50 Jahre Große Proletarische Kulturrevolution in China Sozialismus wagen!

10. November 1965 – Der Artikel von Yao Wenyuan, eine Kritik an der reaktionären Oper „Hai Jui wird entlassen“ ist der Auftakt für die Große Proletarische Kulturrevolution. Ein einziger Zeitungsartikel – wie kann das der Auslöser für die gewaltige Umwälzungen mit sich bringende Kulturrevolution sein?

Seit Beginn der 1960er nutzen die revisionistischen Elemente – inzwischen die Oberhand in der Kommunistischen Partei und im Staat innehabend – jedes Mittel, um immer noch mehr Macht an sich zu reißen. Im Kulturbetrieb wurden über literarische Aufsätze, Theaterstücke, Opern die alten reaktionären, feudalen Zustände propagiert, mehr oder weniger unverblümt. So auch in der historisch daherkommenden Oper „Hai Jui wird entlassen“: Kollektivierte Landwirtschaftsflächen wieder privatisieren – das war z.B. eine der Aussagen dieses Stücks, das augenscheinlich unter dem Mantel der Historizität eigentlich die Amtsenthebung eines hohen KP-Funktionärs kritisierte. Der offenbar gemeinte gehörte wiederum dem revisionistischen Lager der KP Chinas (KPCh) an. Yao Wenyuans Kritik zielt damit auch auf die revisionistischen Machthaber in Peking und anderen Städten – mit der Veröffentlichung wurde die öffentliche und offene Diskussion und damit der offene Klassenkampf innerhalb der KPCh und der chinesischen Gesellschaft ermöglicht – Endlich! Und so erhob sich 1965/1966 die Welle der Großen Proletarischen Kulturrevolution quer durch das ganze Land – ein gigantischer Klassenkampf und eine politische Revolution zur Errichtung der Diktatur des Proletariats in China. Anderthalb Jahrzehnte nach der volksdemokratischen Revolution hatte sich eine neue Bourgeoisie in der KPCh und im Staat der chinesischen Volksdemokratie breit gemacht. Der Schlachtruf „Das Hauptquartier bombardieren“ sollte ihre Vormacht brechen. Gegen Bürokratisierung, gegen Abgehobenheit des Partei- und Staatsapparates von den Volksmassen, gegen bürgerliche sowie feudale Kultur und Traditionen, gegen Loslösung der Kader und Vertreter der Intelligenz von den Volksmassen wurde die Gesellschaft von unten nach oben durchgerüttelt.
Voran die revolutionäre Jugend, die Roten Garden, die den Kampf um den Sozialismus aufnahmen, der alle Mittel der proletarischen Revolution, friedliche und gewaltsame erfordert. Die Volksmassen entwickelten neue Formen des Massenkampfs. Die Kulturrevolution war eine Kampfansage an die vollständige revisionistische Entartung in der Sowjetunion und ein kühner Versuch, diesen Weg in China zu verhindern. Die Kulturrevolution eröffnete neue Wege, um die revolutionäre Kampfbereitschaft, die Schaffung des sozialistischen Bewusstseins in der neuen Generation, in der Jugend zu verankern.
Die Proletarische Kulturrevolution war ein weltbewegender revolutionärer Prozess. Die Jugend- und Studentenbewegung, die jungen marxistisch-leninistischen Organisationen und Parteien, 1 die Arbeiter- und Befreiungsbewegungen auf allen Kontinenten wurden vom Elan der Kulturrevolution in China, vom revolutionären Enthusiasmus, von der Hoffnung auf den Umsturz der alten Verhältnisse, mitgerissen.
Das war der erste Versuch in der Gesamtgeschichte der Menschheit, die von der Kommunistischen Partei nach der demokratischen Revolution erlangte Macht den Revisionisten wieder zu entreißen, die sie inzwischen in Händen hatten. Die Schwächen, Mängel und Fehler vor und während der Kulturrevolution waren der Grund für ihr letztliches Scheitern. Sie konnte den Machtantritt der neuen Bourgeoisie langfristig nicht verhindern. Auch heute noch ist für unseren Kampf um den Sozialismus aus Errungenschaften, Schwächen und Fehlern der Kulturrevolution ungeheuer viel zu lernen. Wir wollen mit unserem Artikel einen Beitrag dazu leisten.

Aktuelle Hetze der bürgerlichen Medien

Auch heute im Jahr 2016, fünfzig Jahre nach dem Beginn der Kulturrevolution wird in Deutschland über die bürgerlichen Medien (Fernsehen, Internet, Zeitungen etc.) antikommunistische Hetze verbreitet, mit der die Kulturrevolution in der Volksrepublik China verdammt wird. Eine Schlammlawine von Hetze und Lügen wird gegen die Kulturrevolution, KommunistInnen, Junge Garde losgetreten. Die bürgerlichen Medien datieren den Beginn der Kulturrevolution auf den 16. Mai 1966, an dem das ZK der KPCh das Rundschreiben zur Kulturrevolution veröffentlichte. Den ganzen Monat Mai, ja das ganze Jahr 2016 über verbreiten fast alle großen, deutschlandweit erscheinenden Zeitungen ihre antikommunistische Propaganda. Die Sprachrohre der Bourgeoisie singen im Chor das selbe Lied über „Chinas dunkelstes Kapitel“! Sie sind mit der revisionistischen Darstellung der KP Chinas vom 27. Juni 1981 einig, dass die Kulturrevolution mit dem Tod von Mao Zedong am 9. September 1976 und der Festnahme der sogenannten „Viererbande“ 1 Anfang Oktober 1976 zu Ende ging. Dass das Ende der Kulturrevolution aber tatsächlich auf dem IX. Parteitag der KPCh festgestellt wird, interessiert nicht. Und so schwadronieren sie über „Zehn Jahre Chaos und Zerstörung“, „Erschreckende Welle der Gewalt“, „Die Barbarei der ‚politischen Vergewaltigung’“, „Die eigene Mutter auf dem Gewissen“, „Die Verrohung“, oder von „Denunziationen, Verleumdungen, Grausamkeit, Mord, Deportationen“ ist die Rede! Mao wird dämonisiert und zum grausamen Diktator deklariert: „Wie Hitler verstand er es, die großen Plätze zu bespielen!“ und „seine Macht zu festigen“. „Begonnen hatte alles mit der Eitelkeit eines alten Mannes“. Chinas Volksdemokratie wird als „totalitäres Regime“ diffamiert und die Kulturrevolution als Intrigenkrieg verschiedener Cliquen dargestellt, in dem es darum ging, Maos persönliche Macht zu festigen, und nicht um den Klassenkampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie auf Leben und Tod auszutragen. Allesamt unterstützen Maos Gegner, die den Klassenkampf für beendet erklärten, um die kapitalistische Restauration zu verwirklichen, nämlich Liu Shaoqi, Deng Xiaoping u.a. Und verbreiten damit auch die Mär, dass es keinen Klassenkampf mehr gebe. Schauen wir zurück. Damals gab sogar „Der Spiegel“ zu, dass es nicht um Maos persönliche Macht ging: „Noch einmal raffte sich der alt gewordene Revolutionär auf, um Werk und Erbe in seinem Sinn zu retten, um den Traum seiner Jugend vom neuen Menschen in einer neuen Ordnung doch noch zu verwirklichen.“ In der gleichen Ausgabe beschrieb „Der Spiegel“ folgenden Fakt: „Rotgardisten überzogen Chinas Hauptstadt mit einem Regiment des Terrors – entgegen den Befehlen des Zentralkomitees.“ und veröffentlichte folgendes Zitat als Haltung von Mao und Zhou Enlai: „Wir müssen den Kampf mit Argumenten und nicht mit Gewalt führen und dürfen keinen Menschen schlagen.“ 2008 schrieb selbiger, dass „Mao, der Bauernführer mehr Menschen um­­[brachte] als Hitler und Stalin“. Dabei werden „bis zu zehn Millionen“ Tote der Kulturrevolution gezählt. 
So funktioniert bürgerliche Geschichtsschreibung! Bürgerliche Medien präsentieren neben antikommunistischer Hetze auch ihre zügellose Heuchelei. Sie geben vor, Mitleid mit den „Opfern“ der Kulturrevolution zu haben und dass sie gegen Gewalt wären. Dabei wird die Zahl der angeblich Getöteten zwischen 1,5 Millionen und 76 Millionen angegeben, ohne jegliche Beweise. Inzwischen kann bei Wikipedia die annähernd richtige Zahl mit „mindestens 400 000 Toten“ nachgelesen werden. Felix Lee treibt in der TAZ seine antikommunistische Hetze so weit, die Rotgardisten des Kannibalismus zu beschuldigen. Er phantasiert: „Rotgardisten trieben einen Lehrer in eine Ecke und entrissen ihm bei lebendigem Leib die Organe, die sie dann später grillten und verspeisten.“ 1 So werden Menschen, die für den Sozialismus und den Kommunismus kämpfen als „Barbaren“ diffamiert. Dabei lassen mehrere Zeitungen, angebliche „Täter“ oder „Opfer“ der Kulturrevolution sprechen. Mit diesen (Schein)zeugInnen soll ihre antikommunistische Propaganda stärkere Wirkung zeigen und das Bewusstsein der werktätigen Massen weiter vernebeln.
Auch 50 Jahre nach der Kulturrevolution haben die Vertreter der Bourgeoisie Angst vor der revolutionären Massenbewegung der Arbeiterklasse und der Werktätigen. Wie schon Marx und Engels im Manifest der Kommunistischen Partei schrieben: „Mögen die herrschenden Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen.“ 1 Die Wirkung der Großen Proletarischen Kulturrevolution war und ist nicht auf die Klassenkämpfe in China beschränkt. Sie hat eine weltweite Wirkung.
Die 1968er Jugend- und Studenten-Bewegung war insbesondere auch von der Kulturrevolution inspiriert. „Die Jugend in den 60’ern eroberte weltweit die Straßen. Eine Welle des Protestes gegen Kapitalismus, repressive Erziehung und bürgerliche Bildung, gegen Rassismus, gegen Faschismus, gegen Imperialismus und Krieg, gegen bürgerliche Herrschaftskultur ging um den Globus. Die Revolte von 1968 war kein isoliertes Ereignis. Demonstrationen, Kämpfe und Aufstände fanden weltweit statt und waren verknüpft durch das Band internationaler Solidarität. Djakarta, Rom, Kapstadt, Mailand, Tokio, Paris, Rio de Janeiro, Kairo, Istanbul – diese Jugendbewegung globalisierte den Widerstand! Und sie zog immer breitere Schichten der Gesellschaft Lehrlinge, ArbeiterInnen, Frauen, Werktätige, Bauern in ihren Bann. In den halbkolonialen Ländern waren Befreiungskriege an der Tagesordnung von Mozambique, Kongo bis Palästina, von Bolivien bis Vietnam.“ 1

Vor der Kulturrevolution
(1949-1965)

Nach dem Sturz der faschistischen Diktatur der chinesischen Großgrundbesitzer und Kompradoren angeführt von Chiang Kaishek, der besonders vom USA-Imperialismus unterstützt wurde, eroberte das chinesische Volk mit der KP Chinas an der Spitze die Macht und nahm sie in seine Hände. Mao Zedong verkündete am 1. Oktober 1949 die Gründung der Volksrepublik China. Es wird eine Staatsmacht vom Typus der Volksdemokratie geschaffen.
Was unter „Volksdemokratie“ oder „Neue Demokratie“ zu verstehen ist, hat Mao Zedong schon im Jahr 1940 erklärt. „Die mannigfaltigen Staatssysteme in der Welt können daher nach dem Klassencharakter der politischen Macht auf drei grundlegende Typen reduziert werden: 1. unter der Diktatur der Bourgeoisie stehende Republiken; 2. unter der Diktatur des Proletariats stehende Republiken; 3. unter der gemeinsamen Diktatur mehrerer revolutionärer Klassen stehende Republiken.“ 1
Mao macht eine klare Trennung zwischen dem Staatstypus der Volksdemokratie und der Diktatur des Proletariats. Das heißt, die Macht der Volksdemokratie ist keine „besondere Form der Diktatur des Proletariats“. Der Klassencharakter der politischen Macht der Volksdemokratie war in China von der Arbeiterklasse, der Bauernschaft, dem städtischen Kleinbürgertum und der nationalen Bourgeoisie bestimmt. Mao führt aus: „Wer ist das Volk? Im gegenwärtigen Stadium setzt sich das Volk in China aus der Arbeiterklasse, der Bauernschaft, dem städtischen Kleinbürgertum und der nationalen Bourgeoisie zusammen.“ 1
Das ist die richtige Darstellung der Lage. Und diese Klassenzusammensetzung der volksdemokratischen Einheitsfront bestimmt auch, welche Klassen an der Staatsmacht waren. Diese volksdemokratische Staatsmacht hat die demokratischen Aufgaben zu lösen. Eine demokratische Diktatur des Volkes, bei der auch die Bourgeoisie mit an der Macht beteiligt ist, kann die Aufgaben, deren Umsetzung nur unter der Diktatur des Proletariats möglich ist, nicht lösen.
Die demokratischen Aufgaben wie die Enteignung sämtlicher Fabriken und Banken der Imperialisten und Kompradoren und ihre Überführung in Staatseigentum, Annullierung aller imperialistischen Verschuldungen, Enteignung der Feudalherren auf dem Land, Zuendeführung der demokratischen Agrarrevolution, Annullierung aller Schulden der Bauern, Abschaffung des ganzen feudalen Steuersystems, werden bis 1953 mehr oder minder gelöst. Auf kulturellem Gebiet wird für eine demokratische, die Interessen des Volkes zum Ausgangspunkt nehmende Kultur gegen die feudale und imperialistische gestritten und das Analphabetentum bekämpft. Innerhalb einer Dekade wird das Analphabetentum von 90 auf zehn Prozent reduziert.
Nachdem die demokratischen Aufgaben im Großen und Ganzen gelöst wurden, stand die Aufgabe an, den Übergang zum Sozialismus zu schaffen. Voraussetzung dafür ist die vollständige Entmachtung der Bourgeoisie und die Errichtung der Diktatur des Proletariats. Nur mit der Diktatur des Proletariats können die Bourgeoisie als Klasse und die Ausbeutung abgeschafft werden.

Aufbau des Sozialismus – gemeinsam mit der Bourgeoisie?

Am 20. September 1954 wird die Verfassung der VR China, auf der ersten Tagung der Allchinesischen Volksvertreterversammlung angenommen. In der Präambel wird festgestellt: „Die volksdemokratische Ordnung in der Volksrepublik China, das heißt die neue Demokratie, bietet die Gewähr dafür, daß unser Land auf friedlichem Wege Ausbeutung und Armut abschaffen und eine blühende und glückliche sozialistische Gesellschaft aufbauen kann.“ 1 Die Abschaffung der Ausbeutung und der Übergang zum Sozialismus werden auf „friedlichem Wege“ und im „allmählichen Übergang“ in der Verfassung festgeschrieben. Richtigerweise werden in Artikel fünf, die fünf Hauptformen des Eigentums an den Produktionsmitteln aufgezählt. Hier wird neben dem Eigentum der Handwerker und Selbständigen auch das Eigentum der Bourgeoisie an den Produktionsmitteln verfassungsmäßig unter Schutz gestellt.
„Artikel 10. Der Staat schützt entsprechend dem Gesetz das Recht der Kapitalisten auf Eigentum an Produktionsmitteln und anderem Besitz. Gegenüber der kapitalistischen Industrie und dem kapitalistischen Handel betreibt der Staat die Politik ihrer Ausnutzung, Einschränkung und Umgestaltung.“ 
Mit der Einschränkung und Umgestaltung will die KP Chinas auch die Bourgeoisie „umformen“! Liu Shaoqi berichtet auf dem VIII. Kongress der KP Chinas im September 1956:„Wir gönnen der nationalen Bourgeoisie die notwendige Zeit, um sich unter der Leitung des Staates und der Arbeiterklasse auf dem Wege der Übergangsform des Staatskapitalismus schrittweise der Umgestaltung anzupassen.“ 1
Also existierte noch die nationale Bourgeoisie und die Verfassung schützte deren Privateigentum an Produktionsmitteln. Trotzdem sagt Liu Shaoqi: „Wir haben jetzt aber in unserem Lande diese äußerst komplizierte und schwierige historische Aufgabe der Umwandlung des Privateigentums an Produktionsmitteln in das sozialistische gesellschaftliche im wesentlichen erfüllt. Der entscheidende Kampf zwischen dem Sozialismus und dem Kapitalismus ist jetzt bereits beendet.“ 1
Das ist eine klare Absage an den Klassenkampf gegen die Bourgeoisie und ihre vollständige Entmachtung. Gleichzeitig wird für diese grundfalsche Position das theoretische Fundament ge­­schaffen, gemeinsam mit der nationalen Bourgeoisie sei der Aufbau des Sozialismus möglich. Die nationale Bourgeoisie sei „mit großer Begeisterung der sozialistischen Um­­gestaltung entgegen“gekommen. Alles wird im Namen der besonderen Situation Chinas vertreten.
Liu Shaoqi stellt zusammenfassend fest: „Im Prozeß der sozialistischen Umgestaltung hat das Bündnis zwischen der Arbeiterklasse und der nationalen Bourgeoisie für die Erziehung und Umerziehung der Bourgeoisie eine aktive Rolle gespielt; durch dieses Bündnis können wir ihnen gegenüber in Zukunft die Arbeit des Zusammenschlusses, der Erziehung und Umerziehung weiterhin durchführen, damit sie ihre Kenntnisse anwenden, um dem sozialistischen Aufbau zu dienen. Daraus ist zu ersehen, daß es falsch ist, dieses Bündnis als eine unnütze Last zu betrachten. Die überwältigende Mehrheit der nationalen Bourgeoisie hat in den letzten Jahren durch die sozialistische Umgestaltung eine tiefe Veränderung erfahren. Unsere Aufgabe besteht darin, das Verhältnis der Zusammenarbeit mit ihr weiter zu verbessern sowie ihr volle Möglichkeiten zur Entfaltung ihrer Fähigkeiten und Spezialkenntnisse und zur weiteren selbständigen Umerziehung zu geben. Wie früher, so ist auch heute diese Zusammenarbeit sowohl Zusammenschluß als auch Kampf.“ 1
Das ist nichts anders, als für den Zusammenschluss mit der Bourgeoisie einzutreten. Auf dem VIII. Parteitag wird eine revisionistische Linie verabschiedet, beeinflusst von Chruschtschows modernem Revisionismus, der Linie des XX. Parteitags der KPdSU. Ob Mao Zedong gegen diese revisionistische Linie kritisch und offen aufgetreten ist, geht aus den veröffentlichten Dokumenten dieses Parteitags nicht hervor. Laut des Parteitagsberichts hielt Mao nur die Eröffnungsrede. Die Parteitagsdokumente sind ein Indiz dafür, dass die Revisionisten in der Führung der KP Chinas die Mehrheit bildeten. Die zwei theoretischen Fehler und revisionistischen Positionen, die hier bewusst gemacht werden sollen, sind: 1. These: Der Aufbau des Sozialismus ist gemeinsam mit der Bourgeoisie möglich.
2. These: Die Volksdemokratie ist eine Form der Diktatur des Proletariats.
Dazu kommt noch die Politik der Geheimhaltung der Widersprüche der KP Chinas innerhalb der Partei- und Staatsführung. Diskussionen des ZK der KP Chinas und Politbüro werden nicht veröffentlicht und weder die Mitglieder unterer Ebenen, noch die Arbeiterklasse und Werktätigen werden informiert, was in der Führung von Partei und Staat vor sich geht.
Mao Zedong hält am 27. Februar 1957 auf der II. (erweiterten) Tagung der Obersten Staatskonferenz eine Rede, „Über die richtige Behandlung der Widersprüche im Volk“. Der Text wird mit einigen Zusätzen von Mao im Juni 1957 veröffentlicht. Mao bekräftigt seine frühere Meinung, dass das Volk aus Arbeiterklasse, Bauernschaft, Kleinbourgeoisie und nationaler Bourgeoisie besteht und macht entsprechend einen Unterschied zwischen den Widersprüchen im Volk und den Widersprüchen zwischen Volk und Feinden.
Während er die Notwendigkeit des Kampfes gegen den Revisionismus hervorhebt, machte er selbst folgende revisionistische Fehler: „In unserem Land gehört der Widerspruch zwischen der Arbeiterklasse und der nationalen Bourgeoisie zu den Widersprüchen im Volk. Der Klassenkampf zwischen der Arbeiterklasse und der nationalen Bourgeoisie gehört im allgemeinen zum Klassenkampf innerhalb des Volkes, da der Charakter der nationalen Bourgeoisie in unserem Land zwiespältig ist. In der Periode der bürgerlich-demokratischen Revolution war die nationale Bourgeoisie einerseits revolutionär und andererseits zu Kompromissen geneigt. In der Periode der sozialistischen Revolution beutet sie einerseits die Arbeiterklasse des Profits wegen aus, aber gleichzeitig unterstützt sie die Verfassung und ist bereit, die sozialistische Umgestaltung zu akzeptieren.“ 1 Damit vertritt Mao, trotz seiner Erklärung, der Klassenkampf existiert in der Volksdemokratie weiter, die revisionistische These des VIII. Parteitags, dass der Aufbau des Sozialismus zusammen mit der Bourgeoisie möglich sei.
Wenn der Widerspruch zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie nicht als ein antagonistischer (unlösbarer) sondern als ein nicht antagonistischer (lösbarer) Widerspruch bewertet wird, ist es nicht möglich, die Aufgabe der vollständigen Entmachtung der Bourgeoisie als die wichtigste Aufgabe zu erkennen. Denn nur die umfassende Entmachtung der Bourgeoisie verhindert, dass sie ihr Ziel, die Wiederherstellung der alten Ausbeutungsverhältnisse in der Produktion, erreicht. Hierbei spielt es überhaupt keine Rolle, ob sie z.B. als nationale Bourgeoisie vorher Mitstreiter im Befreiungskampf war, sie wird versuchen, ihre Machtpositionen nicht aufzugeben, sondern sie auszubauen und letztendlich ihre Macht als Klasse wieder zu erlangen. Die revisionistische Linie des VIII. Parteitags prägt die Entwicklung bis zur Kulturrevolution. Die Dokumente, besonders die während der Kulturrevolution veröffentlicht werden, zeigen, dass der Kampf „zweier Linien“, der kommunistischen und revisionistischen Linie, ein ständiger Kampf war. Der Widerspruch zwischen beiden Linien existiert in jedem Bereich des gesellschaftlichen Lebens. Ab 1959 verschärften sich die Widersprüche und der revisionistische Flügel unter der Führung Liu Shaoqis (ab 1959 Staatspräsident) und Deng Xiaoping gewann immer mehr Einfluss in Partei und Staatsmacht. Sie hatten die wichtigsten Schaltstellen des Staates unter ihren Fittichen. Der Kampf der KP Chinas, der unter Führung Mao Zedongs Anfang der 1960er Jahre gegen den Revisionismus, der seit dem XX. Parteitag der KPdSU auch die Linie der Kommunistischen Weltbewegung be­­stimmte, geführt wurde, wird von neuen Widersprüchen innerhalb der Führung der KP Chinas begleitet. Im Kampf gegen den modernen Chruschtschow-Revisionismus lernend, erkennt Mao Zedong, dass eine kapitalistische Restauration in der Volksrepublik China als eine akute Bedrohung bevorsteht.
Ohne Selbstkritik an seiner Haltung im Jahr 1957 über die Rolle der nationalen Bourgeoisie beim Aufbau des Sozialismus, zieht er die Lehren aus den Erfahrungen der Sowjetunion: Gegen die Bourgeoisie muss ein erbitterter Kampf geführt werden mit dem Ziel der Errichtung der Diktatur des Proletariats.
Er beginnt spätestens ab September 1962, die Notwendigkeit des Klassenkampfs bewusst zu machen und ruft dazu auf: „Niemals den Klassenkampf vergessen!“ Er stellt richtigerweise fest, dass in einer sozialistischen Gesellschaft die Gefahr einer kapitalistischen Restauration besteht und dass der Hauptwiderspruch in China der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie, der zwischen sozialistischem und kapitalistischem Weg sei.
Um die kapitalistische Restauration zu verhindern, versucht Mao, auf allen Ebenen die allseitige Erziehung von marxistisch-leninistischen Kadern, durchzusetzen. Dafür ist eine „Kulturrevolution“ notwendig. Marxistisch-leninistisch erzogene, ideologisch gefestigte Kader und aufgeklärte ArbeiterInnen werden gestärkt und sozialistisches Bewusstsein unter den armen Bauernmassen verankert.
Dafür ist die sozialistische Erziehungsbewegung gedacht, die alle Kulturbereiche, wie Literatur, Kunst, Theater, schulische, politische wie auch die militärische Erziehung usw. einschließt. Die marxistisch-leninistische Linie soll in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen durchgesetzt werden. Das ist das Ziel der KommunistInnen, die mit Mao zusammen diesen revolutionären Prozess anstoßen.
Aber die Vertreter der Bourgeoisie und ihre Unterstützer in der Staatsmacht und in der KP Chinas beherrschen im wahrsten Sinne des Wortes den gesamten Kulturbereich.
Die Widersprüche und der Kampf in dieser Frage verschärfen sich besonders in den Jahren 1961-1964 und führen zur Kulturrevolution, die sich zu einer politischen Revolution entwickelt.

Rebellion ist gerechtfertigt: Ausbruch der Kulturrevolution

Unter der Überschrift „Die große proletarische Kulturrevolution bis zu Ende führen“ wird in einem Leitartikel von „Renmin Ribao“ (Volkszeitung) und „Hongqi“ (Rote Fahne) die historische Entwicklung so beschrieben: „Im Jahre 1963 wurde unter der persönlichen Führung des Vorsitzenden Mao die Revolution auf dem Gebiet der Literatur und Kunst, deren Hauptgewicht auf der Reform der Bühnenkunst lag, entfaltet; faktisch war das Beginn der großen proletarischen Kulturrevolution.
Die auf Anregung des Vorsitzenden Mao begonnene Kritik an der parteifeindlichen, antisozialistischen Oper ‚Hai Jui wird seines Amtes enthoben’, an der konterrevolutionären Clique des ‚Dorfes der drei Familien’ und an den konterrevolutionären, revisionistischen Führern des früheren Pekinger Stadtkomitees der Kommunistischen Partei Chinas, die im Oktober 1965 einsetzte, diente zur Vorbereitung der öffentlichen Meinung und bereitete den Weg für die Massenbewegung der großen proletarischen Kulturrevolution in großem Ausmaß.“ 1

Die KommunistInnen, insbesondere Mao, in der KPCh erkennen die Notwendigkeit, eine radikale Umwälzung innerhalb der Partei zu organisieren. Im Zusammenhang mit dem aufkommenden Revisionismus Chruschtschowscher Prägung müssen dringend Maßnahmen ergriffen werden. Die Errungenschaften der volksdemokratischen Revolution stehen auf dem Spiel.
Im September 1965 wird auf der Sitzung des Politbüros eine „Kommission“, „Fünfer-Gruppe für Kulturrevolution“ („Fünfer-Gruppe“) genannt, gebildet. Mitglieder sind Peng Zhen, Lu Dingyi (Kulturminister und Verantwortlicher für die Propaganda des ZK), Yang Shangkun, Kang Sheng und Lu Ping (Mitglieder des Sekretariats des ZK). Aufgabe dieser Gruppe war diese (gemeint ist die Revisionismuskritik, die Mao zur Sprache brachte, Anm. TA) und andere wichtigen Fragen, die ideologisches Gebiet berührten und für Kultur und Erziehungswesen von entscheidender Bedeutung waren, zu lösen.“ 
Statt diese Aufgaben zu lösen, versuchen besonders Peng Zhen und Lu Dingyi zu verhindern, dass die am 10. November 1965 in Schanghai in der Zeitung „Venhuybao“ gedruckte Kritik an der Oper „Hai Jui wird entlassen“ inklusive der darin enthaltenen Kritik am Opern-Autor, Wu Han, auch in Peking veröffentlicht wird. Wu Han war Stellvertreter in der Pekinger Stadtregierung von Peng Zhen. Sie blockieren die Veröffentlichung, bis Zhou Enlai als Ministerpräsident interveniert. Die begonnene Debatte gegen Wu Han konnte nicht mehr verhindert werden. Es stellt sich heraus, dass außer Kang Sheng, die anderen vier Mitglieder der „Fünfer-Gruppe“ selbst Revisionisten an der Macht sind.
Nachdem die Kritik veröffentlicht ist und die Debatte Wellen schlägt, wird von der Mehrheit der „Fünfer-Gruppe“ eine andere Taktik gewählt. Sie wollen möglichst schnell einen Schlussstrich unter die Diskussionen ziehen und die Debatte als „akademisch“ abstempeln und beenden. Blumer beschreibt diese Diskussion wie folgt: „Aus der Sitzung der ‚Fünfergruppe für KR’, am 2. Februar, ging ein Protokoll hervor, das ganz im Sinne Peng Chens abgefaßt wurde und die Richtlinien für die Behandlung der akademischen Diskussion ent­hielt. Dieses Protokoll wurde dem ständigen Ausschuß des Politbüros übergeben, das die Veröffentlichung innerparteilich genehmigen sollte.(...) Jedenfalls bleibt es eine Tatsache, daß es Mao Tse-tung an dieser Sitzung des Politbüros nicht gelang, mit seiner Auffassung durchzudringen. Das Protokoll wurde verabschiedet und am 12. Februar an die unteren Gremien verteilt. (...) Intern verbot man, zur Lu Shan-Konferenz und der Peng Teh-huai-Angelegenheit Parallelen zu ziehen. Diese Warnung galt besonders den Genossen in Schanghai, wie Peng Chen glaubte.“ 1
Zwischen 17. und 20. März 1966 fand eine weitere Sitzung des Politbüros in Anwesenheit Maos statt. Auf der Sitzung unterstützten Zhou Enlei und Chen Yi Maos Vorschlag, und es wurde beschlossen, der Einladung zum 23. Kongress der KPdSU nicht Folge zu leisten und keine Delegation zu entsenden. Lo Jui-ching wurde von seinem Posten als Generalstabschef abgesetzt. Nach seiner Absetzung konnten die MitstreiterInnen Maos auch in der Armee – und mit Hilfe der Militärzeitung Chieh-fang-chün Pao – die Kulturrevolution vorantreiben.
Die Entwicklungen werden von neuen Kritiken, angeblichen Selbstkritiken der Verantwortlichen (die den kapitalistischen Weg gehen) und wieder Kritiken an diesen angeblichen Selbstkritiken bestimmt. Die Fronten werden immer klarer!
Anfang April 1966 wird gegen Peng Zhen und seine Anhänger offen und öffentlich der ideologische Kampf gestartet. Dabei spielt die Militärzeitung eine wichtige Rolle. Wu Han, Teng To (Deng Tuo) und Liao Mosha werden in verschiedenen Artikeln namentlich offen kritisiert. Sie bilden das „Trio“, das zwischen 1961 und 1964 unter den Überschriften „Hai Jui wird entlassen“, „Abendgespräche am Yenshan“ und „Notizen aus dem Drei-Familien-Dorf“ die antisozialistische Propaganda vorantrieben. Yao Wenyuan ist derjenige, der nach der Kritik an „Hai Jui wird entlassen“ mit einem langen Artikel auch die „Abendgespräche am Yenshan“ und „Notizen aus dem Drei-Familien-Dorf“ kritisiert. Dieser Artikel wird am 10. Mai 1966 in Schanghaier Zeitungen veröffentlicht.
Einerseits laufen offene Kritik und Diskussion, andererseits verschärfen sich die Widersprüche zwischen beiden Fraktionen in der Partei. Die veröffentlichten Kritiken spiegeln die Widersprüche innerhalb der Partei.
Auf der Sitzung des Sekretariats des ZK, die am 9. April von Deng Xiaoping einberufen worden war, wird beschlossen, dass die „Fünfer-Gruppe“ reorganisiert werden soll l. „Das Protokoll dieser Sitzung, das am 12. verabschiedet wurde, sah vor, daß die ‚Fünfergruppe’ aufzulösen wäre und ihre Berichte und Anweisungen annulliert werden müssten. Zu einem späteren Zeitpunkt sei eine neue Gruppe für KR zu ernennen. Das Protokoll mußte aber noch im ständigen Ausschuß des Politbüros diskutiert und genehmigt werden. Deshalb berief Mao Tse-tung, der sich in der Gegend von Schanghai aufhielt, und der Sitzung des Sekretariats nicht beigewohnt hatte, eine weitere Sitzung ein, die am 16. begann und einige Tage dauerte.“
Nach hitzigen Diskussionen im Politbüro wird das Protokoll des Sekretariats am 24. April angenommen. Mao kritisiert auf dieser Sitzung Peng Zehn scharf und auch das Pekinger Parteikomitee deswegen, weil sie auf der Sitzung des Pekinger Parteikomitees keine personellen Konsequenzen gezogen haben. Diese Sitzungen spiegeln wieder, welche Kämpfe es parteiintern gab, welche Taktik die KommunistInnen gegen die Revisionisten anwenden mussten …
Die Sitzung des Politbüros, die am 4. Mai in Schanghai eröffnet wurde, bringt die Wende. Nach langen Diskussionen wird am 16. Mai 1966, das „Rundschreiben des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas“< /i> beschlossen und „An die Regionalbüros des Zentralkomitees, die Parteikomitees aller Provinzen, regierungsunmittelbaren Städte und autonomen Gebiete, die Abteilungen und Kommissionen beim Zentralkomitee, die Parteigruppen führender Funktionäre und die Parteikomitees in den Regierungsinstitutionen und Massenorganisationen sowie die Politische Hauptabteilung der Volksbefreiungsarmee“ weitergeleitet. Das ist ein „internes“ Dokument. Dieser Beschluss wird als komplettes Dokument erst am 18. Mai 1967 veröffentlicht – vorher nur in Auszügen in den Rotgardistenzeitungen im Winter 1966/67.
Die Kulturrevolution war schon im Gange. Daher hat dieser Beschluss für die Öffentlichkeit und für die werktätigen Massen am Anfang der Kulturrevolution keine direkte Bedeutung – wohl aber als Dokument, dass sich die Linie Maos doch durchsetzen ließ.
Die „Fünfer-Gruppe“ wird aufgelöst und „‚Die zusammengefassten Thesen der für die Kulturrevolution verantwortlichen Fünfer-Gruppe über die gegenwärtige akademische Diskussion’, die am 12. Februar 1966 zur Verteilung genehmigt wurden“ werden zurückgezogen und beschlossen wird „eine neue, dem Ständigen Ausschuß des Politbüros unmittelbar unterstehende Kulturrevolutionsgruppe zu bilden.“ Gleichzeitig werden die Thesen der „Fünfer-Gruppe“ als anti-marxistische Thesen verurteilt.
Im Rundschreiben wird hervorgehoben: „Die Repräsentanten der Bourgeoisie, die sich in die Partei, in die Regierung, in die Armee und in die verschiedenen Bereiche der Kultur eingeschlichen haben, sind ein Häuflein von konterrevolutionären Revisionisten; sie werden sobald die Zeit dafür reif ist, die politische Macht an sich reißen und die Diktatur des Proletariats in die Diktatur der Bourgeoisie umwandeln. Manche dieser Leute haben wir bereits durchschaut; es gibt aber noch welche, die wir nicht durchschaut haben; manche erfreuen sich immer noch unseres Vertrauens und werden zu unseren Nachfolgern ausgebildet, z.B. Leute vom Schlage Chruschtschows, die noch neben uns nisten. Die Parteikomitees aller Ebenen müssen dieser Frage größte Aufmerksamkeit schenken.“
Das ist der Aufruf zum umfassenden, allseitigen Kampf gegen die revisionistischen Vertreter der Bourgeoisie innerhalb der Partei und des Staates.
Am Ende des Rundschreibens wird verlangt „Dieses Rundschreiben soll zusammen mit dem vom Zentralkomitee am 12. Februar dieses Jahres verteilten, falschen Dokument, bis hinunter zu den Kreisparteikomitees, den Parteikomitees der kulturellen Institutionen und den Parteikomitees der Armee auf Regimentsebene verteilt werden. Diese Komitees werden gebeten, eine Diskussion darüber zu entfalten, welches von den beiden Dokumenten eigentlich falsch und welches richtig ist, welche Ansichten sie selbst über diese Dokumente haben und welches ihre Erfolge und Fehler sind.“ 
Das Ergebnis dieser Sitzung und der Beschluss dieses Rundschreibens zeigen, dass innerhalb des Politbüros und ZKs eine Kräfteverschiebung in Richtung Maos Seite stattgefunden hat. Die Gruppe um Mao will mit diesem Rundschreiben eine Diskussion innerhalb der Partei und den Kampf gegen die revisionistischen Machthaber fördern.

Das Hauptquartier bombardieren!

Über die Debatte „Hai Jui wird entlassen“, oder „Notizen aus dem Drei-Familien-Dorf“ wird in Universitäten, besonders in der Pekinger Universität seit Februar 1966 breit diskutiert. Die Leitung der Universität will die Auseinandersetzung als eine „akademische Debatte“ laufen lassen und so die Diskussion ersticken. Die Kritiker der „akademischen Diskussion“ werden von Uni-Leiter (Rektor) Luo Ping zur Feldarbeit abberufen, und es wird streng verboten, Wandzeitungen gegen Wu Han oder Teng To (Autoren „Hai Jui wird entlassen“ und „Notizen aus dem Drei-Familien-Dorf“) oder über die Debatte zu verfassen und Versammlungen abzuhalten.
Während der Kampf der protestierenden Studenten sich verschärft, taucht am 25. Mai 1966 ein Dazibao (großformatige Wandzeitung mit großen Schriftzeichen), ein großes rotes Plakat an den Außenwänden des Speisesaals auf. Trotz Verbot des Uni-Leiters, Wandzeitungen zu verfassen und anzubringen, wagt es eine Gruppe von sieben Professoren und Studenten, Luo Ping und andere Verantwortliche der Pekinger Universität in einem Dazibao öffentlich zu kritisieren.
„Die Anschuldigung gegen den Rektor, die der Öffentlichkeit zur Diskussion übergeben wurde, war allerschwerster Natur. Man warf ihm ein Komplott mit der ‚schwarzen Bande’, d.h. den Revisionisten, vor, und den Versuch, mittels verstärkter Autorität das Ziel der KR (Kulturrevolution, Anm. TA) ändern zu wollen. Der Rektor und erste Parteisekretär wurde in diesem Zusammenhang namentlich erwähnt. Die Unterzeichner gehörten einer Abteilung der Fakultät für Philosophie an, die in den vergangenen Monaten schon mehrmals von sich reden machte und waren den Studenten wohlbekannt.“
Dieses Dazibao wird von Verantwortlichen der Universität sofort unterdrückt, und mit eigenen weißfarbigen Dazibaos wird der Inhalt scharf kritisiert. Einige Studenten, Verteidiger der Uni-Leitung, griffen die Initiative der sieben Unterzeichner auch persönlich an. Sie meinten, nur Konterrevolutionäre würden es wagen einen Kader zu attackieren. Ganz nach dem Motto: Der Rektor könne so etwas, wie das Dazibao anklagt, nicht tun. Nach der anfänglichen „Empörung“ gegen das rote Dazibao entsteht eine Debatte, die die Studenten dazu bringt, den Rektor in einem anderen Licht zu sehen. Der Kampf gegen die Uni-Leitung nimmt eine neue Dimension an.
Mao Zedong unterstützt den Kampf der Studenten gegen die Uni-Leitung und verteidigt das Dazibao vom 25. Mai 1966, das von Ni Yuanzi und anderen verfasst worden war. Mao lässt am 1. und 2. Juni über Radio dessen Inhalt veröffentlichen. Davor erreichten die Kritiken an der Leitung der Pekinger Universität durch die Veröffentlichung von Artikeln in Renmin Ribao die breiten Massen. All das beschleunigt die Kulturrevolution! Mao nimmt das Dazibao der Pekinger Studenten als Beispiel, wie die Initiative in der Kulturrevolution ergriffen werden soll.
Am 1. Juni verfasst Mao ein Dazibao, das zur Sitzung des ZK am 5. August, an der auch Vertreter der Studenten und Schüler teilnehmen, im Tagungsgebäude angebracht wird. Der Inhalt dieses Dazibao wird im September von Rotgardisten verbreitet.
Der Aufruf von Maos Dazibao ist: „Das Hauptquartier bombardieren“. Am 3. Juni 1966 wird die Nachricht gesendet, dass das Pekinger Parteikomitee vollständig reorganisiert sei. Peng Zhen wird von seinem Posten abgesetzt ebenso der Rektor Luo Ping. Eine „Arbeitsgruppe“ wird an die Universität gesandt, um die Kulturrevolution in der Uni zu leiten. So gehen Mao und seine GenossInnenen gegen die Revisionisten vor. Sie stellen deren falsche Anschauungen öffentlich bloß und klagen sie an. Solche „Arbeitsgruppen“ werden auch an andere Orte und in viele Bereiche, zum Beispiel aufs Land, in die Armee, in die Parteischulen, etc. entsandt. Mao ist von Anfang Juni bis zum 18. Juli nicht in Peking. Liu Shaoqi und Deng Xiaoping leiten in dieser Zeit die „Arbeitsgruppen“. Mit den Schaltstellen unter ihren Fingern versuchten sie ihren Einfluss geltend zu machen, um ihre Gleichgesinnten zu schützen. Ausgerechnet diejenigen, die gegen die revisionistischen Machthaber kämpfen, werden von Mitgliedern der “Arbeitsgruppe“ als Angehörige der „Schwarzen Bande“ beschuldigt und so zu Konterrevolutionären gestempelt. Die „Arbeitsgruppe“ verbietet, außerhalb der Uni darüber zu sprechen, was in der Uni vor sich geht. Das erschwert die Lage der Studenten. Gleichzeitig spalten sie sich in Befürworter und Gegner der „Arbeitsgruppe“. In dieser Auseinandersetzung entstehen die Vorläufer der Roten Garden, die zu diesem Zeitpunkt, wenn auch in kleinen Gruppen, schon organisiert waren.
Nach der Übernahme der Redaktion der Renmin Ribao, der Rundfunkanstalt und der größten Druckerei durch die AnhängerInnen Maos wird Anfang Juli 1966 Chou Yang, der ca. 20 Jahre als Verantwortlicher der Propagandaabteilung des Zentralkomitees arbeitete, abgesetzt und durch Tao Zhu ersetzt.
Am 18. Juli kehrt Mao nach Peking zurück und setzt sich mit den Ereignissen an der Hochschule Tsin-Hua auseinander. Er begrüßt die Aktion der „revolutionären Rebellen(Rote Garden) und verlangt die Abschaffung der „Arbeitsgruppen“. Die Gremien der Kulturrevolution müssen von den Studenten selbst gewählt werden, so seine Forderung und dürften nicht von der Partei ernannt werden. Mao verfasst am 18. Juli ein neues Dazibao.
Die Schulen werden praktisch geschlossen – nach einem Regierungsdekret vom 13. Juni 1966, das eine durchgreifende Reform des Bildungswesens vorsieht und Aufnahmeprüfungen für sechs Monate aussetzt. Nachdem die Studenten selbst die Gremien der Kulturrevolution wählen, werden die Tore der Unis für die ArbeiterInnen geöffnet, nehmen ArbeiterInnen zu Zehntausenden an Vorträgen, Diskussionen und anderen Veranstaltungen teil.
Um verkrustete Strukturen aufzubrechen und nicht neue entstehen zu lassen, starten die Roten Garden verschiedene kühne Kampagnen. Ein Beispiel: Sie kämpfen an den Unis, wo eine akademisch abgehobene Lehre betrieben wird, gegen die verstaubten Inhalte und ihre Dozenten. Die studentischen Rotgardisten fordern, dass die Lehre mit der Praxis, der Realität der Produktion verbunden wird. Die Parteikader und die Intellektuellen sollen zusammen mit den Werktätigen „wie Fische im Wasser schwimmen“. Theorie und Praxis, körperliche und geistige Arbeit müssen verbunden werden, die Intellektuellen, StudentInnen und Parteikader müssen „dem Volke dienen“. Daher sollen alle „KopfarbeiterInnen“ regelmäßig in der Produktion, in der Landwirtschaft arbeiten. Und die ArbeiterInnen sollen sich mit verstärktem Studium in der Theorie weiter entwickeln können um diese in der Praxis anzuwenden.
Zusammen mit der offiziellen Bekanntgabe, dass der Generalstabschef Lo Jui-ching abgesetzt und sein Stellvertreter Yang Chengwu als Nachfolger bestimmt wurde, geben diese Ereignisse der Bewegung neuen Schwung und führen zur Hauptphase der Kulturrevolution.

Auf den Spuren der „Pariser Kommune“

Über die folgende Chronologie wird klar, wie der Kampf der Linien innerhalb der KP Chinas vorangeht und wie die Kulturrevolution Früchte trägt.
Zwischen dem 1. und 12. August 1966 findet die elfte Plenarsitzung des ZK der KPCh statt. Es sind vier Jahre vergangen zwischen dem 10. (1962) und dem 11. Plenum des ZK, und in diesem Zeitraum ereignete sich vieles Wichtige. Im Nachgang der Entwicklungen seit Herbst 1965 werden auch viele ZK-Mitglieder ihrer Funktionen enthoben. Das ZK, das vom VIII. Parteitag gewählt wurde, ist nicht mehr vollständig. Dadurch gewinnt die Linie, die von der Gruppe um Mao vertreten wird, die Mehrheit. Laut „Kommuniqué des Elften Plenums des VIII. Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas“ leitet Mao die Sitzung und: „Mitglieder und Kandidaten des Zentralkomitees nahmen an der Tagung teil. Auch Genossen der verschiedenen regionalen Büros des Zentralkomitees, der Parteikomitees der Provinzen, Städte und autonomen Gebiete, Mitglieder der Gruppe des Zentralkomitees für die Kulturrevolution, Genossen der betreffenden Abteilungen des Zentralkomitees und der Regierung und Vertreter der revolutionären Dozenten und Studenten der Hochschulen von Peking wohnten der Tagung bei.“
Auf dieser Tagung wird der „Beschluß des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas über die große proletarische Kulturrevolution“ auch „16 Punkte“ genannt, angenommen. Dies ist das eigentliche „Programm“ der Kulturrevolution. Ein richtungweisendes Dokument, das die Ereignisse der letzten Monate berücksichtigt und den weiteren Weg zeigt. In dem zweiten wichtigen Dokument, einem „Kommuniqué“ werden sämtliche Beschlüsse und Maßnahmen, die seit dem zehnten Plenum (September 1962) vom Politbüro des ZK diskutiert wurden, bestätigt. Diese Beschlüsse sind hauptsächlich von Mao ausgearbeitet und verfasst worden. Deren Umsetzung aber, insbesondere in den Bereichen Innenpolitik, Kultur und Wirtschaft, war von den revisionistischen Machthabern verhindert worden. Und es wird nachdrücklich darauf hingewiesen, „daß eine Reihe von Weisungen des Genossen Mao Tse-tung zur großen proletarischen Kulturrevolution für das Vorgehen in der gegenwärtigen Kulturrevolution Chinas als Kompaß dienen und eine wichtige Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus darstellen.“
Mit diesen beiden Beschlüssen wird der revisionistischen Politik eine klare Absage erteilt und gleichzeitig wird offiziell deklariert, dass Mao Zedongs Weisungen „eine wichtige Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus darstellen“. Damit werden die „Mao Zedong Ideen“ in das Zentrum der Kulturrevolution gestellt.
Organisatorisch wurde auf dem elften Plenum ein neues Politbüro gewählt. Liu Shaoqi rückte von Platz zwei auf Platz acht, Deng Xiaoping von Platz sieben auf Platz sechs, Lin Biao wird Stellvertreter Maos und Chen Boda, Kang Sheng, Tao Zhu werden Mitglied des ständigen Komitees des Politbüros. Zhou Enlei bleibt auf seinem Platz drei. Mit der Neuwahl verschiebt sich die vorherige Reihenfolge, ändern sich die ständigen Mitglieder des Politbüros und das bedeutet, dass beide Fraktionen, die revisionistischen Machthaber und die KommunistInnen, sowohl im Politbüro als auch im ZK vertreten sind. Einige Mitglieder des ZK und des Politbüros, die in Wirklichkeit auf der Seite der Revisionisten stehen, versuchen zwischen beiden Fraktionen zu vermitteln.

Zum Beispiel schlug Deng Xiaoping Tao Zhu vor, der daraufhin Propagandaverantwortlicher des Politbüros wurde. Ende 1966 Anfang 1967 wird er wieder abgesetzt, weil er zu den „kapitalistischen Weg gehenden“ Parteimitgliedern gehört. Es gibt auch keinen Verlass auf diejenigen, die sich als Verteidiger von Mao Zedongs Ideen präsentierten.
Mao hat, gestützt auf die Linken in Partei und ZK sowie auf die Massen, am Anfang besonders auf die breiten Jugendmassen, gegen die herrschenden Verhältnisse in Partei und Staat eine Rebellion angezettelt. Maos revisionistische Gegner, die das eigentliche Ziel der Kulturrevolution sind, haben zum Teil offiziell die Kulturrevolution mitgetragen aber in der Praxis jede Möglichkeit genutzt, die eigene Entlarvung zu verhindern und so die Kulturrevolution in die Gegenrichtung zu lenken.
Das zeigt sich bei der Tätigkeit der „Arbeitskomitees“, wie die roten Garden gegeneinander gehetzt wurden, unter dem Deckmantel, dass die jeweils anderen keine Revolutionäre seien – oder auch beim Verschicken der Arbeiterklasse an andere Orte mit der Begründung den „Revolutionären Austausch unter Arbeitern“ zu fördern, wodurch infolgedessen die Produktion gestoppt und die wirtschaftliche Lage verschlechtert wird.
Die Dokumente der Kulturrevolution zeigen unzählige Intrigen der revisionistischen Machthaber. Diese Tatsache verhindert eine einheitliche zentrale Führung der Kulturrevolution. Da die revisionistischen Machthaber nicht offen auftreten und offiziell sich als Anhänger der Kulturrevolution, sogar Verteidiger der „Mao Zedong Ideen“, ausgeben, ist es sehr schwierig, sie zu entlarven und zu bekämpfen.
Laut „Beschluß des ZK der KP Chinas über die große proletarische Kulturrevolution“ wurde das Ziel der Kulturrevolution so formuliert: „Gegenwärtig besteht unser Ziel darin, gegen den kapitalistischen Weg gehende Machthaber zu kämpfen und sie niederzuschlagen, die reaktionären bürgerlichen akademischen ‚Autoritäten‘ und die Ideologie der Bourgeoisie und aller anderen Ausbeuterklassen zu kritisieren und zu verurteilen sowie die Erziehung, Literatur und Kunst und alle andere Teile des Überbaus, die nicht der sozialistischen Wirtschaftsbasis entsprechen, umzuformen, damit die Konsolidierung und Entwicklung des sozialistischen Systems gefördert werden.“
Um dieses Ziel erreichen zu können, müssen die breiten Massen mobilisiert werden. Entsprechend sind die Massen der ArbeiterInnen, BäuerInnen und SoldatInnen, der revolutionären Intellektuellen und Funktionäre die Hauptkraft der Kulturrevolution. Eine Stellvertreterpolitik wird abgelehnt. Um das erklärte Ziel zu erreichen, wird das Hauptangriffsziel festgelegt: „Das Hauptangriffsziel der gegenwärtigen Bewegung bilden diejenigen Machthaber in der Partei, die den kapitalistischen Weg gehen.“
Im Gegensatz zu allen Behauptungen der aktuellen antikommunistischen Propaganda der Bourgeoisie wird in dem Beschluss deutlich vorgegeben, welche Methode bei den Diskussionen anzuwenden ist.
„Die in Diskussionen anzuwendende Methode ist die Darlegung der Tatsachen, die Vorbringung der Argumente und mit Hilfe dieser Argumentation die Überzeugung. Es ist unzulässig, eine Minderheit, die anderer Ansicht ist, mit Gewalt zum Nachgeben zu zwingen. Die Minderheit soll geschützt werden, denn manchmal liegt bei ihr die Wahrheit. Auch wenn sie unrecht hat, soll ihr dennoch erlaubt werden, in ihrer Sache zu sprechen und ihre Meinung zu behalten. Wenn es eine Debatte gibt, soll sie durch Argumente und nicht durch Zwang oder Gewalt geführt werden.“

Den Himmel stürmen!

Die Kulturrevolutionsgruppen, Komitees und Kongresse sind neue Organisationsformen, die direkt aus den Massenbewegungen als Machtorgane der proletarischen Kulturrevolution entstehen. Sie bilden sich aus einem allgemeinen Wahlsystem, ähnlich dem der Pariser Kommune heraus. Das heißt, dass die gewählten Delegierten, wenn sie sich als unfähig erweisen, nach Erörterung von den Massen durch Wahl ersetzt oder abberufen werden können. Trotz aller Lügen der Bourgeoisie: Während der Kulturrevolution erleben die Massen breiteste Demokratie.
Maos Brief vom 1. August 1966 an die Roten Garden, in dem er seine Unterstützung bekräftigt, das Dekret von Zhou Enlai über Auflösung der „Arbeitsgruppen“ an den Universitäten, das Dekret über die „Bewegung des Austausches revolutionärer Erfahrungen“, das den Studenten unentgeltliche und unbeschränkte Reisemöglichkeiten auf dem gesamten chinesischen Verkehrsnetz sichert und die Veröffentlichung des Beschlusses über die Kulturrevolution – all das mündet in einer rasanten, kämpferischen, landesweiten Entfaltung der Studentenbewegung in Form der Rote Garden.
Enthusiastisch und mit revolutionärem Elan kämpfen die Roten Garden gegen alte Ideen, alte Kultur, alte Sitten und Gebräuche um neue Ideen, eine neue Kultur, neue Lebensformen mit revolutionären Inhalten zu schaffen. Sie waren, wie Marx die Kommunarden nannte, „HimmelsstürmerInnen“ der Kulturrevolution. Die erste Massenkundgebung der Roten Garden findet am 18. August 1966 in Peking statt. Auf dem Tiananmen Platz versammelt sich ca. eine Million Jugendliche. Alle bekannten bzw. wichtigen Führer der Partei und des Staats sind anwesend. Mao trägt die rote Armbinde der Roten Garde als Zeichen seiner Unterstützung. Noch weitere acht Mal veranstalten Millionen revolutionärer Jugendlicher in Peking bis Anfang November solche Massenkundgebungen. Insgesamt werden dreizehn Millionen RotgardistInnen empfangen. Sie drücken der Entwicklung der Kulturrevolution bis Ende 1966 den Stempel auf.
Die Roten Garden sind nicht in einem zentralen Verband, der sie anleitet, organisiert und sie sind auch nicht bewaffnet. Hunderte wenn nicht gar Tausende verschiedener Gruppen von Roten Garden bzw. Rebellengruppen entstehen landesweit. Je nachdem von welcher Fraktion innerhalb der KP Chinas sie beeinflusst werden, kämpfen sie gegen andere Gruppen, die als „konterrevolutionär“ eingestuft werden. Die Revisionisten und deren Vertreter hetzen die Gruppen gegen einander, und es kam auch öfter zu gewaltsamen Auseinandersetzungen.
Im Kampf gegen die „Vier Alten“, wobei nicht wirklich klargestellt wird, was das „Neue“ ist und nicht definiert wird, was zum Beispiel von der „alten Kultur“ bekämpft werden solle, werden von den Roten Garden auch viele „linke“ Fehler begangen. Linke Fehler, bedingt durch die revolutionäre Ungeduld, das Vorwärtsstürmen und den Elan der Jugend, in kurzer Zeit sehr viel und sehr schnell erreichen zu wollen, führen dazu, dass auch Marxisten-Leninisten angegriffen werden. Eine abgöttische Verehrung Maos wird zelebriert und der Personenkult rückt massiv in den Vordergrund.
Im Programm der Roten Garden werden unter anderem solche Regeln vorgegeben: „Auf Parfüms, Schmuckstücke, Kosmetik und nicht­proletarische Kleidungsstücke und Schuhe muss verzichtet werden.“ „Die Verbreitung von Fotografie von sogenannten hübschen Mädchen soll eingestellt werden.“ „Die alte Malerei, die nicht politische Themen zum Gegenstand hat, muss verschwinden.“ „Es kann nicht geduldet werden, dass Bilder verbreitet werden, die nicht dem Denken Mao Zedongs entsprechen.“ „Bücher, die nicht das Denken Mao Zedongs wiedergeben, müssen verbrannt werden.“
„Der Kampf gegen die ‚vier Alten’ wurde zuerst so in die Praxis umgesetzt, dass man begann, alles Mögliche und Unmögliche als verdammungswürdig und bourgeois zu ächten. Die Zöpfe, bisher der besondere Stolz der Mädchen aller Stände, wurden plötzlich auf offener Straße durch schulpflichtige Amateurhaarkünstler mit der Begründung abgezwackt, Zöpfe seien nicht revolutionär. (...) Im Gegensatz zur bisher geübten Kulturpolitik, die bemüht war, die Monumente und Kunstwerke museal einzustufen, lief man an einigen Orten gegen sie Sturm. (...) bis sich die Leitung der KR selbst mit dem Problem befaßte. Diese reagierte auch ziemlich rasch, so daß die ikonoklastische Welle keine irreparablen Schäden anrichten konnte. (...) Man stürzte einige Stelen und Buddhafiguren, aber der Schaden steht in keinem Verhältnis zu dem, was über diese Zerstörungen gefabelt wurde.“
Entgegen der Politik der KP Chinas werden auch Personen, die als konterrevolutionär eingeschätzt werden, festgenommen und zum Teil gefoltert. Worauf die Regierung, zum Beispiel Zhou Enlai reagierte und ein solches Vorgehen verbot. Wer sich schuldig gemacht hatte, wird per Gesetz bestraft. „Die Praxis der Eselsohren- oder Kapitalistenmützen war zwar wiederholt durch Tschu En-lai verboten worden, wie man auch untersagt hatte, tätlich zu werden, doch wurden diese Verbote manchmal glatt ignoriert.“ Da Diskussionen öfter in gewaltsamen Auseinandersetzungen gipfeln, wobei es auch zu Tötungen kam, werden im September verschiedene Dekrete erlassen, die die Rotgardisten dem Volk übermitteln.

Ein Dekret beinhaltet folgende Rechte, die tatsächlich in der Verfassung standen:
„1. Es ist erlaubt, jede Ansicht zu vertreten. 2. Jeder darf seine Meinung äußern (Betonung auf jeder.) 3. Versammlungen jeder Art sind gestattet. 4. Es ist erlaubt, Wandzeitungen zu veröffentlichen.“  Dies wurde dann „Die vier großen Freiheiten” genannt. Das zweite Dekret wird dann „Die sechs kleinen Freiheiten“ genannt und beinhaltet:
„1. Redefreiheit 2. Publikationsfreiheit 3. Freiheit, Flugschriften zu verbreiten 4. Freiheit, Karikaturen anzufertigen 5. Versammlungsfreiheit 6. Demonstrationsfreiheit“ 1 Als die Jugendbewegung ihren Höhepunkt im September und Oktober erreicht, steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, die Bewegung mit der Arbeiterklasse und armen Bauernschaft zu verbinden. Sie sind für die Roten Garden die Hauptkraft der Kulturrevolution. Die Roten Garden, die durch das Land reisen, um die Kulturrevolution voranzutreiben, gehen dann in die Fabriken.
Die revisionistischen Machthaber, die die Leitungsposten in den Fabriken innehaben, versuchen mit allen Mitteln eine Verbindung und Kommunikation zwischen Roten Garden und ArbeiterInnen zu verhindern.

ArbeiterInnenklasse
im Mittelpunkt!


Trotz aller in den Weg gelegten Stolpersteine und Schwierigkeiten schaffen die Roten Garden eine Massenbasis für den kulturrevolutionären Prozess innerhalb der Arbeiterklasse. Die Lage ändert sich im Dezember 1966 und Anfang Januar 1967. Die Ereignisse von Schanghai Anfang Januar 1967 brachten die Wende.
„Diese Perspektiven bekamen nun auch unter der Arbeiterschaft einen bewußt wahrgenommenen Inhalt und ihr unformulierter oder besser noch nicht ausgesprochener und nicht realisierter Zustand war ein mächtiger Antrieb für diejenigen, die die Gedanken Maos um eine umfassendere Interpretation bereichern wollten. Die gesellschaftlichen Neuerungen, ihre konkrete Gestalt und Realisierbarkeit bereitete noch niemandem Sorge, weil natürlich formell die Parteiorganisation noch das Heft in der Hand hatte. Im Laufe der KR kamen fast alle Chinesen mindestens bis zu diesen grundsätzlichen Überlegungen. Ende des Jahres, das kann man mit Gewissheit sagen, waren die meisten Industriezentren der Nation in dieser Inkubationszeit, ohne daß man allerdings sagen könnte, ob damals überall die utopische Fragestellung auch wahrgenommen wurde. Doch diese Situation allein konnte die Voraussetzung sein für die sogenannten Machtergreifungen, die dann in den darauffolgenden Monaten durchgeführt wurden. Wohlgemerkt, ohne daß man sich vorher diese auch nur auszumalen gewagt hätte, denn eines steht fest, die Machtergreifungen fanden statt, waren aber merkwürdigerweise durch keinen der Beteiligten auf das Panier geschrieben worden.“ 
Ob vorher auf die Fahnen geschrieben oder nicht, die Arbeiterklasse rückt ab Januar 1967 in die vordere Reihe der Kulturrevolution Am 5. Januar 1967 wird der „Appell an alle Einwohner Schanghais“ in der Schanghaier Zeitung „Wen-Hui Bao“ veröffentlicht von elf Gruppen bzw. Organisationen von ArbeiterInnen, Roten Garden u.a. unterzeichnet. Es ist ein Appell, den Kampf gegen die revisionistischen Machthaber in Schanghai zu Ende zu führen. Am 9. Januar folgt die „‚Dringende Bekanntmachung’ Schanghai“, eine Art Dekret. Diesen „10 Punkte Vorschlag“ unterzeichnen 31 Organisationen. „An das Zentrale Revolutionäre Rebellenhauptquartier der Schanghaier Arbeiter und die 31 anderen revolutionären Massenorganisationen“ war eine Grußbotschaft des ZK der KP Chinas, die am 11. Januar veröffentlicht wurde. Der Staatsrat, das ZK, die Militärkommission und die Kulturrevolutionsgruppe des ZK der KP Chinas hatten diese Grußbotschaft unterzeichnet, in der folgende Einschätzung veröffentlicht wird.
„Ihr habt ein großes Bündnis der proletarischen revolutionären Organisationen zustande ge­­bracht und seid zum Kern der Vereinigung aller revolutionären Kräfte geworden. Ihr habt das Schicksal der Diktatur des Proletariats, das Schicksal der großen proletarischen Kulturrevolution und das Schicksal der sozialistischen Wirtschaft fest in eure Hände genommen. Eure revolutionären Aktionen haben der Arbeiterklasse und dem werktätigen Volk im ganzen Lande und allen revolutionären Massen ein glänzendes Beispiel geliefert.“
Dem Beispiel Schanghai folgt schon am 12. Januar 1967 Shansi. „Die Zentrale Führung der Revolutionären Rebellen von Shansi“ veröffentlicht am 14. Januar die „Öffentliche Bekanntmachung Nr. 1“: „Wir erklären hiermit feierlich, daß von heute an alle Führungsmacht des ehemaligen Parteikomitees der Provinz Shansi in der großen Kulturrevolution von der Zentralen Führung übernommen wird. Wir haben zur Verteidigung der Diktatur des Proletariats und zur Verhinderung eines konterrevolutionären Putsches am Abend des 12. Januar die Macht in den Partei- und Regierungsorganen an uns gerissen, unter anderem im Parteikomitee und im Volksrat der Provinz Shansi und der Stadt T’aiyuan, und haben die Häuser einiger schlechter Elemente durchsucht. Dabei fanden wir viele versteckte Waffen, Munition und schwarze Informationslisten. Die Brutstätten der parteifeindlichen Elemente wurden völlig zerstört. Diese Rebellion ist ausgezeichnet, ganz ausgezeichnet!“ 
Mao verlangt im Januar, die Volksbefreiungsarmee (VBA) „soll den breiten Massen der Linken helfen“. Und die VBA tat es. Diese Beispiele sind der Anfang. Die Machtübernahme dauert mit unterschiedlichen Schwierigkeiten und Kämpfen bis in die zweite Hälfte des Jahres 1968.
Revolutionskomitees entstanden als Machtorgane. Zu Beginn wurde dieses Machtorgan in Schanghai, „Schanghaier Kommune“ genannt.
„Das provisorische Machtorgan der revolutionären ‚Dreierverbindung’ setzt sich aus Verantwortlichen der wirklich die breiten Massen vertretenden revolutionären Massenorganisationen, Vertretern der Garnison der Volksbefreiungsarmee und revolutionären führenden Funktionären zusammen.“ Mao schlägt zur Selbstorganisierung der Massen als entscheidende Waffe im Kampf gegen die „neuen kapitalistischen Machthaber“ vor: „In jenen Gebieten und Institutionen, wo die Machtergreifung notwendig ist, muß die revolutionäre Politik der ‚Dreierverbindung‘ durchgesetzt und ein revolutionäres, repräsentatives, provisorisches Machtorgan mit proletarischer Autorität gebildet werden. Es wäre gut, dieses Machtorgan als Revolutionskomitee zu bezeichnen.“
Schickel fasst die Ereignisse in Februar und März 1967 zusammen: „Haben sich bis dahin die Revolutionäre der Provinzen Shansi und Heilungkian ausgezeichnet, so häufen sich nun Nachrichten aus dem nordöstlichen Shantung, dem südöstlichen Fukien, dem südwestlichen Kueichou und anderen Landesteilen, daß in Universitäten und Fabriken, in Ämtern und Behörden, in Stadt- und Dorfräten, ja in den Provinzregierungen selber, mehr und mehr Macht revolutionär geübt wird; der Funke von Schanghai entfacht einen Brand.“
Seit April 1967 wird Liu Shaoqi öffentlich und in der offiziellen Presse, ohne ihn beim Namen zu nennen, kritisiert. Bezeichnungen wie „chinesischer Chruschtschow“ oder „oberster Machthaber“ werden benutzt, aber jede/r weiß, wer gemeint ist. Hintergrund dafür, dass er nicht mit seinem Namen kritisiert wurde, war was im 11. Punkt des Beschlusses über die Kulturrevolution festgelegt war: „Die namentliche Kritik in der Presse soll nach Erörterung vom Parteikomitee gleicher Ebene beschlossen und in manchen Fällen dem Parteikomitee höherer Ebene zur Genehmigung vorgelegt werden.“
Das Ergebnis dieser Kritikkampagne wird von Blumer so eingeschätzt: „Eines kann man aber behaupten, ohne Gefahr zu laufen, sich dementieren zu müssen: In den Monaten Juni und Juli war es der gesamten Liu-Teng-Fraktion nicht mehr möglich, eine koordinierte politische Aktion durchzuführen. Ihr Apparat war völlig gelähmt. Dies war das Resultat der Großaktion im Landesmaßstab gegen die ‚erste Parteiperson, die den kapitalistischen Weg geht’.
Im Jahr 1967 wird einerseits der Kampf für die Machtübernahme in verschiedenen Provinzen weitergeführt, andererseits werden in der Partei für ZK, Politbüro und die „Gruppe für Kulturrevolution“ sowie auch im Staatsapparat neue personelle Konsequenzen gezogen. Dieses Vorgehen ist mit den verschiedenen Kritikkampagnen über die offizielle Presse verbunden. In den Provinzen, in denen die Revolutionskomitees die Macht erobern, ist nicht unbedingt klar: wer sind sie, die an die Macht kamen? Öfter waren sie Revisionisten. Auch innerhalb der Arbeiterklasse verläuft eine Spaltung, obwohl alle sich als Vertreter der „Mao Zedong Ideen“ ansahen. Dies wird wiederum von den Revisionisten benutzt, um die Kulturrevolution in eine andere Richtung zu lenken. In verschiedenen Provinzen werden die Konflikte mit Gewalt ausgetragen – bei denen es auch Todesfälle gab.
In diesem Zeitraum kämpfen die KommunistInnen unter Führung von Mao gegen die von den Massen begangenen Fehler und versuchen unter Arbeiterklasse, Bauern und Roten Garden eine Einheit, auch „Große Allianz“ genannt, zu schaffen und zu festigen. Um dieses Ziel erreichen zu können, müssen sie sich auch mit der Kaderfrage beschäftigen. Das hing wiederum mit der Konsolidierung der Partei zusammen. Diese Kämpfe laufen gleichzeitig.

„Die Revolution anpacken, die Produktion fördern“.

Im Jahr 1967 ist die Wirtschaftslage gut, nachdem die Arbeiterklasse nach anfänglicher Verwirrung diese im Beschluss über die Kulturrevolution vorgegebene Politik verstanden und aufgegriffen hat. Entgegen heutiger antikommunistischer Hetze schreibt Giovanni Blumer folgendes: „Die Wirtschaft lief auf vollen Touren und über die Ernte des Jahres 1967 beklagte sich niemand. Man meldete im Gegenteil eine Rekordernte, und auch die ausländischen Wirtschaftsbeobachter schienen sich einig, daß die Wirtschaft während der KR nicht grundsätzlich gelitten hatte, sehr zu ihrem Erstaunen. Bis zum 1. Mai (1968, Anm. TA) wurde die Errichtung der revolutionären Komitees in fast allen Provinzen gemeldet.“
Der Kampf in den Provinzen, in denen noch keine Revolutionskomitees arbeiten und die Macht noch nicht erobert ist, dauert bis September 1968. Nachdem verkündet wurde, dass in Tibet und Sinkiang Revolutionskomitees gegründet sind, waren Revolutionskomitees in allen Provinzen (ausgenommen Taiwan) vorhanden. Anfang 1968 umreißt Mao „die drei grundlegenden Erfahrungen der Revolutionskomitees: Es gibt dort Vertreter der revolutionären Funktionäre, Vertreter der Armee und Vertreter der revolutionären Masse. Diese haben eine revolutionäre Dreierverbindung hergestellt. Das Revolutionskomitee soll eine unifizierte Führung geben, es soll den zu vielschichtigen Verwaltungsapparat zerschlagen ‚weniger Truppen, aber bessere, und eine einfachere Verwaltung‘, und eine revolutionäre Führungsgruppe, die mit den Massen verbunden ist, organisieren.

Revolutionärer Ausblick


Die Endphase der Kulturrevolution bricht im Sommer 1968 an und dauert bis zum Ende des IX. Parteitag (April 1969). Zwischen dem 13. und 31. Oktober 1968 findet die zwölfte (erweiterte) Plenartagung des VIII. Zentralkomitees der KP Chinas in Peking statt. An dieser Sitzung sind ZK Mitglieder und Kandidaten, alle Mitglieder der Kulturrevolutionsgruppen beim ZK, die Hauptverantwortlichen der Revolutionskomitees der Provinzen, regierungsunmittelbaren Städte und autonomen Gebiete, die Hauptverantwortlichen der Chinesischen Volksbefreiungsarmee anwesend.
Der bisherige Ablauf der Kulturrevolution wird positiv bewertet. Die ArbeiterInnen, armen Bauern und unteren Mittelbauern werden aufgerufen: „Die Arbeiterklasse muß bei allem die Führung innehaben, und die Diktatur des Proletariats im Überbau einschließlich aller kulturellen Gebiete zu verwirklichen, die Aufgaben für alle Stadien von Kampf-Kritik-Umgestaltung, die Vorsitzender Mao gestellt hat, zu erfüllen und die große proletarische Kulturrevolution zu Ende zu führen!“ Als eine Aufgabe für die Weiterführung der Kulturrevolution wurde festgestellt: „Wir müssen in den Fabriken, Volkskommunen, Institutionen, Lehranstalten, in allen Betrieben und Unternehmen, Wohnbereichen usw. weiterhin die Massen vollauf mobilisieren, die Arbeit bei der Sichtung der Klassenreihen gewissenhaft durchführen, um eine Handvoll Konterrevolutionäre, die sich unter den Massen verborgen halten, ans Tageslicht zu bringen.
Auf der Plenartagung wurde einstimmig beschlossen, Lui Shaoqi „...ein für allemal aus der Partei auszuschließen, ihn all seiner Ämter innerhalb und außerhalb der Partei zu entheben und weiterhin mit ihm und seinen Komplicen über die durch Verrat an der Partei und unserem Land begangenen Verbrechen abzurechnen.“ Die Plenartagung erarbeitet einen neuen Statutentwurf für die Kommunistische Partei Chinas und beschließt, den IX. Parteitag zum geeigneten Zeitpunkt abzuhalten. Dieser tagt zwischen dem 01. und 24. April 1969. Lin Biao hält den politischen Bericht, in dem auch die Kulturrevolution eingeschätzt wird „Der Sieg der großen proletarischen Kulturrevolution in unserem Land ist wirklich großartig. Aber wir dürfen uns auf keinen Fall einbilden, uns in Sicherheit wiegen zu können. Vorsitzender Mao wies im Oktober 1968 in einem Gespräch darauf hin: ‚Wir haben bereits große Siege errungen, aber die geschlagene Klasse wird immer noch verzweifelt kämpfen. Diese Leute leben noch, diese Klasse existiert noch. Daher können wir nicht von einem Endsieg reden. Auch in einigen Jahrzehnten kann davon nicht die Rede sein. Wir dürfen unsere Wachsamkeit nicht verlieren. Vom leninistischen Gesichtspunkt aus betrachtet, erfordert der Endsieg in einem sozialistischen Staat nicht nur die Anstrengungen des Proletariats und der breiten Volksmassen des betreffenden Landes, sondern er hängt überdies davon ab, daß die Weltrevolution den Sieg erringt und das System der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen auf dem ganzen Erdball beseitigt wird, was zur Befreiung der gesamten Menschheit führt. Darum ist es falsch, läuft es dem Leninismus zuwider und entspricht auch nicht den Tatsachen, wenn man leichtfertig vom Endsieg der Revolution in unserem Land redet.Im Klassenkampf wird es immer noch Kehrtwendungen geben. Wir dürfen auf keinen Fall den Klassenkampf vergessen, auf keinen Fall die Diktatur des Proletariats vergessen.“
Die Kulturrevolution hat also gesiegt. Den Klassenkampf dürfen KommunistInnen nicht vergessen, weil es immer Kehrtwendungen geben kann. Die Aufgabe besteht darin, den errungenen Sieg zu festigen.
Auf dem Kongress wird das Werk Mao Zedongs bewertet. Er hat den „...Marxismus-Leninismus mit der konkreten Praxis der Revolution verbunden, auf dem Gebiet der Politik, des Militärwesens, der Wirtschaft, der Kultur, der Philosophie und auf anderen Gebieten den Marxismus-Leninismus als Erbe übernommen, ihn verteidigt und weiterentwickelt; er hat den Marxismus-Leninismus auf eine völlig neue Stufe gehoben. Die Maotsetungideen sind der Marxismus-Leninismus jener Epoche, in welcher der Imperialismus seinem totalen Zusammenbruch und der Sozialismus seinem weltweiten Sieg entgegengeht.“
Damit wird deklariert, dass der Marxismus-Leninismus überholt ist, unsere Epoche nicht mehr erklären und ihre Fragen und Probleme nicht beantworten könne. Gleichzeitig wird völlig illusorisch eine neue Epoche beschrieben, die keinen Hauch mit den Tatsachen und mit der Wirklichkeit zu tun hat. Außer diesen zwei grundlegenden Fehlern gibt es noch einen, der hervorgehoben werden muss, nämlich, dass in dem verabschiedeten Statut Lin Biao als Nachfolger Maos festgeschrieben wird. Das hat mit dem revolutionär-demokratischen Geist der Kulturrevolution nichts zu tun. Während die Kulturrevolution gegen festgefahrene „Autoritäten“ kämpft, legt der IX. Parteitag neue Autoritäten satzungsgemäß fest.

Fehler und Mängel der Kulturrevolution


Es ist unmöglich in einer so großen Massenbewegung wie der Kulturrevolution, die 700 Millionen Menschen erfasste, alle Fehler oder Mängel zu verhindern. Es wurden viele „linke Fehler“, besonders am Anfang, als die Roten Garden den Kampf bestimmten, begangen, einige davon haben wir oben genannt. Was aber die KP Chinas und auch Mao Zedong betrifft, wollen wir hier einige wichtige Fehler hervorheben.
Ein grundlegender Fehler der Kulturrevolution war, die spezifischen Züge der Realität in China zu verallgemeinern. Die Existenz der Bourgeoisie als Klasse ist in China bis zur Kulturrevolution ein Fakt. Daraus wurde eine Theorie für alle sozialistischen Revolutionen entwickelt, wonach die Bourgeoisie als Klasse immer bis zum Kommunismus existieren wird. Das sei der normale Gang der Dinge.
Während der Kulturrevolution werden als Massenkampagne marxistisch-leninistische Werke studiert, aber vor allem und hauptsächlich werden die „Mao Zedong Ideen“ propagiert. Auch der Personenkult um Mao Zedong, der geradezu unheimliche Ausmaße annimmt ist eine dem Sozialismus schadende Erscheinung.
Wie die Existenz der Bourgeoisie als Klasse bis zum Kommunismus wird auch die ständige Existenz von zwei Linien in der KP Chinas zur theoretischen Gesetzmäßigkeit erhoben und dies als der „normale Zustand in der Partei“ angesehen.
In der Kulturrevolution wird propagiert, die Bourgeoisie als Klasse zu liquidieren. Gleichzeitig wird Mao Zedongs Schrift, „Über die Richtige Behandlung der Widersprüche im Volk“, als eine der wichtigsten theoretischen Arbeit als Grundlage der Schulung unter den Massen verbreitet. In diesem Artikel vertritt Mao, dass in China der Sozialismus zusammen mit der nationalen Bourgeoisie aufgebaut werden kann und die nationale Bourgeoisie am Aufbau des Sozialismus teilnimmt; der Widerspruch zwischen Proletariat und der nationalen Bourgeoisie sei ein Widerspruch im Volk.
Die Fehler der Marxisten-Leninisten vor der Kulturrevolution, die letztendlich dazu beigetragen haben, dass die Revisionisten in der Partei und im Staat die Oberhand bekamen und die Kulturrevolution notwendig machten, werden nicht einmal in Frage gestellt. Es wird die falsche These propagiert, dass Lui Shaoqi alle Fehler in die Partei eingeschmuggelt hätte. Darüber hinaus werden auch die von Mao und der KP Chinas begangenen Fehler als eine Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus dargestellt.
Eine wissenschaftliche marxistisch-leninistische Analyse wie die Revisionisten an die Macht gekommen sind, bleibt aus. Daraus resultiert auch die falsche Verallgemeinerung, alle sechs bis zehn Jahre müsse in jedem sozialistischen Land eine Kulturrevolution durchgeführt werden.
Mit der These „Eine Handvoll Leute nahmen in der Partei und im Staat die Machtpositionen ein und gingen den kapitalistischen Weg“ wurde die tatsächliche Stärke der revisionistischen Kräfte in der Partei und im Staat massiv unterschätzt.
Trotz aller Fehler und Mängel hat die Kulturrevolution in der Geschichte der kommunistischen Weltbewegung als ein gigantischer Kampf, eine politische Revolution, ein Versuch zur Errichtung der Diktatur des Proletariats einen herausragenden Platz. Das war ein weltbewegender revolutionärer Prozess. Die Kulturrevolution war eine in der Menschheitsgeschichte bis dahin noch nicht da gewesene Revolution, die Hunderte Millionen Menschenmassen von unten nach oben aufgerüttelt hat und zum Subjekt der Revolution machte.
Unsere Aufgabe ist, daraus zu lernen!

15. Juli 2016