Mehr Streikkämpfe in dieser Republik – immer vorwärts, nimmer zurück!
KollegInnen der Universitätsklinik Charitè, Bahn, Post sowie Sozial- und
ErziehungsarbeiterInnen … sorgten in den vergangenen Monaten in der BRD für
Schlagzeilen und tun es noch!
Jeder dieser Streiks war in der heutigen Zeit etwas besonderes,
unterschied sich von üblichen Tarifritualen, wie wir sie z.B. unter Beteiligung
der IG Metall auch dieses Jahr gleich drei Mal hintereinander (Metall- und
Elektroindustrie, KFZ-Handwerk und Holz- und Kunststoff) erleben mussten.
Jeder der Streiks, die wir in diesem Artikel kurz beleuchten, hatte eine
politische Komponente:
Nicht nur für ökonomische Verbesserungen ihrer Lage, für Lohnerhöhungen,
sondern auch für weitergehende Forderungen zogen die KollegInnen in den
Arbeitskampf. Ohne hier jedes Detail zu analysieren, laden wir die LeserInnen
ein, sich diese besonderen Kämpfe näher anzusehen und auch über diesen Artikel
hinaus Fakten zu sammeln und Schlüsse für die revolutionäre Arbeit zu ziehen.
Charité-Streik Berlin
KollegInnen der Charité in Berlin besetzen sicher eine Sonderrolle. Sie
streikten nicht für höhere Löhne, sondern für mehr Personal und ihnen gelang
nach einer harten über Jahre gehenden Auseinandersetzung, die mit 11 Tagen
Streik ab dem 22. Juni 2015 ihren Höhepunkt fand, verbindliche Zusagen zu
Personalquoten und Mindestpersonal zu erstreiten. Schon der Beginn dieses
Arbeitskampfs ist für die Arbeiterklasse ein Meilenstein. Mit der gerichtlichen
Durchsetzung des Streiks wurde tatsächlich ein Fortschritt für das Streikrecht
erstritten, wurde doch durch das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
festgestellt, dass der Charité-Streik für einen Tarifvertrag zur
Personalmindestbemessung auf einzelnen Stationen rechtens ist.
Die Charité steht symbolisch für den Pflegenotstand im
Gesundheitssystem. Seit der Privatisierung von Gesundheitsleistungen und den
Folgen, konzentrieren sich Krankenhausleitungen auf den Profit anstatt auf das
Wohl der PatientInnen, oder die Belastbarkeit der KrankenpflegerInnen. Die
Krankenkassen bezahlen die Krankenhäuser nach Fallpauschale. Dort werden
Krankheitsfälle unterschieden zwischen lukrativ und „Minusgeschäft“. Der Mensch
spielt in dieser Zahlenwelt keine Rolle.
Die Anzahl der Behandlungsfälle steigt kontinuierlich: Nach Angaben des
Statistischen Bundesamts seit Mitte der 1990er um mehr als 10 Prozent, während
mehr als 40 000 Stellen in der Pflege abgebaut wurden. In bundesdeutschen
Krankenhäusern fehlen laut einer ver.di-Umfrage 162 000 Stellen, davon rund 70 000
in der Pflege. Krankenhäuser funktionieren inzwischen wie Fabriken. Hier heißt
die Stückzahl Fallzahl – Rationalisierung für die schwarzen Zahlen ist
Arbeitsverdichtung am Krankenbett. Die Folge Personalnotstand: Das bedeutet im
Klartext bei der Charité, dass z.B. in der Nachtschicht eine Pflegekraft für
ca. 25 frisch Operierte zuständig ist. Tagsüber kommen auf eine Pflegekraft bis
zu zwölf PatientInnen auf Station. Gespräche? Keine Zeit. Pflege wie am Band
geht auf Kosten der Gesundheit. Rund 800 Anzeigen der Werktätigen bei der
Klinikleitung, dass entweder ihre oder die Gesundheit der PatientInnen wegen
akuten Personalmangels gefährdet sei, wurden von ver.di allein im ersten
Halbjahr 2015 gezählt.
Seit fast drei Jahren war die ver.di-Gruppe der Charité mit der
Klinikleitung in Verhandlung – ohne Ergebnis. Nach dem letzten Tarifabschluss
mit Lohnerhöhungen befragten die ver.di-Aktiven ihre KollegInnen, was in einer
kommenden Tarifauseinandersetzung am wichtigsten durchzusetzen wäre. Die
eindeutige Antwort: MEHR PERSONAL! Also gingen es Betriebsrat und Gewerkschaft an,
zunächst auf dem Verhandlungsweg.
2013 flüchtete die Klinikleitung in die Schlichtung, nachdem wegen
ergebnisloser Verhandlungen Warnstreikaktionen durchgeführt worden waren. Sie
musste daraufhin 80 Vollzeitstellen einrichten – ein Tropfen auf den heißen
Stein. Ende 2014 war im Jahresbericht der Charité Stellenvernichtung
nachweisbar! Wieder kam es zu Verhandlungen und einem Warnstreik im Februar
2015, ohne dass die Klinik-Bosse eingelenkt hätten. Der unbefristete Streik war
unumgänglich.
Solidarität mit den Klinikbeschäftigten gab es von Anfang an von vielen
Seiten. Patientenvertreter, Mediziner und Tausende von Kommentaren im Internet
bekundeten Unterstützung und Solidarität.
Wie geht das: Streik im Krankenhaus?
Bei der Charité nutzt ver.di für den Arbeitskampf das
Fallpauschalensystem aus. Streik bedeutete früher, dass ver.di mit der
Klinikleitung eine Notdienstvereinbarung abschloss, bei der in der Regel bei
reduziertem Personal (z.B. Wochenendbesetzung) die gleiche Arbeit erledigt
wurde – das hatte kaum wirtschaftliche Folgen für die Klinik. Die
Charité-KollegInnen entwickelten ein neues Streikkonzept. Sie schlossen
Stationen und sperrten Betten. Es konnten keine neuen PatientInnen aufgenommen
und freie Betten nicht mehr belegt werden. Dadurch wurden gezwungenermaßen z.B.
Operationen abgesagt. Von 3 000 Betten war im Streik nur jedes dritte Bett
belegt. Selbstverständlich wurden medizinische Notfälle auch während des
Streiks versorgt. Der Klinik-Vorstand musste deutliche finanzielle Einbußen
hinnehmen, womit die KollegInnen das nun verabschiedete Eckpunkte-Papier für
einen Tarifvertrag „Gesundheitsschutz und Demografie“ erkämpften. In dem Papier
sind alle Forderungen der Belegschaft enthalten! Beispielsweise sind
verbindliche Personalquoten für die Stationsbelegung und Notfallregelungen bei
Personalnotstand enthalten. Das ist einmalig! Auch wenn der Tarifvertrag noch
nicht ausformuliert ist, dieses Ergebnis ist ein riesiger Erfolg! Respekt für
die Kolleginnen und Kollegen!
Stichwort ver.di Schon seltsam – der SozialarbeiterInnen- und
ErzieherInnenstreik wird geschlichtet und die KollegInnen werden von Bsirske
fast schon genötigt, einen katastrophalen Schlichterspruch anzunehmen. Die
Postler müssen nach Vollbremsung durch die Gewerkschaft, die den Streik ohne
Urabstimmung beendete, einen faulen Kompromiss und weitere Spaltungslinien in
der Belegschaft hinnehmen. Der GDL-Streik wird torpediert, aber bei der Charité
erleben wir ein Beispiel von Gewerkschaftsdemokratie, wie längst nicht mehr für
möglich gehalten. Nicht ver.di ist verantwortlich für die gute Organisierung der
Charité-KollegInnen. Ihr Konzept, dass nicht ver.di-Funktionäre über Inhalt,
Lage und Dauer ihres Streiks entscheiden, haben sich die Kollegen mit ihren
VertreterInnen selbst geschaffen. In der Charité werden Gewerkschaftsmitglieder
als TarifberaterInnen bei allen den Arbeitskampf betreffenden Diskussionen hinzugezogen.
Dass hier ein Streik ohne Urabstimmung beendet wird (wie bei der Post) derzeit
unvorstellbar! |
Bahnstreik
Die in der GDL organisierten LokführerInnen kämpften für höhere Löhne,
aber auch um bessere Arbeitsbedingungen – z.B. familienfreundliche
Arbeitszeiten. Das Zentrale an ihrem Arbeitskampf war aber der Kampf um das
Recht, sich in der Gewerkschaft zu organisieren und mit der Gewerkschaft für
ihre Rechte zu kämpfen, die die KollegInnen wollen. Ihr Streik nahm die
Dimension des Kampfs gegen das Tarifeinheitsgesetz an. Das Tarifeinheitsgesetz
(dazu ausführlich: Trotz alledem, Nr. 69, S. 27 bis 32) ist genau darauf
ausgerichtet, dass an Mitgliedern eher schwächere Berufsgewerkschaften, so
genannten „Klientelgewerkschaften“, (wie die GDL) das Recht auf Streik geraubt
wird. Hartnäckig kämpften die GDLer trotz Verleumdungen und Hetze durch Medien
und Politik.
Am 1. Juli 2015 wurde nach fast einem Jahr der Streik der in der GDL
organisierten Lokführer durch einen Schlichterspruch wenigstens zum Teil
erfolgreich beendet. Um bis 2017 über eine Million Lokführer-Überstunden
abzubauen, werden 300 Lokführer und zusätzlich noch 100 Zugbegleiter
eingestellt. In Zukunft gibt es eine Grenze von 80 Überstunden im Jahr, selbst
wenn der Betriebsrat weitere Mehrarbeit vereinbart, können die GDLer diese
ablehnen. Angeblich 500 Millionen Euro hat der Arbeitskampf die Bahn gekostet.
420 Streikstunden liegen hinter den KollegInnen und viele Monate, in denen sie
aufs Dreckigste beschimpft und als privilegierte Egoisten hingestellt wurden,
die auf Kosten anderer das Beste nur für sich rausholen wollen. Mehr Geld gibt
es auch und vor allem die Garantie, dass bis 2020 die GDL bei allen
Tarifauseinandersetzungen mit am Tisch sitzt, trotz Tarifeinheitsgesetz. Das
wird bis zum Ende dieser Regelung vielleicht schon vom Bundesverfassungsgericht
kassiert worden sein, wie einige Arbeitsrechts-Juristen annehmen.
Der GDL-Streik ist vorbildlich als Kampf gegen ein Gesetz, das unser
aller Streikrecht angreift, das Tarifeinheitsgesetz.
Poststreik
Solidaritätsbekundungen aus x Ländern für den Kampf der
Post-KollegInnen: Kenia, Indiens Westen, Osten und Süden. Aus Hawaii, Schweden,
Chile … das kann man schön ansehen auf der „solidaritäts-map“ auf der homepage
der Internationalen Transportarbeiter Föderation (ITF). Tatsächlich sind es in
erster Linie Solidaritätsschreiben, die die kämpfenden PostlerInnen
unterstützen und Kraft geben sollten.
„Wir haben gewonnen!“ steht in drei Sprachen auf dieser Seite beim
Stichwort DHL – Poststreik. Und tatsächlich wird das Einknicken von den
ver.di-Bonzen als Sieg verkauft. Das kennen wir... Dennoch unterscheidet sich
der Poststreik von anderen Tarifritualkämpfen, wie z.B. der IG Metall für
höhere Löhne in der Metall- und Elektroindustrie März 2015: Tausende Kollegen
bei einigen Warnstreiks, ein paar Kundgebungen, Verhandlungsmarathon,
Kompromiss – the same procedure as every year... (dieselbe Prozedur wie jedes
Jahr). Verraten und verkauft im Regen stehen gelassen.
Der Kampf der Postkollegen ist hervorzuheben, nicht nur weil mit
Erzwingungsstreik versucht wurde, die Forderungen durchzusetzen, sondern auch,
weil es eben nicht nur um höhere Löhne ging, sondern auch darum, die Post AG zu
zwingen, Vertragsbruch zurückzunehmen: Trotz vereinbartem Schutz vor
Fremdvergabe hatte der Postvorstand im Januar 2015 den Paketzustelldienst de
facto ausgelagert und 49 Regionalgesellschaften, unter der Firmierung DHL
Delivery GmbH, gegründet – ohne Information an Betriebsräte oder Gewerkschaft.
Mehr als 5 000 Kollegen sind von der Post AG bisher zur DHL Delivery gegangen.
Ehemals Befristete wurden vor die „Wahl“ gestellt. Entweder Delivery oder
erwerbslos.
Bis zu 30% Lohneinbußen muss ein Kollege hinnehmen für die Gnade,
weiterhin einen Arbeitsplatz zu haben. Aber auch nur „bei Eignung“ - mit
befristetem Vertrag geschuftet bis zum Umfallen und dann auf „Eignung“ geprüft...
das ist übliche Praxis nicht nur bei der Post AG.
Die Belegschaft der Post wird zersplittert und immer weiter in den
Bereich „Arm trotz Arbeit“ gezwungen. Ver.di Baden-Württemberg benennt in einer
Broschüre zur Gründung der DHL Delivery ungewohnt deutlich die Zunahme der
Verteilungskämpfe (www.psl-bawue.verdi.de). Die Postler sehen sich besonders
seit Beginn der Umstrukturierung für die Privatisierung des ehemaligen
Staatskonzerns immer schärferen Angriffen ausgesetzt. Erbarmungslose
Arbeitsverdichtung in den Briefzentren und bei den Zustellern, Zersplitterung
der Belegschaften durch unterschiedlichste Arbeitsverträge inklusive
Lohngefälle für die gleiche Arbeit, Angriffe auf Pausen und Arbeitszeiten,
Lohnkürzungen sind an der Tagesordnung – mit dem alt bekannten Drohszenario: Im
Wettbewerb müsse die Post AG besser werden, damit die Arbeitsplätze sicher
bleiben. Ja, es gibt eine Konkurrenz auf dem Brief- und Paketmarkt. Allerdings
geht es den Postkapitalisten mitnichten um die Sicherung der Arbeitsplätze als
vielmehr um die Maximierung ihrer Rendite. Postchef Appel konnte sich, ohne mit
der Wimper zu zucken, sein Einkommen um 21 Prozent auf 9,6 Millionen Euro
erhöhen, während die Belegschaft zum wiederholten Male zur Kasse gebeten wird.
Lohnerhöhungen von mickrigen zwei Prozent ab Oktober 2016 und 1,7 Prozent ab
Oktober 2017, wie jetzt abgeschlossen, sind angesichts dieser Praxis schier
unglaublich. Umso mehr beglückwünschen wir die über 32 000 Postler, die vom 8. Juni
2105 an vier Wochen im Streik gegen diese Herren waren. Diese Herren, die mit
Lügenpropaganda und illegalen Streikbruchmaßnahmen, alles versuchten, um die
PostlerInnen von ihrem berechtigten Arbeitskampf abzuhalten.
Für den Schutz vor Fremdvergabe verzichteten die Post-KollegInnen z.B.
auf einen Teil ihrer bezahlten Pausen, freie Arbeitstage, Überstundenzuschläge.
Das Unternehmen konnte unverschämt diesen Vertrag brechen. Um das einigermaßen
auszugleichen: Kampf für Arbeitszeitverkürzung von 38,5 auf 36 Stunden in der
Woche bei vollem Lohnausgleich – grundsätzlich keine schlechte Idee (vor allem,
wenn gleichzeitig eine Grenze für Arbeitsverdichtung durchgesetzt werden kann).
Auch die Kollegen, die jetzt schon bei Delivery sind, sollten zurück unter das Dach
des Haustarifvertrags. Dafür wurde im letzten Kompromisspaket von ver.di sogar
angeboten statt der linearen Lohnerhöhung nur eine Einmalzahlung hinzunehmen …
Aber daraus wurde nichts. Konzernchef Appel und die Verhandlungsführer des
Postkonzerns richteten sich ganz nach den Interessen der Kapitalistenklasse.
Der Chef der Bundesvereinigung Deutscher Arbeitgeber (BDA), Ingo Kramer, hatte
Postchef Appel öffentlich dazu gedrängt, in diesem Thema keine Zugeständnisse
zu machen. Das wäre ja auch ein Zeichen gewesen und hätte vielleicht Schule
gemacht – z.B. in Industriebetrieben, wo der Maximalprofit mit fortschreitender
Aufteilung der Arbeitsprozesse – sprich Auslagerung, Leiharbeit, Werkverträge
usw. – erreicht werden soll.
Nein, ein gutes Ergebnis gab es für diesen hartnäckigen Kampf nicht. Und
ver.di ist trotz kämpferischen Ansagen genauso ein Einknickverein wie es alle
DGB-Gewerkschaften eben sind, um als Handlanger des Kapitals gerne gesehen zu
sein. Es gilt, unsere eigene Erfahrung und Kampfkraft nicht von den
Gewerkschaftsbonzen klein reden zu lassen. Ob mehr drin gewesen wäre? Das lässt
sich schwer beantworten. Sicher ist, dass der Kampf gegen Fremdvergabe
beispielhaft ist und dass auch ArbeiterInnen anderer Branchen aus diesem Kampf
lernen können. Sicher ist, dass gemeinsame Kämpfe weiter ausgebaut werden
müssen. Die vereinzelt gemeinsamen Aktionen mit z.B. den amazon-Kollegen oder
die gemeinsame Demonstration mit den Charité-Streikenden sind ein Anfang. So
müssen wir weitermachen! Der Kampf ist nicht zu Ende – Die Post AG will bis
2020 fünf Milliarden Euro Profit machen: Acht Prozent Gewinnsteigerung in jedem
Jahr! Das geht im Sendungs-, Transport- und Logistikgeschäft nur auf Kosten der
ArbeiterInnen. Runter mit den Löhnen – Rauf mit der Rendite ist unverhohlen das
Motto der Post AG.
Der Post-Streik hatte im Ansatz die richtige Richtung – gegen weitere
Spaltung der Belegschaft zu kämpfen. Lasst uns das weiter voran treiben.
Verlassen wir uns nicht auf die Gewerkschaft, die immer dann, wenn es ernst wird
auf einmal gar nicht mehr so deutlich und konsequent den Kampf zu Ende bringen
wollen. Die Entscheidung über „weiter streiken oder nicht“ denen zu überlassen
– ein Fehler, den wir nicht wiederholen dürfen. Für unsere Kämpfe organisieren
wir uns besser selbst in Kampf- und Streikkomitees. (dazu: Trotz alledem Nr. 56:
Betriebsleitfaden S. 3 bis 15)
Streikbruch á la Post: Der widerrechtliche Einsatz von Beamten als
Streikbrecher. Per Gericht wurde dies sogar erlaubt, wenn die Betreffenden
freiwillig, dazu bereit waren. 100 Euro zusätzlich und bar auf die Hand für Sonntagszustellung, um die
liegen gebliebenen Postmassen zu minimieren, haben leider so manchen zum
Streikbruch bewegt. StudentInnen in Blitzaktionen auch für diese Sonntagsarbeit angeworben
(Immerhin: Der ASTA Hamburg stoppte kurzerhand diese Streikbruch-Werbung) Befristete Jobs für SchülerInnen, StudentInnen, Mindestalter 16 Jahre –
für den Einsatz als Streikbrecher! Leiharbeiter wurden über Job-Center für eine befristete Tätigkeit
gesucht, obwohl Streikmaßnahmen per Gesetz gegenüber dem Arbeitsamt von
Unternehmen angezeigt werden müssen. Streikbruch dieser Art ist besonders hinterhältig,
zumal der Stundenlohn mit 8,20 Euro auch noch unter dem gesetzlichen
Mindestlohn liegt. In Containern zu 10 Euro Miete (am Tag!) wurden Aushilfsarbeiter aus
Osteuropa untergebracht, deren missliche Lage schamlos ausgenutzt wurde, um sie
als Streikbrecher einzusetzen. Große Firmen haben „zur Unterstützung“ den Post-Managern eigenes
Personal als Streikbrecher zur Verfügung gestellt. Kurios war außerdem, dass einzelne Streikbrecher dazu angewiesen wurden,
leere(!) DHL-Transporter durch die Republik von Zustellzentrum zu
Zustellzentrum zu fahren, damit es so aussähe, als ob der Streik keine
Auswirkungen auf die Post hätte.
KITA-Streik
Den ArbeiterInnen im Sozial- und Erziehungsbereich geht es in erster
Linie um Anerkennung und Respekt – eine Aufwertung ihrer Arbeit. Sonntagsreden
von der gesellschaftlichen Wichtigkeit dieser Arbeit, dass der Bereich
Kinderbetreuung, frühkindliche Bildung und Förderung ausgebaut werden muss, das
können die Herren und Damen Politiker in Bund, Ländern und Kommunen. Doch von
einigermaßen angemessener Bezahlung will keiner was wissen. Viele können von
dem Einkommen nicht leben und sind z.B. auf einen Zweitjob angewiesen.
Durchschnittlich zehn Prozent mehr Lohn sollten also eine Aufwertung der
Sozial- und Erziehungsberufe bringen, darauf hatten sich ver.di und GEW
verständigt. Selbstbewusst gingen die Kolleginnen (immer noch arbeiten in
diesen Berufen in erster Linie Frauen) in den Arbeitskampf.
Vier Wochen waren sie im Streik und zeigten enorme Kampfbereitschaft
trotz abnehmender Solidarität. Vor allem in ländlichen Bereichen mussten die
Kolleginnen offene Pöbeleien einstecken. Die Wut im Bauch über mangelnde
Anerkennung und die Unverschämtheit der Verhandlungsgegner, die gegenseitige
Unterstützung und auch organisierte Elternsolidarität halfen, durchzuhalten.
Dann wurden sie in die Schlichtung gezwungen. Die so genannte
„Einlassungspflicht“ ist eine Besonderheit im Öffentlichen Dienst: Sobald eine
der Tarifparteien die Schlichtung fordert, wird diese eingeleitet. Ausgebremst
ist der richtige Ausdruck für dieses Vorgehen. Der Schlichterspruch verhöhnt
die Kolleginnen und Kollegen: mit durchschnittlich 3,3 Prozent Zuwachs wird
gerade mal ein Drittel ihrer Forderung erfüllt. Ein Schlag ins Gesicht, den
ver.di-Chef Bsirske auf der Streikdelegiertenkonferenz am 24. Juni zur Annahme
empfiehlt! Nach zweimaliger Ablehnung von der Mehrheit der Delegierten schlug Bsirske
eine Mitgliederbefragung vor, die mit einfacher Mehrheit für oder gegen den
Schlichterspruch entscheiden sollte. Die GEW tat es gleich. Am 8. August
erklärten GEW und ver.di, dass die Mitglieder den Schlichterspruch mehrheitlich
(GEW 68,8 Prozent, ver.di 69,13 Prozent) ablehnen! ver.di-Chef Bsirske wertet
das Mitgliedervotum als Handlungsauftrag für die Fortsetzung des Streiks und
Signal an die Arbeitgeber für die nächste Verhandlungsrunde am 13. August,
deutliche Verbesserungen auf den Tisch zu legen. Wenn nicht, werde der Streik
fortgesetzt „Wann und wie, werden wir jetzt miteinander bereden. Dabei werden
wir auch zu unkonventionellen Streikformen greifen.“ Wir nehmen dich beim Wort,
„Kollege“ Bsirske! Denn auch diese 13. Runde ist gescheitert und nun stehen
erneut Streiks im Oktober an!
In all unseren Beispielen wird hier am deutlichsten klar, dass das
Kapital nur schwer zu Zugeständnissen gebracht werden kann, wenn wir es nicht
direkt treffen können. Die Erziehungs- und Sozialarbeit für die Arbeiterklasse
ist den Bossen und Bonzen egal, können sie sich doch jederzeit private
Kindertagesstätten, Schulen leisten. Sozialarbeit kommt fürs Kapital eh nicht
in Frage.
Die Forderung der KollegInnen ist politisch, auch wenn sie als
Lohnerhöhungsforderung zunächst ökonomisch daherkommt. Die Aufwertung von
Sozial- und Erziehungsarbeit nimmt politische Dimension an, weil es hier um die
Zukunft der Bildung der Arbeiterklasse geht. Die Forderung nach einem
KITA-Qualitätsgesetz mit besserem Betreuungsschlüssel, besseren
Arbeitsbedingungen und mehr Geld für ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen geht
uns alle an.
Schluss
Diese Beispiele zeigen, dass die Arbeiterklasse weitaus mehr Spielraum
hat, als nur für ein paar Krümel (Prozentpunkte mehr Lohn) zu streiten. Ein Arbeitskampf
für die eigene Belegschaft, die eigene Branche, für einen eigenen Tarifvertrag
kann Bedeutung entwickeln für andere Bereiche, kann Bedeutung entwickeln für
andere Teile der Arbeiterklasse. Solch ein Streikkampf kann politische
Dimensionen annehmen, wenn es z.B. um die Verhinderung eines das Streikrecht
einschränkende Gesetz geht, wie das Tarifeinheitsgesetz – wenn es z.B. darum
geht, den Widerstand gegen das immer mehr Menschen verachtende Gesundheits- und
Pflegesystem in die Betriebe zu tragen.
Durch die Vernetzung der Konzerne über das internationale Finanzkapital
nehmen unsere Kämpfe Dimensionen an, die das Kapital empfindlich treffen
können.
Dieses erste Halbjahr 2015 beweist, dass die Arbeiterklasse zu noch viel
mehr in der Lage ist – auch wenn die Kämpfe noch lange nicht in unserem Sinne
erfolgreich sind. Wir haben uns zusammen getan für einzelne Aktionen – in
Zukunft werden wir auch das Mittel Solidaritätsstreik nutzen. Es konnten einige
Verbesserungen erreicht werden, auch wenn unsere Kämpfe immer noch und immer
wieder von gelben Gewerkschaftsführern verraten werden. Wir werden aus all dem
lernen und uns auf kommende Streiks vorbereiten. Auch andere Betriebe z.B. in
der Schlüsselindustrie warten darauf, von uns bestreikt zu werden!
Trotz Spaltung, Schwäche und alledem! Es lohnt der Kampf, trotz alledem!
15. August 2015