Vergessene Westsahara: Nicht endende Besatzung! Sahrauische Volk im Widerstand!

Saguia el Hamra y Rio de Oro, UN-Bezeichnung: Westsahara, gilt als letztes, kolonial besetztes Land auf dem afrikanischen Kontinent. [1]. Die heutige Besatzungsmacht Marokko hat die Kolonialmacht Spanien 1975/76 in der Westsahara ‚abgelöst’. Die Antwort des sahrauischen Volkes und seiner Befreiungsorganisation, Frente Polisario [2] war 1976, in Ausübung ihres Rechtes auf nationale Selbstbestimmung, die Proklamation der „Demokratischen Arabischen Republik Sahara“ (DARS). Seitdem führt die marokkanische Monarchie für ihr chauvinistisches Ziel eines „Groß-Marokko“, einen grausamen Vernichtungskrieg gegen die sahrauische Nation und hält die illegale, auch international durch UN-Resolutionen geächtete, Besatzung aufrecht. Auf der internationalen Agenda der Herrschenden soll dieses Thema möglichst gestrichen werden. Die Fakten werden verschwiegen. Das Volk der Sahrauis und seine anerkannten Rechte werden bewusst ignoriert. Seine unerträgliche Lage soll vergessen gemacht werden.



[1]     Unter spanischer kolonialer Besatzung stehen heute nur noch die „Enklaven“-Städte/Gebiete Melilla und Ceuta auf dem Territorium Marokkos

[2]     Frente Popular para la liberación de Saguia el Hamra y Rio de Oro – Volksfront zur Befreiung von Saguia el Hamra und Rio de Oro

Verschweigen, vergessen, verschwinden, vernichten… Das ist die Situation im Jahre 2013.

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Viele Informationen und Zahlenangaben hinsichtlich der Westsahara sind teils sehr unterschiedlich und teils auch sehr widersprüchlich. Wenn die bürgerlichen Medien ausnahmsweise über die Westsahara berichten, dann transportieren sie vor allem die Sichtweise der Besatzermacht Marokko. In den linken und revolutionären Medien, die über die Westsahara informieren, werden auch oft sich widersprechende, bzw. unzureichende Angaben gemacht. Das liegt an der sehr unübersichtlichen Situation und der totalen Abschirmung der besetzten Westsahara durch die marokkanische Diktatur. Daher werden wir soweit als möglich alle Quellen, aus denen wir unsere Informationen haben angeben. So können sich die LeserInnen selbständig ein Bild machen. Der Vertreter der Polisario in der BRD, Jamal Zakari, hat auf einer Veranstaltung „Sahara?“ im Dezember 2012 in Berlin zu verschiedenen strittigen, bzw. unklaren Fakten und Einschätzungen, die Position der Polisario vorgetragen. Das war sehr hilfreich und diese sind auch in diesen Artikel eingeflossen.

Heute, 2013 steht ca. 80%-85% des Territoriums der „Demokratischen Arabischen Republik Sahara“ unter Marokkos Besatzung. Reiche Fischfang-Gründe sowie vorgelagerte Erdölquellen, Bodenschätze, so die Phosphatminen von Bou-Craa und der Großteil fruchtbaren Landes machen den Reichtum dieses Gebietes aus. Durch seine 1 000 Kilometer lange Küste hat es auch gewaltige strategisch-militärische Bedeutung und ein großes Potenzial für die Gewinnung von Windenergie. Für Solarthermische Kraftwerke ist genug Wüstenland vorhanden, das in die Infrastruktur ausreichend eingebunden ist.

Die befreiten Gebiete, ca. 15%-20% der Westsahara, werden von der DARS und der Polisario verwaltet. Das wirtschaftlich weitgehend unbedeutende und fast unbewohnbare Wüsten- und Steppengebiet liegt entlang der Ostgrenze zu Algerien und Mauretanien.

Beide Gebiete in der Westsahara sind durch eine, sich von oben nach unten durch das Land ziehende, circa 2 000 km lange Mauer getrennt. Marokko begann den Mauer-Bau 1980 im Krieg gegen den Befreiungskampf des sahrauischen Volkes. Heute zieht sich die Mauer entlang der Waffenstillstandslinie von 1991. (Dazu später, siehe Karte). Sie ist dreimal so lang, wie die Mauer in Palästina! Die Besatzer sprechen vom „inneren marokkanischen Schutzwall“. „Wall der Schande“ heißt die Mauer bei den Sahrauis. Es ist über weite Strecken ein fünf Meter hoher Sand- und teils Steinwall, mit Wachtürmen, Gräben, Stacheldraht und Minenfeldern. An „neuralgischen Abschnitten“ sind zusätzlich elektronische Sicherungseinrichtungen angebracht. Dieser Festungswall wird von etwa 150 000 marokkanischen Soldaten bewacht.

Die besetzte Westsahara ist ein „Freiluft-Gefängnis“, aus dem es für das sahrauische Volk kein Entkommen gibt, vergleichbar mit dem Gaza in Palästina.

Die Sahrauis sind ein Nomadenvolk, Beduinen und sprechen sahrauisch, das keine arabische Sprache ist. Sie haben eine eigene Kultur und nationale Identität. Das sahrauische Volk ist eine Nation.

Die Bevölkerungszahl liegt bei ungefähr 500 000 Menschen. In der marokkanischen Besatzerzone leben circa 200 000 Sahrauis. Insgesamt sind circa 1 Million marokkanische Siedler, und 1 Million Polizei und Armeekräfte in der Westsahara. (Auf jeden Sahraui kommen 10 marokkanische Staatsbürger. Diese Angaben zur marokkanischen Besatzerzahl von der Frente liegen weit höher als bei allen anderen Quellen, die höchstens von 400 000 Marokkanern sprechen.)

Die Sahraui im besetzten Gebiet leben rechtlos, in Armut und ohne Zukunftsperspektiven. Schwere Menschenrechtsverletzungen durch die Besatzer sind an der Tagesordnung.

Das befreite Gebiet der „DARS“ ist kaum besiedelt, da es keine Lebensgrundlagen gibt. Im DARS Gebiet sind vor allem Truppen der F. Polisario stationiert. Sie kontrollieren die Einhaltung der Waffenstillstandslinie und verhindern, dass Marokko seine Besatzung ausweitet und sich noch mehr Land unter den Nagel reißt.

Die vier großen Flüchtlingslager in Algerien, östlich der Stadt Tindouf (benannt nach Städten in der Westsahara: El Aaiun, Smara, Ausserd, Dakhla) werden von der Frente Polisario verwaltet. Hier leben mittlerweile etwa 175 000 sahrauische Menschen. Laut UNHCR sind weitere 26 000 Flüchtlinge in Mauretanien. Alle Flüchtlinge sind für ihr Überleben abhängig von den Almosen der World Food Programme und dem UN-Flüchtlingshilfswerk. Weitere ca. 100 000 Sahrauis leben in anderen Staaten, überwiegend in Spanien. [1]

Erste Winde des „arabischen Frühlings“ wehen Anfang Oktober 2010 durch die besetzte Westsahara. 10-20 Jugendliche Sahrauis errichten vor El Aaiun, besetzte Hauptstadt der Westsahara, eine Zeltstadt. In wenigen Tagen schließen sich Zehntausende dem Protest gegen die unerträglichen Lebensbedingungen und die Besatzung an. Am 8. November 2010 wird das Camp brutal-faschistisch von marokkanischen Polizeikräften und Militär überfallen und nieder gebrannt. Der Ausnahmezustand wird verhängt. Die kolonialistische Politik Marokkos gegenüber der Westsahara wird für einen Moment ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Die Westsahara findet plötzlich Resonanz in den Medien. Allerdings hat der losbrechende Sturm der Rebellion des arabischen Frühlings in Tunesien und Ägypten die Westsahara dann sehr schnell wieder in den Hintergrund gerückt.

In Deutschland machen linke, revolutionäre, autonome Jugendorganisationen bzw. Gruppen mit phantasievollen Aktionen immer wieder auf die Tragödie des sahrauischen Volkes aufmerksam. Mit diesem Artikel wollen wir das „Schweigekartell“ zur Westsahara mit durchbrechen. Die Besetzung der Westsahara und der antikoloniale Befreiungskampf dürfen nicht in Vergessenheit geraten. Wir wollen die Machenschaften des BRD-Imperialismus anklagen, der das seine dazu tut, die hoffnungslose Situation des sahrauischen Volkes weiter aufrechtzuerhalten.

Geschichtlicher Rückblick

1882 besetzt Hauptmann Bonelli im Namen des Bourbonenkönigs von Spanien, Alfonso XII das Gebiet Rio de Oro. Auf der, zwischen 15. November 1884 – 26. Februar 1885 tagenden „Kongo-Konferenz“ in Berlin vollziehen die europäischen Mächte die imperialistische Aufteilung Afrikas. Rio de Oro, der Süden der Westsahara wird Spanien als Protektorat zugeschanzt. Im letzten Akt der kolonialistischen Aufteilung werden am 27. Juni 1904 die „Rechte Spaniens“ auf Saguiat El Hamra, Norden der Westsahara ausgedehnt. Die Kolonisatoren beschränkten sich zunächst auf militärische Stützpunkte an der Küste, ohne weiter ins Landesinnere vorzudringen. „Das Ende des Bürgerkriegs in Spanien 1939 bedeutete den Beginn eines der grausamsten und am wenigsten bekannten Kapitel des Franco-Regimes: die Kolonisierung der Sahara.“ [2]

Das versklavte sahrauische Volk widersetzt sich von Beginn an in Aufständen und Revolten der kolonialen Besatzung, wie zum Beispiel in den Jahren 1957-1958.

Am 14. Dezember 1960 wurde von der UNO die Deklaration „Gewährung der Unabhängigkeit für die kolonialen Länder und Völker“ in der Resolution 1514 (XV) verabschiedet. In dieser wurden die Richtlinien für die Entkolonialisierungspolitik festgelegt. (Report Nr. 1, S. 36) Seit 1963 steht Westsahara auf der Liste der zu entkolonialisierenden Länder. [3]

Die UN Vollversammlung ratifiziert die Selbstbestimmungsakte der Sahraui und „verabschiedete 1966 die Resolution 2229 (XXI), in der nach ‚Konsultierung der interessierten Nachbarländer eine Volksbefragung’ empfohlen wird. Diese wurde für 1971 vorgesehen.“ (Report Nr. 1, S. 36)

In den folgenden Jahren fordert die UN-Generalversammlung Spanien wiederholt auf, das Referendum durchzuführen. Spanien schiebt die Volksabstimmung immer wieder auf. Aufgrund zunehmender Demonstrationen und Kämpfe der sahrauischen Befreiungsbewegung und des brüchig werdenden Franco-Regime (Franco stirbt 1975) setzt Spanien 1974 das Referendum für das Jahr 1975 an.

Auf Initiative Marokkos und Mauretaniens, die seit der vorgesehenen „Entkolonialisierung“ Ansprüche auf das Territorium der Westsahara stellten, beschließt die UN-Generalversammlung im Dezember 1974, vom Internationalen Gerichtshof (IGH) ein Gutachten zum Status der Westsahara einzuholen. Parallel wird Februar 1975 eine UN-Delegation für die Westsahara-Frage bestimmt. Diese trifft Anfang Mai 1975 in Spanien ein und besucht über einen Monat lang die betroffenen Länder, vom 12.-20. Juni die Westsahara. Sie bestätigt in ihrem Bericht das Selbstbestimmungsrecht der Sahraui. Die Frente Polisario wird als legitime Vertretung des sahrauischen Volkes anerkannt. Erneut wird die Abhaltung eines Referendums eingefordert.

Am 16. Oktober 1975 legt der Internationale Gerichtshof seine Ergebnisse vor. Kernpunkt ist: Es gibt keine Beziehung der territorialen Souveränität zwischen dem Gebiet der West-Sahara und dem Königreich Marokko oder der mauretanischen Entität“. Bekräftigt wird das „Prinzip der Selbstbestimmung durch den freien und unverfälschten Ausdruck des Willens der Völker“ des Territoriums der Westsahara. [4]

Am selben Tag startet der marokkanische Monarch einen Mobilisierungsfeldzug für einen sog. „Grünen Friedensmarsch“. Bereits am 6. November dringen 350 000 marokkanische Staatsbürger in den Norden der Westsahara ein, flankiert von der marokkanischen Armee, um den territorialen Anspruch des Herrscherhauses zu untermauern.

Die erste Fluchtwelle des sahrauischen Volkes setzt ein. Zehntausende fliehen nach Algerien. Am 9. November wird der Marsch abgebrochen, da sich Spanien auf Geheim-Verhandlungen einlässt. Am 14. November 1975 vereinbarten Spanien mit Marokko und Mauretanien die Aufteilung der Westsahara unter den beiden nordafrikanischen Staaten im so genannten „Dreiseitigen Abkommen von Madrid“. In diesem wird das Selbstbestimmungsrecht der sahrauischen Nation vollständig missachtet. (Siehe S. 6)

Am 27. November beginnen die Truppen Marokkos und Mauretaniens den Krieg und marschieren vom Süden und vom Norden kommend in die Westsahara ein. Zwei Drittel des Territoriums geht an Marokko und ein Drittel an Mauretanien.

Die Frente Polisario nimmt umgehend den Guerillakrieg gegen die Invasionstruppen auf. Sie proklamiert am 27. Februar 1976 in Bir Lahlou die „Demokratische Arabische Republik Sahara“ (DARS) mit El Aaiun (Laayoune, marokkanischer Besatzername) als Hauptstadt.

An die 160 000 Sahrauis fliehen in diesem Krieg vor den Gemetzeln der Besatzer durch die Wüste. Von heute auf morgen mussten sie alles stehen und liegen lassen, um ihr Leben zu retten. Die Wüste ist offenes Land, in dem es keinerlei Schutzmöglichkeiten gibt. Die Flüchtenden werden von der Luftwaffe Marokkos gejagt und mit Phosphor- und Napalmbomben beschossen. Wie viele Menschen insgesamt ermordet wurden, lässt sich nicht genau sagen, so die Frente Polisario. Aber mit Sicherheit waren es Zehntausende. Mitte 1976 geht die Frente in die militärische Offensive gegen Marokko und Mauretanien.

Im Juli 1978 destabilisiert ein Militärputsch Mauretanien und die Frente setzt mit ihren militärischen Angriffen Mauretanien stark unter Druck. 1979 stimmt Mauretanien einem Friedensabkommen zu und zieht sich zurück. Marokko besetzt daraufhin die gesamte Westsahara.

Der spanische Kolonialismus endet, in dem er durch den Kolonialismus Marokkos für seine regional-hegemonialen Ansprüche ersetzt wird. Den westlichen Großmächten, vor allem Frankreich und USA, Oberherren des faschistischen marokkanischen Königreiches, war eine unter dessen Besatzung stehende Westsahara allemal lieber als eine unabhängige demokratische Republik Sahara unter der Führung der Frente Polisario. Algerien stand auf Seiten der Frente und gegen den Expansionisdrang Marokkos, das auch Gebiete Algeriens als marokkanische beansprucht. Algerien ist Mitglied der „Blockfreien-“ [5] und „3. Welt-Bewegung“ vieler unabhängig gewordener Staaten in Afrika, Asien und Lateinamerika, die zum damaligen Zeitpunkt, mit dem russischen Sozialimperialismus, oder mit China sympathisierten.

Die Aufteilung der Einflusssphären zwischen dem Westen und dem Ostblock verlief sozusagen durch die Westsahara. Marokko und Algerien rivalisierten seit ihrer staatlichen Unabhängigkeit um einen beherrschenden Einfluss in Nordafrika. Aufgrund des Westsahara-Konfliktes war die Grenze zwischen Algerien und Marokko Jahrzehntelang geschlossen.

„Die Freiheit kommt aus den Gewehrläufen...“

1968 schlossen sich drei Befreiungsorganisationen, entstanden Anfang der sechziger Jahre, zur Frente Polisario zusammen. 1970 organisierte die Befreiungsbewegung eine mächtige Demonstration für die Unabhängigkeit der Westsahara. Sie endete in einem Massaker der spanischen Kolonialherren an der Zivilbevölkerung, Hunderte wurden verhaftet und viele „verschwanden“.

Am 10. Mai 1973 hält die Polisario ihren Gründungskongress ab. Der Aufruf des Kongresses „Die Freiheit kommt aus den Gewehrläufen“ wird das Fanal für den beginnenden bewaffneten Kampf „gegen Imperialismus und das faschistische Spanien“. In kürzester Zeit erstarkte die Polisario und kontrollierte bereits zwei Jahre nach ihrem Gründungskongress weite Teile, der von Spanien besetzten Westsahara. Die auf dem zweiten Kongress der Polisario im Jahr 1974 klar formulierten, „Zehn Voraussetzungen für eine Volksbefragung“, gelten im Prinzip nach wie vor auch für die heutige Situation gegen die marokkanischen Besatzer.

Auf ihrem 4. Kongress, März 1976, verabschiedete die Polisario im nationalen Programm folgende zentralen Maßnahmen: „Die Partizipation der Massen an der Verwaltung; die Kaderausbildungen; die Herausbildung eines kulturellen politischen Bewusstseins; Bildung und Förderung der Alphabetisierung der Frauen. Nach der Befreiung der Westsahara sollen zudem folgende Ziele verwirklicht werden: die Schaffung eines demokratischen und unionistischen Systems; die Realisierung des Sozialismus; die gerechte Verteilung der nationalen Ressourcen; die Aufhebung von Ungleichheit und Ausbeutung; die Realisierung der politischen und sozialen Rechte der Frau; die Arabisierung des Unterrichts; die ausgewogene Entwicklung des Landwirtschaftssektors; die Industrialisierung und der Schutz der Meeresressourcen.“ [6] Die Verfassung der DARS wird alle vier Jahre erneut diskutiert, teilweise aktualisiert und verabschiedet. Im Parlament der DARS sind, ohne Quotenregelung, 34% der Abgeordneten Frauen. Traditionell haben die Frauen der Beduinenstämme aufgrund der nomadischen Lebensbedingungen nicht so eine unterdrückte Stellung wie z.B. in arabischen Staaten.

Die Frente Polisario ist eine Befreiungsbewegung für die Unabhängigkeit der Westsahara und für einen demokratischen Staat. Die Frente sieht sich als eine Plattform aller politischen Strömungen im sahrauischen Volk. Der Sprecher der Polisario, Jamal Zakari nennt das „politische Familien“. Natürlich gibt es unterschiedliche Richtungen, die eigene politische Zukunftsvisionen haben. So haben z.B. in den 1970er und 1980er Jahren die sozialistischen einen ausschlaggebenden Einfluss gehabt. Heute, so der Polisario Vertreter, gibt es sogar eine grün orientierte „politische Familie“, obwohl, so setzte er scherzhaft hinzu, in den Flüchtlingslagern der Wüste kein Grün wächst.

Auf den Polisario-Kongressen wird eine breite Diskussion geführt und Mehrheitsbeschlüsse werden gefasst. Entscheidender und alle verbindender Grundkonsens ist die Durchsetzung der Rechte des sahrauischen Volkes durch das Referendum.

Der Aufstand des sahrauischen Volkes und der Frente gegen die Besatzung mit allen Mitteln zu kämpfen ist gerecht. Die Frente hat, nach eigenen Angaben immer versucht ihren eigenen Weg, in Solidarität mit den Befreiungsbewegungen weltweit zu gehen. Sie hat sich gegen falsche Einvernahme von anderen Staaten, auch Algerien, bzw. Machtblöcken wie USA-Westen, oder SU-Ostblock oder Blockfreienbewegung-China, gewehrt. Die Polisario hat sich ihre politische und organisatorische Unabhängigkeit teuer erkämpft. Zum Beispiel hat Libyen 1984 seine Unterstützung der DARS komplett eingestellt. Die Frente hatte das Regime von Gaddafi als alles andere als demokratisch bewertet.

Nach dem Rückzug Spaniens, musste die Polisario von nun an gegen die Besatzung durch Marokko und bis 1979 auch Mauretanien, kämpfen. In diesem Guerillakrieg wird die Polisario von Algerien militärisch, politisch und humanitär (Flüchtlingslager) unterstützt. 1981 kontrollierte die Frente nahezu das gesamte Land. Die marokkanischen Besatzer konnten nur durch massive US-amerikanische und französische Rüstungshilfe sowie den Beginn des Mauerbaus ihre Macht aufrechterhalten. Im weiteren Verlauf der Kämpfe drängte Marokko die Polisario-Kämpfer immer weiter ins Landesinnere zurück. Parallel dazu wurde ein System von Wällen angelegt, welche das Eindringen von Polisario-Kämpfern in marokkanisch kontrolliertes Gebiet verhinderten. Dieses Mauersystem wurde nach jedem bedeutenden Gebietsgewinn Marokkos erweitert, um die neu eroberten Gebiete „zu schützen“.

Die Befreiungsarmee der Polisario hatte zeitweise bis zu 20 000 KämpferInnen. Die Polisario führte den bewaffneten Kampf bis 1989 gegen die marokkanischen Besatzer. Dann wurden – unter Führung der UN – ein Waffenstillstandsabkommen und ein Friedensplan zwischen Marokko und der DARS, der auch ein Referendum vorsah, geschlossen.

Dieses trat 1991 in Kraft und legte, mit Zustimmung auch Marokkos, das Referendum für Februar 1992 fest. Parallel wurde für die Westsahara die „Mission der Vereinten Nationen für das Referendum in Westsahara, die MINURSO“ geschaffen. Sie soll das Einhalten des Waffenstillstandsabkommens und die Durchführung des Referendums kontrollieren.

Kein Referendum in Sicht

Aber bis heute passierte nichts. Die Westsahara Friedensmission der UN ist die drittälteste, erfolglose Mission der UN, neben der Palästina- und Zypern- „Friedensmission“. Papierberge von 196 Resolutionen der UN, Berichten, Entschließungen, Untersuchungskommissions-Ergebnissen, die das Recht auf Selbstbestimmung des sahrauischen Volkes bestätigen, türmen sich auf. Es wird formal anerkannt, aber… die brutale, mörderische koloniale Besatzung geht weiter.

Bis heute hat es Marokko geschafft durch hunderte von Winkelzügen und Hinhaltetaktiken das Referendum zu verhindern. Und es schafft weiterhin Fakten: Die Umsiedlung und „Landnahme“ von marokkanischen SiedlerInnen in die Westsahara wird forciert. Z.B. lockt Marokko mit günstigen Steuersätzen, hohen Löhnen und zahlreichen Privilegien. Anders als in Marokko werden in der besetzten Westsahara Arbeitskräfte gebraucht: im Bergbau, für die Fischerei und für den Ausbau von Infrastruktur, im Tourismus und für den Bau von Solarkraftwerken, wie dem Desertec-Projekt! (Siehe Interview, S. 17)

Im Februar 1982 wurde die DARS auch in die Organisation für Afrikanische Einheit (Organisation of African Unity, OAU, heutige Afrikanische Union, AU) aufgenommen. Marokko trat daraufhin aus der AU aus. Die DARS ist 2013 zwar international von 84 Staaten (Angabe Frente Polisario) anerkannt und unterhält diplomatische Vertretungen. Aber die DARS hat keinen Sitz bei den Vereinten Nationen, da diese die Aufnahme vom Ausgang eines Referendums über den Status der Westsahara abhängig machen. Die Polisario ist lediglich von der UNO als Verhandlungspartner und rechtmäßiger Vertreter des sahrauischen Volkes anerkannt.

In der Frage des Referendums sind zwei Fragen zentral: Über welchen rechtlichen Status der Westsahara soll abgestimmt werden und wer nimmt an der Abstimmung teil?

Marokko hat von Anfang an ein Referendum über das Recht der Sahraui auf einen eigenen Staat abgelehnt. Als Feigenblatt für die Okkupation, hat es immer wieder die Variante einer, im Rahmen des marokkanischen Staates, begrenzten Autonomie ins Spiel gebracht. Die Autonomie-Lösung wird auch von den westlichen Großmächten Frankreich, USA, BRD, EU favorisiert. Wann immer sich Marokko scheinbar auf einen Kompromiss einließ, so in den Verhandlungen von 1991 bis 1997, oder bei den verschiedenen Plänen des UN Sonderbeauftragten Baker, torpedierte es am Ende selbst wieder alle Lösungen. [7]

In der Frage der Abstimmungsberechtigung ist die Position der Polisario folgende: alle die in der Westsahara während der spanischen Besatzung lebten und deren Nachkommen sind bei einem Referendum wahlberechtigt. Das heißt natürlich auch alle Flüchtlinge. Besatzer und deren Nachkommen sind ausgeschlossen. Diese Position teilt auch die UN in ihren Resolutionen.

Die Okkupationsmacht Marokko will, dass alle Bewohner der Westsahara, auch die marokkanischen Siedler, teilnehmen. Dadurch würde sich natürlich das Kräfteverhältnis und damit der Ausgang des Referendums verschieben. „Eine jahrzehntelange Einwanderung von Marokkanern in die Westsahara hat inzwischen die Sahrauis zur Minderheit im eigenen Land gemacht.“ [8]

2003 stimmte die Frente sogar einer erweiterten Autonomielösung (Baker Plan II) für die besetzte Westsahara innerhalb Marokkos und der Abhaltung des Referendums erst 5 Jahren nach dem Autonomiestatus, zu. 2004 sichert die Frente schriftlich zu, die wirtschaftlichen Interessen Marokkos in einer unabhängigen Westsahara zu berücksichtigen. Aber Marokko boykottiert auch all diese Kompromisse.

So verhindert Marokko bisher jede Lösung. Vor allem wird es dabei von Frankreich unterstützt, das mit seinem Veto im Sicherheitsrat noch jede Resolution verhindert hat, die Maßnahmen, wie Sanktionen etc. gegen Marokko als Konsequenz für seine starre Haltung forderten.

Über 40 Jahre nach dem Dekolonisierungsbeschluss der UN ist die Westsahara nach wie vor Kolonie. Der UN-Sicherheitsrat verlängert jährlich, aktuell Ende April 2012 bis April 2013, die MINURSO um ein weiteres Jahr. In unregelmäßigen Abständen wird die Westsahara Frage auf die Tagesordnung der UN gesetzt. Die UN „überwacht den Friedensprozess“, der allerdings faktisch keiner ist. Denn es wird nur der für das sahrauische Volk unerträgliche, allen Resolutionen der UN widersprechende Status quo aufrechterhalten. Selbst der Antrag auf Ausweitung des MINURSO Mandats zur „Beobachtung der Menschenrechtslage“ aufgrund der ungeheuerlichen Repressionen in der besetzten Westsahara durch Marokko wird 2011 durch das französische Veto im Sicherheitsrat abgelehnt.

Im Juni 2012 wird der deutsche Diplomat Wolfgang Weisbrod-Weber, zum Sonderbeauftragten und Leiter der MINURSO-Mission ernannt. So mischt auch die BRD als Großmacht an „vorderster Front“ mit. Der Sondergesandte des UN Generalsekretärs, Christopher Ross hat seit 2009 wieder einige informelle Gespräche zwischen Marokko und der Frente initiiert, aber die marokkanische Regierung lehnt derzeit jedwede Zusammenarbeit mit diesem ab. Sie fordert seine Abberufung. Auch das nur ein weiteres taktisches Manöver.

Widerstand und nicht endende Repression

Die Frente Polisario hat trotz des 1991 in Kraft getretenen Waffenstillstands niemals ihre Waffen abgegeben. Ihre Befreiungsarmee umfasst heute noch ca. 6-7 000 KämpferInnen. Hinzu kommt, alle BewohnerInnen der Flüchtlingslager in Algerien nehmen an Militärübungen teil und bilden somit eine Art große ’Reservearmee’. Der bewaffnete Kampf wurde im besetzten Gebiet der Westsahara zwar beendet, aber immer wieder erhebt sich das sahrauische Volk in, auch militanten Widerstandsaktionen.

Im Mai 2005 lodern erneut massive Demonstrationen und Proteste, die heftigsten seit 6 Jahren, auf. Das ist die „Sahrauische Intifada“, so die Jugendorganisation, UJSARIO. Die Aktionen weiten sich auch auf Marokko aus. Bei den Feierlichkeiten zum 32. Jahrestag der Gründung der Polisario (10. Mai 2005) macht Mohamed Abdelaziz [9] klar, dass „das Volk der Sharaouis nicht endlos inaktiv bleiben kann. Sie werden für ihre nationale Rechte eintreten und das mit allen legitimen Mitteln, die den bewaffneten Kampf mit einschließen“. [10]

Das marokkanische Regime schlägt alle Proteste mit brutaler Gewalt nieder. Hunderte Militante werden verhaftet und gefoltert. Viele werden verurteilt und einige „verschwinden“. [11]

Die nächste mächtige Protestwelle startet 2010. Es ist der Vorfrühling des arabischen Frühlings. Zu dem Zeitpunkt, als die Gespräche zwischen Marokko und der Polisario in New York unter Aufsicht der UNO in einer Sackgasse endeten und unklar war, ob sie wieder aufgenommen werden können, kam es am 10. Oktober 2010 zu spontanen Protestaktionen. Es war ein Protest der vor allem jugendlichen Sahraui gegen Entlassungen, Wohnungsnot, Ausgrenzung, Verelendung, Erwerbslosigkeit und Armut. Es war ein Aufschrei gegen die gesellschaftliche, politische und soziale Unterdrückung. Die Form des Protestes war neu und die Inhalte waren sehr weit gefasst. „Anders als bei den sonst üblichen Protesten stand bei der Errichtung der Camps, die auch an anderen Orten aufgebaut wurden, zunächst nicht die Frage der Unabhängigkeit im Vordergrund. Es handelte sich vielmehr um eine ‚neue Form’ des Kampfs, um gegen die soziale Ausgrenzung zu demonstrieren.“ [12]

Zeltstädte wurden in der Wüste errichtet. Wie das größte Camp „Gdeim Izik“, „Camp der Würde“, das über 10 km von der Hauptstadt El Aaiun entfernt lag. Anfangs waren nur einige hundert Menschen am Aufbau des Camps beteiligt. Dann aber strömten Tausende sahrauische Bewohner aller Altersgruppen, Männer, Frauen und Kinder aus den besetzten Städten in die Wüste, um sich den Protesten anzuschließen. Zwischenzeitlich riegelten die Sicherheitskräfte die Camps angesichts des Zustroms sogar ab. In kurzer Zeit erstarkte das „Camp der Würde“ auf über 20 000 Menschen. Die marokkanischen Herrscher haben alles getan, um die Ausdehnung des Widerstands zu verhindern. Die Ein- und Ausfahrenden des Camps wurden von der Armee kontrolliert. Journalisten, Parlamentarier der Europäischen Linken und auch Diplomaten wurden nicht in die Zeltstadt gelassen. Als während einer Kontrolle am 24. Oktober der 14 jährige Elgarhi Nayem ermordet wurde, entflammte die Wut der sahrauischen Bevölkerung. Sie begann gegen die marokkanische Armee zu kämpfen. Am frühen Morgen des 8. November lässt die Armee aus Schläuchen kochendheiße Wasserstrahlen auf die Zeltstadt prasseln. Dann wird das Camp mit brutaler Gewalt gestürmt, geräumt und niedergebrannt. Dabei sollen nach Angaben der Polisario mindestens dreizehn Menschen getötet und siebenhundert verletzt worden sein. Die Vermissten werden mit mehr als 150 angegeben. In der Hauptstadt und allen anderen größeren Städten kam es daraufhin zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Armee und Polizei. Die Besatzer haben Haus für Haus durchsucht. Sie Geheimdienste haben die Menschen schikaniert, inhaftiert und gefoltert. Dennoch konnten sie die Stimme für Unabhängigkeit nicht unterdrücken.

Gezielt hatte die marokkanische Regierung die Räumung des „Camps der Würde“ auf den Tag gelegt, wo in New York die „UN-Vermittlungsgespräche zwischen Polisario und Marokko“ wieder aufgenommen werden sollten. Trotz der Brutalität der marokkanischen Besatzer hat die Polisario die Gespräche geführt. „Man habe zwar gezweifelt, erklärte Ahmed Boukhari, Vertreter der Polisario in der UNO, doch man wollte nicht in die Falle tappen, mit der Rabat die ‚Verhandlungen sabotieren will’“11

Die brutale Besetzung und die zermürbende Hinhaltetaktik Marokkos, und die völlig wirkungslose UN-Politik hat innerhalb der Frente Polisario und der sahrauischen Volksmassen immer wieder die Diskussion über die richtige Taktik aufflammen lassen. Das Für und Wider um die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes wird sehr kontrovers und heftig geführt. Sei es auf dem 12. Polisario-Kongress 2007 oder auf dem letzten, dem 13. Kongress im Jahr 2011 in Tifariti, der unter dem Motto „Nur ein unabhängiger sahrauischer Staat ist die Lösung“ stand, war diese Frage im Zentrum der Debatten. (Siehe Interview, S. 17) Aber die Geduld hat auch ihre Grenzen, vor allem die völlig perspektivlose Jugend will eine radikale Veränderung, hier und heute. Die Frente Polisario vertritt aktuell, dass die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes nicht die militärische Vertreibung Marokkos aus der Westsahara zum Ziel haben kann. Dazu sind die militärischen Kräfteverhältnisse viel zu ungleich. Der bewaffnete Kampf kann nur zu mehr Druck für eine Lösung auf internationaler Ebene ausüben. Der Preis für das sahrauische Volk in der besetzten Westsahara wäre aber ein zu hoher Blutzoll, der bis hin zu seiner völligen Vernichtung durch die marokkanische Diktatur führen könnte.

Bitteres Leid des sahrauischen Volkes

Seit 40 Jahren lebt der Großteil der sahrauischen Bevölkerung in Flüchtlingslagern, wo sie auf die Almosen der UN angewiesen ist und im Exil. Im von Marokko besetzten Teil leben die Sahraui rechtlos, in unvorstellbarer Armut und ohne Zukunftsperspektiven. Sie sind im eigenen Land Menschen zweiter Klasse. Die Diskriminierung verläuft auf allen Ebenen, auf juristischen, rechtlichen, ökonomischen und politischen. Die sahrauische Bevölkerung ist der Willkür der Besatzermacht völlig ausgeliefert. Viele Sahauri sind inhaftiert. Gleichzeitig setzt die Besatzermacht auf Arabisierung und die Auslöschung der kulturellen und nationalen Identität der Sahraui. Die Sprache der Sahraui wird nicht unterrichtet. Viele sahrauische Kinder werden nach der Grundschule nach Marokko auf Schulen geschickt, wo die „Arabisierung“ auf Hochtouren läuft. Das ist ihre einzige „Bildungschance“.

Im befreiten Gebiet der Westsahara, leben die Menschen getrennt durch die Mauer. Die marokkanischen Besatzer kontrollieren die Grenzen. Die Menschen in den Flüchtlingslagern, die vor dem Krieg geflohen sind, können nicht zurück. Generationen von Familien leben durch eine Mauer getrennt.

Die Flüchtlinge in den algerischen Lagern darben in einer kargen Geröllwüste und ohne jegliche Lebensperspektive. Die internationale Hilfe wird stetig zurückgefahren. „Studien des Hilfswerks der norwegischen Kirche und von Medicos del Mundo aus dem Jahr 2008 zeigen, dass 10 Prozent der Kinder in den Lagern an Unterernährung leiden. Laut Angaben der UN spricht man bei 15 Prozent Unterernährung der Kinder von einem kritischen Ausnahmezustand.“ [13]

Die Delegation der Europäischen Linkspartei berichtet über ihre Reise im November 2012: „Die Delegation informierte sich über die humanitäre Situation in den Flüchtlingslagern, die sich seit dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 2008 massiv verschärfte, in deren Folge die internationalen Hilfslieferungen, von denen die Menschen in den Lagern vollständig abhängig sind, um 60% einbrachen.“ [14] In der Selbstverwaltung der befreiten Gebiete und der Flüchtlingslager versuchen das Volk und die Polisario dieser schier ausweglosen Lage zu trotzen. Natürlich wollen Menschen der brutalen Situation durch Flucht und Migration entkommen. Das aber, so der Generalsekretär der Polisario, Abdelaziz, „könnte ernsthafte Auswirkungen auf die Existenz unseres Volkes haben.“ [15]

Viele imperialistische Mächte – unterschiedliche Interessen

Marokko hat strategische, politische, militärische, ökonomische Vorteile aus der Besatzung der Westsahara. Nur ein Beispiel: „Allein im Jahr 2008 erwirtschaftete Marokko rund 1 500 Milliarden Dollar aus dem illegalen Export von Phosphaten aus dem von ihm besetzten Gebiet der Westsahara.“ [16]

Allerdings gibt es daneben – mit unterschiedlichen Interessen – auch andere Mächte, und „Oberherren“ des marokkanischen Herrscherhauses, die Interesse an der Besatzung haben und in vielerlei Hinsicht davon profitieren. Die UN selbst, die USA, Frankreich, Spanien, die EU und – wie immer an vorderster Front mit dabei – die BRD!

UN…
…finanziert sich und den marokkanischen Königsclan. Im Rahmen des Kyoto-Protokolls wurde der „Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung“ (CDM) bei der UN eingerichtet, um „Entwicklungs“­ländern eine ‚ökologische, nachhaltig wirtschaftliche’ Entwicklung‘ durch einen Zufluss an Geld und Technologie zu ermöglichen. Geprüft wird nun ein Finanzierungsantrag an CDM für das Windkraft-Anlagen-Projekt Foum El Oued im Süden von Marokko (also in der Westsahara!). Besitzerin und Betreiberin des Windparks ist die NAREVA Holding, die von der Familie des marokkanischen Königs geführt wird.

Einerseits bekräftigt die UN-Generalversammlung die Rechte des sahrauischen Volkes in Resolutionen, andererseits betreibt die UN-Organisation praktische Politik mit der Besatzermacht und subventioniert sie. Denn auch in der UN haben letztlich die Großmächte das Sagen.

Im UN-Friedensplan war die Freilassung aller Kriegsgefangenen auf beiden Seiten vereinbart worden. Im August 2005 entlässt die Frente Polisario die 400 letzten marokkanischen Kriegsgefangenen. Marokko hat hingegen die Gefangenen nicht freigelassen und wurde auch nicht entsprechend mit Sanktionen unter Druck gesetzt.

USA...
... Anfang der 1980 Jahre lösten die USA die alte Kolonialmacht Frankreich als imperialistischer „Hauptherr“ Marokkos ab. 1982 schließt der marokkanische Herrscher mit den USA eine militärische Kooperation ab, die weitreichende strategische Bedeutung hat. Aktuell liefern die USA F-16-Bombenflugzeuge an die marokkanische Regierung. 2011 erklären die US-Demokraten Marokko zum „engsten Freund“ in Nordafrika. In der Westsahara-Frage verfolgen die USA ihre ganz eigenen Interessen. Anfang 2001 unterzeichnete das US-Unternehmen Kerr-McGee mit der marokkanischen Kolonialmacht Verträge für die Suche und Verwertung von Öl und Gasvorkommen in den Küstengewässern der Westsahara. Der US-Konzern verlängert seinen Vertrag Jahr für Jahr – immer fein synchronisiert mit dem UN-Mandat für die Westsahara. Darum haben die USA (und auch Frankreich) den Autonomieplan im Sicherheitsrat vorangetrieben. 2012 wird im Bericht des „US Geological Survey of World Energy“ definitiv von riesigen Öl- und Gasvorkommen im Küstenbereich der „Saharan Coast“, berichtet. [17]

Der Französische Imperialismus…
hat als alte Kolonialmacht ebenfalls beste Beziehungen zu Marokko: Das französische Monopol Total S.A. hat erneut mit der marokkanischen Regierung ein Ölabkommen geschlossen.

„Nach Recherchen von WSRW hat Total bereits am 6. Dezember 2011 für einen massiven Offshore-Block gezeichnet. Am 29. November 2012 hatte WSRW enthüllt, dass Total in die Westsahara zurückgekehrt sei, und zwar im Auftrag der marokkanischen Regierung, die diese Gebiete der Westsahara besetzt hält. Dabei handelt es sich sicherlich zunächst um einen Erkundungsvertrag, ähnlich dem Vertrag, den das Unternehmen bereits für dieselbe Region im Zeitraum von 2001 – 2004 abgeschlossen hatte. Es heißt zunächst, dass die Laufzeit 12 Monate betragen würde. Dies bedeutet, dass dieser Vertrag jetzt, nämlich zum 6. Dezember 2012 auslaufen würde. Total ist daher gezwungen, zu erklären, ob es – wie bereits 2004 geschehen – die Erkundungen innerhalb der saharauischen See einstellt – oder einen neuen Vertrag mit der Besatzungsmacht der Westsahara abschließt.“ [18]

Die Polisario bewertet das Abkommen als ungültig. So stehen die Interessen der französischen Imperialisten dem Selbstbestimmungsrecht der Sahrauis entgegen. Daher verteidigen sie ihre eigenen Monopol-Interessen politisch in der UN. Nach Angaben des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) gehen 8% aller Rüstungsexporte aus Frankreich nach Marokko. Frankreich steht als Handelspartner von Marokko sowohl beim Import mit 14%, als auch beim Export mit 21% an erster Stelle.

EU…
… ist mit jährlich 200 Millionen Euro der größte (!) Investor in Marokko. [19]

Die Westsahara ist reich an Bodenschätzen: Diamanten, Gold und Uran sowie Kupfer, Nickel, Zink, Blei und Kobalt und eines der größten Phosphatvorkommen der Welt. Die Küste hat einen der reichsten Fischbestände Afrikas. Marokko verhökert den Reichtum der Westsahara gewinnbringend an die EU.

Rund 48 Millionen US-Dollar wurden im Jahr 2008 durch illegalen Phosphat-Export aus den besetzten Gebieten erwirtschaftet.

Die EU (darunter an vorderster Front Spanien) hat 2007 mit Marokko ein Fischfangabkommen geschlossen Spanien nutzt dieses natürlich für seine eigenen Interessen. Spanien hat ja schon 1975 im dreiseitigen Abkommen umfangreiche Fischfangrechte, Teile an den Bodenschätzen und dem Reichtum der Westsahara zugesichert bekommen. Marokko profitiert mit jährlich 36 Millionen Euro, von der Vergabe der Fischfanglizenzen an die europäische Fischereiflotte. (Das EU-Parlament hatte die Verlängerung des Fischereiabkommens zwischen der EU und Marokko im Jahr 2011 mit knapper Mehrheit abgelehnt.)

Allerdings plant die EU ab 2013 jährlich Millionen von Euros an die Regierung von Marokko zu bezahlen, damit es EU-Schiffen wieder erlaubt wird, die Gewässer des besetzten Gebietes abzufischen. Die EU hat die neue Verhandlungsrunde mit Marokko über illegalen Fischfang vor der Küste der Westsahara genau an dem Tag gestartet, an dem sie in Oslo den Friedensnobelpreis erhalten hat.

„Am 26. November 2012 hat die Befreiungsfront für die Westsahara, Frente Polisario, sich mit einem Brief an den Sicherheitsrat gewandt ... In diesem Brief heißt es u.a.: ‚Die Frente Polisario will auch die Aufmerksamkeit auf die andauernde illegale Erforschung und Ausbeutung der natürlichen Ressourcen der Westsahara lenken. Insbesondere möchten wir unsere tiefe Besorgnis über die Pläne der Europäischen Union und Marokko zum Ausdruck bringen, die Verhandlungen über ein bereits 2005 vereinbartes Fischerei-Partnerschaftsabkommen (FPA) wieder aufzunehmen, das die Hoheitsgewässer der Westsahara einschließt. Das Protokoll zu diesem Abkommen wurde am 14. Dezember 2011 vom Europäischen Parlament niedergestimmt, weil dieses Abkommen unter ‚Missachtung der Interessen und Wünsche der saharauischen Bevölkerung’ (UN Doc. S/2002/161) zustande gekommen sei. Damit sah das Parlament die Bedingungen für eine völkerrechtlich konforme Nutzung natürlicher Ressourcen eines nicht-selbstständig regierten Gebietes lt. Vorgaben des  Rechtsbeistands der Vereinten Nationen von 2002 als nicht erfüllt an. Wir fordern Marokko und sämtliche ausländische Rechtsträger auf, die rechtswidrige Ausbeutung der Ressourcen der Westsahara einzustellen und davon Abstand zu nehmen, Verträge zu schließen, die die vollständige Souveränität des saharauischen Volkes über seine natürlichen Ressourcen verletzen könnten.“ [20]

Ein neues Agrar-Abkommen wurde bereits im Februar 2012 zwischen der EU und Marokko beschlossen. Das missachtet ebenso die internationale Rechtslage der Westsahara. Es werden größere Mengen an Frischprodukten aus der besetzten Westsahara auf den europäischen Markt kommen. [21]

Und nicht zuletzt sind für die spanischen Interessen ihre Enklaven Ceuta und Melilla in Marokko von großer Bedeutung. Dadurch scheffelt Spanien Millionen Euro von der EU um Menschen, die in die EU flüchten wollen in diesen Gefängnissen festzuhalten und zu foltern.

BRD …
Neben der „Entwicklungszusammenarbeit“ in Höhe von rund 130 Millionen Euro, bildet die BRD Militär und Polizei des marokkanischen Staates aus. Die brutale Niederschlagung von Protesten im eigenen Land und das Niedermetzeln des Widerstands der Sahrauis seitens Marokkos finden also mit deutschen Know How statt.

Aber „wir“ liefern natürlich auch das Material dafür. In den letzten Jahren exportierte die BRD Rüstungsgüter im Wert von fast 70 Millionen Euro nach Marokko. Als weltweit drittgrößter Waffenexporteur steht Deutschland natürlich „in der Pflicht“.

„In marokkanischen Medien wurde am 30. Oktober 2012 berichtet, das Königreich wolle ein U-Boot der Serie 209/1100 von Thyssen Krupp Marine Systems beziehen. … Das U-Boot könnte von Marokko für eine Seeblockade der Westsahara oder Algeriens eingesetzt werden.“ Gleichzeitig wird auch der schärfste Konkurrent Marokkos, Algerien mit deutschen Waffen beglückt: „Auch will Algerien nach Informationen des Nachrichtenmagazins ‚Spiegel’ 54 ‚Fuchs’-Transportpanzer in Deutschland kaufen und bis zu 1 200 dieser Kettenfahrzeuge in Lizenz herstellen.“ 24

Das ist deutsche Ausgewogenheit und sichert die Absatzmärkte! [22]

Die EU, in erster Linie die BRD, forcieren das „Wüstenstromvision-Energie-Projekt“, Desertec mit nordafrikanischen „Partner“-Staaten. Als erstes, soll ein 600 Millionen Euro teures Solarkraftwerk in Marokko errichtet werden, um „Grüne“ Energie nach Europa zu exportieren. Das gesamte Investitionsvolumen soll bis 2050 mehrere hundert Milliarden Euro betragen.

Ziel ist 15% des gesamten europäischen Strombedarfs bis 2050 mit Wüstenstrom zu decken. Zwei der Kraftwerke sind auf besetztem, westsahrauischem Gebiet geplant.

Die illegalen Abtransporte von Bodenschätzen aus dem völkerrechtswidrig besetzten Gebiet Westsahara werden von UnterstützerInnen der Sache des sahrauischen Volkes in verschiedenen Ländern als Diebstahl angeprangert. Die beteiligten Schiffe werden mit ihrem Namen, ihrer IMO-(Schiffs)Nummer und der Reederei veröffentlicht. Darunter findet sich auch die deutsche Reederei Doehle, die 2009 an „einem unethischen Transport von Phosphat aus der besetzten Westsahara nach Kolumbien beteiligt war“. (wsrw.org)

Der deutsche Monopolkonzern BASF importierte 2008 über seinen belgischen Konzernableger schon mal illegal Phosphat aus der Bou-Craa Mine. Auf Nachfrage wird versichert, das sei ein bedauerlicher Einzelfall.

Siemens informierte Ende Januar 2012 über einen großen Auftrag für Windanlagen aus Marokko. Es handelt sich um die Investitionsstandorte Haouma und Foum El Qued. Eines der Kraftwerke liegt im Süden von Marokko – also in der Westsahara! Und nicht zu vergessen: Besitzerin und Betreiberin ist die NAREVA Holding, die marokkanische königliche Familie.

Obwohl die MINURSO-Mission von der UN-Generalversammlung mit den Stimmen der BRD wie auch von Frankreich und USA verlängert wird, die ja das angebliche Ziel hat das Referendum zur Selbstbestimmung durchzuführen, hintertreiben diese Staaten das in der Praxis. Die Bundesregierung vertritt ungerührt die Auffassung, der völkerrechtliche Status der Westsahara sei „ungeklärt“ und ist „umstritten“[23]

In der Praxis jedoch schließt sich die Bundesregierung implizit der marokkanischen Auffassung regelmäßig an, wonach – zum Beispiel in Sachen erneuerbarer Energien – die Westsahara integraler Bestandteil Marokkos ist. Die deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GtZ, heute: Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit, GiZ) führt in Marokko Studien im Rahmen des TERNA-Projekts durch, das „Partner in Entwicklungs- und Schwellenländern bei der Planung und Entwicklung von Windkraft-Projekten unterstützen“ soll.

Hierzu heißt es in der Länderstudie von 2007, dass „die seit 1991 (also kurz nach dem Waffenstillstandsabkommen) gewonnenen Daten bestätigen, dass Marokko über mehrere Gebiete mit hervorragendem Potential zur Ausbeutung von Windenergie verfügt, insbesondere in den Gebieten um Tangier, Ksar, Sghir und Tétouan sowie um Dakhla, Laayoune, Tarfaya und Essaouira.“ Dakhla und Laayoune liegen in der Westsahara!

Auf eine Anfrage der Linken im Bundestag bestätigt die Bundesregierung diese Informationen und erteilt konkret nebulöse, schwammige Antworten.

Bezüglich des Fischereiabkommens zwischen EU und Marokko wird in dieser „Antwort auf die ‚Kleine Anfrage’“ rechtlich vertreten, dieses „bezieht sich auf das Gebiet Marokkos und die Gebiete unter der Gerichtsbarkeit Marokkos.“ [24]

Alles klar! Die Westsahara steht, als besetztes Land unter Marokkos Gerichtsbarkeit, und darum machen ‚wir’ auch Geschäfte und Projekte in diesem Gebiet. Obwohl das den UN Resolutionen, die ‚wir’ immer mit abwinken völlig widerspricht.[25]

Im November 2010 betonte Außenminister Westerwelle bei seinem Besuch in Marokko: „Die Desertec-Initiative könnte ein Meilenstein der Energiezusammenarbeit werden“. Er sicherte von Seiten der BRD 40 Millionen Euro Investitionen beim Ausbau der Solarenergie zu. Weitere „drei Millionen Euro für den marokkanischen Solarplan“ sind in der Diskussion. Westerwelles Besuch erfolgte nur wenige Tage nach der gewaltsamen Zerstörung der Zeltstadt „Camp der Würde“ in der Westsahara. Das hat den florierenden Investitionstätigkeiten der deutschen Imperialisten aber keinerlei Abbruch getan. Im Gegenteil, Westerwelle unterstrich bei seinen Gesprächen: „Deutschland und Marokko sind hervorragende Partner“27

Dass die Bundesregierung mit dem marokkanischen König auf allen Gebieten aufs engste zusammenarbeitet, sollte hier niemanden überraschen. Menschenrechte interessieren die deutsche Außenpolitik nur da, wo sie dem deutschen Kapital nutzen, also wenn diese funktionalisiert werden können, um ungeliebte Regime (notfalls auch) militärisch aus dem Weg zu räumen.

Abkommen von Madrid“ zwischen Spanien, Marokko und Mauretanien:

Nur eine kurze Zusammenfassung der weitreichenden Vereinbarungen wird damals veröffentlicht, der Rest blieb zunächst geheim. Kernpunkte sind: ‚die Spanische Anwesenheit im Territorium wird vor dem 28. Februar 1976 enden’ und ‚Spanien wird unverzüglich im Territorium eine vorläufige Verwaltung unter Beteiligung Marokkos und Mauretaniens (schaffen)’. „Erst 1978 enthüllt die spanische Presse, welchen Preis Marokko für den spanischen Verrat an den Sahrauis und die Missachtung sämtlicher UN-Beschlüsse zahlte. In den geheimen Zusatzprotokollen des Abkommens werden Spanien Fischfangrechte für 800 spanische Boote vor der Nordwestafrikanischen Küste über einen Zeitraum von 12 Jahren zugesagt und Anteile in Höhe von 35 Prozent beim Abbau der Bodenschätze in der Westsahara. Entsprechend behält Spanien auch 35 Prozent der Aktien an der Phosphatmine von Bou-Craa, die mit dem Abkommen zu 65 Prozent an die marokkanische Firma Office Cherifien de Phosphat übergeht. Außerdem soll Marokko der spanischen Düngemittelfabrik in Hueva Phosphat im Wert von 300 Millionen US-Dollar zum Spottpreis von 15 Dollar pro Tonne liefern. Und Hassan (Monarch von Marokko, TA) verspricht, seine Ansprüche auf die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla an der Mittelmeerküste so lange zurückzustellen, bis Großbritannien Gibraltar an Spanien abtritt. Schließlich soll Marokko Spanien auch die Nutzung von Militärbasen in der Westsahara  und seine Unterstützung bei der Bekämpfung der Separatistenbewegung MPAIAC auf den kanarischen Inseln zugesichert haben.“ Der Generalsekretär der Frente Polisario, El Ouali, erklärte am 15. November 1975 in Algier: „Unser Volk, das sich zur Zeit einer marokkanischen Invasion gegenüber sieht, erklärt das in Madrid geschlossene Abkommen zwischen Spanien, Marokko und Mauretanien für null nichtig. Es ist ein Akt der Aggression und Plünderei.“

„Madrider Abkommen“, Österreichisch-Saharauische Gesellschaft, oesg.ws/?pid=16&id=28

Barbarei Marokkos
Abdati Salama (70): ... nicht nur ich, sondern viele, viele Sahrauis flohen damals in die Wüste, in die Gebiete, die von der Frente Polisario kontrolliert und verwaltet wurden. Aber die Marokkaner verfolgten uns mit Flugzeugen. Es gibt einen Tag, den ich nie vergessen werde. Wir zelteten damals in Oum Dreiga, einem kleinen Ort im Nordosten der Westsahara. Hier waren mehr als 25 000 Flüchtlinge zusammengekommen. Die meisten waren Kinder, Frauen und ältere Leute, weil die jungen Männer bei der Polisario Waren. Plötzlich erschienen Flugzeuge am Horizont. Sie umkreisten unser Lager und verschwanden wieder. Es waren Aufklärungsflugzeuge und einige dachten, sie brächten Lebensmittel für die hungernden Menschen. Drei Tage später kam die marokkanische Luftwaffe mit Jagdbombern. Fast alle Menschen waren in ihren Zelten, als plötzlich Napalm-, Phosphor- und Splitterbomben über dem Lager geworfen wurden. Hunderte, Tausende Kinder, Frauen und Alte wurden an diesem Morgen ermordet und verletzt. Danach war klar: wir waren in unserem eigenen Land nicht mehr sicher und mussten über die Grenze, nach Südalgerien fliehen.

Die Augenzeugenberichte der Sahrauis über die grausame marokkanische Invasion, der im Dezember 1975 der Einmarsch mauretanischer Truppen von Süden folgt, werden von neutralen Beobachtern bestätigt. Sowohl das internationale Komitee des Roten Kreuzes wie ein Schweizer Ärzteteam bezeugen Anfang 1976 den Abwurf von Napalmbomben durch die marokkanische Armee. Der Generalsekretär der Liga für Menschenrechte, Denis Payot, bereist unmittelbar nach Kriegsbeginn im Auftrag der UN-Flüchtlingsorganisation mehrfach die Region. Er spricht danach von „Gräueltaten, die Ausdruck übelster Barbarei“ seien, und warnt vor einem „drohenden Völkermord“ an den Sahrauis. Er bestätigt den Einsatz völkerrechtlich geächteter Waffen, den die Kriegsführenden Länder bestreiten: ‚Wir haben Kinder gesehen, die die Gasbomben blind gemacht haben, andere, die vom Napalm verbrannt waren.’ (Karl Rössel, „Wind, Sand und (Mercedes-) Sterne, Der vergessene Krieg für die Freiheit“, Horlemann Verlag, 1991).

„Flucht ins Exil“, Österreichisch-Saharaurische Gesellschaft, oesg.ws

Frente Polisario 1974: Die zehn Voraussetzungen für eine Volksbefragung
Es gibt nur zwei Parteien in dieser Frage: auf der einen Seite das Volk von Saguiat und Rio mit seinen gerechten Forderun­gen und auf der anderen Seite das feindliche faschistische Spanien.
Rückzug aller spanischen Streitkräfte und ihre Ablösung durch Guerilleros der F. Polisario.
Abzug der spanischen Verwaltung und ihre Ersetzung durch nationale Behörden.
Rückkehr der eingeborenen saharauischen Flüchtlinge.
Keine Einmischung von ausländischer Seite.
Endgültiger Abzug aller ausländischen Kolonisten.
Rückzug der an der saharauischen Grenze konzentrierten ausländi­schen Truppen.
Das Ergebnis der Volksbefragung muß die völlige Unabhängigkeit sein.
Die Volksbefragung muß unter der Aufsicht der UNO und der Arabischen Liga durchgeführt werden.
Die Ausbeutung unserer nationalen Bodenschätze muß eingestellt werden.

 

Marokko und der arabische Frühling
In Marokko herrscht eine extrem hohe Jugendarbeitslosigkeit, insbesondere bei AkademikerInnen mit fast 40%. Sie liegt noch erheblich über der Tunesiens (30%) und Ägyptens (25%) und das, obwohl es ein stetiges Wirtschaftswachstum in den vergangenen Jahre gab. Der Gini-Index (Gerechtigkeit der Verteilung) liegt bei 39,5%. Das ist der gleiche Wert wie in Tunesien (während der Herrschaft des Diktators Ben Ali), aber hinter Ägypten unter Mubarak (34,4). Die Analphabetenrate liegt bei fast 50%. Durchschnittlich liegt die Analphabetenrate in den arabischen Ländern bei 30%. (Friedrich-Ebert-Stiftung: library.fes.de/pdf-files/iez/08459.pdf, September 2011)
Am 20. Februar 2011, dem so genannten „Tag der Würde“, demonstrierten tausende MarokkanerInnen für politische Reformen und mehr Demokratie, gegen Korruption und Folter und gegen die wirtschaftliche Perspektivlosigkeit der Jugend. Im Zuge des „arabischen Frühlings“ versprach der marokkanische König, dass Nahrungsmittel, Konsummittel und Gas subventioniert werden, um die Wut der Bevölkerung zu dämmen.
Am 17. Juni 2011 gab der König Details der angekündigten Verfassungsreform bekannt: Gleichberechtigung der Berbersprache Tamazight (zur Ruhigstellung einer großen Bevölkerungsgruppe), Parlament und Regierung können in Zukunft gewählt werden, Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Justiz, Transparenz und Rechenschaftslegung in der Politik, Konstitutionalisierung der Menschenrechte, Gründung eines Rates der Jugend, Gleichberechtigung der Frauen in der Verfassung, Begnadigung von fast 200 politischen Gefangenen, die Übernahme von 4 000 arbeitslosen Hochschulabsolventen in den Staatsdienst, Lockerung der Zensur der Medien. (Friedrich-Ebert-Stiftung: library.fes.de/pdf-files/iez/08459.pdf) Aber das sind alles nur „Schein“Reformen auf dem Papier. Die Macht des Königs, Mohammed VI, Staatsoberhaupt und oberster Befehlshaber der Armee ist ungebrochen. Der faschistische Terror in den Geheimgefängnissen wütet weiter. Die so genannte „Wahrheitskommission“ ist eine reine Farce.
Das ganze Jahr 2012 wurde durch immer wieder aufflammende Proteste der Werktätigen erschüttert. Ungeheure Preissteigerungen und dramatisch hohe Erwerbslosenzahlen, politische Unterdrückung und soziale Ächtung treiben die Menschen auf die Straßen, vor allem die Jugend. Die Antwort des Regimes ist gleich bleibend: brutale Repression.
Im EU-Sprachgebrauch firmiert Marokko als „stabiler Staat“ und „verlässlicher Wirtschaftspartner mit einigen Defiziten“. Diese sind aber für die selbst ernannten „Menschenrechtspropheten“ der EU, angesichts der „dramatischen“ Lage in den anderen arabischen Staaten, zu vernachlässigen.

 

Besatzerrecht
Die Personalausweise, die an die Sahraouis von Marokko vergeben werden, sind mit einem aufgedruckten „S“ gekennzeichnet, das den Besitzer gleich für die Sicherheitskräfte identifizierbar macht. … Diese bürokratische Diskriminierung trägt zur Kontrolle der Bevölkerung der besetzten Westsahara und der strengen Einschränkung von deren Freizügigkeit bei. Infolge eines Gesetzes dürfen die Bewohner der Westsahara die besetzten Gebiete nicht verlassen. Viele versuchen nach Algerien (v.a. in die Region Oujda) zu flüchten, wobei Fälle der Folter, Festnahme und von Gefängnisaufenthalten in diesem Zusammenhang gemeldet werden. Im Falle von Personalausweiskontrollen außerhalb der okkupierten Gebiete muß jeder Bewohner der Westsahara erklären, warum er sich außerhalb des Gebietes befindet, für das er autorisiert ist. Im Falle einer unbefriedigenden Erklärung ist er sofort der willkürlichen Verhaftung und schlechter Behandlung ausgeliefert. Die marokkanischen Behörden stellen der Bevölkerung der Westsahara nur sehr wenige Pässe aus, dabei ist diese Druck und Drohungen ausgesetzt. Familienangehörige dürfen nicht zusammen reisen; ein Kind oder ein Elternteil muß gewissermaßen als Geisel zu Hause bleiben, als eine Art Rückkehrversicherung.
Margot Keßler, Westsahara: Warum die Menschenrechte nicht vom Völkerrecht zu trennen sind, 2001, www.oesgw.ws/medienarchiv
 Westsahara auf der dOCUMENTA 2012 Kassel

Robin Kahn & La Cooperativa Unidad Nacional Mujeres Saharauis
(Kooperative der Nationalen Union der Frauen der Westsahara)

 
The Art of Sahrawi Cooking (2012)
ist ein freistehendes Wüstenzelt für zere­monielle Anlässe, das Frauen aus der ehemaligen spanischen Kolonie West­sahara genäht haben – Gefangene in ihrem eigenen Land, das von Marokko annektiert wurde, nachdem Spanien das Gebiet 1976 aufgegeben hatte. Die Arbeit entstand ganz buchstäblich als Traumgebilde: Erdacht wurde sie von dem bekannten Dichter und Histo­riker Peter Lamborn Wilson in Zusam­menarbeit mit der New Yorker Künst­lerin Robin Kahn, die 2009 einen Monat lang bei Frauen in der Westsahara ge­lebt hatte und ein Jahr darauf das Buch Dining in Refugee Camps: The Art of Sahrawi Cooking (Essen in Flüchtlings­lagern: Die Kunst der sahrauischen Küche) veröffentlichte. Nachdem Wilson eines Abends in Kahns Buch gelesen hatte, träumte er von einem Zelt, in dem Frauen aus der Westsahara köst­lichen Couscous zubereiteten und ihn den Besuchern der documenta servierten. Er erzählte Kahn und den documenta-Organisatoren davon, und nunmehr trägt ihre große Vision Früchte und macht das Unsichtbare sichtbar.

Unsichtbarkeit ist das Schicksal der Verlierer der Geschichte.

Die alteinge­sessenen Völker der Westsahara, die unter den grausamen Bedingungen überleben, die ihnen die marokkanische Regierung aufzwingt, sind, so kann man sagen, von der Weltkarte der Mensch­heit verschwunden: eine Masse von etwa 200 000 Menschen ohne Staat, vom Rest der Welt nicht anerkannt, ver­loren im Wüstensand, unter dem etwa drei Millionen Landminen schlummern. Verschwindenlassen, Unsichtbarkeit und Auslöschung sind Taktiken, die überall in der modernen Welt anzutreffen sind, aber normalerweise werden sie gegen Einzelne angewandt, so in den letzten drei Jahrzehnten in Lateinamerika, vor allem in Argentinien, Kolumbien und Guatemala.

Im Fall der Westsahara jedoch wird das Verbrechen des Verschwindenlassens an einem ganzen Volk begangen. Sie existieren als menschliche Subjekte, als staaten­lose und daher nichtexistente Nation aber sind sie ausgelöscht worden. Sie überleben dank der Nahrungsmittel- und Wasserlieferungen von Hilfsorganisati­onen in einem Land, das traditionell ihr eigenes ist und reich an Fisch, Öl und Phosphaten, einem Land, das durch einen beinahe 3 000 Kilometer langen in Nord-Süd-Richtung verlaufenden, von marokkanischen Soldaten bewachten und mit Landminen gesicherten Wall zweigeteilt wird.

Europa hat die Rolle staatenloser Menschen in seiner eigenen Geschichte des 20. Jahrhunderts vergessen; nach dem Ersten Weltkrieg tilgten Bürokraten zahllose Menschen von der Landkarte, indem sie die Grenzen wieder und wie­der neu zogen.

Der deutsche Schriftstel­ler B. Traven beschrieb dies eindringlich in seinem Roman Das Totenschiff aus dem Jahr 1926; auch Walter Benjamin machte diesen Zustand des Ausgelöschtseins zum Kern seines Werks.

Anlässlich der dOCUMENTA (13) laden die Zeltbewohner der Westsahara die Öffentlichkeit in das Herz ihrer Welt ein, wo sie Couscous essen und sich nicht nur über ihre Notlage informieren, son­dern auch die Schönheit ihrer schöpferi­schen Arbeit bewundern und die Rolle der Kunst beim Bau einer neuen und bes­seren Welt kennenlernen können.

 dOCUMENTA (13), „Das Begleitbuch“, Katalog 3/3, S.  268

 

Interview

13. Kongress der Frente Polisario

Anfang Dezember 2011

Wir haben mit Frank, einem antiimperialistischen Freund, der an dem Kongress teilgenommen hat, ein Interview geführt.

1
Du warst im Dezember 2011 auf dem 13. Kongress der Frente Polisario in der Westsahara. Wie bist du da hingekommen?
Eine Genossin erzählte mir, dass sie für die Europäische Linkspartei an einer Delegation teilnehmen wird, die den Kongress beobachtet. Ich kenne nicht den von der Bundesregierung akkreditierten Botschafter der Demokratischen Arabischen Republik Sahara (DARS) in Deutschland, habe ihn kontaktiert und dann als Privatperson an der Delegation teilgenommen. Diese flog dann von Madrid über Algier nach Tindouf im Westen Algeriens. Dort trafen wir andere Beobachter und Unterstützer und dann ging es in einer großen Kolonne durch die Wüste in die „befreiten Gebiete“, wo der Kongress stattfand.
 
2
Welche Verbindung gibt es über die Partei DIE LINKE zur Frente?
Da kann ich wenig dazu sagen. Wie gesagt, hat die Europäische Linkspartei eine deutsche Delegierte geschickt und ich weiß, dass die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen aktiv in diesem Bereich ist, Anfragen und Anträge im Sinne der Frente macht und auch einmal hinreisen wollte, sie ist dann von Marokko abgeschoben worden. Ob es mehr institutionelle Verbindungen gibt, weiss ich nicht. Ich weiß aber, dass die Frente auch zu Abgeordneten anderer Parteien, auch der CDU und der Konservativen im Europäischen Parlament Kontakte unterhält.
 
3
Welches waren die Gründe, dass die AntiimperialistInnen ihre Solidarität mit der Frente mehr oder weniger abgestellt haben?
In Spanien gibt es noch ein sehr enges Netz an UnterstützerInnengruppen, das mir antiimperialistisch geprägt zu sein scheint, in den meisten europäischen Ländern gibt es kleinere entsprechende Netzwerke und Gruppen. In Deutschland auch, die scheinen mir jedoch seltsam abgekoppelt von anderen politischen Gruppen, Zielen und Debatten. Es gab einmal eine gut organisierte linke, antiimperialistische Solidarität mit der Frente auch in Deutschland, die ist dann aber mehr oder weniger zusammengebrochen. Ich glaube das hatte mit Foltervorwürfen gegen die Polisario zu tun und dass diese darauf nicht reagiert hat und Diskussionen um kritische Solidarität entstanden sind in der Art: wie viel Kritik ist da akzeptabel bzw. was können wir eigentlich noch unterstützen.
 
4
Was wurde auf dem Kongress beschlossen?
Mir schien die Frage der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes am Entscheidendsten oder – so blöd das klingen mag – am Interessantesten. Daneben, also auch sehr intensiv, wurde die Rolle der Jugend, der Studierenden und v.a. der Frauen diskutiert. Letztlich wurde die Regierung bestätigt, musste dafür aber versprechen, sozusagen ihre militärischen Vorbereitungen zu intensivieren. Es wurde viel von drei Monaten geredet, welche es brauchen würde, bis man wieder kämpfen könnte und die man aber auch noch warten wolle, ob es nennenswerte Fortschritte auf diplomatischer Ebene gibt. Durch die Destabilisierung der Region in Folge des Libyen-Krieges, die Unabhängigkeitserklärung des Azawad (Azawad: Region in Nordmali, von Tuareg besiedelt, Unabgängigkeit 6. April 2012, TA) und die erhöhte Intensität der Aufstandsbekämpfung in der ganzen Region ist aber meines Erachtens die militärische Option erstmal wieder vom Tisch.
 
5
Wer war als Delegierte/r und als Beobachter da?
Als Beobachter würde ich sagen etwa 200 Leute v.a. aus Europa, Medienvertreter und Leute aus Soli-Gruppen, kleinere Gruppen auch aus Lateinamerika, Afrika und Asien. Internationale Delegierte, die Grußworte gehalten haben, waren v.a. ziemlich hochrangige Regierungsvertreter aus Afrika und von Linken Regierungen in Lateinamerika und viele Leute aus Spanien, Parteienvertreter oder Leute aus Regionalparlamenten usw.
 
6
„Linke Regierungen in Lateinamerika“, welche Interessen haben sie an der Westsahara?
Ich vermute, sie verstehen das als Teil ihrer internationalen Solidarität oder auch Geopolitik, wie Chavez sie versteht, also das Projekt, linke Regierungen, „Befreiungsbewegungen“ usw. gemeinsam in Stellung zu bringen und auch Alternativen zu bieten, was internationale Bündnisse angeht. Für die Polisario ist das natürlich gut, Anerkennung auch von Staaten zu erfahren und Unterstützung. Allerdings waren die Reden von diesen Delegierten die politischsten, das fand ich ganz erfrischend und ermutigend. Die meisten afrikanischen Delegierten bezogen sich zwar noch irgendwie auf den Kolonialismus, vertraten aber kaum linke oder antiimperialistische Inhalte. Mehr Applaus gab‘s aber halt auch wenn man einfach von Unabhängigkeit redete, über Marokko herzog oder Algerien lobte.
 
7
Ich habe gelesen: „Der nigerianische Botschafter hat sich am deutlichsten von allen für eine kriegerische Lösung eingesetzt und angedeutet, dass sein Land dafür Waffen liefert“. Welche Intention verfolgt Nigeria damit?
Das hat mich auch überrascht. Insgesamt sieht sich Nigeria ja als Regionalmacht in der Region. Sie begründen ja auch gegenwärtig ihre Interventionsbereitschaft in Mali damit, dass vermeintliche oder tatsächliche islamistische Gruppen aus Nigeria Rückzugsräume in Mali erschlossen hätten. In dieser Region ist jedoch auch Algerien sehr einflussreich und hat ja sehr gute Kontakte zur Frente, deshalb vermute ich, sie haben das sehr ernst genommen mit der Konfrontation und wollten da nicht abseits stehen, das Feld Algerien überlassen. Vielleicht haben sie es auch als Chance gesehen, da Unruhe zu stiften um dann wieder als Ordnungsmacht aufzutreten. In der Region ist ja die ECOWAS (Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten, sie verfügt über die Eingreiftruppe ECOMOG, TA) sehr aktiv und da spielt Nigeria in etwa die Rolle, die die USA in der NATO spielen.
 
8
Kannst du etwas über die Lebensbedingungen in der Westsahara erzählen?
In den so genannten „besetzten Gebieten“ an der Küste sind die Sahrauis massiv diskriminiert, können kaum wirtschaftlich tätig werden und viele sitzen unter schlimmen Bedingungen und unbekannte Zeit im Gefängnis, manche verschwinden auch. In den „befreiten Gebieten“ leben glaube ich sehr wenige Leute außer den Soldaten, die von mehr oder weniger nomadischer Viehzucht leben. In den Flüchtlingslagern leben die Menschen fast ausschließlich von humanitärer Hilfe – die Polisario verteilt – oder arbeiten für die Frente selbst. Das sind schon Lehmhütten mit Strom, aber es wird da bewusst auch alles vermieden, was das zur Dauerlösung machen könnte, also städtische Infrastruktur und Gewerbe. Also das ist humanitär nicht allzu prekär, aber halt sehr perspektivlos und diese Perspektivlosigkeit ist in gewissem Maße auch politisch gewollt.
 
9
Welche Auswirkungen haben die Massenaufstände in einigen arabischen Ländern (sog. Arabischer Frühling) auf die Westsahara, bzw. auf die Frente Polisario?
Da kann ich nur meinen Eindruck wiedergeben. Manche haben ja zwischenzeitlich gemeint, der Arabische Frühling hätte eigentlich mit den Protestcamps der Sahrauis in den besetzten Gebieten im November 2010 begonnen und sich in der Occupy-Bewegung im Westen fortgesetzt. Mittlerweile sieht das ja alles etwas düsterer aus. Gaddafi galt zwar als Unterstützer der Polisario, trotzdem jedoch, uns gegenüber hat niemand Bedauern über seinen Sturz geäußert. Im Gegenteil schienen insbesondere bei der Jugend die Bilder von leicht bewaffneten Aufständischen, die es mit einem alten Regime aufnehmen, eher ermutigend gewirkt zu haben. Vielleicht unterschätzt man hier ein wenig den Eindruck, den das gemacht hat, als sich der Westen in Libyen scheinbar auf die Seite der Unterdrückten schlug. Das hat mich schon verwundert, schien aber so. Vielleicht war es auch eine Sprachregelung, an manchen Punkten hatte man den Eindruck, dass mit den Internationalen Beobachtern nicht offen geredet wird, alle eine sehr einheitliche Meinung zu vertreten schienen.
 
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Die UNO ist mit dem Mandat MINURSO in der Westsahara. Wo sind sie, was sind ihre Aufgaben? Worum geht es bei der Erweiterung des UN-Mandats? Warum hat Frankreich ein Veto in UN-Sicherheitsrat eingelegt, als es um die Erweiterung ging?
Eigentlich war es Aufgabe der MINURSO, den Waffenstillstand zu überwachen und ein Referendum vorzubereiten (dafür steht das R im Namen der Mission). Marokko blockiert das Referendum aber und das wird von den relevanten Staaten gegen Beschlüsse der Generalversammlung toleriert bzw. unterstützt. Deshalb überwachen sie einen Waffenstillstand, der von beiden Seiten ohnehin eingehalten wird. Das sind kleine internationale Beobachtergrüppchen, die in kleinen Stützpunkten leben und in den besetzten Gebieten eng und gut mit den marokkanischen Sicherheitskräften und in den „befreiten Gebieten“ eng und gut mit der Frente zusammenarbeiten. Die Frente will seit langem, dass ihr Mandat in den besetzten Gebieten auch die Menschenrechtslage umfasst, um dafür mehr Aufmerksamkeit zu schaffen. Marokko will das nicht und Frankreich agiert in diesen Fragen streng nach marokkanischen Interessen.
 
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Stichpunkt Deutschland: welche Interessen hat Deutschland an der Westsahara. Wie verhält sich die BRD zum Referendum über die Unabhängigkeit. Wer ist an Desertec beteiligt und welche Abkommen gibt es zwischen Deutschland und der Westsahara / bzw. Marokko?
Deutschland, EU und NATO haben ein starkes Interesse an einer guten Zusammenarbeit mit Marokko in Fragen der Migration und der Sicherheitspolitik, da ist Marokko der beste und stabilste Verbündete in der Region. Daneben profitieren deutsche und europäische Firmen von den sehr günstigen Bedingungen bei der Ausbeutung der Phosphorvorkommen in und der Fischgründe vor der Westsahara. Daneben gibt es ein von deutschem Kapital, Münchner Rück, Siemens, Deutsche Bank, RWE dominiertes Industrieprojekt Desertec, mit dem Wind- und Solarkraft in Nordafrika gewonnen und in Europa verkauft werden soll. Die GIZ (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, früher: GtZ) hat hier – auch in den besetzten Gebieten – bereits Vorarbeit geleistet und es gibt bereits eine Leitung zwischen Marokko und Spanien. Deshalb ist davon auszugehen, dass dieses Projekt v.a. in der Westsahara anlaufen soll.
 
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Du hast die Frente Polisario ein wenig kennen gelernt. Wie ist sie organisiert, wie finanziert sie sich? Wie viele Frauen arbeiten in ihr? Welche Kritiken hast du?
Es war eine sehr nette und freundliche Atmosphäre, auch sehr anregend, diese Menschen, die unter einfachen Bedingungen in der Wüste leben, haben oft im Ausland studiert und sprechen verschiedenste Sprachen. Männer und Frauen haben sich überwiegend in getrennten Gruppen bewegt und die Quote der weiblichen Delegierten ist sicher zu niedrig, auf der anderen Seite konnte ich Formen der Diskriminierung oder Unterdrückung wie sie hier das Patriarchat sichtbar machen oder dem Islam häufig unterstellt werden, etwa im Redeverhalten nicht erkennen. Die Frente finanziert sich über Unterstützung von Staaten und die Verwaltung humanitärer Hilfe. Das birgt natürlich die Gefahr der Korrumpierung. Viele Leute wirkten wie professionelle Diplomaten oder Politiker, dabei aber sehr unpolitisch. Politische Aussagen gab es fast keine, eben Ablehnung gegen Marokko, den Wunsch nach einem eigenen Staat und den Verweis auf umfangreiche, ich glaube gefährlich überschätzte, Rohstoffe, die „dem Volk“ gehören und deren Ausbeutung man selbst verwalten will. Auf meine Frage, wie die Verteilung des Wohlstandes organisiert werden solle, antwortete ein Offizieller der Studierendenorganisation etwa „wie in den Golfstaaten“, weil da ja alle reich wären, weil es genügend Rohstoffe gibt. Gerade bei den Jüngeren hatte ich oft das Gefühl, dass sie v.a. selbst Elite in einem eigenen Staat sein wollen und die politische Überzeugung da auch schon aufhört. Das fand ich sehr interessant, weil ich mich schon bei anderen Bewegungen, etwa der SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee) im Sudan gefragt hatte, wie aus einer Bewegung mit politischen Zielen eine reine Bürgerkriegspartei werden konnte.
 
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Hattet ihr Kontakte zu Menschen/Gruppen/Organisationen außerhalb der Frente? Gibt es Bewegungen für die soziale Befreiung? Haben sie Einfluss?
Nein. Kurz vor unserem Besuch wurden Angehörige humanitärer Hilfsorganisationen entführt. Das ist ein riesiges Problem für die Frente. Andererseits war es ihnen durch die deshalb eingeleiteten Sicherheitsmaßnahmen auch möglich, jeden Kontakt zur Bevölkerung, die nicht in der Frente organisiert war, zu verhindern und man hat schon gemerkt, dass es gewisse Sprachregelungen uns gegenüber zu geben schien. Es gibt auch andere Organisationen in den Flüchtlingslagern, die jedoch eher marginal und nach Angaben der Polisario von Marokko unterwandert oder instrumentalisiert sind und das halte ich für recht glaubwürdig, dass Marokko da alles tut, um die Polisario zu schwächen.
Danke für das Interview!

Unser Fazit:

Der Aufstand des sahrauischen Volkes gegen die Besatzung durch Marokko und die imperialistischen Mächte, die diese stützen mit allen Mitteln zu bekämpfen, ist legitim. Im Mai 2013 begeht die Frente ihren 40. Gründungsjahrestag. Ihr Kampf für Befreiung braucht unsere Solidarität!
Das Schicksal des sahrauischen Volkes muss dem Vergessen und Totschweigen entrissen werden. Die, selbst von der UN anerkannten Rechte der sahrauischen Nation werden tagtäglich von den marokkanischen Militärstiefeln in den Sand getreten. „Unsere“ Herrschenden, die verlogen von Demokratie reden, aber in der Praxis Imperialismus betreiben, das marokkanische Militär aufrüsten und ausbilden, und die Reichtümer der Westsahara ausplündern, gilt es anzuprangern.
Versuchen wir mit aller Kraft die internationale Solidarität zu stärken, eine Gegenöffentlichkeit herzustellen und das sahrauische Volk zu unterstützen!


[1]     Alle Zahlenangaben zur Bevölkerung Frente Polisario Sprecher in der BR

[2]     APEP (Agencia de Prensa Espana Popular), Demokratische Arabische Republik Sahara – Mit dem Gewehr werden wir die Freiheit erobern, Report Nr. 1, ohne Jahresangabe, wahrscheinlich 1976, S. 10

[3]     The Court examines: resolutions adopted by the General Assembly on the subject, from resolution 1514 (XV) of 14 December 1960, the Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples, to resolution 3292 (XXJX) on Western Sahara, international court of justice http://www.icj-cij.org/docket/index.php?p1=3&p2=4&k=69&case=61&code=sa&p3=5)

[4]     APEP, Gutachten, Fassung für die Presse, Report Nr. 1, S. 50

[5]     „Bewegung der Blockfreien Staaten“ wurde 1961 von Staaten wie Jugoslawien, Indonesien etc. gegründet, die keinem Militärbündnis angehörten und sich im Ost-West Konflikt „neutral“ verhielten. Mit der Auflösung des Warschauer Paktes 1991 hat das Bündnis an politischer Bedeutung verloren. 118 Staaten sind 2006 Mitglied dieses Staaten-Bündnisses.

[6]     Zitiert in Peter Hunziker, Der Konflikt um die ehemalige spanische Westsahara-Kolonie von seiner Entstehung 1976 bis zu seiner Internationalisierung im Jahre 1986, 2004, S. 32, www.peterhunzikerch/lizentiat.pdf

[7]     Von Juni 1993 bis Juni 1996 beteiligte sich auch die BRD mit einem kleinen Polizeikontingent (jeweils fünf Polizeivollzugsbeamte des Bundesgrenzschutzes) an MINURSO. Bund-/Länder-Arbeitsgruppe Internationale Polizeimissionen, Auslandseinsätze der deutschen Polizei, www.bundes­polizei. de/cl.

[8]     www.ag-friedensforschung.de/regionen/Westsahara/un-nieth.html

[9]     Generalsekretär der Polisario seit 1976 und Staatspräsident der DARS seit 1982. Regierungschef der DARS ist seit 2003 Abdelkader Taleb Oumar

[10]    Alfred Hackensberger, Kampf um die Westsahara – Der seit 30 Jahren bestehende Konflikt über das von Marokko annektierte Land flackert wieder auf, 10.06.2005, www.heise.de

[11]    In jedem Jahresbericht von Amnesty International der letzten Jahrzehnte bis heute werden die Unterdrückungsmethoden des marokkanischen Staates gegen die sahrauischen Aktivisten, die illegalen Inhaftierungen, die Folterungen, das Verschwinden lassen, die völlige Rechtlosigkeit aufgelistet.

[12]    Ralf Streck, Ausnahmezustand in der besetzten Westsahara, Telepolis, 10.11.2010, www.heise.de,

[13]    WSRW – Western Sahara Resource Watch, Die Flüchtlinge, 16.06. 2010, www.wsrw.org

[14]    Florian Wilde, Solidarität mit dem Befreiungskampf in der Westsahara, Bericht über die Solidaritätsdelegation der Europäischen Linkspartei in die westsahaurischen Flüchtlingslager in Südalgerien und in die befreiten Gebiete der Westsahara, 28. Oktober bis 1. November 2012, 06.11.2012, www.die-linke.de

[15]    Gerd Schuhmann, Feuer und Wasser – vom mühsamen Weg zur Selbstbestimmung, oder: Bewaffneter Kampf – ja oder nein? Zu Besuch bei der Polisario, 22.12.2007, junge Welt

[16]    Zum Vergleich: Die multilaterale Hilfe von WFP, ECHO and UNHCR zugunsten der sahrauischen Flüchtlinge belief sich 2007 auf annähernd 30 Millionen Dollar, Die Flüchtlinge, 16.06.2010, www.wsrw.org,

[17]    Ralf Streck, Überraschende Entscheidung zur Westsahara, Marokko warnt vor Balkanisierung, USA und Frankreich haben Ölinteressen, Telepolis, 02.08.2002, www.heise.de

[18]    04.12.2012, www.wsrw.org

[19]    Fischer Weltalmanach 2013, S. 306

[20]    F. Polisario besorgt über EU-Fischerei-Politik, 29.11.2012, http://www.wsrw.org/a180x2423

[21]    Marokko und EU schaffen Agrarzölle ab, 17.02.2012, Redaktion agrarheute.com

[22]    Marokko will U-Boot in Deutschland kaufen – Algerien kauft Panzer und Fregatten, Deutschland schürt Rüstungswettlauf in Nordafrika, 13.11.2012, www.gfbv.de/pressemit

[23]    Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag, Anja Schubert, Zum völkerrechtlichen Status der Westsahara, Infobrief WD 2 – 3010 – 129/11, 2011, www.bundestag.de

[24]    Deutscher Bundestag, Drucksache 17/1521, Antwort der Bundesregierung, S. 4, 26.04.2010, www.bundestag.de

[25]    Christoph Marischka, Gemeinsam Märkte erschließen in ‚Gebieten ohne Selbstregierung’?, 20.02.2012, www.heise.de/tp/artikel36