängigen Westsahara
zu berücksichtigen. Aber Marokko boykottiert auch all diese Kompromisse.
So
verhindert Marokko bisher jede Lösung. Vor allem wird es dabei von Frankreich
unterstützt, das mit seinem Veto im Sicherheitsrat noch jede Resolution
verhindert hat, die Maßnahmen, wie Sanktionen etc. gegen Marokko als
Konsequenz für seine starre Haltung forderten.
Über
40 Jahre nach dem Dekolonisierungsbeschluss der UN ist die Westsahara
nach wie vor Kolonie. Der UN-Sicherheitsrat verlängert jährlich, aktuell Ende
April 2012 bis April 2013, die MINURSO um ein weiteres Jahr. In unregelmäßigen
Abständen wird die Westsahara Frage auf die Tagesordnung der UN gesetzt. Die UN
„überwacht den Friedensprozess“, der allerdings faktisch keiner ist. Denn es
wird nur der für das sahrauische Volk unerträgliche, allen Resolutionen der UN
widersprechende Status quo aufrechterhalten. Selbst der Antrag auf
Ausweitung des MINURSO Mandats zur „Beobachtung der Menschenrechtslage“
aufgrund der ungeheuerlichen Repressionen in der besetzten Westsahara durch
Marokko wird 2011 durch das französische Veto im Sicherheitsrat abgelehnt.
Im
Juni 2012 wird der deutsche Diplomat Wolfgang Weisbrod-Weber, zum
Sonderbeauftragten und Leiter der MINURSO-Mission ernannt. So mischt auch die BRD
als Großmacht an „vorderster Front“ mit. Der Sondergesandte des UN
Generalsekretärs, Christopher Ross hat seit 2009 wieder einige informelle
Gespräche zwischen Marokko und der Frente initiiert, aber die marokkanische
Regierung lehnt derzeit jedwede Zusammenarbeit mit diesem ab. Sie fordert seine
Abberufung. Auch das nur ein weiteres taktisches Manöver.
Widerstand und
Die
Frente Polisario hat trotz des 1991 in Kraft getretenen Waffenstillstands
niemals ihre Waffen abgegeben. Ihre Befreiungsarmee umfasst heute noch ca.
6-7 000 KämpferInnen. Hinzu kommt, alle BewohnerInnen der Flüchtlingslager
in Algerien nehmen an Militärübungen teil und bilden somit eine Art große
’Reservearmee’. Der bewaffnete Kampf wurde im besetzten Gebiet der Westsahara
zwar beendet, aber immer wieder erhebt sich das sahrauische Volk in, auch
militanten Widerstandsaktionen.
Im Mai
2005 lodern erneut massive Demonstrationen und Proteste, die heftigsten
seit 6 Jahren, auf. Das ist die „Sahrauische Intifada“, so die
Jugendorganisation, UJSARIO. Die Aktionen weiten sich auch auf Marokko aus. Bei
den Feierlichkeiten zum 32. Jahrestag der Gründung der Polisario (10. Mai 2005)
macht Mohamed Abdelaziz [9] klar, dass „das Volk der Sharaouis
nicht endlos inaktiv bleiben kann. Sie werden für ihre nationale Rechte
eintreten und das mit allen legitimen Mitteln, die den bewaffneten Kampf mit
einschließen“. [10]
Das
marokkanische Regime schlägt alle Proteste mit brutaler Gewalt nieder. Hunderte
Militante werden verhaftet und gefoltert. Viele werden verurteilt und einige
„verschwinden“. [11]
Die
nächste mächtige Protestwelle startet 2010. Es ist der Vorfrühling des
arabischen Frühlings. Zu dem Zeitpunkt, als die Gespräche zwischen Marokko und
der Polisario in New York unter Aufsicht der UNO in einer Sackgasse endeten und
unklar war, ob sie wieder aufgenommen werden können, kam es am 10. Oktober
2010 zu spontanen Protestaktionen. Es war ein Protest der vor allem
jugendlichen Sahraui gegen Entlassungen, Wohnungsnot, Ausgrenzung, Verelendung,
Erwerbslosigkeit und Armut. Es war ein Aufschrei gegen die gesellschaftliche,
politische und soziale Unterdrückung. Die Form des Protestes war neu und die
Inhalte waren sehr weit gefasst. „Anders als bei den sonst üblichen
Protesten stand bei der Errichtung der Camps, die auch an anderen Orten
aufgebaut wurden, zunächst nicht die Frage der Unabhängigkeit im Vordergrund.
Es handelte sich vielmehr um eine ‚neue Form’ des Kampfs, um gegen die soziale
Ausgrenzung zu demonstrieren.“ [12]
Zeltstädte
wurden in der Wüste errichtet. Wie das größte Camp „Gdeim Izik“, „Camp der
Würde“, das über 10 km von der Hauptstadt El Aaiun entfernt lag.
Anfangs waren nur einige hundert Menschen am Aufbau des Camps beteiligt. Dann
aber strömten Tausende sahrauische Bewohner aller Altersgruppen, Männer, Frauen
und Kinder aus den besetzten Städten in die Wüste, um sich den Protesten
anzuschließen. Zwischenzeitlich riegelten die Sicherheitskräfte die Camps
angesichts des Zustroms sogar ab. In kurzer Zeit erstarkte das „Camp der Würde“
auf über 20 000 Menschen. Die marokkanischen Herrscher haben alles getan,
um die Ausdehnung des Widerstands zu verhindern. Die Ein- und Ausfahrenden des
Camps wurden von der Armee kontrolliert. Journalisten, Parlamentarier der
Europäischen Linken und auch Diplomaten wurden nicht in die Zeltstadt gelassen.
Als während einer Kontrolle am 24. Oktober der 14 jährige Elgarhi Nayem
ermordet wurde, entflammte die Wut der sahrauischen Bevölkerung. Sie begann
gegen die marokkanische Armee zu kämpfen. Am frühen Morgen des 8. November
lässt die Armee aus Schläuchen kochendheiße Wasserstrahlen auf die Zeltstadt
prasseln. Dann wird das Camp mit brutaler Gewalt gestürmt, geräumt und niedergebrannt.
Dabei sollen nach Angaben der Polisario mindestens dreizehn Menschen getötet
und siebenhundert verletzt worden sein. Die Vermissten werden mit mehr als 150
angegeben. In der Hauptstadt und allen anderen
größeren Städten kam es daraufhin zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Armee
und Polizei. Die Besatzer haben Haus für Haus durchsucht. Sie Geheimdienste
haben die Menschen schikaniert, inhaftiert und gefoltert. Dennoch konnten sie
die Stimme für Unabhängigkeit nicht unterdrücken.
Gezielt
hatte die marokkanische Regierung die Räumung des „Camps der Würde“ auf den Tag
gelegt, wo in New York die „UN-Vermittlungsgespräche zwischen Polisario und
Marokko“ wieder aufgenommen werden sollten. Trotz der Brutalität der
marokkanischen Besatzer hat die Polisario die Gespräche geführt. „Man habe
zwar gezweifelt, erklärte Ahmed Boukhari, Vertreter der Polisario in der UNO,
doch man wollte nicht in die Falle tappen, mit der Rabat die ‚Verhandlungen
sabotieren will’“. 11
Die
brutale Besetzung und die zermürbende Hinhaltetaktik Marokkos, und die völlig
wirkungslose UN-Politik hat innerhalb der Frente Polisario und der sahrauischen
Volksmassen immer wieder die Diskussion über die richtige Taktik aufflammen
lassen. Das Für und Wider um die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes wird
sehr kontrovers und heftig geführt. Sei es auf dem 12. Polisario-Kongress
2007 oder auf dem letzten, dem 13. Kongress im Jahr 2011 in Tifariti, der unter
dem Motto „Nur ein unabhängiger sahrauischer Staat ist die Lösung“
stand, war diese Frage im Zentrum der Debatten. (Siehe Interview, S. 17) Aber
die Geduld hat auch ihre Grenzen, vor allem die völlig perspektivlose Jugend
will eine radikale Veränderung, hier und heute. Die Frente Polisario vertritt
aktuell, dass die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes nicht die militärische
Vertreibung Marokkos aus der Westsahara zum Ziel haben kann. Dazu sind die
militärischen Kräfteverhältnisse viel zu ungleich. Der bewaffnete Kampf kann
nur zu mehr Druck für eine Lösung auf internationaler Ebene ausüben. Der Preis
für das sahrauische Volk in der besetzten Westsahara wäre aber ein zu hoher
Blutzoll, der bis hin zu seiner völligen Vernichtung durch die marokkanische
Diktatur führen könnte.
Bitteres Leid des
Seit
40 Jahren lebt der Großteil der sahrauischen Bevölkerung in Flüchtlingslagern,
wo sie auf die Almosen der UN angewiesen ist und im Exil. Im von Marokko
besetzten Teil leben die Sahraui rechtlos, in unvorstellbarer Armut und ohne
Zukunftsperspektiven. Sie sind im eigenen Land Menschen zweiter Klasse. Die
Diskriminierung verläuft auf allen Ebenen, auf juristischen, rechtlichen,
ökonomischen und politischen. Die sahrauische Bevölkerung ist der Willkür der
Besatzermacht völlig ausgeliefert. Viele Sahauri sind inhaftiert. Gleichzeitig
setzt die Besatzermacht auf Arabisierung und die Auslöschung der kulturellen
und nationalen Identität der Sahraui. Die Sprache der Sahraui wird nicht
unterrichtet. Viele sahrauische Kinder werden nach der Grundschule nach Marokko
auf Schulen geschickt, wo die „Arabisierung“ auf Hochtouren läuft. Das ist ihre
einzige „Bildungschance“.
Im
befreiten Gebiet der Westsahara, leben die Menschen getrennt durch die Mauer.
Die marokkanischen Besatzer kontrollieren die Grenzen. Die Menschen in den
Flüchtlingslagern, die vor dem Krieg geflohen sind, können nicht zurück.
Generationen von Familien leben durch eine Mauer getrennt.
Die
Flüchtlinge in den algerischen Lagern darben in einer kargen Geröllwüste und
ohne jegliche Lebensperspektive. Die internationale Hilfe wird stetig
zurückgefahren. „Studien des Hilfswerks der norwegischen Kirche und von
Medicos del Mundo aus dem Jahr 2008 zeigen, dass 10 Prozent der Kinder in den
Lagern an Unterernährung leiden. Laut Angaben der UN spricht man bei 15 Prozent
Unterernährung der Kinder von einem kritischen Ausnahmezustand.“ [13]
Die
Delegation der Europäischen Linkspartei berichtet über ihre Reise im November
2012: „Die Delegation informierte sich über die humanitäre Situation in den
Flüchtlingslagern, die sich seit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2008
massiv verschärfte, in deren Folge die internationalen Hilfslieferungen, von
denen die Menschen in den Lagern vollständig abhängig sind, um 60% einbrachen.“ [14] In der Selbstverwaltung der befreiten
Gebiete und der Flüchtlingslager versuchen das Volk und die Polisario dieser
schier ausweglosen Lage zu trotzen. Natürlich wollen Menschen der brutalen
Situation durch Flucht und Migration entkommen. Das aber, so der
Generalsekretär der Polisario, Abdelaziz, „könnte ernsthafte Auswirkungen
auf die Existenz unseres Volkes haben.“ [15]
Viele imperialistische Mächte – unterschiedliche Interessen
Marokko hat strategische, politische,
militärische, ökonomische Vorteile aus der Besatzung der Westsahara. Nur ein
Beispiel: „Allein im Jahr 2008 erwirtschaftete Marokko rund 1 500
Milliarden Dollar aus dem illegalen Export von Phosphaten aus dem von ihm
besetzten Gebiet der Westsahara.“ [16]
Allerdings
gibt es daneben – mit unterschiedlichen Interessen – auch andere Mächte, und
„Oberherren“ des marokkanischen Herrscherhauses, die Interesse an der Besatzung
haben und in vielerlei Hinsicht davon profitieren. Die UN selbst, die USA,
Frankreich, Spanien, die EU und – wie immer an vorderster Front mit dabei – die
BRD!
UN…
…finanziert
sich und den marokkanischen Königsclan. Im Rahmen des Kyoto-Protokolls wurde
der „Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung“ (CDM) bei der UN
eingerichtet, um „Entwicklungs“ländern eine ‚ökologische, nachhaltig
wirtschaftliche’ Entwicklung‘ durch einen Zufluss an Geld und Technologie zu
ermöglichen. Geprüft wird nun ein Finanzierungsantrag an CDM für das
Windkraft-Anlagen-Projekt Foum El Oued im Süden von Marokko (also in der
Westsahara!). Besitzerin und Betreiberin des Windparks ist die NAREVA Holding,
die von der Familie des marokkanischen Königs geführt wird.
Einerseits
bekräftigt die UN-Generalversammlung die Rechte des sahrauischen Volkes in
Resolutionen, andererseits betreibt die UN-Organisation praktische Politik mit
der Besatzermacht und subventioniert sie. Denn auch in der UN haben letztlich
die Großmächte das Sagen.
Im
UN-Friedensplan war die Freilassung aller Kriegsgefangenen auf beiden Seiten
vereinbart worden. Im August 2005 entlässt die Frente Polisario die 400 letzten
marokkanischen Kriegsgefangenen. Marokko hat hingegen die Gefangenen nicht
freigelassen und wurde auch nicht entsprechend mit Sanktionen unter Druck
gesetzt.
USA...
...
Anfang der 1980 Jahre lösten die USA die alte Kolonialmacht Frankreich als
imperialistischer „Hauptherr“ Marokkos ab. 1982 schließt der marokkanische
Herrscher mit den USA eine militärische Kooperation ab, die weitreichende
strategische Bedeutung hat. Aktuell liefern die USA F-16-Bombenflugzeuge an die
marokkanische Regierung. 2011 erklären die US-Demokraten Marokko zum „engsten
Freund“ in Nordafrika. In der Westsahara-Frage verfolgen die USA ihre ganz
eigenen Interessen. Anfang 2001 unterzeichnete das US-Unternehmen Kerr-McGee
mit der marokkanischen Kolonialmacht Verträge für die Suche und Verwertung von
Öl und Gasvorkommen in den Küstengewässern der Westsahara. Der US-Konzern
verlängert seinen Vertrag Jahr für Jahr – immer fein synchronisiert mit dem
UN-Mandat für die Westsahara. Darum haben die USA (und auch Frankreich) den
Autonomieplan im Sicherheitsrat vorangetrieben. 2012 wird im Bericht des „US
Geological Survey of World Energy“ definitiv von riesigen Öl- und Gasvorkommen
im Küstenbereich der „Saharan Coast“, berichtet. [17]
Der Französische Imperialismus…
… hat als alte Kolonialmacht ebenfalls
beste Beziehungen zu Marokko: Das französische Monopol Total S.A. hat erneut
mit der marokkanischen Regierung ein Ölabkommen geschlossen.
„Nach
Recherchen von WSRW hat Total bereits am 6. Dezember 2011 für einen massiven
Offshore-Block gezeichnet. Am 29. November 2012 hatte WSRW enthüllt, dass
Total in die Westsahara zurückgekehrt sei, und zwar im Auftrag der
marokkanischen Regierung, die diese Gebiete der Westsahara besetzt hält. Dabei
handelt es sich sicherlich zunächst um einen Erkundungsvertrag, ähnlich dem
Vertrag, den das Unternehmen bereits für dieselbe Region im Zeitraum von 2001 –
2004 abgeschlossen hatte. Es heißt zunächst, dass die Laufzeit 12 Monate
betragen würde. Dies bedeutet, dass dieser Vertrag jetzt, nämlich zum 6.
Dezember 2012 auslaufen würde. Total ist daher gezwungen, zu erklären, ob es –
wie bereits 2004 geschehen – die Erkundungen innerhalb der saharauischen See
einstellt – oder einen neuen Vertrag mit der Besatzungsmacht der Westsahara
abschließt.“ [18]
Die
Polisario bewertet das Abkommen als ungültig. So stehen die Interessen der
französischen Imperialisten dem Selbstbestimmungsrecht der Sahrauis entgegen.
Daher verteidigen sie ihre eigenen Monopol-Interessen politisch in der UN. Nach
Angaben des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) gehen 8% aller
Rüstungsexporte aus Frankreich nach Marokko. Frankreich steht als
Handelspartner von Marokko sowohl beim Import mit 14%, als auch beim Export mit
21% an erster Stelle.
EU…
…
ist mit jährlich 200 Millionen Euro der größte (!) Investor in
Marokko. [19]
Die
Westsahara ist reich an Bodenschätzen: Diamanten, Gold und Uran sowie Kupfer,
Nickel, Zink, Blei und Kobalt und eines der größten Phosphatvorkommen der Welt.
Die Küste hat einen der reichsten Fischbestände Afrikas. Marokko verhökert den
Reichtum der Westsahara gewinnbringend an die EU.
Rund
48 Millionen US-Dollar wurden im Jahr 2008 durch illegalen Phosphat-Export aus
den besetzten Gebieten erwirtschaftet.
Die
EU (darunter an vorderster Front Spanien) hat 2007 mit Marokko ein Fischfangabkommen
geschlossen Spanien nutzt dieses natürlich für seine eigenen Interessen.
Spanien hat ja schon 1975 im dreiseitigen Abkommen umfangreiche
Fischfangrechte, Teile an den Bodenschätzen und dem Reichtum der Westsahara
zugesichert bekommen. Marokko profitiert mit jährlich 36 Millionen Euro, von
der Vergabe der Fischfanglizenzen an die europäische Fischereiflotte. (Das
EU-Parlament hatte die Verlängerung des Fischereiabkommens zwischen der EU und
Marokko im Jahr 2011 mit knapper Mehrheit abgelehnt.)
Allerdings
plant die EU ab 2013 jährlich Millionen von Euros an die Regierung von
Marokko zu bezahlen, damit es EU-Schiffen wieder erlaubt wird, die Gewässer des
besetzten Gebietes abzufischen. Die EU hat die neue Verhandlungsrunde mit
Marokko über illegalen Fischfang vor der Küste der Westsahara genau an dem Tag
gestartet, an dem sie in Oslo den Friedensnobelpreis erhalten hat.
„Am
26. November 2012 hat die Befreiungsfront für die Westsahara, Frente Polisario,
sich mit einem Brief an den Sicherheitsrat gewandt ... In diesem Brief heißt es
u.a.: ‚Die Frente Polisario will auch die Aufmerksamkeit auf die andauernde
illegale Erforschung und Ausbeutung der natürlichen Ressourcen der Westsahara
lenken. Insbesondere möchten wir unsere tiefe Besorgnis über die Pläne der
Europäischen Union und Marokko zum Ausdruck bringen, die Verhandlungen über ein
bereits 2005 vereinbartes Fischerei-Partnerschaftsabkommen (FPA) wieder
aufzunehmen, das die Hoheitsgewässer der Westsahara einschließt. Das Protokoll
zu diesem Abkommen wurde am 14. Dezember 2011 vom Europäischen Parlament
niedergestimmt, weil dieses Abkommen unter ‚Missachtung der Interessen und
Wünsche der saharauischen Bevölkerung’ (UN Doc. S/2002/161) zustande gekommen
sei. Damit sah das Parlament die Bedingungen für eine völkerrechtlich konforme
Nutzung natürlicher Ressourcen eines nicht-selbstständig regierten Gebietes lt.
Vorgaben des Rechtsbeistands der Vereinten Nationen von 2002 als nicht
erfüllt an. Wir fordern Marokko und sämtliche ausländische Rechtsträger auf,
die rechtswidrige Ausbeutung der Ressourcen der Westsahara einzustellen und
davon Abstand zu nehmen, Verträge zu schließen, die die vollständige
Souveränität des saharauischen Volkes über seine natürlichen Ressourcen
verletzen könnten.“ [20]
Ein neues
Agrar-Abkommen wurde bereits im Februar 2012 zwischen der EU und Marokko
beschlossen. Das missachtet ebenso die internationale Rechtslage der
Westsahara. Es werden größere Mengen an Frischprodukten aus der besetzten
Westsahara auf den europäischen Markt kommen. [21]
Und
nicht zuletzt sind für die spanischen Interessen ihre Enklaven Ceuta und
Melilla in Marokko von großer Bedeutung. Dadurch scheffelt Spanien Millionen
Euro von der EU um Menschen, die in die EU flüchten wollen in diesen
Gefängnissen festzuhalten und zu foltern.
BRD …
Neben
der „Entwicklungszusammenarbeit“ in Höhe von rund 130 Millionen Euro,
bildet die BRD Militär und Polizei des marokkanischen Staates aus. Die brutale
Niederschlagung von Protesten im eigenen Land und das Niedermetzeln des
Widerstands der Sahrauis seitens Marokkos finden also mit deutschen Know How
statt.
Aber
„wir“ liefern natürlich auch das Material dafür. In den letzten Jahren
exportierte die BRD Rüstungsgüter im Wert von fast 70 Millionen Euro
nach Marokko. Als weltweit drittgrößter
Waffenexporteur steht Deutschland natürlich „in der Pflicht“.
„In
marokkanischen Medien wurde am 30. Oktober 2012 berichtet, das Königreich
wolle ein U-Boot der Serie 209/1100 von Thyssen Krupp Marine Systems beziehen.
… Das U-Boot könnte von Marokko für eine Seeblockade der Westsahara oder
Algeriens eingesetzt werden.“ Gleichzeitig wird auch der schärfste Konkurrent Marokkos,
Algerien mit deutschen Waffen beglückt: „Auch will Algerien nach
Informationen des Nachrichtenmagazins ‚Spiegel’ 54 ‚Fuchs’-Transportpanzer in
Deutschland kaufen und bis zu 1 200 dieser Kettenfahrzeuge in Lizenz
herstellen.“ 24
Das
ist deutsche Ausgewogenheit und sichert die Absatzmärkte! [22]
Die
EU, in erster Linie die BRD, forcieren das „Wüstenstromvision-Energie-Projekt“,
Desertec mit nordafrikanischen „Partner“-Staaten. Als erstes, soll ein
600 Millionen Euro teures Solarkraftwerk in Marokko errichtet werden, um
„Grüne“ Energie nach Europa zu exportieren. Das gesamte Investitionsvolumen
soll bis 2050 mehrere hundert Milliarden Euro betragen.
Ziel
ist 15% des gesamten europäischen Strombedarfs bis 2050 mit Wüstenstrom zu
decken. Zwei der Kraftwerke sind auf besetztem, westsahrauischem Gebiet
geplant.
Die illegalen
Abtransporte von Bodenschätzen aus dem völkerrechtswidrig besetzten Gebiet
Westsahara werden von UnterstützerInnen der Sache des sahrauischen Volkes in
verschiedenen Ländern als Diebstahl angeprangert. Die beteiligten Schiffe
werden mit ihrem Namen, ihrer IMO-(Schiffs)Nummer und der Reederei
veröffentlicht. Darunter findet sich auch die deutsche Reederei Doehle,
die 2009 an „einem unethischen Transport von Phosphat aus der besetzten
Westsahara nach Kolumbien beteiligt war“. (wsrw.org)
Der
deutsche Monopolkonzern BASF importierte 2008 über seinen belgischen
Konzernableger schon mal illegal Phosphat aus der Bou-Craa Mine. Auf
Nachfrage wird versichert, das sei ein bedauerlicher Einzelfall.
Siemens informierte Ende Januar 2012 über
einen großen Auftrag für Windanlagen aus Marokko. Es handelt sich um die
Investitionsstandorte Haouma und Foum El Qued. Eines der Kraftwerke liegt im
Süden von Marokko – also in der Westsahara! Und nicht zu vergessen: Besitzerin
und Betreiberin ist die NAREVA Holding, die marokkanische königliche Familie.
Obwohl
die MINURSO-Mission von der UN-Generalversammlung mit den Stimmen der BRD wie
auch von Frankreich und USA verlängert wird, die ja das angebliche Ziel hat das
Referendum zur Selbstbestimmung durchzuführen, hintertreiben diese Staaten das
in der Praxis. Die Bundesregierung vertritt ungerührt die Auffassung, der völkerrechtliche
Status der Westsahara sei „ungeklärt“ und ist „umstritten“. [23]
In
der Praxis jedoch schließt sich die Bundesregierung implizit der marokkanischen
Auffassung regelmäßig an, wonach – zum Beispiel in Sachen erneuerbarer Energien
– die Westsahara integraler Bestandteil Marokkos ist. Die deutsche
Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GtZ, heute: Gesellschaft für
internationale Zusammenarbeit, GiZ) führt in Marokko Studien im Rahmen des
TERNA-Projekts durch, das „Partner in Entwicklungs- und Schwellenländern bei
der Planung und Entwicklung von Windkraft-Projekten unterstützen“ soll.
Hierzu
heißt es in der Länderstudie von 2007, dass „die seit 1991 (also kurz
nach dem Waffenstillstandsabkommen) gewonnenen Daten bestätigen, dass
Marokko über mehrere Gebiete mit hervorragendem Potential zur Ausbeutung von
Windenergie verfügt, insbesondere in den Gebieten um Tangier, Ksar, Sghir und
Tétouan sowie um Dakhla, Laayoune, Tarfaya und Essaouira.“ Dakhla und
Laayoune liegen in der Westsahara!
Auf
eine Anfrage der Linken im Bundestag bestätigt die Bundesregierung diese
Informationen und erteilt konkret nebulöse, schwammige Antworten.
Bezüglich
des Fischereiabkommens zwischen EU und Marokko wird in dieser „Antwort auf
die ‚Kleine Anfrage’“ rechtlich vertreten, dieses „bezieht sich auf das
Gebiet Marokkos und die Gebiete unter der Gerichtsbarkeit Marokkos.“ [24]
Alles
klar! Die Westsahara steht, als besetztes Land unter Marokkos Gerichtsbarkeit,
und darum machen ‚wir’ auch Geschäfte und Projekte in diesem Gebiet. Obwohl das
den UN Resolutionen, die ‚wir’ immer mit abwinken völlig widerspricht.[25]
Im
November 2010 betonte Außenminister Westerwelle bei seinem Besuch in
Marokko: „Die Desertec-Initiative könnte ein Meilenstein der
Energiezusammenarbeit werden“. Er sicherte von Seiten der BRD
40 Millionen Euro Investitionen beim Ausbau der Solarenergie zu. Weitere
„drei Millionen Euro für den marokkanischen Solarplan“ sind in der Diskussion.
Westerwelles Besuch erfolgte nur wenige Tage nach der gewaltsamen Zerstörung der
Zeltstadt „Camp der Würde“ in der Westsahara. Das hat den florierenden
Investitionstätigkeiten der deutschen Imperialisten aber keinerlei Abbruch
getan. Im Gegenteil, Westerwelle unterstrich bei seinen Gesprächen: „Deutschland
und Marokko sind hervorragende Partner“. 27
Dass
die Bundesregierung mit dem marokkanischen König auf allen Gebieten aufs engste
zusammenarbeitet, sollte hier niemanden überraschen. Menschenrechte
interessieren die deutsche Außenpolitik nur da, wo sie dem deutschen Kapital
nutzen, also wenn diese funktionalisiert werden können, um ungeliebte Regime
(notfalls auch) militärisch aus dem Weg zu räumen.
Nur eine kurze Zusammenfassung der weitreichenden Vereinbarungen wird damals veröffentlicht, der Rest blieb zunächst geheim. Kernpunkte sind: ‚die Spanische Anwesenheit im Territorium wird vor dem 28. Februar 1976 enden’ und ‚Spanien wird unverzüglich im Territorium eine vorläufige Verwaltung unter Beteiligung Marokkos und Mauretaniens (schaffen)’. „Erst 1978 enthüllt die spanische Presse, welchen Preis Marokko für den spanischen Verrat an den Sahrauis und die Missachtung sämtlicher UN-Beschlüsse zahlte. In den geheimen Zusatzprotokollen des Abkommens werden Spanien Fischfangrechte für 800 spanische Boote vor der Nordwestafrikanischen Küste über einen Zeitraum von 12 Jahren zugesagt und Anteile in Höhe von 35 Prozent beim Abbau der Bodenschätze in der Westsahara. Entsprechend behält Spanien auch 35 Prozent der Aktien an der Phosphatmine von Bou-Craa, die mit dem Abkommen zu 65 Prozent an die marokkanische Firma Office Cherifien de Phosphat übergeht. Außerdem soll Marokko der spanischen Düngemittelfabrik in Hueva Phosphat im Wert von 300 Millionen US-Dollar zum Spottpreis von 15 Dollar pro Tonne liefern. Und Hassan (Monarch von Marokko, TA) verspricht, seine Ansprüche auf die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla an der Mittelmeerküste so lange zurückzustellen, bis Großbritannien Gibraltar an Spanien abtritt. Schließlich soll Marokko Spanien auch die Nutzung von Militärbasen in der Westsahara und seine Unterstützung bei der Bekämpfung der Separatistenbewegung MPAIAC auf den kanarischen Inseln zugesichert haben.“ Der Generalsekretär der Frente Polisario, El Ouali, erklärte am 15. November 1975 in Algier: „Unser Volk, das sich zur Zeit einer marokkanischen Invasion gegenüber sieht, erklärt das in Madrid geschlossene Abkommen zwischen Spanien, Marokko und Mauretanien für null nichtig. Es ist ein Akt der Aggression und Plünderei.“
„Madrider
Abkommen“, Österreichisch-Saharauische Gesellschaft, oesg.ws/?pid=16&id=28
Barbarei Marokkos
Abdati Salama (70): ... nicht nur ich, sondern
viele, viele Sahrauis flohen damals in die Wüste, in die Gebiete, die von der
Frente Polisario kontrolliert und verwaltet wurden. Aber die Marokkaner
verfolgten uns mit Flugzeugen. Es gibt einen Tag, den ich nie vergessen werde.
Wir zelteten damals in Oum Dreiga, einem kleinen Ort im Nordosten der
Westsahara. Hier waren mehr als 25 000 Flüchtlinge zusammengekommen. Die
meisten waren Kinder, Frauen und ältere Leute, weil die jungen Männer bei der
Polisario Waren. Plötzlich erschienen Flugzeuge am Horizont. Sie umkreisten
unser Lager und verschwanden wieder. Es waren Aufklärungsflugzeuge und einige dachten,
sie brächten Lebensmittel für die hungernden Menschen. Drei Tage später kam die
marokkanische Luftwaffe mit Jagdbombern. Fast alle Menschen waren in ihren
Zelten, als plötzlich Napalm-, Phosphor- und Splitterbomben über dem Lager
geworfen wurden. Hunderte, Tausende Kinder, Frauen und Alte wurden an diesem
Morgen ermordet und verletzt. Danach war klar: wir waren in unserem eigenen
Land nicht mehr sicher und mussten über die Grenze, nach Südalgerien fliehen.
Die Augenzeugenberichte der Sahrauis über die grausame marokkanische Invasion, der im Dezember 1975 der Einmarsch mauretanischer Truppen von Süden folgt, werden von neutralen Beobachtern bestätigt. Sowohl das internationale Komitee des Roten Kreuzes wie ein Schweizer Ärzteteam bezeugen Anfang 1976 den Abwurf von Napalmbomben durch die marokkanische Armee. Der Generalsekretär der Liga für Menschenrechte, Denis Payot, bereist unmittelbar nach Kriegsbeginn im Auftrag der UN-Flüchtlingsorganisation mehrfach die Region. Er spricht danach von „Gräueltaten, die Ausdruck übelster Barbarei“ seien, und warnt vor einem „drohenden Völkermord“ an den Sahrauis. Er bestätigt den Einsatz völkerrechtlich geächteter Waffen, den die Kriegsführenden Länder bestreiten: ‚Wir haben Kinder gesehen, die die Gasbomben blind gemacht haben, andere, die vom Napalm verbrannt waren.’ (Karl Rössel, „Wind, Sand und (Mercedes-) Sterne, Der vergessene Krieg für die Freiheit“, Horlemann Verlag, 1991).
„Flucht
ins Exil“, Österreichisch-Saharaurische Gesellschaft, oesg.ws
Es gibt nur zwei Parteien in dieser Frage: auf der einen Seite das Volk von Saguiat und Rio mit seinen gerechten Forderungen und auf der anderen Seite das feindliche faschistische Spanien.
Rückzug aller spanischen Streitkräfte und ihre Ablösung durch Guerilleros der F. Polisario.
Abzug der spanischen Verwaltung und ihre Ersetzung durch nationale Behörden.
Rückkehr der eingeborenen saharauischen Flüchtlinge.
Keine Einmischung von ausländischer Seite.
Endgültiger Abzug aller ausländischen Kolonisten.
Rückzug der an der saharauischen Grenze konzentrierten ausländischen Truppen.
Das Ergebnis der Volksbefragung muß die völlige Unabhängigkeit sein.
Die Volksbefragung muß unter der Aufsicht der UNO und der Arabischen Liga durchgeführt werden.
Die Ausbeutung unserer nationalen Bodenschätze muß eingestellt werden.
In Marokko herrscht eine extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit, insbesondere bei AkademikerInnen mit fast 40%. Sie liegt noch erheblich über der Tunesiens (30%) und Ägyptens (25%) und das, obwohl es ein stetiges Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahre gab. Der Gini-Index (Gerechtigkeit der Verteilung) liegt bei 39,5%. Das ist der gleiche Wert wie in Tunesien (während der Herrschaft des Diktators Ben Ali), aber hinter Ägypten unter Mubarak (34,4). Die Analphabetenrate liegt bei fast 50%. Durchschnittlich liegt die Analphabetenrate in den arabischen Ländern bei 30%. (Friedrich-Ebert-Stiftung: library.fes.de/pdf-files/iez/08459.pdf, September 2011)
Am 20. Februar 2011, dem so genannten „Tag der Würde“, demonstrierten tausende MarokkanerInnen für politische Reformen und mehr Demokratie, gegen Korruption und Folter und gegen die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit der Jugend. Im Zuge des „arabischen Frühlings“ versprach der marokkanische König, dass Nahrungsmittel, Konsummittel und Gas subventioniert werden, um die Wut der Bevölkerung zu dämmen.
Am 17. Juni 2011 gab der König Details der angekündigten Verfassungsreform bekannt: Gleichberechtigung der Berbersprache Tamazight (zur Ruhigstellung einer großen Bevölkerungsgruppe), Parlament und Regierung können in Zukunft gewählt werden, Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Justiz, Transparenz und Rechenschaftslegung in der Politik, Konstitutionalisierung der Menschenrechte, Gründung eines Rates der Jugend, Gleichberechtigung der Frauen in der Verfassung, Begnadigung von fast 200 politischen Gefangenen, die Übernahme von 4 000 arbeitslosen Hochschulabsolventen in den Staatsdienst, Lockerung der Zensur der Medien. (Friedrich-Ebert-Stiftung: library.fes.de/pdf-files/iez/08459.pdf) Aber das sind alles nur „Schein“Reformen auf dem Papier. Die Macht des Königs, Mohammed VI, Staatsoberhaupt und oberster Befehlshaber der Armee ist ungebrochen. Der faschistische Terror in den Geheimgefängnissen wütet weiter. Die so genannte „Wahrheitskommission“ ist eine reine Farce.
Das ganze Jahr 2012 wurde durch immer wieder aufflammende Proteste der Werktätigen erschüttert. Ungeheure Preissteigerungen und dramatisch hohe Erwerbslosenzahlen, politische Unterdrückung und soziale Ächtung treiben die Menschen auf die Straßen, vor allem die Jugend. Die Antwort des Regimes ist gleich bleibend: brutale Repression.
Im EU-Sprachgebrauch firmiert Marokko als „stabiler Staat“ und „verlässlicher Wirtschaftspartner mit einigen Defiziten“. Diese sind aber für die selbst ernannten „Menschenrechtspropheten“ der EU, angesichts der „dramatischen“ Lage in den anderen arabischen Staaten, zu vernachlässigen.
Die Personalausweise, die an die Sahraouis von Marokko vergeben werden, sind mit einem aufgedruckten „S“ gekennzeichnet, das den Besitzer gleich für die Sicherheitskräfte identifizierbar macht. … Diese bürokratische Diskriminierung trägt zur Kontrolle der Bevölkerung der besetzten Westsahara und der strengen Einschränkung von deren Freizügigkeit bei. Infolge eines Gesetzes dürfen die Bewohner der Westsahara die besetzten Gebiete nicht verlassen. Viele versuchen nach Algerien (v.a. in die Region Oujda) zu flüchten, wobei Fälle der Folter, Festnahme und von Gefängnisaufenthalten in diesem Zusammenhang gemeldet werden. Im Falle von Personalausweiskontrollen außerhalb der okkupierten Gebiete muß jeder Bewohner der Westsahara erklären, warum er sich außerhalb des Gebietes befindet, für das er autorisiert ist. Im Falle einer unbefriedigenden Erklärung ist er sofort der willkürlichen Verhaftung und schlechter Behandlung ausgeliefert. Die marokkanischen Behörden stellen der Bevölkerung der Westsahara nur sehr wenige Pässe aus, dabei ist diese Druck und Drohungen ausgesetzt. Familienangehörige dürfen nicht zusammen reisen; ein Kind oder ein Elternteil muß gewissermaßen als Geisel zu Hause bleiben, als eine Art Rückkehrversicherung.
Margot Keßler, Westsahara: Warum die Menschenrechte nicht vom Völkerrecht zu trennen sind, 2001, www.oesgw.ws/medienarchiv
Robin Kahn & La Cooperativa Unidad Nacional Mujeres Saharauis
(Kooperative der Nationalen Union der Frauen der Westsahara)
The
Art of Sahrawi Cooking (2012) ist ein freistehendes Wüstenzelt für zeremonielle Anlässe,
das Frauen aus der ehemaligen spanischen Kolonie Westsahara genäht haben –
Gefangene in ihrem eigenen Land, das von Marokko annektiert wurde, nachdem Spanien
das Gebiet 1976 aufgegeben hatte. Die Arbeit entstand ganz buchstäblich als Traumgebilde:
Erdacht wurde sie von dem bekannten Dichter und Historiker Peter Lamborn
Wilson in Zusammenarbeit mit der New Yorker Künstlerin Robin Kahn, die 2009
einen Monat lang bei Frauen in der Westsahara gelebt hatte und ein Jahr darauf
das Buch Dining in Refugee Camps: The Art of Sahrawi Cooking (Essen in
Flüchtlingslagern: Die Kunst der sahrauischen Küche) veröffentlichte. Nachdem
Wilson eines Abends in Kahns Buch gelesen hatte, träumte er von einem Zelt, in
dem Frauen aus der Westsahara köstlichen Couscous zubereiteten und ihn den
Besuchern der documenta servierten. Er erzählte Kahn und den
documenta-Organisatoren davon, und nunmehr trägt ihre große Vision Früchte und macht
das Unsichtbare sichtbar.
Unsichtbarkeit
ist das Schicksal der Verlierer der Geschichte.
Die
alteingesessenen Völker der Westsahara, die unter den grausamen Bedingungen
überleben, die ihnen die marokkanische Regierung aufzwingt, sind, so kann man
sagen, von der Weltkarte der Menschheit verschwunden: eine Masse von
etwa 200 000 Menschen ohne Staat, vom Rest der Welt nicht anerkannt,
verloren im Wüstensand, unter dem etwa drei Millionen Landminen schlummern.
Verschwindenlassen, Unsichtbarkeit und Auslöschung sind Taktiken, die überall
in der modernen Welt anzutreffen sind, aber normalerweise werden sie gegen
Einzelne angewandt, so in den letzten drei Jahrzehnten in Lateinamerika, vor
allem in Argentinien, Kolumbien und Guatemala.
Im
Fall der Westsahara jedoch wird das Verbrechen des Verschwindenlassens an einem
ganzen Volk begangen. Sie existieren als menschliche Subjekte, als
staatenlose und daher nichtexistente Nation aber sind sie ausgelöscht
worden. Sie überleben dank der Nahrungsmittel- und Wasserlieferungen von
Hilfsorganisationen in einem Land, das traditionell ihr eigenes ist und reich
an Fisch, Öl und Phosphaten, einem Land, das durch einen beinahe 3 000
Kilometer langen in Nord-Süd-Richtung verlaufenden, von marokkanischen Soldaten
bewachten und mit Landminen gesicherten Wall zweigeteilt wird.
Europa
hat die Rolle staatenloser Menschen in seiner eigenen Geschichte des 20.
Jahrhunderts vergessen; nach dem Ersten Weltkrieg tilgten Bürokraten zahllose
Menschen von der Landkarte, indem sie die Grenzen wieder und wieder neu zogen.
Der
deutsche Schriftsteller B. Traven beschrieb dies eindringlich in seinem Roman
Das Totenschiff aus dem Jahr 1926; auch Walter Benjamin machte diesen Zustand
des Ausgelöschtseins zum Kern seines Werks.
Anlässlich
der dOCUMENTA (13) laden die Zeltbewohner der Westsahara die Öffentlichkeit in
das Herz ihrer Welt ein, wo sie Couscous essen und sich nicht nur über ihre
Notlage informieren, sondern auch die Schönheit ihrer schöpferischen Arbeit
bewundern und die Rolle der Kunst beim Bau einer neuen und besseren Welt
kennenlernen können.
13. Kongress der Frente Polisario
Anfang Dezember 2011
1 |
Eine Genossin erzählte mir, dass sie für die Europäische Linkspartei an einer Delegation teilnehmen wird, die den Kongress beobachtet. Ich kenne nicht den von der Bundesregierung akkreditierten Botschafter der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS) in Deutschland, habe ihn kontaktiert und dann als Privatperson an der Delegation teilgenommen. Diese flog dann von Madrid über Algier nach Tindouf im Westen Algeriens. Dort trafen wir andere Beobachter und Unterstützer und dann ging es in einer großen Kolonne durch die Wüste in die „befreiten Gebiete“, wo der Kongress stattfand.
2 |
Da kann ich wenig dazu sagen. Wie gesagt, hat die Europäische Linkspartei eine deutsche Delegierte geschickt und ich weiß, dass die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen aktiv in diesem Bereich ist, Anfragen und Anträge im Sinne der Frente macht und auch einmal hinreisen wollte, sie ist dann von Marokko abgeschoben worden. Ob es mehr institutionelle Verbindungen gibt, weiss ich nicht. Ich weiß aber, dass die Frente auch zu Abgeordneten anderer Parteien, auch der CDU und der Konservativen im Europäischen Parlament Kontakte unterhält.
3 |
In Spanien gibt es noch ein sehr enges Netz an UnterstützerInnengruppen, das mir antiimperialistisch geprägt zu sein scheint, in den meisten europäischen Ländern gibt es kleinere entsprechende Netzwerke und Gruppen. In Deutschland auch, die scheinen mir jedoch seltsam abgekoppelt von anderen politischen Gruppen, Zielen und Debatten. Es gab einmal eine gut organisierte linke, antiimperialistische Solidarität mit der Frente auch in Deutschland, die ist dann aber mehr oder weniger zusammengebrochen. Ich glaube das hatte mit Foltervorwürfen gegen die Polisario zu tun und dass diese darauf nicht reagiert hat und Diskussionen um kritische Solidarität entstanden sind in der Art: wie viel Kritik ist da akzeptabel bzw. was können wir eigentlich noch unterstützen.
4 |
Mir schien die Frage der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes am Entscheidendsten oder – so blöd das klingen mag – am Interessantesten. Daneben, also auch sehr intensiv, wurde die Rolle der Jugend, der Studierenden und v.a. der Frauen diskutiert. Letztlich wurde die Regierung bestätigt, musste dafür aber versprechen, sozusagen ihre militärischen Vorbereitungen zu intensivieren. Es wurde viel von drei Monaten geredet, welche es brauchen würde, bis man wieder kämpfen könnte und die man aber auch noch warten wolle, ob es nennenswerte Fortschritte auf diplomatischer Ebene gibt. Durch die Destabilisierung der Region in Folge des Libyen-Krieges, die Unabhängigkeitserklärung des Azawad (Azawad: Region in Nordmali, von Tuareg besiedelt, Unabgängigkeit 6. April 2012, TA) und die erhöhte Intensität der Aufstandsbekämpfung in der ganzen Region ist aber meines Erachtens die militärische Option erstmal wieder vom Tisch.
5 |
Als Beobachter würde ich sagen etwa 200 Leute v.a. aus Europa, Medienvertreter und Leute aus Soli-Gruppen, kleinere Gruppen auch aus Lateinamerika, Afrika und Asien. Internationale Delegierte, die Grußworte gehalten haben, waren v.a. ziemlich hochrangige Regierungsvertreter aus Afrika und von Linken Regierungen in Lateinamerika und viele Leute aus Spanien, Parteienvertreter oder Leute aus Regionalparlamenten usw.
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Ich vermute, sie verstehen das als Teil ihrer internationalen Solidarität oder auch Geopolitik, wie Chavez sie versteht, also das Projekt, linke Regierungen, „Befreiungsbewegungen“ usw. gemeinsam in Stellung zu bringen und auch Alternativen zu bieten, was internationale Bündnisse angeht. Für die Polisario ist das natürlich gut, Anerkennung auch von Staaten zu erfahren und Unterstützung. Allerdings waren die Reden von diesen Delegierten die politischsten, das fand ich ganz erfrischend und ermutigend. Die meisten afrikanischen Delegierten bezogen sich zwar noch irgendwie auf den Kolonialismus, vertraten aber kaum linke oder antiimperialistische Inhalte. Mehr Applaus gab‘s aber halt auch wenn man einfach von Unabhängigkeit redete, über Marokko herzog oder Algerien lobte.
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Das hat mich auch überrascht. Insgesamt sieht sich Nigeria ja als Regionalmacht in der Region. Sie begründen ja auch gegenwärtig ihre Interventionsbereitschaft in Mali damit, dass vermeintliche oder tatsächliche islamistische Gruppen aus Nigeria Rückzugsräume in Mali erschlossen hätten. In dieser Region ist jedoch auch Algerien sehr einflussreich und hat ja sehr gute Kontakte zur Frente, deshalb vermute ich, sie haben das sehr ernst genommen mit der Konfrontation und wollten da nicht abseits stehen, das Feld Algerien überlassen. Vielleicht haben sie es auch als Chance gesehen, da Unruhe zu stiften um dann wieder als Ordnungsmacht aufzutreten. In der Region ist ja die ECOWAS (Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten, sie verfügt über die Eingreiftruppe ECOMOG, TA) sehr aktiv und da spielt Nigeria in etwa die Rolle, die die USA in der NATO spielen.
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In den so genannten „besetzten Gebieten“ an der Küste sind die Sahrauis massiv diskriminiert, können kaum wirtschaftlich tätig werden und viele sitzen unter schlimmen Bedingungen und unbekannte Zeit im Gefängnis, manche verschwinden auch. In den „befreiten Gebieten“ leben glaube ich sehr wenige Leute außer den Soldaten, die von mehr oder weniger nomadischer Viehzucht leben. In den Flüchtlingslagern leben die Menschen fast ausschließlich von humanitärer Hilfe – die Polisario verteilt – oder arbeiten für die Frente selbst. Das sind schon Lehmhütten mit Strom, aber es wird da bewusst auch alles vermieden, was das zur Dauerlösung machen könnte, also städtische Infrastruktur und Gewerbe. Also das ist humanitär nicht allzu prekär, aber halt sehr perspektivlos und diese Perspektivlosigkeit ist in gewissem Maße auch politisch gewollt.
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Da kann ich nur meinen Eindruck wiedergeben. Manche haben ja zwischenzeitlich gemeint, der Arabische Frühling hätte eigentlich mit den Protestcamps der Sahrauis in den besetzten Gebieten im November 2010 begonnen und sich in der Occupy-Bewegung im Westen fortgesetzt. Mittlerweile sieht das ja alles etwas düsterer aus. Gaddafi galt zwar als Unterstützer der Polisario, trotzdem jedoch, uns gegenüber hat niemand Bedauern über seinen Sturz geäußert. Im Gegenteil schienen insbesondere bei der Jugend die Bilder von leicht bewaffneten Aufständischen, die es mit einem alten Regime aufnehmen, eher ermutigend gewirkt zu haben. Vielleicht unterschätzt man hier ein wenig den Eindruck, den das gemacht hat, als sich der Westen in Libyen scheinbar auf die Seite der Unterdrückten schlug. Das hat mich schon verwundert, schien aber so. Vielleicht war es auch eine Sprachregelung, an manchen Punkten hatte man den Eindruck, dass mit den Internationalen Beobachtern nicht offen geredet wird, alle eine sehr einheitliche Meinung zu vertreten schienen.
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Eigentlich war es Aufgabe der MINURSO, den Waffenstillstand zu überwachen und ein Referendum vorzubereiten (dafür steht das R im Namen der Mission). Marokko blockiert das Referendum aber und das wird von den relevanten Staaten gegen Beschlüsse der Generalversammlung toleriert bzw. unterstützt. Deshalb überwachen sie einen Waffenstillstand, der von beiden Seiten ohnehin eingehalten wird. Das sind kleine internationale Beobachtergrüppchen, die in kleinen Stützpunkten leben und in den besetzten Gebieten eng und gut mit den marokkanischen Sicherheitskräften und in den „befreiten Gebieten“ eng und gut mit der Frente zusammenarbeiten. Die Frente will seit langem, dass ihr Mandat in den besetzten Gebieten auch die Menschenrechtslage umfasst, um dafür mehr Aufmerksamkeit zu schaffen. Marokko will das nicht und Frankreich agiert in diesen Fragen streng nach marokkanischen Interessen.
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Deutschland, EU und NATO haben ein starkes Interesse an einer guten Zusammenarbeit mit Marokko in Fragen der Migration und der Sicherheitspolitik, da ist Marokko der beste und stabilste Verbündete in der Region. Daneben profitieren deutsche und europäische Firmen von den sehr günstigen Bedingungen bei der Ausbeutung der Phosphorvorkommen in und der Fischgründe vor der Westsahara. Daneben gibt es ein von deutschem Kapital, Münchner Rück, Siemens, Deutsche Bank, RWE dominiertes Industrieprojekt Desertec, mit dem Wind- und Solarkraft in Nordafrika gewonnen und in Europa verkauft werden soll. Die GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, früher: GtZ) hat hier – auch in den besetzten Gebieten – bereits Vorarbeit geleistet und es gibt bereits eine Leitung zwischen Marokko und Spanien. Deshalb ist davon auszugehen, dass dieses Projekt v.a. in der Westsahara anlaufen soll.
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Es war eine sehr nette und freundliche Atmosphäre, auch sehr anregend, diese Menschen, die unter einfachen Bedingungen in der Wüste leben, haben oft im Ausland studiert und sprechen verschiedenste Sprachen. Männer und Frauen haben sich überwiegend in getrennten Gruppen bewegt und die Quote der weiblichen Delegierten ist sicher zu niedrig, auf der anderen Seite konnte ich Formen der Diskriminierung oder Unterdrückung wie sie hier das Patriarchat sichtbar machen oder dem Islam häufig unterstellt werden, etwa im Redeverhalten nicht erkennen. Die Frente finanziert sich über Unterstützung von Staaten und die Verwaltung humanitärer Hilfe. Das birgt natürlich die Gefahr der Korrumpierung. Viele Leute wirkten wie professionelle Diplomaten oder Politiker, dabei aber sehr unpolitisch. Politische Aussagen gab es fast keine, eben Ablehnung gegen Marokko, den Wunsch nach einem eigenen Staat und den Verweis auf umfangreiche, ich glaube gefährlich überschätzte, Rohstoffe, die „dem Volk“ gehören und deren Ausbeutung man selbst verwalten will. Auf meine Frage, wie die Verteilung des Wohlstandes organisiert werden solle, antwortete ein Offizieller der Studierendenorganisation etwa „wie in den Golfstaaten“, weil da ja alle reich wären, weil es genügend Rohstoffe gibt. Gerade bei den Jüngeren hatte ich oft das Gefühl, dass sie v.a. selbst Elite in einem eigenen Staat sein wollen und die politische Überzeugung da auch schon aufhört. Das fand ich sehr interessant, weil ich mich schon bei anderen Bewegungen, etwa der SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee) im Sudan gefragt hatte, wie aus einer Bewegung mit politischen Zielen eine reine Bürgerkriegspartei werden konnte.
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Nein. Kurz vor unserem Besuch wurden Angehörige humanitärer Hilfsorganisationen entführt. Das ist ein riesiges Problem für die Frente. Andererseits war es ihnen durch die deshalb eingeleiteten Sicherheitsmaßnahmen auch möglich, jeden Kontakt zur Bevölkerung, die nicht in der Frente organisiert war, zu verhindern und man hat schon gemerkt, dass es gewisse Sprachregelungen uns gegenüber zu geben schien. Es gibt auch andere Organisationen in den Flüchtlingslagern, die jedoch eher marginal und nach Angaben der Polisario von Marokko unterwandert oder instrumentalisiert sind und das halte ich für recht glaubwürdig, dass Marokko da alles tut, um die Polisario zu schwächen.
Danke für das Interview!
Unser Fazit:
Der Aufstand des sahrauischen Volkes gegen die Besatzung durch Marokko und die imperialistischen Mächte, die diese stützen mit allen Mitteln zu bekämpfen, ist legitim. Im Mai 2013 begeht die Frente ihren 40. Gründungsjahrestag. Ihr Kampf für Befreiung braucht unsere Solidarität!
Das Schicksal des sahrauischen Volkes muss dem Vergessen und Totschweigen entrissen werden. Die, selbst von der UN anerkannten Rechte der sahrauischen Nation werden tagtäglich von den marokkanischen Militärstiefeln in den Sand getreten. „Unsere“ Herrschenden, die verlogen von Demokratie reden, aber in der Praxis Imperialismus betreiben, das marokkanische Militär aufrüsten und ausbilden, und die Reichtümer der Westsahara ausplündern, gilt es anzuprangern.
Versuchen wir mit aller Kraft die internationale Solidarität zu stärken, eine Gegenöffentlichkeit herzustellen und das sahrauische Volk zu unterstützen!
[1] Alle Zahlenangaben zur Bevölkerung Frente Polisario Sprecher in der BR
[2] APEP (Agencia de Prensa Espana Popular), Demokratische Arabische Republik Sahara – Mit dem Gewehr werden wir die Freiheit erobern, Report Nr. 1, ohne Jahresangabe, wahrscheinlich 1976, S. 10
[3] The
Court examines: resolutions adopted by the General Assembly on the subject,
from resolution 1514 (XV) of 14 December 1960, the Declaration on the
Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples, to resolution 3292
(XXJX) on
[4] APEP, Gutachten, Fassung für die Presse, Report Nr. 1, S. 50
[5] „Bewegung der Blockfreien Staaten“ wurde 1961 von Staaten wie Jugoslawien, Indonesien etc. gegründet, die keinem Militärbündnis angehörten und sich im Ost-West Konflikt „neutral“ verhielten. Mit der Auflösung des Warschauer Paktes 1991 hat das Bündnis an politischer Bedeutung verloren. 118 Staaten sind 2006 Mitglied dieses Staaten-Bündnisses.
[6] Zitiert in Peter Hunziker, Der Konflikt um die ehemalige spanische Westsahara-Kolonie von seiner Entstehung 1976 bis zu seiner Internationalisierung im Jahre 1986, 2004, S. 32, www.peterhunzikerch/lizentiat.pdf
[7] Von Juni 1993 bis Juni 1996 beteiligte sich auch die BRD mit einem kleinen Polizeikontingent (jeweils fünf Polizeivollzugsbeamte des Bundesgrenzschutzes) an MINURSO. Bund-/Länder-Arbeitsgruppe Internationale Polizeimissionen, Auslandseinsätze der deutschen Polizei, www.bundespolizei. de/cl.
[8] www.ag-friedensforschung.de/regionen/Westsahara/un-nieth.html
[9] Generalsekretär der Polisario seit 1976 und Staatspräsident der DARS seit 1982. Regierungschef der DARS ist seit 2003 Abdelkader Taleb Oumar
[10] Alfred Hackensberger, Kampf um die Westsahara – Der seit 30 Jahren bestehende Konflikt über das von Marokko annektierte Land flackert wieder auf, 10.06.2005, www.heise.de
[11] In jedem Jahresbericht von Amnesty International der letzten Jahrzehnte bis heute werden die Unterdrückungsmethoden des marokkanischen Staates gegen die sahrauischen Aktivisten, die illegalen Inhaftierungen, die Folterungen, das Verschwinden lassen, die völlige Rechtlosigkeit aufgelistet.
[12] Ralf Streck, Ausnahmezustand in der besetzten Westsahara, Telepolis, 10.11.2010, www.heise.de,
[13] WSRW – Western Sahara Resource Watch, Die Flüchtlinge, 16.06. 2010, www.wsrw.org
[14] Florian Wilde, Solidarität mit dem Befreiungskampf in der Westsahara, Bericht über die Solidaritätsdelegation der Europäischen Linkspartei in die westsahaurischen Flüchtlingslager in Südalgerien und in die befreiten Gebiete der Westsahara, 28. Oktober bis 1. November 2012, 06.11.2012, www.die-linke.de
[15] Gerd Schuhmann, Feuer und Wasser – vom mühsamen Weg zur Selbstbestimmung, oder: Bewaffneter Kampf – ja oder nein? Zu Besuch bei der Polisario, 22.12.2007, junge Welt
[16] Zum Vergleich: Die multilaterale Hilfe von WFP, ECHO and UNHCR zugunsten der sahrauischen Flüchtlinge belief sich 2007 auf annähernd 30 Millionen Dollar, Die Flüchtlinge, 16.06.2010, www.wsrw.org,
[17] Ralf Streck, Überraschende Entscheidung zur Westsahara, Marokko warnt vor Balkanisierung, USA und Frankreich haben Ölinteressen, Telepolis, 02.08.2002, www.heise.de
[18] 04.12.2012, www.wsrw.org
[19] Fischer Weltalmanach 2013, S. 306
[20] F. Polisario besorgt über EU-Fischerei-Politik, 29.11.2012, http://www.wsrw.org/a180x2423
[21] Marokko und EU schaffen Agrarzölle ab, 17.02.2012, Redaktion agrarheute.com
[22] Marokko will U-Boot in Deutschland kaufen – Algerien kauft Panzer und Fregatten, Deutschland schürt Rüstungswettlauf in Nordafrika, 13.11.2012, www.gfbv.de/pressemit
[23] Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag, Anja Schubert, Zum völkerrechtlichen Status der Westsahara, Infobrief WD 2 – 3010 – 129/11, 2011, www.bundestag.de
[24] Deutscher Bundestag, Drucksache 17/1521, Antwort der Bundesregierung, S. 4, 26.04.2010, www.bundestag.de
[25] Christoph Marischka, Gemeinsam Märkte erschließen in ‚Gebieten ohne Selbstregierung’?, 20.02.2012, www.heise.de/tp/artikel36