Selektive deutsche Gedenkkultur – Großes Schweigen zum Reichstagsbrand-Prozess

Kommunist Dimitroff gegen Nazi-Reich

1933 – Am 30. Januar 1933 legt das deutsche Finanzkapitel die politische Macht in die Hände der faschistischen Nazi-Partei. Das ist der Machtantritt des Faschismus – auf bürgerlich, legalem Weg! Hitler wird zum Reichskanzler gekürt. Allerdings hat er die Macht nicht „übernommen“, wie die bürgerliche Geschichte behauptet. Nein, die deutsche Bourgeoisie wollte mit Hitler die faschistische Diktatur installieren. Hindenburg und die ultrareaktionären Parteien waren die Handlanger in der Strategie der deutschen Großmacht. Aber auch die SPD, die keine antifaschistische Einheitsfront mit der Kommunistischen Partei Deutschlands einging, ist mitschuldig an dieser verhängnisvollen Entwicklung.

Am 1. Februar wird der Reichstag aufgelöst und Neuwahlen für den 5. März angesetzt. Am 23. März wurde das Ermächtigungsgesetz verabschiedet.

Die Errichtung der verbrecherischen, faschistischen Diktatur 1933 nimmt ihren Lauf. Völkermord an den europäischen Juden, an Roma und Sinti, Vernichtungslager, die sich über Europa zogen, Weltbrand des zweiten Weltkrieges, über 20 Millionen gemordete SowjetbürgerInnen, gnadenlose Verfolgung aller AntifaschistInnen, KommunistInnen, RevolutionärInnen und Demokraten in ganz Europa, Legionen von ZwangsarbeiterInnen, Zerstörung und Elend ….

2013 – Trotz der Niederlage im zweiten Weltkrieg ist Deutschland wieder zur Weltmacht aufgestiegen. Die BRD ist heute eine der stärksten imperialistischen Großmächte.

In ihrer Selbstdarstellung versuchen die Herrschenden und Regierenden in Deutschland alles als „die perfekte Demokratie“ zu verkaufen. Ein Mittel hierfür ist die „Gedenkkultur“. Die Tradition des deutschen Militarismus, Chauvinismus und Faschismus wird einerseits in ihren ‚Extremen’ bedauert. Aber andererseits wird sich, unter anderem Vorzeichen, demokratisch ummantelt, gerade dieser deutschen Geschichte bemächtigt, um das heutige Großmachtstreben zu rechtfertigen.

Das ist Werbung für die Marke Deutschland. Dafür wird sich ein wenig ‚geschämt’, dafür wird die Naziherrschaft als ‚Irrweg’ und ‚Unglück’ für Deutschland beschworen. Kern dieser, wir sagen „revisionistischen Gedenkkultur“ ist die tatsächliche politische, ökonomische und soziale Kraft, die deutsche Großbourgeoisie, das gesamte Bürgertum, für die Barbarei des deutschen Imperialismus aus der Verantwortung zu nehmen. Motto ist: „Das deutsche Volk hat gefehlt. Es war Täter, aber es war auch Opfer.“ Daraus entstehen dann „Meilensteine deutscher Erinnerungskultur“ (Der Spiegel, 13/2013), wie die TV-Produktion „Unsere Mütter, unsere Väter“, oder auch Denkmäler, Gedenktage, Museen etc. Gedenken wird geheuchelt, es geht nur um die positive Selbstdarstellung der Großmacht Deutschland heute. Es geht nicht um eine wirkliche Aufarbeitung der Geschichte, um eine wirkliche Unterstützung für überlebende Opfer …und nicht um die Vernichtung des Faschismus an den Wurzeln.

Die wirkliche Lehre aus der Geschichte des deutschen Faschismus für die Werktätigen ist: Nie wieder Krieg! Wehret den Anfängen! Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch! Brecht die Macht des Finanzkapitals!

2013 zum 80. Jahrestag des 30. Januar: Gedenk­veranstaltung des Deutschen Bundestages für die Opfer des NS-Regimes. Gleichzeitig wird in der Hauptstadt Berlin ein „Themenjahr“ inszeniert mit dem Titel „Zerstörte Vielfalt“. Zahlreiche Ausstellungen sowie Kulturevents sind vorgesehen. Viele Medien berichten ausführlich einseitig über „Hitlers-Machtantritt“. Dabei wird auch der Reichstagsbrand erwähnt. Allerdings immer mit den Hinweisen, die wirklichen Täter und Hintermänner seien bis heute nicht bekannt, bzw. der von den Nazis hingerichtete Täter van der Lubbe habe Verbindungen mit den Kommunisten gehabt.

Verschwiegen und unterschlagen, nicht erwähnt und ausgeblendet wird der Reichstagsbrand-Prozeß des Nazi-Reiches.

Am Abend des 27. Februar 1933 bricht ein Brand im Deutschen Reichstag aus. Bereits einen Tag später, am 28. Februar, setzt der Propagandafeldzug des Ministerpräsidenten Görings ein, der die Reichstagsbrandstiftung als Werk der Kommunistischen Partei Deutsch­lands hinstellt, die damit angeblich das Signal zum bewaffneten Aufstand geben wollte. Sofort wird von der Nazi-Regierung am selben Tag eine Notverordnung in Kraft gesetzt, zur Unterdrückung „kommunistischer, staatsgefährdender Gewaltakte“.

Damit wird faktisch die Weimarer Verfassung ausgehebelt. Alleine in der Nacht des 28. Februar werden über 10 000 Mitglieder der KPD im Reich verhaftet.

Trotzdem die KPD in den Untergrund gedrängt wurde, erhält sie in den Wahlen am 5. März noch 4,85 Millionen Stimmen und die SPD 7,18 Mio.

Am 9. März läßt Hitler alle Reichstagsmandate der KPD annullieren und die Abgeordneten verhaften. Ebenfalls am 9. März werden Dimitroff, zwei weitere bulgarische Kommunisten, sowie der Vorsitzenden der kommunistischen Reichstagsfraktion der KPD, Ernst Torgeler verhaftet. 

Am 21. September beginnt der Prozess. Die Nazi-Anklage lautet auf Hochverrat und Reichstagsbrandstiftung, gefordert wird die Todesstrafe. Ein weltweit Aufsehen erregender Prozess beginnt.

82 Korrespondenten ausländischer Zeitungen sind anwesend. Unter brutalen Haftbedingungen, die Hände sind 5 Monate lang  in Fesseln gelegt, nutzt Dimitroff den Prozess zur Anklage des verbrecherischen Nazi-Regimes. Ein Anwalt seiner Wahl wird Dimitroff versagt. So verteidigt er sich vor dem Nazigericht selbst. Da er nur ungenügend Deutsch spricht, lernt er im Knast Deutsch und studiert die Gesetze, die er kaum kennt. Dimitroff verteidigt offensiv seine kommunistische Gesinnung und weist die Anklagen als Propagandamanöver und Lügengebäude zurück.

Er stellt das Gericht, den Staat, die Ermittlungsbehörden an den Pranger. In der Befragung von Göring und Goebbels deckt Dimitroff ihre Absicht, den Reichstagsbrand den KommunistInnen unterzuschieben, auf. Er benennt die deutsche Nazi-Regierung offen als die Brandstifter.

Dimitroff befragt Göring vor Gericht

Dimitroff: Nachdem Sie als Ministerpräsident und Innenminister die Erklärung abgegeben hatten, dass Kommunisten die Brandstifter seien, dass die Kommunistische Partei Deutschlands mit Hilfe van der Lubbe, als ausländischem Kommunisten, das gemacht habe, musste da nicht Ihre Einstellung für die polizeiliche Untersuchung und weiterhin für die richterliche Untersuchung die bestimmte Richtung festlegen und die Möglichkeit ausschalten, andere Wege zu suchen und die richtigen Reichstagsbrandstifter ausfindig zu machen?

Göring: ... Ich bin verantwortlicher Minister ... Ich hatte nur festzustellen: Ist das Verbrechen außerhalb der politischen Sphäre begangen worden oder ist es ein politisches Verbrechen. Für mich war es ein politisches Verbrechen und ebenso war es meine Überzeugung, dass die Verbrecher in Ihrer (zu Dimitroff) Partei zu suchen sind. (Schüttelt die Fäuste gegen Dimitroff und schreit). Ihre Partei ist eine Partei von Verbrechern die man vernichten muß. Und wenn die richterliche Untersuchung sich in dieser Richtung hat beeinflussen lassen, so hat sie nur in der richtigen Spur gesucht.

Vorsitzender (zu Dimitroff): Ich verbiete Ihnen, hier kommunistische Propaganda zu betreiben!

Dimitroff: Herr Göring betreibt hier nationalsozialistische Propaganda! (wendet sich sodann zu Göring) Diese bolschewistische Weltanschauung herrscht in der Sowjetunion, in dem größten und besten Lande der Welt, und hat hier, in Deutschland, Millionen Anhänger in Person der besten Söhne des deutschen Volkes. Ist das bekannt…

Göring (brüllend): Ich will Ihnen sagen, was dem deutschen Volke bekannt ist. Bekannt ist dem deutschen Volke, dass Sie sich hier unverschämt benehmen, dass Sie hierhergelaufen sind, um den Reichstag anzustecken. Aber ich bin nicht dazu da, um mich von Ihnen wie von einem Richter vernehmen und mir Vorwürfe machen zu lassen. Sie sind in meinen Augen ein Gauner, der direkt an den Galgen gehört.

Präsident: Her Ministerpräsident!

Dimitroff: Sehr gut…

Präsident: Dimitroff, ich habe Ihnen bereits gesagt, dass Sie keine kommunistische Propaganda zu treiben haben. Sie dürfen sich dann nicht wundern, wenn der Herr Zeuge derartig aufbraust! Ich untersage Ihnen diese Propaganda auf das strengste. Sie haben rein sachliche Fragen zu stellen.

Dimitroff: Ich bin sehr zufrieden mit der Antwort des Herrn Ministerpräsidenten.

Präsident: Ob Sie zufrieden sind, ist mir gleichgültig. Ich entziehe Ihnen jetzt das Wort.

Dimitroff: Ich habe noch eine sachliche Frage zu stellen.

Präsident (noch schärfer): Ich entziehe Ihnen jetzt das Wort.

Göring (brüllt): Hinaus mit Ihnen, Sie Schuft!

Präsident (zu den Polizisten): Führt ihn hinaus!

Dimitroff (den die Polizeibeamten bereits gepackt hatten): Sie haben wohl Angst vor meinen Fragen, Herr Ministerpräsident?

Göring: Warten Sie nur, bis wir Sie außerhalb der Rechtsmacht dieses Gerichtshofes
        haben werden. Sie Schuft, Sie! [1]

Dimitroff befragt Goebbels vor Gericht

Dimitroff: Hat der Zeuge nicht selbst im Rundfunk nicht nur die Kommunistische Partei, sondern auch die Sozialdemokratische Partei als Urheberin des Brandes hingestellt? Nach diesen Reden sowie den Erklärungen des Ministers Göring und anderer Regierungsmänner waren die Urheber des Brandes nicht nur die Kommunisten, sondern auch die Sozialdemokratische Partei.

Präsident: Inwiefern steht das im Zusammenhang mit der Frage, wer den Reichstag in Brand gesetzt hat?

Goebbels: Ich will die Frage gern beantworten. Ich habe den Eindruck, dass Dimitroff vor diesem Gericht Propaganda für die Kommunistische bzw. Sozialdemokratische Partei machen und sie verteidigen will. Ich weiß, was Propaganda ist, und er braucht nicht den Versuch zu machen, mich durch solche Fragen aus der Ruhe zu bringen. Das wird ihm nicht gelingen. Wenn wir die Kommunisten der Urheberschaft anklagen, so war die ununterbrochene Verbindung zur Sozialdemokratie gegeben.

Für uns bestehen die Unterschiede beider Parteien nur in der Taktik und im Tempo, nicht aber im Grundsatz. Wenn wir also den Kommunismus, als schärfste Form des Marxismus, als den Urheber des Reichstagsbrandes betrachten, so war damit selbstverständlich auch unsere Aufgabe gegeben, mit der Kommunistischen Partei auch die Sozialdemokratie zu vernichten. [2]

Aus dem Schlusswort Dimitroffs vor Gericht

Dimitroff: Ich wurde nicht nur reichlich durch die Presse beschimpft – das ist mir gleichgültig – aber durch mich wurde auch mein bulgarisches Volks als „rabiat“ und „barbarisch“ bezeichnet, man nannte mich eine „dunkle Balkanfigur“, den „wilden Bulgaren“, und das kann ich nicht mit Schweigen übergehen. Es ist wahr, dass der bulgarische Faschismus sehr rabiat und barbarisch ist. Die bulgarische Arbeiterschaft und Bauernschaft, die bulgarische Volksintelligenz sind aber nicht rabiat und barbarisch. Die materielle Kultur auf dem Balkan ist bestimmt nicht so hoch wie in anderen europäischen Ländern, aber geistig und politisch stehen unsere Volksmassen nicht auf niedrigerem Niveau als die Massen in anderen Ländern Europas. … ein Volk, das 500 Jahre unter einem fremden Joch lebte, ohne seine Sprache und Nationalität zu verlieren, unsere Arbeiterklasse und Bauernschaft, die gegen den bulgarischen Faschismus und für den Kommunismus kämpften und kämpfen – ein solches Volk ist nicht barbarisch und wild. Barbarisch und wild ist nur der Faschismus. Aber ich frage Sie, Herr Präsident: In welchem Lande ist der Faschismus nicht barbarisch und wild?

Präsident (unterbricht Dimitroff): Sie wollen doch nicht auf die Verhältnisse in Deutschland anspielen?

Dimitroff (mit einem ironischen Lächeln): Natürlich nicht, Herr Vorsitzender (…)

Dimitroff: Was hat die gerichtliche Untersuchung ergeben, meine Herrn Richter? Die Legende, dass der Reichstagsbrand eine kommunistische Sache ist, ist vollständig zusammengebrochen. Ich werde hier nicht viele Zeugenaussagen zitieren, wie das andere Verteidiger taten. Aber diese Frage kann als für jeden Menschen mit normalem Verstand völlig geklärt gelten. Der Reichstagsbrand steht in keinerlei Verbindung mit der Tätigkeit der KPD, und zwar nicht nur nicht mit einem Aufstand, sondern auch mit keiner Demonstration, mit keinem Streik, mit überhaupt nichts dieser Art. (…) Es ist aber bewiesen worden, dass der Reichstagsbrand ein Anlaß, ein Auftakt zum groß anlegten Vernichtungsfeldzug gegen die Arbeiterschaft, und ihre Vorhut die KPD gewesen ist. (…)

In dieser Beziehung ist auch die Notverordnung der deutschen Regierung vom 28. Februar 1933 ein Beweis. Sie wurde sogleich nach dem Brande erlassen. Lesen Sie dieses Dokument. Was steht dort? Dort heißt es, dass diese und jene Verfassungsartikel, nämlich die Artikel über die Freiheit der Organisationen, die Unverletzbarkeit der Person, der Wohnung usw. aufgehoben werden. Das ist das Wesen der Notverordnung, ihres zweiten Paragraphen – ein Feldzug gegen die Arbeiterklasse.

Präsident (unterbricht Dimitroff): Nicht gegen die Arbeiterklasse, sondern gegen die Kommunisten.

Dimitroff: Ich muß sagen, daß auf Grund dieser Notverordnung nicht nur Kommunisten, sondern auch sozialdemokratische und christliche Arbeiter verhaftet wurden, deren Organisationen man auflöste. Ich möchte unterstreichen, dass diese Notverordnung nicht allein gegen die KPD gerichtet war, wenn auch natürlich an erster Stelle gegen sie, sondern auch gegen andere oppositionelle Parteien und Gruppen. Dieses Gesetz war zur Erklärung des Ausnahmezustandes notwendig. Und es steht in unmittellbarem und organischem Zusammenhang mit dem Reichstagsbrand. (…)

Dimitroff: Der Oberstaatsanwalt Werner sagte hier, van der Lubbe sei Kommunist. …Was ist van der Lubbe? Ein Kommunist? Keineswegs. Ein Anarchist? Nein. Er ist ein deklassierter Arbeiter, ein rebellischer Lumpenproletarier, eine missbrauchte Kreatur, die gegen die Arbeiterklasse ausgespielt wurde. Nein, er ist kein Kommunist! Kein Anarchist! Kein Kommunist in der ganzen Welt, kein Anarchist wird sich vor Gericht so halten, wie van der Lubbe. Die wirklichen Anarchisten begehen sinnlose Sachen, aber vor Gericht stehen sie Antwort und erklären ihre Ziele. Wenn irgendein Kommunist etwas dergleichen täte, so würde er vor Gericht nicht schweigen, wenn Unschuldige auf der Anklagebank sitzen.

Dimitroffs letzte Worte in der Schlussrede:
Wir Kommunisten können heute nicht weniger entschlossen als der alte Galilei sagen: Und dennoch dreht sie sich! Das Rad der Geschichte dreht sich nach vorwärts – nach einem Sowjeteuropa, nach einem Weltbund der Sowjetrepubliken! Und dieses Rad, getrieben durch das Proletariat unter der Führung der Kommunistischen Internationale, wird durch keine Ausrottungsmaßnahmen, durch keine Zuchthausstrafen und Todesurteile aufgehalten werden. Es dreht sich und wird sich drehen bis zum endgültigen Sieg des Kommunismus! (Die Polizei packt Dimitroff und setzt ihn mit Gewalt auf die Anklagebank. Dimitroff wird das Wort endgültig entzogen.) [3]

Am 23. Dezember 1933 spricht das Reichsgericht die bulgarischen Kommunisten und Torgeler „aus Mangel an Beweisen“ frei. Dimitroff wird weiter im Kerker der Gestapo festgehalten. Eine weltweite Kampagne zu seiner Freilassung setzt die Nazi-Herrscher unter Druck. Am 15. Februar 1934 fasst die Sowjetregierung den Beschluss Dimitroff die Sowjetstaatsbürgerschaft zu verleihen. In großer Hast schieben die faschistischen Machthaber ihren Gefangenen Dimitroff per Flugzeug am 27. Februar 1934 in die Sowjetunion ab. 



[1]     Georgi Dimitroff, „Reichstagsbrandprozeß“, 1946, Verlag Neuer Weg, S. 109 ff

[2]     ebenda, S. 111 ff

[3]     ebenda, S. 136 ff