Recht auf Streik wahrnehmen
Am 5. März 2015 war der Entwurf für das so genannte „Tarifeinheitsgesetz“
aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BAMS) zum ersten Mal auf der
Tagesordnung der Bundestagsdebatte. Den Gesetzentwurf hatte die Bundesregierung
am 11. Dezember 2014 beschlossen. Am 21./22. Mai 2015 soll er in zweiter und
dritter Lesung beraten und als Gesetz verabschiedet werden. Laut
Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat dieses Gesetz „die Beendigung der
Zersplitterung der Tariflandschaft“ zum Ziel.
Das hört sich doch gut an, Zersplitterung beenden! Tarifeinheit – klingt
auch vielversprechend. Klingt nach Einheit, nach Geschlossenheit.
„Tarifeinheit“ –erinnert an Flächentarif, an Einheitsgewerkschaft: „Eine
Branche, ein Betrieb, ein Tarif!“ – guter Plan! Schluss mit prekären
Arbeitsverhältnissen wie Leiharbeit, Werkverträgen zum Dumpingpreis auf der
einen Seite und Normalarbeitsverhältnissen wie die der sogenannten
Stammbelegschaften, auf der anderen. Endlich ein Gesetz, das denjenigen, die
Profit aus den Betrieben ziehen, abverlangt, die ArbeiterInnen wenigstens nach
einheitlichem Tarif zu entlohnt!
Pustekuchen! Weiter träumen ...
Jahrelang wurde eine Belegschaft nach der anderen für den Maximalprofit
aufgeteilt, in Teilen ausgelagert – zersplittert. Fanden sich frisch entlassene
Kollegen plötzlich an ihrem alten Arbeitsplatz mit einem Bruchteil ihres
vorherigen Lohns als Leiharbeiter wieder. Unterschiedliche Tarifverträge in ein
und demselben Konzern sind von Gewerkschaften und Betriebsräten akzeptiert
worden, immer wieder mit dem leeren Versprechen der Beschäftigungssicherung.
Vom befristeten Vertrag bis hin zu Arbeitsverhältnissen, die pure Tagelöhnerei
sind, gibt es jede erdenkliche Steigerung kapitalistischer Ausbeutung.
In einer schier endlosen Abwärtsspirale stehen die Werktätigen in
enormer Konkurrenz zueinander und werden immer weiter in diese Konkurrenz
getrieben. Im reichsten Land Europas haben wir die Lage der Arbeiterklasse in
Griechenland, Spanien oder Portugal vor Augen. Auch in Deutschland werden die
Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse durch die Angriffe des
Kapitals stetig verschlechtert. Viele können ihre Existenz nur mit mehreren
Jobs sichern, sind „arm trotz Arbeit“. Die Niedriglohnquote liegt in der BRD
mittlerweile bei 24% und ist damit die höchste in Europa. (Wert aus der
Solidaritätserklärung mit der GDL des wissenschaftlichen Beirats von attac vom
23.11.2014) Aktuell gelten rund 13 Millionen Menschen als arm, sie verfügen
nach EU-Definition (eurostat) über weniger als 60% des
Median(Mittelwert)einkommens, (für Alleinlebende derzeit ca. 976,- Euro). Vor
diesem Hintergrund sehen sich Erwerbslose gezwungen, den Schikanen der
Job-Center durch Annahme miesest entlohnter Jobs zu entkommen. Die Grenzen der
Zumutbarkeit sind längst überschritten.
Wäre da ein Tarifeinheitsgesetz, dass der Zersplitterung der
Belegschaften entgegenwirkt, nicht eine wünschenswerte Verbesserung – ein
erster Schritt Richtung Gerechtigkeit? Könnte die gesetzlich fixierte
Tarifeinheit nicht den durchlöcherten Flächentarif flicken helfen? … somit das
Lohnniveau heben und stabilisieren, so dass jeder Arbeiter und jede Arbeiterin
von ihrem Lohn wenigstens den Lebensunterhalt bestreiten kann.
Mal abgesehen davon, dass der Gesetzgeber nichts zu suchen hat bei
Tarifangelegenheiten, ist der Hintergrund für das Tarifeinheitsgesetz –
selbstredend – ein völlig anderer, als für Gerechtigkeit zu sorgen. Wer also
glaubt, dass die Verabschiedung dieses Gesetzes auch nur einen Millimeter
Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse bedeutet, wird schwer enttäuscht.
„Gegen“ die Zersplitterung der Belegschaften setzt dieses Gesetz in
erster Linie den Angriff auf das Streikrecht.
Was aber ist das Streikrecht?
Wer im Grundgesetz der BRD nach dem Streikrecht sucht, wird enttäuscht.
Es ist im „Grundrecht auf Koalitionsfreiheit“ verborgen: Artikel 9 Absatz 3 GG
regelt die Freiheit zur Bildung von Koalitionen um eigene Interessen
durchzusetzen:
„Das Recht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und
Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle
Berufe gewährleistet.“
Dieses Recht wäre ohne das Recht auf Streik völlig nutzlos. Denn ohne
Streik – dem gemeinsamen Kampf für unsere Interessen – hätten die Unternehmer
noch leichteres Spiel, die Arbeiterklasse ihrer Rechte und Errungenschaften zu
berauben, Lohnkürzungen durchzusetzen und Lohnerhöhungen zu verhindern.
Für das Tarifeinheitsgesetz werden Paragraphen im Tarifvertragsgesetz
und Arbeitsgerichtsgesetz eingefügt bzw. geändert.
Um Tarifeinheit im Betrieb zu erreichen sollen Tarifkollisionen, also
unterschiedliche Tarifverträge für gleiche Beschäftigtengruppen, vermieden
werden. Dazu wird festgelegt, dass in Zukunft das betriebsbezogene
Mehrheitsprinzip gilt. Der Tag des Abschlusses des zuletzt vereinbarten
Tarifvertrags ist Stichtag für die notariell festzustellende Mitgliederanzahl. [1]
Da der Unternehmer liebstes Spiel auf dem Weg zum Maximalprofit die immer neue
Umstrukturierung der Betriebe ist, kann man/frau sich ausrechnen, was diese
Herren tun, wenn sie die gewerkschaftlichen Mehrheitsverhältnisse „genehm“
gestaltet wissen wollen.
Die IG Metall deutet das so: „Entscheidend ist die Mitgliedschaft im
Betrieb. Die Beschäftigten selbst können durch ihre Entscheidung zur
Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft bestimmen, welcher Tarifvertrag Anwendung
findet.“
Wenn Tarifverhandlungen mit der Mehrheitsgewerkschaft aufgenommen
werden, bekommt die Gewerkschaft mit der kleineren Mitgliederzahl das „Recht“,
ihre Vorstellungen zu einem neuen Tarifvertrag dem Unternehmensvertreter
mündlich(!) vorzutragen.
Für die Minderheitsgewerkschaft besteht ein so genanntes
Nachzeichnungsrecht, das bedeutet, dass sie den von der Mehrheitsgewerkschaft
ausgehandelten Tarifvertrag unterzeichnen darf.
Durch dieses Prinzip werden die Gewerkschaften sortiert: in solche, die
streiken dürfen und solche, deren Forderungen maximal angehört aber weder
diskutiert, noch verhandelt, geschweige denn mit Arbeitskampfmaßnahmen
durchgesetzt werden dürfen. Das ist das Streikverbot durch die Hintertür. So
offen steht es natürlich nicht in dem Gesetzesentwurf. Allerdings ist klar,
dass ein Streik, der nicht einen Tarifvertrag zum Ziel hat (weil die Minderheitsgewerkschaft
eben keinen eigenen haben darf) vom BAG (Bundesarbeitsgericht) für
unverhältnismäßig, also nicht rechtens bewertet wird. So einfach funktioniert
das mit dem Streikverbot.
Das ist ein Angriff auf unsere Organisierung in den Betrieben. Auf mehreren
Ebenen. Es wird nicht so einfach sein, die Mitgliederstärke der Gewerkschaften
festzustellen. Mal abgesehen davon, dass es grundsätzlich falsch ist, dem
Gegner per Liste die genaue Kampfstärke mitzuteilen.
Außerdem behindert es die Tätigkeit von Gewerkschaften, wenn sie sich
mit solch bürokratischen Hürden auseinandersetzen müssen. Die gewerkschaftliche
Aktionsfähigkeit wird eingeschränkt.
Mehrere gewerkschaftsnahe Arbeitsrechtler stellen fest, dass das
Tarifeinheitsgesetz rechtswidrig ist.
Prof. Dr. Wolfgang Däubler: „Der faktische Entzug des Rechts,
Tarifverträge abzuschließen und dafür einen Arbeitskampf zu führen, stellt
einen denkbar weitreichenden Eingriff dar, der nur noch durch ein
Gewerkschaftsverbot übertroffen werden könnte.“ [2]
Rolf Geffken: „Zur Sicherung des Streikrechts gehört, dass man
kampfbereiten jungen Gewerkschaften nicht durch Statusverfahren die Existenz
zerstört oder ihre Gründung dadurch verhindert. Die Koalitionsfreiheit ist
unteilbar. Wenn traditionelle Gewerkschaften aufgrund einer falschen Politik
Mitgliederverluste erleiden, sollten sie durch eigene Aktivitäten einem solchen
Trend entgegenwirken, nicht aber alternative Gewerkschaften durch juristische
Mittel zu bekämpfen trachten. Solche Maßnahmen richten sich letztlich gegen die
Kläger selbst.“ [3]
Nahles verriet in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung am 27.10.2014, dass sie mit diesem Gesetz auf gerichtliche
Streikverbote setzt. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist ein Streik nur
zulässig, wenn er einen Tarifvertrag zum Ziel hat. Mit der neuen Regelung, käme
ja die Frage auf, ob ein Tarifvertrag einer Gewerkschaft überhaupt gültig wäre,
da sie nicht die Mehrheit der Belegschaft organisiert. Nahles erklärte in o.g.
Interview, dass die Arbeitsgerichte bei der Beurteilung eines Streiks „mit
einbeziehen, ob der strittige Tarifvertrag überhaupt angewendet werden könnte“.
Die Richter würden also „auch schauen, ob dieser spezielle Streik vor diesem
Hintergrund verhältnismäßig“ sei. [4]
Bei der ersten Lesung im Bundestag verteidigte Nahles das
Tarifeinheitsgesetz gegen Kritik als „verfassungsgemäß“. Das Recht der
Arbeitnehmer, sich zusammen zu schließen sei nicht nur ein Freiheitsrecht.
Solche Zusammenschlüsse müssten das Arbeitsleben auch ‚ordnen und befrieden‘.
Gegen aufmüpfige Gewerkschaften
Die Kämpfe von so genannten Spartengewerkschaften wie GDL (Gewerkschaft
der Lokführer) oder Cockpit (Piloten Gewerkschaft) waren von Anfang an von
einer medialen Hetze begleitet, die in diesem Maße und in der Breite als
optimale Grundlage für das entsprechende gesellschaftliche Klima sorgte.
Einzelne in sogenannten Schlüsselfunktionen dürften nicht ein ganzes
Land in Geiselhaft nehmen, um für sich Privilegien zu erstreiken. Dabei geht es
einzig und allein darum, dass sie überhaupt streiken. Für die Herrschenden ist
das Tarifvertragssystem ein System zur ‚Friedenssicherung‘ in den Betrieben.
Dass die Lokführer, Piloten u.a. auf Konfrontationskurs gehen, stört dabei.
Andere Gewerkschaften könnten von ihren Mitgliedern zu ähnlichem gedrängt
werden. Nicht nur, dass damit Forderungen der ArbeiterInnen tatsächlich auch
durchsetzbar sind. Der Streik ist eine mächtige Waffe des Proletariats. Je
weniger gestreikt wird, umso sicherer können sich die Herrschenden ihrer Macht
sein.
Also werden zur Zeit vor allem LokführerInnen, PilotInnen aber auch
ErzieherInnen und LehrerInnen in den Medien runtergemacht. Das
gesellschaftliche Klima wird gegen Streiks getrimmt. Von Erpressung ist die
Rede, von Nötigung und unsolidarischem Verhalten auf Kosten anderer
ArbeiterInnen, die ja unfreiwillig daran gehindert werden, ihrer Arbeit
nachzugehen.
Diejenigen, die seit Jahrzehnten immer neue Angriffe auf erkämpfte Löhne
und Rechte von ArbeiterInnen starten, die für den Maximalprofit Betriebe
aufgliedern, den Flächentarif durchlöchern, Belegschaften zersplittern und in
Konkurrenz zueinander bringen – die behaupten jetzt:
„Die Tarifeinheit stärkt die Solidargemeinschaft im Betrieb und
verhindert die Zergliederung der Belegschaften. Arbeitgeber, Betriebsräte
müssen auf einer verlässlichen Grundlage zusammenarbeiten können. Wenn die
Arbeit im Betrieb laufend durch Einzelinteressen torpediert werden kann,
funktioniert der Solidarverbund nicht mehr.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen sich während der Geltung eines
Tarifvertrags auf seine Ordnungs- und Befriedungsfunktion verlassen können.
Völlig zu Recht bestimmt der Gesetzentwurf deshalb, dass bei der
Verhältnismäßigkeit von Arbeitskämpfen der Grundsatz der Tarifeinheit zu berücksichtigen
ist. Die Tarifeinheit schützt und sichert die Koalitionsfreiheit in
Deutschland.“ [5]
Klar und deutlich: Streiks sind unerwünscht. Selbstverständlich sind das
keine „Einzelinteressen“, die die „Arbeit im Betrieb torpedieren können“...
Dieser Angriff auf das Streikrecht mit Hilfe des Tarifeinheitsgesetzes
kam nicht erst mit Arbeitgeberpräsidenten Kramer, Arbeitsministerin Nahles,
DGB-Chef Hoffmann und anderen Vertretern bzw. Handlangern der Herrschenden auf
die Tagesordnung.
„Streikrecht ist in Deutschland Richterrecht“ – Rückblick
Das heißt nichts anderes, dass seit Bestehen des Grundgesetzes,
Arbeitsgerichte entscheiden, ob ein Streik „legitim“ ist. Das so genannte
„Sozialaquädanz“-Urteil stellt klar: „Streiks sind im Allgemeinen unerwünscht,
weil sie volkswirtschaftliche Schäden hervorrufen.“ [6]
So wurde im Lauf der Jahrzehnte nach und nach über Urteile des
Bundesarbeitsgerichts das Streikrecht herausgearbeitet. Die einfache Formel,
dass ein Grundrecht nur dann eingeschränkt werden darf, wenn es Grundrechte
anderer beeinträchtigt, ist hier im Sinne der Kapitalinteressen sehr gedehnt
worden. Ein Streik muss, um legitim zu sein, als Ziel eine tarifvertragliche
Vereinbarung haben, muss verhältnismäßig sein.
Aber selbst das reichte den Herrschenden natürlich nicht. Im
BDA-Beschluss „Für eine neue Balance in der modernen Tarifautonomie“ 15.09.2003
plädieren sie für die Beschränkung des Streikrechts:
„In der Vergangenheit haben spezialisierte Minderheiten mit Streiks oder
Streikdrohungen ganze Betriebe lahm gelegt oder deren Lahmlegung angedroht.
Beispiele dafür sind die Streiks von Cockpit bei der Lufthansa oder die
Streikdrohung der Gewerkschaft der Lokomotivführer bei der Deutschen Bahn. Ohne
in den Kernbereich der Koalitionsfreiheit des Grundgesetzes einzugreifen,
müssen solche Streiks spezialisierter Minderheiten, die Schlüsselkräfte für den
ganzen Betrieb sind, verhindert werden, wenn dadurch der Betrieb weitgehend
oder darüber hinaus sogar weitere Betriebe lahm gelegt werden. Streiks dürfen
nicht von einer kleinen Minderheit geführt oder angedroht werden, wenn mit
ihnen ein Ziel durchgesetzt werden soll, das nur dieser Minderheit zugutekommen
soll, die übrige Belegschaft aber durch den Arbeitskampf die Möglichkeit
verliert, ihrer Beschäftigung nachzugehen. Solche Streiks sind
unverhältnismäßig und werden durch das Grundgesetz nicht geschützt.“
Europäischer Großangriff
Doch zurück zum Tarifeinheitsgesetz und den Hintergründen bzw. früheren
Ansätzen:
Das ist nicht nur ein nationaler Angriff auf GDL und Kollegen, sondern
Teil von „Europa 2020“. Im Rahmen dieser EU-Strategie für „intelligentes,
nachhaltiges und integratives Wachstum“ starten die Interessenvertreter des
europäischen Kapitals einen Großangriff auf die Tarifvertragssysteme. Abbau von
Hindernissen prekärer Beschäftigung, Abschaffung von tariflichen
Schutzbestimmungen, Abbau von Flächentarifen zugunsten von Haustarifen und
betrieblichen Vereinbarungen, Ausbau des Niedriglohnsektors, Stopfung der
Löcher in den öffentlichen Haushalten durch Lohnkürzungen im öffentlichen
Dienst. Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch Verringerung der Lohn- und
Lohnstückkosten. Reform der Tarifvertragssysteme, die den Kapitalisten
ermöglichen Tarifstandards zu unterlaufen, wenn die Bedingungen es erfordern...
und was sonst noch auf der Wunschliste der herrschenden Klasse steht.
Die Auswirkungen sind schon da. Einsatz von Militär gegen Streikende.
Massive Beschränkungen von Arbeiterrechten in Europa weiten sich aus.
Hier fügt sich die Gesetzesvorlage zum Tarifeinheitsgesetz in das
Europa-Programm der deutschen Kapitalisten ein.
Angriffe auf breiter Front
Und es gibt weitere Ideen, die Rechte der Werktätigen zu beschränken.
Konkreter Angriffspunkt sind vor allem Streiks in der so genannten
„Daseinsvorsorge“. Es wird munter an Gesetzesvorlagen formuliert. Die Carl
Friedrich von Weizsäcker Stiftung hatte schon 2012 einen entsprechenden Plan,
dessen Linie die CSU in ihrem Vorschlag „Für ein modernes Streikrecht“ vom 26. Januar
2015 fast zu Hundert Prozent übernommen hat. Streik geht nach deren
Vorstellung, wenn überhaupt, nur mit Ankündigungsfristen, vorgeschalteter
Zwangsschlichtung, verbindlichen schriftlichen Streikplänen, streng
reglementierter Urabstimmung und anderen „modernen“ Angriffen auf das
Streikrecht.
Das BAG-Urteil vom 23. Juni 2010 stellt fest, dass die seit 1957
praktizierte Rechtsprechung, wonach nur der jeweils speziellere Tarif
ungeachtet der jeweiligen Gewerkschaftszugehörigkeit angewendet wird, nicht
mehr gültig ist. Damit ist klar, dass in einem Betrieb auch für die selben
Beschäftigtengruppen unterschiedliche Tarifverträge gelten können, je nachdem
in welcher Gewerkschaft die ArbeiterInnen organisiert sind.
DGB Hand in Hand mit dem Kapital!
Im Juni 2010 startete eine gemeinsame Gesetzesinitiative vom Bundesverband
Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) und DGB zur „Wiederherstellung der
Tarifeinheit“. Nach Protesten aus der Basis zog sich der DGB zurück. Damit war
das Thema nicht erledigt. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD steht: „Um
den bestehenden Koalitions- und Tarifpluralismus in geordnete Bahnen zu lenken,
wollen wir den Grundsatz der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen
Mehrheitsprinzip unter Einbindung der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer
und Arbeitgeber gesetzlich festschreiben. Durch flankierende Verfahrensregeln
wird verfassungsrechtlich gebotenen Belangen Rechnung tragen.“
Bundeskongress DGB Mai 2014: Abschlussrede Vorsitzender Reiner Hoffmann:
„Jetzt wissen wir alle, was die Schwarz-Rote Koalition im
Koalitionsvertrag vereinbart hat. Sie will die Tarifeinheit stärken. Da kann
ich sagen: Dieses politische Ziel werden wir natürlich nachhaltig unterstützen.
Wir brauchen eine Stabilisierung der Tarifeinheit. Wenn die Große Koalition uns
dabei helfen will, dann nehmen wir dieses Angebot zur Hilfe natürlich an.“
Noch Fragen? Der DGB als Verband erfüllt seine Rolle als Handlanger des
Kapitals. Punkt. Nichts anderes haben wir erwartet. Wir schätzen die
DGB-Gewerkschaften als gelbe Gewerkschaften ein – mit Kapital und Staat eng
verflochten. Für diese Gewerkschaften ist es im Zweifelsfall immer wichtiger,
den Interessen eines Unternehmens zu dienen, als die der ArbeiterInnen zu
verteidigen.
Nun ein Blick auf die Spaltung in der Frage des Tarifeinheitsgesetzes
innerhalb des DGB: ver.di, NGG und GEW stellen sich gegen den DGB-Vorstand, vor
allem die Industriegewerkschaften aber verteidigen die Gesetzesinitiative.
IG-Metall – Vorreiter
Die Haltung und Rolle der IG Metall greifen wir hier beispielhaft
heraus. Unserer Einschätzung nach will die IGM das Tarifeinheitsgesetz für die
Stärkung ihrer Position innerhalb des DGB nutzen. Sie geht hier in die offene
Konkurrenz zu ver.di. Angesichts schrumpfender „Stammbelegschaften“ in der
Autoindustrie verfolgt die IGM eine neue Strategie für die Mitgliederwerbung.
Sie erklärt kurzerhand alles zu ihrem „Revier“, was zur Wertschöpfungskette
eines Endprodukts gehört. Das sind dann auch die mit Hilfe von
IGM-Betriebsräten „ausgelagerten“ Kollegen z.B. in der Industrielogistik. Was
zählt sind Gewerkschaftsmitglieder als Beitragszahler. Der Gewerkschaftsapparat
muss ja irgendwie finanziert werden. Ob dann überall der Metall-Tarif gilt?
Mitnichten! So etwas müsste solidarisch mit allen Beschäftigtengruppen erkämpft
werden und das ist nicht die Politik der IG Metall, wie wir sie seit
Jahrzehnten erleben und wie das Kapital sie zu schätzen weiß. Und das ist es,
was letztendlich zählt: Für die Klassenzusammenarbeit nimmt die IGM vorbildlich
ihre Aufgaben der Befriedung der Betriebe wahr. Kämpferische
Spartengewerkschaften und evtl. häufigere Tarifauseinandersetzungen oder gar
Streik stören da nur!
Der IG Metall-Vorstand bewertet große Teile des Tarifeinheitsgesetzes
als uneingeschränkt positiv. Gelb ist gar kein Ausdruck für diese Lobhudelei: „Die
Auflösung möglicher Tarifkollisionen nach dem Mehrheitsprinzip ist zu begrüßen.
Für uns gilt der Grundsatz „Ein Betrieb – eine Gewerkschaft – ein Tarifvertrag“
nicht nur aufgrund historischer Erfahrungen. Wir begreifen Tarifautonomie als
das solidarische Eintreten aller Beschäftigtengruppen füreinander.
Klientelismus lehnen wir ab.“ [7]
„Grundsätzlich kann jede Gewerkschaft ihre Tarifforderungen erheben und
gegebenenfalls auch im Wege des Arbeitskampfes durchsetzen. Erst wenn mehrere
Tarifverträge tatsächlich bestehen, stellt sich die Frage nach der Mehrheit.“
(s.o.) Laut IGM-Vorstand ist damit die Tarifpluralität gewahrt. Jörg Hoffmann
behauptet in der Tageszeitung „Die Welt“ sogar: „Die Belegschaft kann sich
mehrheitlich aussuchen, wer sie vertritt und der Tarifvertrag, der auf diesem
Wege politisch legitimierten Gewerkschaft erlangt Geltung.“ [8]
Das Streikrecht sieht die IGM im Übrigen nicht angetastet: „Der
Gesetzentwurf enthält keine Regelungen zum Arbeitskampf. Insbesondere ist keine
Erstreckung der Friedenspflicht aus einem anderen Tarifvertrag auf
Andersorganisierte vorgesehen.“ (s.o.)
Im Gesetz müsse für die IGM das Nachzeichnungsrecht deutlich so geregelt
sein, dass Möglichkeiten zur Besserstellung von Mitgliedern der
Mehrheitsgewerkschaft erhalten bleiben (s.o.) Klientelismus lehnen wir ab???
Ohne die bei der IGM offenbar gut ausgeprägte Bereitschaft zur
Klassenzusammenarbeit wäre manch fauler Kompromiss, der die Spaltungen der
Belegschaften vorantrieb, nicht zustande gekommen. Das Pforzheimer Abkommen ermöglicht
seit 2004 ganz offiziell das Abweichen vom Flächentarif, wenn es einem Betrieb
wirtschaftlich „schlecht“ geht. (Beschäftigungssicherung heißt das Zauberwort).
Mit der IG Metall konnten X Betriebe ihre Struktur noch profitträchtiger
organisieren. Auslagerungen verhindern? Nicht mit der IG Metall! Die
„gestaltet“ lieber:
„Leiharbeit fair gestalten“ ist seit Jahren die Parole, mit der sich die
IGM deutlich auf die Seite der (noch) zahlreichen Kollegen der
„Stammbelegschaften“ der Automobilindustrie schlägt, anstatt ihre rund
2,3 Millionen Mitglieder für ein Verbot von Leiharbeit zu mobilisieren. Von
wegen: Für uns gilt der Grundsatz
„Ein Betrieb –eine Gewerkschaft –ein Tarifvertrag“.
In erster Linie bestimmen die mächtigen Automobil-Betriebsräte die
Politik der IG Metall. Sie handeln im Sinne ihrer so genannten
Stammbelegschaften. Auch das macht aus der Aussage, „Klientelismus lehnen wir
ab“ den reinen Hohn!
Und Widerstand?
Was sagt als zweitgrößte DGB-Gewerkschaft Konkurrent ver.di? ver.di
lehnt das Tarifeinheitsgesetz ab, weil es das „für den Wirtschaftsstandort
Deutschland so wichtige Instrument des Flächentarifvertrags“ schwächt, weil es „einen
schädlichen und fehlgeleiteten Wettbewerb zwischen Gewerkschaften und
Beschäftigten in Betrieben“ verursacht. Da haben wir‘s. Gefahr erkannt, aber
Thema verfehlt. Nicht der Wirtschaftsstandort Deutschland ist es, worum die
Werktätigen sich zu kümmern haben.
Insgesamt ist der Widerstand in den Betrieben und in der Arbeiterklasse
sehr klein und schwach – so als wäre in den Köpfen der Werktätigen (noch) nicht
angekommen, welch historischer Angriff auf das Streikrecht von den Herrschenden
mit diesem Gesetz gestartet wird.
Innerhalb der DGB-Gewerkschaften insbesondere bei ver.di gibt es
gewissen Widerstand, obwohl deren führende Funktionäre das Tarifeinheitsgesetz
befürworten. Offene Briefe und Unterschriftensammlungen wenden sich gegen den
Angriff auf das Streikrecht. Aber keinerlei wirkliche Kampfmaßnahmen werden
durchgeführt.
Am 18. April ruft das Aktionsbündnis „Hände weg vom Streikrecht – Für
volle gewerkschaftliche Aktionsfreiheit!“ zu einer BRD-weiten Demonstration
nach Frankfurt auf. Im Bündnis sind u.a. Initiative zur Vernetzung der
Gewerkschaftslinken, ATIF, FAU, TIE, ver.di-Linke. Und natürlich keine einzige
DBG-Gewerkschaft. Die Demonstration ist ein wichtiger Schritt Öffentlichkeit zu
schaffen. Aber der Aufruf ist leider handzahm. Nicht ein Wort der Kritik an der
schmählichen Rolle des DGB, der dieses Gesetz mitinitiiert hat. Nur wenn gegen
diese gelbe Gewerkschaftsführung gekämpft wird, kann der Kampf gegen das Gesetz
wirksam geführt werden.
Auf gewerkschaftsübergreifenden Konferenzen „Hände weg vom Streikrecht“
wurden gewerkschaftlichen Möglichkeiten diskutiert, auch mit dem Ergebnis, dass
Resolutionen und innergewerkschaftliche Debatten nicht reichen, um dieses
Gesetz zu stoppen! Hoffnung legen viele in eine Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts, dass das Tarifeinheitsgesetz gegen Artikel 9 Abs. 3
GG verstößt. Aber auch das reicht nicht, die Angriffe des Kapitals zu stoppen.
Das Streikrecht verteidigen! Dafür gilt es, sich in den Betrieben zu
organisieren und gemeinsam über Betriebs- und Gewerkschaftsgrenzen hinweg, uns
das Recht auf Streik zu nehmen.
Dieser Kampf bringt uns vorwärts auf dem Weg zu einer wirklich schlagkräftigen
Organisation der Arbeiterklasse: der kommunistischen Partei!
[1] Inwieweit z.B. dieser Vorgang rechtlich äußerst bedenklich ist, lässt sich in dem Gutachten von Prof. Dr. Wolfgang Däubler nachlesen (http://tinyurl.com/oqd6qrc)
[2] http://tinyurl.com/oqd6qrc
[3] Rolf Geffken, zitiert nach Abschlusserklärung der Konferenz „Hände weg vom Streikrecht“
[4] zitiert nach Daniel Behruzi, Schmierenkomödie erfolgreich, junge Welt, 17.11.2014
[5] Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer in Presse-Information Nr. 074/2014, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände – BDA
[6] BAG v. 28.01.1955, Az: GS 1/54 zitiert nach Rolf Geffken Tarifeinheit oder Streikrecht? Vortrag auf der Konferenz „Hände weg vom Streikrecht“ am 15.06.2014 in Frankfurt am Main
[7] zitiert aus der Vorstands-Mitteilung „Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Regelung der Tarifeinheit“, 11.11.2014
[8] zitiert nach junge Welt, 17.11.2014, S. 5