Ägypten: Wie wird eine Volksrebellion in einen Militärputsch umfunktioniert?
Der „Arabische Frühling“, die Tage der Revolte brachen 2010/2011 aus. In Tunesien, Algerien, Marokko, Libyen, Ägypten und auch in einigen Staaten der arabischen Halbinsel begehrten breite Massen der Werktätigen, die Mittelschicht der Städte und die Jugend auf. Ihre Wut richtete sich gegen einen verkrusteten, brutal-faschistischen Staatsbürokratismus, gegen scheinbar allmächtige Diktatoren und ihre Armeen. So unterschiedlich die konkrete, politisch-historische Entwicklung in den Ländern war, so hatten sie doch eines gemeinsam: Nach der vom Imperialismus erkämpften staatlichen Unabhängigkeit in den 1950er und 1960er Jahren waren neue nationale Unterdrücker-Regime entstanden. Aus den nationalen Befreiungsbewegungen ging eine neue nationale Elite hervor, einheimische Großgrundbesitzer und Großbourgeoisie richteten sich an der Macht ein. Verbunden war das mit dem neokolonialistischen Ausverkauf der Reichtümer, der Bodenschätze der Länder, der Arbeitskräfte ihrer Völker und der Unterwerfung sowie Zusammenarbeit mit den imperialistischen Großmächten. Staatsbürokratie und Armee – von Nasser bis Mubarak – neokolonialistische Diktatur:
Nach seiner staatlichen Unabhängigkeit 1956 bildeten sich in Ägypten ähnliche sozio-ökonomische und politische Strukturen wie in vielen arabischen, aber auch Ländern wie der Türkei heraus. Der Nasserismus, die Baathbewegung, hatten eine ausschlaggebende Rolle in der politischen Entwicklung der „sozialistisch“ verbrämten Militärdiktatur. Einparteiensystem, Verbot von gewerkschaftlicher Organisierung, weitgehende Verstaatlichung von Industrie und Grundbesitz in der absoluten Verfügung von Staatsbürokratie und Militärführung. Die Militärkaste baute sich ein Geflecht aus Industrien, Holdings und Staatsmonopolen auf, die sie zum zentralen Wirtschaftsfaktor und zur Herrin über die meisten Arbeitsplätze Ägyptens machte. „Vorbild“ und Bündnispartner war die sozialimperialistische Sowjetunion, von der auch kräftig Gelder flossen. Mit dem Untergang des Ostblocks mussten sich viele arabische Potentaten auf den Westen, die USA und die EU umorientieren, um zu überleben. Ägypten spielt aufgrund seiner Größe und geographischen Lage im Mittleren Osten, dem Suez-Kanal etc. eine bedeutsame geostrategische Rolle. Die faktische Anerkennung des Staates Israels in seinen heutigen Grenzen wurde von den US-Imperialisten seit den 1970er Jahren mit einem jährlichen Militärbudget von ca. 1,5 Milliarden Dollar belohnt. Aber auch die EU spielt eine bedeutende Rolle. Sie ist aktuell der größte Handelspartner und Direktinvestor in Ägypten. Unter Mubarak wurden EU-Assoziationsabkommen sowie weitgehende Kooperationsabkommen mit europäischen Konzernen zur Ausplünderung von Ressourcen und der Steigerung der Investitions- und Profitmöglichkeiten geschlossen. Die aufgeblasene Staatsbürokratie hat durch Korruption, Bestechung und Willkür alle Bereiche des Staates fest im Griff. Die Firmen und Eigentum des Militärs umfassen ein breites Spektrum: Von Nahrungsmittelindustrien, Haushalts- und Küchengeräten, Autoproduktion und Montage über Straßenbau, Tankstellen, aber auch Immobilien wie z.B. die wertvollsten Grundstücke in Kairo. Das Militär tätigt Investitionen in strategisch wichtige Infrastruktur und Wirtschaftsbereiche, Häfen, Touristikzentren, landwirtschaftliche Betriebe, Ölkonzerne, Firmen für erneuerbare Energien. Gleichzeitig geht sie Jointventures mit ausländischen Firmen ein, bei denen sie sich teuer den Zugang bzw. die Kooperation mit Armee-Monopolunternehmen bezahlen lässt. 1 Wie groß aber ihr Imperium ist, weiß niemand genau. Völlige Geheimhaltung gilt für alle Bereiche des militärisch-industriellen Komplexes. Selbst das Berichten darüber steht unter Strafe. Vermutungen liegen bei 10-40 Prozent Anteil an der Gesamtwirtschaft. Auch politisch hat das Militär, z.B. durch den Höchsten Rat der Streitkräfte immer eine Sonderrolle mit Sonderrechten eingenommen. Von insgesamt 270 Mitgliedern im Parlament wurden 90 durch den Militärrat bestimmt, der Rest „gewählt“. Zwar ist Ägypten nach Südafrika heute das am stärksten industrialisierte Land Afrikas. Aber es ist immer noch stark landwirtschaftlich geprägt. Jeder dritte Werktätige arbeitet in diesem Bereich. Die Militärdiktatur war die blutige und grausame Unterdrückung jeglicher Opposition. Folter war an der Tagesordnung. Die Muslimbruderschaft, verboten und in den Untergrund gedrängt, wurde durch „karitative Sozialarbeit“ zu einer der ausschlaggebenden gesellschaftlichen Kraft in den Kommunen. Sie wirkten unter den ärmsten Bevölkerungsschichten, vor allem auch unter der Landbevölkerung. Bis heute hungern in Ägypten über 17 Millionen Menschen. Vom Mubarak-Regime wurde die Muslimbruderschaft mit allen staatlichen Mitteln verfolgt. In ihren Reihen finden sich verschiedene Fraktionen des politischen Islams. Hardcore-Islamisten sind die Salafisten (Nur-Partei), die den Scharia-Staat und die „Ausmerzung aller Ungläubigen“ fordern. Mursi und seine 2011 gegründete Partei für Freiheit und Gerechtigkeit fällt unter den „moderateren“ Teil der Islamisten, vergleichbar mit der AKP in Nordkurdistan/Türkei. Revolutionärer Aufruhr der ägyptischen Massen 2011 und 2013 2010/2011 erfasste der arabische Frühling auch Ägypten. Massendemonstrationen und die Gründung einer Zeltstadt auf dem Tahrir-Platz, mitten im Zentrum Kairos. Nieder mit dem Diktator Mubarak! Das Polizeiregime soll fallen! Demokratie- und Freiheitsrecht werden eingefordert. Die Jugendbewegung, einige Parteien und später auch die Muslimbruderschaft standen alle auf einer Seite, gegen Mubarak. Die praktische Erfahrung des selbstständigen politischen, ja revolutionären Kampfes hat ungeheure Kräfte beflügelt. Auf dem Tahrir-Platz wurde Geschichte gemacht. Ausgangspunkt der Revolte war ein Streik von TextilarbeiterInnen. Die FabrikarbeiterInnen und LandarbeiterInnen haben aber nicht massenhaft in der Bewegung teilgenommen. Streiks waren verboten und fanden im Vergleich zur Breite der Bewegung nur sehr isoliert statt. Klassenmäßig war es vor allem eine Bewegung der kleinbürgerlichen Massen und des liberalen Bürgertums. Vor allem aber fehlte eine organisierte, revolutionäre, kommunistische politische Führung, die zum wirklichen Umsturz des Regimes hätte mobilisieren und orientieren können. Die Massenaktionen, die Streiks und die Tahrir-Platz Besetzungen haben letztendlich das Mubarak-Regime weggefegt. Weder die brutale Gewalt des Staates, der Polizei, der ‚zivilen’ Schlägerbanden Mubaraks und der Armee noch die über 800 Toten und Tausenden von Verletzten konnten diesen Prozess aufhalten. Die Möglichkeit war gegeben das alte Regime auf den Müllhaufen der Geschichte zu werfen. Aber es war nicht die revolutionäre Gewalt des Volkes, die den Staatsapparat auseinander nahm, sondern das Militär trat als „Retter in der Krise“ auf und wurde als solches gefeiert. Der Militärrat übernahm die volle politische Macht. Die Figur Mubarak wurde ausgetauscht, aber der Staatsapparat und das Militär blieben an der Macht. Natürlich gab es demokratische Zugeständnisse wie das Recht auf Parteienbildung etc. Gerade noch rechtzeitig hat das Militär für seinen Machterhalt erkannt, wenn es sich nicht von Mubarak trennt, wird die Revolte zur Revolution: Die Staatsmacht, sowie ihre Hauptstütze, das Militär werden zur Zielscheibe der Massenkämpfe. Darum setzten sie Mubarak ab und machten scheibchenweise Zugeständnisse. Aber das Militär zwang auch nach Mubaraks Sturz, Februar 2011, den Parteien und später den neu gewählten Regierungen in vielen Bereichen seinen Willen auf. Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wurden festgesetzt, aber der Militärrat legte die Kandidaten fest. So wurden bei der Präsidentenwahl 10 von 23 Kandidaten abgelehnt. Auch die unabhängige Gewerkschaftsbewegung wurde weiter massiv unterdrückt. Z.B. hat die Militärjunta die „Inkraftsetzung des Gesetzes über die Zulassung unabhängiger Gewerkschaften“. untersagt. (Interview mit Joel Beinin, Telepolis, 02.08.2013). In Ägypten gärte die Unzufriedenheit schon vor 2010 über einen längeren Zeitraum. Bereits 2008 wurde zum Beispiel die „6. April-Bewegung“, anlässlich der Unterstützung eines Streiks, über Facebook gebildet. Von Anfang an suchten die jugendlichen Initiatoren für ihre Demokratiebewegung offen politische Unterstützung in der EU und in Amerika. Ihr politisches Ziel ist eine bürgerliche Demokratie wie in der westlichen Welt und eine funktionierende Marktökonomie. In dem Aufruhr 2011 spielten die „sozialen Medien“, Twitter, Facebook und Handies eine wichtige Rolle für Information und Organisierung. Allerdings verfügt nur jede/r zehnte Ägypter/in über einen Internetanschluss, das ist die Mittel- und Oberschicht. Die ArbeiterInnen sind von diesen Kommunikationsmitteln noch weitgehend ausgeschlossen. Als Präsident gewählt, versuchte Mursi mit seiner „Allianz für Ägypten“, dem Wahlbündnis mit der Nur-Partei/Salafisten und anderen Parteien, seine Vorstellung der „repräsentativen Demokratie“ umzusetzen. Auch wenn er die Leitung der Institutionen nach den Prinzipien der Scharia programmatisch vertrat, lehnte seine Partei einen theokratischen Staat wie im Iran ab. Vor allem stehen sie und Mursi für eine „freie, soziale Marktwirtschaft“, für die Liberalisierung der Wirtschaft und die Zurückdrängung des öffentlichen Sektors und vor allem des Militärs aus der Ökonomie. Er wollte politisch und ökonomisch das Monopol der Armee und der Staatsbürokratie brechen. Damit stand er für einen Flügel der islamischen aufstreben Bourgeoisie. Am 15. Juni 2012 wird per Urteil des „Obersten Verfassungsgerichts“ (nach wie vor Säule des alten Mubarak-Regimes), das nach dem Sturz von Mubarak gewählte Parlament aufgelöst. Dieser Beschluss des Verfassungsgerichts wird von den Islamisten de facto nicht anerkannt. Im „aufgelösten“ Parlament wird die, durch die Fraktionen der verschiedenen islamischen Parteien vorbereitete, Verfassung in einem Referendum mehrheitlich angenommen. Im Dezember 2012 brechen erneut heftige Proteste gegen die im Schnellverfahren durchgepeitschte Verfassung aus. Seit Anfang 2013 nehmen die Demonstrationen und Kundgebungen wieder verstärkt zu. Es sind Aufschreie für Brot, Arbeit, Freiheit und Gerechtigkeit. Die Wirtschaftslage ist katastrophal, immer mehr Menschen hungern. Die Regierung Mursi stoppt z.B. den Weizenimport, da es kaum noch Devisenreserven gibt. Es gibt keine Versuche, die Wirtschaftskrise in irgendeiner Form in den Griff zu bekommen und vor allem die Lage der Werktätigen zu verbessern. Pogrome gegen Andersgläubige (Koptische Christen) werden zugelassen. Islamistische Lebensvorschriften werden versucht, zunehmend auf den Straßen und in den Wohnviertel durchzusetzen. Mursi führt aber vor allem einen Machtkampf mit dem Militär. In Tradition der alten Vetternwirtschaft konzentriert er sich darauf, seine Leute auf die entsprechenden Posten zu hieven. Die Proteste Januar/Februar werden von den Polizeikräften brutal niedergeknüppelt – es gibt Tote. „Tamarod“ (deutsch: Rebellion) startet Anfang Mai eine Unterschriften-Kampagne für den Rücktritt Mursis. (siehe S. 21). Das ist der Funke für den weiter anwachsenden Protest. Sie setzen sich zum Ziel bis zum Jahrestag des Präsidentenantritts Mursis, am 30. Juni, 15 Millionen Unterschriften zu sammeln. Auf der Straße soll ein Misstrauensvotum gegen Mursi abgegeben und vorgezogene Neuwahlen gefordert werden. Tamarod legt nach eigenen Angaben 22 Millionen Unterschriften vor. Am 1. Juli stürmen Demonstranten die Zentrale der Muslimbruderschaft in Kairo und brennen sie nieder. Der Tahrir-Platz wird wieder zum zentralen Aktionsplatz, diesmal gegen Mursis Präsidentschaft. Anhänger Mursis besetzen Plätze in Kairo, z.B. in Nasr City, und bekunden ihre Unterstützung für den Präsidenten. Es folgen blutige Straßenschlachten zwischen den Anhängern beider Lager. Militärputsch gegen Mursi und die Partei für Freiheit und Gerechtigkeit Die Instrumentalisierung dieser Bewegung durch Militär, Mubarak-Anhänger und auch der Salafisten / Nur-Partei führte nicht zur Revolution und zum Umsturz der bestehenden Verhältnisse, sondern zu einem Militärputsch und einer neuen Regierung, abhängig von der Gnade des Militärs. Nach einem Ultimatum putscht das Militär am 3. Juli gegen Mursi. Sie setzen ihn an einem unbekannten Platz fest. Sie lösen die Regierung auf. Führende Politiker der Partei für Freiheit und Gerechtigkeit werden verhaftet, Konten eingefroren. Die Armee besetzte bereits am Vorabend des 3. Juli die Redaktionsräume des Staatsfernsehens. Drei Fernsehsender des politischen Lagers Mursis, darunter einer der Muslimbruderschaft, wurden geschlossen. Die Redaktionsräume von al-Dschasira (TV-Sender aus Katar) durchsucht, geschlossen und Redakteure verhaftet. Es ist ein Militärputsch gegen eine unter erschwerten Bedingungen gewählte Regierung. Eine Regierung, die aus den bislang demokratischsten Wahlen in Ägypten hervorgegangen ist. Auch wenn diese noch unter dem Diktat des Militärs stattgefunden hatten. Diese Wahlen waren das Ergebnis des „arabischen Frühlings.“ Ergebnis dieses Putsches ist, dass sich das Militär in der Regierung einen festen Platz sichert. Der Generalstabschef der Armee, al-Sisi, ist stellvertretender Ministerpräsident und gleichzeitig Verteidigungsminister. Darüberhinaus hat sich die Armee die Unterstützung der Tamarod-Bewegung gesichert. Über dem Tahrir-Platz weht ein Riesenbanner: „Die Armee muss den Terror ausrotten“. Gemeint ist die Muslimbruderschaft. Die salafistische Nur-Partei hat den Putsch zwar unterstützt, aber sie beteiligt sich nicht an der Übergangsregierung. Sie will sich alle Wege offen halten. Um dann taktische Bündnisse, zum Beispiel mit der Mursi-Partei, nach Neuwahlen eingehen zu können Die konterrevolutionäre Armee siegt, aber linke, sozialistische, sozialdemokratische, liberale Strömungen halten tatsächlich eine „demokratische Transformation“ im Sinne einer „Revolution von oben“ durchaus für möglich. Die Kampagne von „Tamarod“ hat brennende Forderungen der breiten Massen aufgegriffen. Aber sie hat sich „an die Nation“ und nicht an die unterdrückten Klassen und Schichten gewandt. Darum auch das dramatische Ergebnis: Militärputsch gegen die islamische Partei Mursis und eine „nationale Einheit“ von „Tamarod“, „6. April-Bewegung“ über Mubarak-Anhänger bis hin zu „linken“ Parteien. Damit ist das alte Kräfteverhältnis, wie vor dem arabischen Frühling in Ägypten, fast wieder hergestellt. In Koordination mit den imperialistischen Oberherren herrscht das alte Regime mit der Armee im Zentrum, nur ohne den alten Mubarak-Clan. Natürlich können die Generäle nicht mehr genau da anknüpfen, wo es 2011 losgegangen ist. Sie werden sich gezwungenermaßen auf gewissen Reformen und demokratische Zugeständnisse einlassen müssen. Aber die Armee ist clever. Seit 2011 hat sie ihr Wirtschaftsimperium bereits umstrukturiert. Etliche ihrer staatsverbundenen Holdings hat sie in privatwirtschaftliche Unternehmungen umgewandelt. Der Putschgeneral al-Sisi erklärte noch Ende Juni 2013: „Wir werden es nicht erlauben, dass Ägypten in einen dunklen Tunnel des Konflikts stürzt, in innere Kämpfe, Bürgerkrieg, Sektierertum oder den Kollaps der staatlichen Institutionen. Die Streitkräfte sind der Politik fern und werden es bleiben.“ 2 Wenige Tage später? Das Militär bestimmt die Regierung und sitzt selbst darin. Das Militär instrumentalisiert die Freiheitsbewegung, um den Machtkampf der herrschenden Klassen untereinander für sich und für die bürokratische Kaste zu entscheiden. Neue Regierung – von Militärs Gnaden Die neue Beblawi-Regierung steht vor allem für die Interessen des Großbürgertums und des internationalen Finanzkapitals. Übergangsvizepräsident el-Baradei, Friedensnobelpreisträger, Finanzminister Gala, Weltbankökonom, Handelsminister Wahab, Konzernbesitzer. Herren des alten Mubarak-Regimes in der neuen Regierung sind u.a. Außenminister Fahmy sowie der Minister für Regionale Entwicklung, Labib. Aber auch eine Kontinuität mit dem Mursi-Regime bleibt gewahrt: Der brutale Innenminister İbrahim ist weiter im Amt. Eine seiner ersten Amtshandlungen: Die Wiederbelebung der politischen Polizei, der Staatssicherheit. Die Abteilungen „Kampf gegen den Terrorismus“ und „Überwachung von politischen und religiösen Aktivitäten“ wird reaktiviert, wie er stolz auf einer Pressekonferenz mitteilte. (30.07.2013) Die Geheimpolizei, berüchtigt für grausamste Foltermethoden, totale Willkür, Verschwinden lassen von Menschen, wird rehabilitiert. Einen Tag später wird vom Präsidenten der Armee das Recht eingeräumt, Zivilisten zu verhaften. Auch wenn der Sprecher von Tamarod, die eine oder andere Entscheidung der Regierung kritisiert, so bekräftigt er doch: „Unsere Initiative unterstützt die Absicht des Staates, Terrorismus zu bekämpfen“. 3 Die Ernennung von K. A. Eita, Vorsitzender der Föderation der unabhängigen Gewerkschaften zum Arbeitsminister, begrüßen sogar linke Gruppierungen. Dabei ist Eita ein alter Mubarak-Anhänger. Seine aktuelle Position ist: Streiks sollen, um die Produktion anzuwerfen, verboten werden. Salam, NGO-Vertreter in einem Interview: „Das alte Regime arbeitet gegen die Muslimbrüder und sie unterstützten Tamarod, um das Regime von Mursi zu stürzen. Womöglich nimmt sich das Militär uns vor, wenn sie mit den Muslimbrüdern fertig sind.“ 4 Ja, das ist eine ziemlich große Wahrscheinlichkeit, denn Gegner des revolutionären Prozesses sind sie alle, die Muslimbrüder, die Anhänger des alten Regimes (Felul) und vor allem das Militär. Internationale Gemengelage: In Zeiten des Imperialismus als weltumspannendes System verlaufen alle politischen, gesellschaftlichen Entwicklungen in den einzelnen Ländern in einem Zusammenspiel innerer und äußere Faktoren der direkt oder indirekt gegen die Revolution zusammenwirkenden Konterrevolution. Die westlichen Imperialisten, allen voran USA und EU, wurden vom arabischen Frühling, vom Aufbruch junger Generationen gegen die Despoten und Diktatoren in der Region überrollt. Sie waren die Statthalter dieser Regime, die Garanten für ihren Einfluss. Diese Eigendynamik der Bewegungen haben die Imperialisten völlig unterschätzt. Insofern versuchen sie, ihre Strategie für die Erhaltung ihrer ökonomischen, politischen und wirtschaftlichen Macht und ihres Einflusses in diesen Ländern, den jeweiligen konkreten politischen Verhältnissen anzupassen. Wenn linke Gruppen einschätzen, EU und USA hätten auf Mursi sowie seine Partei für Freiheit und Gerechtigkeit gesetzt und sich mit ihm arrangiert, liegen sie unserer Meinung nach falsch. Ihre Favoriten waren Politiker und politische Strömungen wie el-Baradei sie vertritt. Aber die Imperialisten sind pragmatisch. Mursi war für sie immer noch das „kleinere Übel“ als eine tatsächliche Revolution. Der Militärputsch bedient aktuell die Interessen der westlichen Imperialisten aber auch erzreaktionärer, islamistischer Staaten der arabischen Halbinsel: Saudi Arabien, Vereinigte Arabische Emirate, Katar. Letztere haben Befürchtungen, dass eine neue Welle des arabischen Frühlings in ihre Länder überschwappt und sie destabilisiert. Sie pumpten sofort nach dem Putsch 13 Milliarden Dollar in ägyptische Wirtschaft und Staat. Der Westen will, bedingt durch seine geostrategischen Interessen, „stabile Verhältnisse“ für die „Sicherheit Israels“ und die Region. Angesichts der hochexplosiven Lage und dem Bürgerkrieg in Syrien, der Kriegssituation im Irak und in Afghanistan setzen ihnen weitere Konfliktherde zu, die sich ihrer Kontrolle entziehen. Der beste Garant für eine Stabilität in Ägypten ist zurzeit das Militär, und darauf setzen die Imperialisten. Aber sie wollen, zumindest momentan, auch einen Bürgerkrieg zwischen Armee, Staatsbürokratie auf der einen und der Muslimbruderschaft bzw. anderen islamischen Gruppierungen auf der anderen Seite verhindern. Das ist nicht ihre Option. Die Imperialisten sehen in der Massenbewegung für Demokratie und Freiheit einen Faktor, das Militär und die Staatskaste zu Reformen zu bewegen und die Massen zu befrieden. Grundfrage jeder Revolution ist die Frage der Macht! Die revolutionären Errungenschaften der letzten Jahre, die Erfolge und die Misserfolge der Bewegung, das alles sind ungeheure Schätze der ArbeiterInnen und Werktätigen. Wenn daraus die richtigen Schlüsse gezogen werden, wenn sich eine revolutionäre Organisation bzw. Partei herausbildet, die in den Massen den Kampf um die Macht, um die tatsächliche Macht im Staate, verankert, dann wird es tatsächlich zur Revolution kommen. Die Revolution ist der Umsturz des gesamten kapitalistischen Systems, seines Staatsapparates und seiner Armee. Das Ziel der Sozialismus. „Alles gewähre ich, außer der Macht – erklärt der Zarismus. Alles ist Blendwerk, außer der Macht – erwidert das revolutionäre Volk“. (Lenin) Die „neue“ Regierung und die Armee wollen jetzt mit aller Macht den Widerstand der Anhängerschaft Mursis brechen. Über 200 Menschen wurden in den letzten Wochen umgebracht. Die Armee hat in die Menge der BewohnerInnen der Zeltstadt in Nasr City gezielt hineingeschossen. Noch rufen sie die Vermittlung der USA an. Aber es ist eine Situation auf Messers Schneide. Die Möglichkeit eines Blutbades unter den Mursi-AnhängerInnen seitens der Armee und eines ausbrechenden Bürgerkrieges ist sehr realistisch. Die Massenbewegung in Ägypten, die den Sturz Mubaraks auslöste, ist heute zutiefst gespalten. Nicht nur in der Bewertung des Putsches gegen Mursi, sondern auch in ihrer Ausrichtung und ihren Zielen. Die politischen Flügel der herrschenden Klassen bestimmen die politische Agenda. Die revolutionären und kommunistischen Kräfte sind noch zu schwach, eine ausschlagende Rolle zu spielen. Wir lehnen beide politischen Lager, Muslimbruderschaft, Salafisten, ebenso wie Mubarak-Anhänger, das Militär und die liberale Großbourgeoisie ab. Aber unsere ganze Solidarität gilt den gerechten Forderungen der Aufständischen, der ArbeiterInnen und Werktätigen, die für eine grundlegende Umwälzung der Verhältnisse streiten. 11. August 2013 Kasten: „Rebellion“-Kampagne für den Rücktritt von Mohamad Mursi Al Ayat: Wir wollen dich nicht – weil die öffentliche Sicherheit immer noch nicht auf die Straßen zurückgekehrt ist. Wir wollen dich nicht – weil der Arme immer noch keinen Platz hat zum Leben. Wir wollen dich nicht – weil wir immer noch im Ausland betteln. Wir wollen dich nicht – weil die Gerechtigkeit für die Märtyrer nicht gekommen ist Wir wollen dich nicht – weil wir keine Würde erhalten haben. Wir wollen dich nicht – weil die Wirtschaft zusammengebrochen ist und nur aus Bettelei besteht. Wir wollen dich nicht – weil Ägypten immer noch den Fußstapfen der USA folgt. Seit der Machtübernahme durch M. Mursi spürt der einfache Bürger, dass keines der Ziele der Revolution verwirklicht wurde. Ziele wie menschenwürdiges Leben, Freiheit, soziale Gerechtigkeit und nationale Unabhängigkeit. Mursi scheiterte insgesamt an ihrer Umsetzung, denn er verwirklichte weder Sicherheit noch soziale Gerechtigkeit. Vielmehr bewies er, dass er gescheitert ist – im engsten Sinne des Wortes und dass er ungeeignet ist, ein Land in der Größe Ägyptens zu führen. (…)
Mai 2013