Recht auf Streik wahrnehmen

Am 5. März 2015 war der Entwurf für das so genannte „Tarifeinheitsgesetz“ aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BAMS) zum ersten Mal auf der Tagesordnung der Bundestagsdebatte. Den Gesetzentwurf hatte die Bundesregierung am 11. Dezember 2014 beschlossen. Am 21./22. Mai 2015 soll er in zweiter und dritter Lesung beraten und als Gesetz verabschiedet werden. Laut Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat dieses Gesetz „die Beendigung der Zersplitterung der Tariflandschaft“ zum Ziel.

Das hört sich doch gut an, Zersplitterung beenden! Tarifeinheit – klingt auch vielversprechend. Klingt nach Einheit, nach Geschlossenheit. „Tarifeinheit“ –erinnert an Flächentarif, an Einheitsgewerkschaft: „Eine Branche, ein Betrieb, ein Tarif!“ – guter Plan! Schluss mit prekären Arbeitsverhältnissen wie Leiharbeit, Werkverträgen zum Dumpingpreis auf der einen Seite und Normalarbeitsverhältnissen wie die der sogenannten Stammbelegschaften, auf der anderen. Endlich ein Gesetz, das denjenigen, die Profit aus den Betrieben ziehen, abverlangt, die ArbeiterInnen wenigstens nach einheitlichem Tarif zu entlohnt!

Pustekuchen! Weiter träumen ...

Jahrelang wurde eine Belegschaft nach der anderen für den Maximalprofit aufgeteilt, in Teilen ausgelagert – zersplittert. Fanden sich frisch entlassene Kollegen plötzlich an ihrem alten Arbeitsplatz mit einem Bruchteil ihres vorherigen Lohns als Leiharbeiter wieder. Unterschiedliche Tarifverträge in ein und demselben Konzern sind von Gewerkschaften und Betriebsräten akzeptiert worden, immer wieder mit dem leeren Versprechen der Beschäftigungssicherung. Vom befristeten Vertrag bis hin zu Arbeitsverhältnissen, die pure Tagelöhnerei sind, gibt es jede erdenkliche Steigerung kapitalistischer Ausbeutung.

In einer schier endlosen Abwärtsspirale stehen die Werktätigen in enormer Konkurrenz zueinander und werden immer weiter in diese Konkurrenz getrieben. Im reichsten Land Europas haben wir die Lage der Arbeiterklasse in Griechenland, Spanien oder Portugal vor Augen. Auch in Deutschland werden die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiterklasse durch die Angriffe des Kapitals stetig verschlechtert. Viele können ihre Existenz nur mit mehreren Jobs sichern, sind „arm trotz Arbeit“. Die Niedriglohnquote liegt in der BRD mittlerweile bei 24% und ist damit die höchste in Europa. (Wert aus der Solidaritätserklärung mit der GDL des wissenschaftlichen Beirats von attac vom 23.11.2014) Aktuell gelten rund 13 Millionen Menschen als arm, sie verfügen nach EU-Definition (eurostat) über weniger als 60% des Median(Mittelwert)einkommens, (für Alleinlebende derzeit ca. 976,- Euro). Vor diesem Hintergrund sehen sich Erwerbslose gezwungen, den Schikanen der Job-Center durch Annahme miesest entlohnter Jobs zu entkommen. Die Grenzen der Zumutbarkeit sind längst überschritten.

Wäre da ein Tarifeinheitsgesetz, dass der Zersplitterung der Belegschaften entgegenwirkt, nicht eine wünschenswerte Verbesserung – ein erster Schritt Richtung Gerechtigkeit? Könnte die gesetzlich fixierte Tarifeinheit nicht den durchlöcherten Flächentarif flicken helfen? … somit das Lohnniveau heben und stabilisieren, so dass jeder Arbeiter und jede Arbeiterin von ihrem Lohn wenigstens den Lebensunterhalt bestreiten kann.

Mal abgesehen davon, dass der Gesetzgeber nichts zu suchen hat bei Tarifangelegenheiten, ist der Hintergrund für das Tarifeinheitsgesetz – selbstredend – ein völlig anderer, als für Gerechtigkeit zu sorgen. Wer also glaubt, dass die Verabschiedung dieses Gesetzes auch nur einen Millimeter Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse bedeutet, wird schwer enttäuscht.

„Gegen“ die Zersplitterung der Belegschaften setzt dieses Gesetz in erster Linie den Angriff auf das Streikrecht.

Was aber ist das Streikrecht?

Wer im Grundgesetz der BRD nach dem Streikrecht sucht, wird enttäuscht. Es ist im „Grundrecht auf Koalitionsfreiheit“ verborgen: Artikel 9 Absatz 3 GG regelt die Freiheit zur Bildung von Koalitionen um eigene Interessen durchzusetzen:

„Das Recht zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet.“

Dieses Recht wäre ohne das Recht auf Streik völlig nutzlos. Denn ohne Streik – dem gemeinsamen Kampf für unsere Interessen – hätten die Unternehmer noch leichteres Spiel, die Arbeiterklasse ihrer Rechte und Errungenschaften zu berauben, Lohnkürzungen durchzusetzen und Lohnerhöhungen zu verhindern.

Für das Tarifeinheitsgesetz werden Paragraphen im Tarifvertragsgesetz und Arbeitsgerichtsgesetz eingefügt bzw. geändert.

Um Tarifeinheit im Betrieb zu erreichen sollen Tarifkollisionen, also unterschiedliche Tarifverträge für gleiche Beschäftigtengruppen, vermieden werden. Dazu wird festgelegt, dass in Zukunft das betriebsbezogene Mehrheitsprinzip gilt. Der Tag des Abschlusses des zuletzt vereinbarten Tarifvertrags ist Stichtag für die notariell festzustellende Mitgliederanzahl. [1] Da der Unternehmer liebstes Spiel auf dem Weg zum Maximalprofit die immer neue Umstrukturierung der Betriebe ist, kann man/frau sich ausrechnen, was diese Herren tun, wenn sie die gewerkschaftlichen Mehrheitsverhältnisse „genehm“ gestaltet wissen wollen.

Die IG Metall deutet das so: „Entscheidend ist die Mitgliedschaft im Betrieb. Die Beschäftigten selbst können durch ihre Entscheidung zur Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft bestimmen, welcher Tarifvertrag Anwendung findet.“

Wenn Tarifverhandlungen mit der Mehrheitsgewerkschaft aufgenommen werden, bekommt die Gewerkschaft mit der kleineren Mitgliederzahl das „Recht“, ihre Vorstellungen zu einem neuen Tarifvertrag dem Unternehmensvertreter mündlich(!) vorzutragen.

Für die Minderheitsgewerkschaft besteht ein so genanntes Nachzeichnungsrecht, das bedeutet, dass sie den von der Mehrheitsgewerkschaft ausgehandelten Tarifvertrag unterzeichnen darf.

Durch dieses Prinzip werden die Gewerkschaften sortiert: in solche, die streiken dürfen und solche, deren Forderungen maximal angehört aber weder diskutiert, noch verhandelt, geschweige denn mit Arbeitskampfmaßnahmen durchgesetzt werden dürfen. Das ist das Streikverbot durch die Hintertür. So offen steht es natürlich nicht in dem Gesetzesentwurf. Allerdings ist klar, dass ein Streik, der nicht einen Tarifvertrag zum Ziel hat (weil die Minderheitsgewerkschaft eben keinen eigenen haben darf) vom BAG (Bundesarbeitsgericht) für unverhältnismäßig, also nicht rechtens bewertet wird. So einfach funktioniert das mit dem Streikverbot.

Das ist ein Angriff auf unsere Organisierung in den Betrieben. Auf mehreren Ebenen. Es wird nicht so einfach sein, die Mitgliederstärke der Gewerkschaften festzustellen. Mal abgesehen davon, dass es grundsätzlich falsch ist, dem Gegner per Liste die genaue Kampfstärke mitzuteilen.

Außerdem behindert es die Tätigkeit von Gewerkschaften, wenn sie sich mit solch bürokratischen Hürden auseinandersetzen müssen. Die gewerkschaftliche Aktionsfähigkeit wird eingeschränkt.

Mehrere gewerkschaftsnahe Arbeitsrechtler stellen fest, dass das Tarifeinheitsgesetz rechtswidrig ist.

Prof. Dr. Wolfgang Däubler: „Der faktische Entzug des Rechts, Tarifverträge abzuschließen und dafür einen Arbeitskampf zu führen, stellt einen denkbar weitreichenden Eingriff dar, der nur noch durch ein Gewerkschaftsverbot übertroffen werden könnte.“ [2]

Rolf Geffken: „Zur Sicherung des Streikrechts gehört, dass man kampfbereiten jungen Gewerkschaften nicht durch Statusverfahren die Existenz zerstört oder ihre Gründung dadurch verhindert. Die Koalitionsfreiheit ist unteilbar. Wenn traditionelle Gewerkschaften aufgrund einer falschen Politik Mitgliederverluste erleiden, sollten sie durch eigene Aktivitäten einem solchen Trend entgegenwirken, nicht aber alternative Gewerkschaften durch juristische Mittel zu bekämpfen trachten. Solche Maßnahmen richten sich letztlich gegen die Kläger selbst.“ [3]

Nahles verriet in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 27.10.2014, dass sie mit diesem Gesetz auf gerichtliche Streikverbote setzt. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist ein Streik nur zulässig, wenn er einen Tarifvertrag zum Ziel hat. Mit der neuen Regelung, käme ja die Frage auf, ob ein Tarifvertrag einer Gewerkschaft überhaupt gültig wäre, da sie nicht die Mehrheit der Belegschaft organisiert. Nahles erklärte in o.g. Interview, dass die Arbeitsgerichte bei der Beurteilung eines Streiks „mit einbeziehen, ob der strittige Tarifvertrag überhaupt angewendet werden könnte“. Die Richter würden also „auch schauen, ob dieser spezielle Streik vor diesem Hintergrund verhältnismäßig“ sei. [4]

Bei der ersten Lesung im Bundestag verteidigte Nahles das Tarifeinheitsgesetz gegen Kritik als „verfassungsgemäß“. Das Recht der Arbeitnehmer, sich zusammen zu schließen sei nicht nur ein Freiheitsrecht. Solche Zusammenschlüsse müssten das Arbeitsleben auch ‚ordnen und befrieden‘.

Gegen aufmüpfige Gewerkschaften

Die Kämpfe von so genannten Spartengewerkschaften wie GDL (Gewerkschaft der Lokführer) oder Cockpit (Piloten Gewerkschaft) waren von Anfang an von einer medialen Hetze begleitet, die in diesem Maße und in der Breite als optimale Grundlage für das entsprechende gesellschaftliche Klima sorgte.

Einzelne in sogenannten Schlüsselfunktionen dürften nicht ein ganzes Land in Geiselhaft nehmen, um für sich Privilegien zu erstreiken. Dabei geht es einzig und allein darum, dass sie überhaupt streiken. Für die Herrschenden ist das Tarifvertragssystem ein System zur ‚Friedenssicherung‘ in den Betrieben. Dass die Lokführer, Piloten u.a. auf Konfrontationskurs gehen, stört dabei. Andere Gewerkschaften könnten von ihren Mitgliedern zu ähnlichem gedrängt werden. Nicht nur, dass damit Forderungen der ArbeiterInnen tatsächlich auch durchsetzbar sind. Der Streik ist eine mächtige Waffe des Proletariats. Je weniger gestreikt wird, umso sicherer können sich die Herrschenden ihrer Macht sein.

Also werden zur Zeit vor allem LokführerInnen, PilotInnen aber auch ErzieherInnen und LehrerInnen in den Medien runtergemacht. Das gesellschaftliche Klima wird gegen Streiks getrimmt. Von Erpressung ist die Rede, von Nötigung und unsolidarischem Verhalten auf Kosten anderer ArbeiterInnen, die ja unfreiwillig daran gehindert werden, ihrer Arbeit nachzugehen.

Diejenigen, die seit Jahrzehnten immer neue Angriffe auf erkämpfte Löhne und Rechte von ArbeiterInnen starten, die für den Maximalprofit Betriebe aufgliedern, den Flächentarif durchlöchern, Belegschaften zersplittern und in Konkurrenz zueinander bringen – die behaupten jetzt:

„Die Tarifeinheit stärkt die Solidargemeinschaft im Betrieb und verhindert die Zergliederung der Belegschaften. Arbeitgeber, Betriebsräte müssen auf einer verlässlichen Grundlage zusammenarbeiten können. Wenn die Arbeit im Betrieb laufend durch Einzelinteressen torpediert werden kann, funktioniert der Solidarverbund nicht mehr.

Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen sich während der Geltung eines Tarifvertrags auf seine Ordnungs- und Befriedungsfunktion verlassen können. Völlig zu Recht bestimmt der Gesetzentwurf deshalb, dass bei der Verhältnismäßigkeit von Arbeitskämpfen der Grundsatz der Tarifeinheit zu berücksichtigen ist. Die Tarifeinheit schützt und sichert die Koalitionsfreiheit in Deutschland.“  [5]

Klar und deutlich: Streiks sind unerwünscht. Selbstverständlich sind das keine „Einzelinteressen“, die die „Arbeit im Betrieb torpedieren können“...

Dieser Angriff auf das Streikrecht mit Hilfe des Tarifeinheitsgesetzes kam nicht erst mit Arbeitgeberpräsidenten Kramer, Arbeitsministerin Nahles, DGB-Chef Hoffmann und anderen Vertretern bzw. Handlangern der Herrschenden auf die Tagesordnung.

„Streikrecht ist in Deutschland Richterrecht“ – Rückblick

Das heißt nichts anderes, dass seit Bestehen des Grundgesetzes, Arbeitsgerichte entscheiden, ob ein Streik „legitim“ ist. Das so genannte „Sozialaquädanz“-Urteil stellt klar: „Streiks sind im Allgemeinen unerwünscht, weil sie volkswirtschaftliche Schäden hervorrufen.“ [6]

So wurde im Lauf der Jahrzehnte nach und nach über Urteile des Bundesarbeitsgerichts das Streikrecht herausgearbeitet. Die einfache Formel, dass ein Grundrecht nur dann eingeschränkt werden darf, wenn es Grundrechte anderer beeinträchtigt, ist hier im Sinne der Kapitalinteressen sehr gedehnt worden. Ein Streik muss, um legitim zu sein, als Ziel eine tarifvertragliche Vereinbarung haben, muss verhältnismäßig sein.

Aber selbst das reichte den Herrschenden natürlich nicht. Im BDA-Beschluss „Für eine neue Balance in der modernen Tarifautonomie“ 15.09.2003 plädieren sie für die Beschränkung des Streikrechts:

„In der Vergangenheit haben spezialisierte Minderheiten mit Streiks oder Streikdrohungen ganze Betriebe lahm gelegt oder deren Lahmlegung angedroht. Beispiele dafür sind die Streiks von Cockpit bei der Lufthansa oder die Streikdrohung der Gewerkschaft der Lokomotivführer bei der Deutschen Bahn. Ohne in den Kernbereich der Koalitionsfreiheit des Grundgesetzes einzugreifen, müssen solche Streiks spezialisierter Minderheiten, die Schlüsselkräfte für den ganzen Betrieb sind, verhindert werden, wenn dadurch der Betrieb weitgehend oder darüber hinaus sogar weitere Betriebe lahm gelegt werden. Streiks dürfen nicht von einer kleinen Minderheit geführt oder angedroht werden, wenn mit ihnen ein Ziel durchgesetzt werden soll, das nur dieser Minderheit zugutekommen soll, die übrige Belegschaft aber durch den Arbeitskampf die Möglichkeit verliert, ihrer Beschäftigung nachzugehen. Solche Streiks sind unverhältnismäßig und werden durch das Grundgesetz nicht geschützt.“

Europäischer Großangriff

Doch zurück zum Tarifeinheitsgesetz und den Hintergründen bzw. früheren Ansätzen:

Das ist nicht nur ein nationaler Angriff auf GDL und Kollegen, sondern Teil von „Europa 2020“. Im Rahmen dieser EU-Strategie für „intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum“ starten die Interessenvertreter des europäischen Kapitals einen Großangriff auf die Tarifvertragssysteme. Abbau von Hindernissen prekärer Beschäftigung, Abschaffung von tariflichen Schutzbestimmungen, Abbau von Flächentarifen zugunsten von Haustarifen und betrieblichen Vereinbarungen, Ausbau des Niedriglohnsektors, Stopfung der Löcher in den öffentlichen Haushalten durch Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst. Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit durch Verringerung der Lohn- und Lohnstückkosten. Reform der Tarifvertragssysteme, die den Kapitalisten ermöglichen Tarifstandards zu unterlaufen, wenn die Bedingungen es erfordern... und was sonst noch auf der Wunschliste der herrschenden Klasse steht.

Die Auswirkungen sind schon da. Einsatz von Militär gegen Streikende. Massive Beschränkungen von Arbeiterrechten in Europa weiten sich aus.

Hier fügt sich die Gesetzesvorlage zum Tarifeinheitsgesetz in das Europa-Programm der deutschen Kapitalisten ein.

Angriffe auf breiter Front

Und es gibt weitere Ideen, die Rechte der Werktätigen zu beschränken.

Konkreter Angriffspunkt sind vor allem Streiks in der so genannten „Daseinsvorsorge“. Es wird munter an Gesetzesvorlagen formuliert. Die Carl Friedrich von Weizsäcker Stiftung hatte schon 2012 einen entsprechenden Plan, dessen Linie die CSU in ihrem Vorschlag „Für ein modernes Streikrecht“ vom 26. Januar 2015 fast zu Hundert Prozent übernommen hat. Streik geht nach deren Vorstellung, wenn überhaupt, nur mit Ankündigungsfristen, vorgeschalteter Zwangsschlichtung, verbindlichen schriftlichen Streikplänen, streng reglementierter Urabstimmung und anderen „modernen“ Angriffen auf das Streikrecht.

Das BAG-Urteil vom 23. Juni 2010 stellt fest, dass die seit 1957 praktizierte Rechtsprechung, wonach nur der jeweils speziellere Tarif ungeachtet der jeweiligen Gewerkschaftszugehörigkeit angewendet wird, nicht mehr gültig ist. Damit ist klar, dass in einem Betrieb auch für die selben Beschäftigtengruppen unterschiedliche Tarifverträge gelten können, je nachdem in welcher Gewerkschaft die ArbeiterInnen organisiert sind.

DGB Hand in Hand mit dem Kapital!

Im Juni 2010 startete eine gemeinsame Gesetzesinitiative vom Bundesverband Deutscher Arbeitgeberverbände (BDA) und DGB zur „Wiederherstellung der Tarifeinheit“. Nach Protesten aus der Basis zog sich der DGB zurück. Damit war das Thema nicht erledigt. Im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD steht: „Um den bestehenden Koalitions- und Tarifpluralismus in geordnete Bahnen zu lenken, wollen wir den Grundsatz der Tarifeinheit nach dem betriebsbezogenen Mehrheitsprinzip unter Einbindung der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber gesetzlich festschreiben. Durch flankierende Verfahrensregeln wird verfassungsrechtlich gebotenen Belangen Rechnung tragen.“

Bundeskongress DGB Mai 2014: Abschlussrede Vorsitzender Reiner Hoffmann:

„Jetzt wissen wir alle, was die Schwarz-Rote Koalition im Koalitionsvertrag vereinbart hat. Sie will die Tarifeinheit stärken. Da kann ich sagen: Dieses politische Ziel werden wir natürlich nachhaltig unterstützen. Wir brauchen eine Stabilisierung der Tarifeinheit. Wenn die Große Koalition uns dabei helfen will, dann nehmen wir dieses Angebot zur Hilfe natürlich an.“

Noch Fragen? Der DGB als Verband erfüllt seine Rolle als Handlanger des Kapitals. Punkt. Nichts anderes haben wir erwartet. Wir schätzen die DGB-Gewerkschaften als gelbe Gewerkschaften ein – mit Kapital und Staat eng verflochten. Für diese Gewerkschaften ist es im Zweifelsfall immer wichtiger, den Interessen eines Unternehmens zu dienen, als die der ArbeiterInnen zu verteidigen.

Nun ein Blick auf die Spaltung in der Frage des Tarifeinheitsgesetzes innerhalb des DGB: ver.di, NGG und GEW stellen sich gegen den DGB-Vorstand, vor allem die Industriegewerkschaften aber verteidigen die Gesetzesinitiative.

IG-Metall – Vorreiter

Die Haltung und Rolle der IG Metall greifen wir hier beispielhaft heraus. Unserer Einschätzung nach will die IGM das Tarifeinheitsgesetz für die Stärkung ihrer Position innerhalb des DGB nutzen. Sie geht hier in die offene Konkurrenz zu ver.di. Angesichts schrumpfender „Stammbelegschaften“ in der Autoindustrie verfolgt die IGM eine neue Strategie für die Mitgliederwerbung. Sie erklärt kurzerhand alles zu ihrem „Revier“, was zur Wertschöpfungskette eines Endprodukts gehört. Das sind dann auch die mit Hilfe von IGM-Betriebsräten „ausgelagerten“ Kollegen z.B. in der Industrielogistik. Was zählt sind Gewerkschaftsmitglieder als Beitragszahler. Der Gewerkschaftsapparat muss ja irgendwie finanziert werden. Ob dann überall der Metall-Tarif gilt? Mitnichten! So etwas müsste solidarisch mit allen Beschäftigtengruppen erkämpft werden und das ist nicht die Politik der IG Metall, wie wir sie seit Jahrzehnten erleben und wie das Kapital sie zu schätzen weiß. Und das ist es, was letztendlich zählt: Für die Klassenzusammenarbeit nimmt die IGM vorbildlich ihre Aufgaben der Befriedung der Betriebe wahr. Kämpferische Spartengewerkschaften und evtl. häufigere Tarifauseinandersetzungen oder gar Streik stören da nur!

Der IG Metall-Vorstand bewertet große Teile des Tarifeinheitsgesetzes als uneingeschränkt positiv. Gelb ist gar kein Ausdruck für diese Lobhudelei: „Die Auflösung möglicher Tarifkollisionen nach dem Mehrheitsprinzip ist zu begrüßen. Für uns gilt der Grundsatz „Ein Betrieb – eine Gewerkschaft – ein Tarifvertrag“ nicht nur aufgrund historischer Erfahrungen. Wir begreifen Tarifautonomie als das solidarische Eintreten aller Beschäftigtengruppen füreinander. Klientelismus lehnen wir ab.“  [7]

„Grundsätzlich kann jede Gewerkschaft ihre Tarifforderungen erheben und gegebenenfalls auch im Wege des Arbeitskampfes durchsetzen. Erst wenn mehrere Tarifverträge tatsächlich bestehen, stellt sich die Frage nach der Mehrheit.“ (s.o.) Laut IGM-Vorstand ist damit die Tarifpluralität gewahrt. Jörg Hoffmann behauptet in der Tageszeitung „Die Welt“ sogar: „Die Belegschaft kann sich mehrheitlich aussuchen, wer sie vertritt und der Tarifvertrag, der auf diesem Wege politisch legitimierten Gewerkschaft erlangt Geltung.“ [8]

Das Streikrecht sieht die IGM im Übrigen nicht angetastet: „Der Gesetzentwurf enthält keine Regelungen zum Arbeitskampf. Insbesondere ist keine Erstreckung der Friedenspflicht aus einem anderen Tarifvertrag auf Andersorganisierte vorgesehen.“ (s.o.)

Im Gesetz müsse für die IGM das Nachzeichnungsrecht deutlich so geregelt sein, dass Möglichkeiten zur Besserstellung von Mitgliedern der Mehrheitsgewerkschaft erhalten bleiben (s.o.) Klientelismus lehnen wir ab???

Ohne die bei der IGM offenbar gut ausgeprägte Bereitschaft zur Klassenzusammenarbeit wäre manch fauler Kompromiss, der die Spaltungen der Belegschaften vorantrieb, nicht zustande gekommen. Das Pforzheimer Abkommen ermöglicht seit 2004 ganz offiziell das Abweichen vom Flächentarif, wenn es einem Betrieb wirtschaftlich „schlecht“ geht. (Beschäftigungssicherung heißt das Zauberwort). Mit der IG Metall konnten X Betriebe ihre Struktur noch profitträchtiger organisieren. Auslagerungen verhindern? Nicht mit der IG Metall! Die „gestaltet“ lieber:

„Leiharbeit fair gestalten“ ist seit Jahren die Parole, mit der sich die IGM deutlich auf die Seite der (noch) zahlreichen Kollegen der „Stammbelegschaften“ der Automobilindustrie schlägt, anstatt ihre rund 2,3 Millionen Mitglieder für ein Verbot von Leiharbeit zu mobilisieren. Von wegen: Für uns gilt der Grundsatz

„Ein Betrieb –eine Gewerkschaft –ein Tarifvertrag“.

In erster Linie bestimmen die mächtigen Automobil-Betriebsräte die Politik der IG Metall. Sie handeln im Sinne ihrer so genannten Stammbelegschaften. Auch das macht aus der Aussage, „Klientelismus lehnen wir ab“ den reinen Hohn!

Und Widerstand?

Was sagt als zweitgrößte DGB-Gewerkschaft Konkurrent ver.di? ver.di lehnt das Tarifeinheitsgesetz ab, weil es das „für den Wirtschaftsstandort Deutschland so wichtige Instrument des Flächentarifvertrags“ schwächt, weil es „einen schädlichen und fehlgeleiteten Wettbewerb zwischen Gewerkschaften und Beschäftigten in Betrieben“ verursacht. Da haben wir‘s. Gefahr erkannt, aber Thema verfehlt. Nicht der Wirtschaftsstandort Deutschland ist es, worum die Werktätigen sich zu kümmern haben.

Insgesamt ist der Widerstand in den Betrieben und in der Arbeiterklasse sehr klein und schwach – so als wäre in den Köpfen der Werktätigen (noch) nicht angekommen, welch historischer Angriff auf das Streikrecht von den Herrschenden mit diesem Gesetz gestartet wird.

Innerhalb der DGB-Gewerkschaften insbesondere bei ver.di gibt es gewissen Widerstand, obwohl deren führende Funktionäre das Tarifeinheitsgesetz befürworten. Offene Briefe und Unterschriftensammlungen wenden sich gegen den Angriff auf das Streikrecht. Aber keinerlei wirkliche Kampfmaßnahmen werden durchgeführt.

Am 18. April ruft das Aktionsbündnis „Hände weg vom Streikrecht – Für volle gewerkschaftliche Aktionsfreiheit!“ zu einer BRD-weiten Demonstration nach Frankfurt auf. Im Bündnis sind u.a. Initiative zur Vernetzung der Gewerkschaftslinken, ATIF, FAU, TIE, ver.di-Linke. Und natürlich keine einzige DBG-Gewerkschaft. Die Demonstration ist ein wichtiger Schritt Öffentlichkeit zu schaffen. Aber der Aufruf ist leider handzahm. Nicht ein Wort der Kritik an der schmählichen Rolle des DGB, der dieses Gesetz mitinitiiert hat. Nur wenn gegen diese gelbe Gewerkschaftsführung gekämpft wird, kann der Kampf gegen das Gesetz wirksam geführt werden.

Auf gewerkschaftsübergreifenden Konferenzen „Hände weg vom Streikrecht“ wurden gewerkschaftlichen Möglichkeiten diskutiert, auch mit dem Ergebnis, dass Resolutionen und innergewerkschaftliche Debatten nicht reichen, um dieses Gesetz zu stoppen! Hoffnung legen viele in eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass das Tarifeinheitsgesetz gegen Artikel 9 Abs. 3 GG verstößt. Aber auch das reicht nicht, die Angriffe des Kapitals zu stoppen.

Das Streikrecht verteidigen! Dafür gilt es, sich in den Betrieben zu organisieren und gemeinsam über Betriebs- und Gewerkschaftsgrenzen hinweg, uns das Recht auf Streik zu nehmen.

Dieser Kampf bringt uns vorwärts auf dem Weg zu einer wirklich schlagkräftigen Organisation der Arbeiterklasse: der kommunistischen Partei!

 21. März 2015



[1]     Inwieweit z.B. dieser Vorgang rechtlich äußerst bedenklich ist, lässt sich in dem Gutachten von Prof. Dr. Wolfgang Däubler nachlesen (http://tinyurl.com/oqd6qrc)

[2]     http://tinyurl.com/oqd6qrc

[3]     Rolf Geffken, zitiert nach Abschlusserklärung der Konferenz „Hände weg vom Streikrecht“

[4]     zitiert nach Daniel Behruzi, Schmierenkomödie erfolgreich, junge Welt, 17.11.2014

[5]     Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer in Presse-Information Nr. 074/2014, Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände – BDA

[6]     BAG v. 28.01.1955, Az: GS 1/54 zitiert nach Rolf Geffken Tarifeinheit oder Streikrecht? Vortrag auf der Konferenz „Hände weg vom Streikrecht“ am 15.06.2014 in Frankfurt am Main

[7]     zitiert aus der Vorstands-Mitteilung „Stellungnahme zum Gesetzentwurf zur Regelung der Tarifeinheit“, 11.11.2014

[8]     zitiert nach junge Welt, 17.11.2014, S.5