Tribunal „NSU-Komplex auflösen

17. bis 21. Mai 2017 Manifestation der Solidarität – Gemeinsam gegen Rassismus und Faschisierung!

Vorbemerkung
Das Tribunal-Projekt wurde seit 2014 aus dem bundesweiten Aktionsbündnis „NSU-Komplex auflösen“ heraus entwickelt. Antirassistische, antifaschistische Initiativen, Betroffene und Opfer rassistisch-faschistischer Gewalt, Bündnisse und Einzelpersonen, aus unterschiedlichen Bereichen haben sich zusammen getan und diesen Kraftakt gewagt, auch von uns, TA, sind Aktivisten dabei. Vorweg allen Tribunal-OrganistorInnen, dem großen Netz der vielen UnterstützerInnen, vor allem aber den Betroffenen und Opfer des Nazi-Terrors, die prägend waren mit ihrer Kraft und ihrem Mut, ein großes Danke. Ohne die wertvolle Arbeit von uns allen wäre so eine gigantische Arbeit nicht möglich gewesen. Alle haben am großen Rad des Tribunals mitgedreht. Wir sind stolz, ein Teil davon gewesen zu sein. Beim Tribunal haben wir, eine Gruppe TA-AktivistInnen aus verschiedenen Städten, teilgenommen. Wir haben viele Veranstaltungen besucht und uns in den Workshops aktiv eingebracht. Unsere Eindrücke wollen wir in diesem Artikel mit Euch teilen. Begeistert, motiviert, ergriffen, tatendurstig und mutig, …. so sind wir vom Tribunal zurückgekehrt.

Tribunal

Am Mittwochabend öffnet das Tribunal im Schauspiel Köln seine Tore zur Auftaktveranstaltung. Am Sonntagnachmittag enden bewegte, spannende, reich gefüllte Tage mit dem „Auszug aus der Fabrik“, einer Parade durch Köln-Mühlheim und einer Kundgebung mitten auf der Keupstraße.
Das Schauspiel Köln bespielt seit einigen Jahren Gebäude in der alten stillgelegten Drahtseil-Fabrik, Carlswerk. In nächster Nachbarschaft zur Keupstraße. Damit ist eine direkte räumliche Nähe und Verbindung mit den Opfern eines Tatorts vom NSU-Nazi-Terror gegeben, dem Nagelbombenanschlag von 2004. Das Schauspiel hat seine Räume und seine Infrastruktur für fünf Tage dem Tribunal komplett überlassen. Hauptveranstaltungen laufen im großen Theatersaal, dem „Depot I“. Im Foyer eine von mehreren Ausstellungen „Sequenzen-Erinnerung-Wechsel“. Die über 25 Workshops finden an dezentralen Orten in Köln statt.
Das Tribunal ist keine Konferenz, keine Tagung, kein Kongress und keine Vortrags-Veranstaltung. Es ist etwas ganz anders und viel mehr. Es ist eine politische, solidarische und kulturelle Intervention auf vielen Ebenen. Es setzt ein unübersehbares und unüberhörbares Fanal gegen Rassismus und Faschisierung. Im Mittelpunkt steht die Perspektive der migrantischen Opfer und Betroffenen und ihrer Geschichte. Ein „Labor“ von Ideen, Erfahrungen, Wünschen und Forderungen: Zusammenstehen – zusammen kämpfen – Solidarität! Aufklärung durch staatliche Institutionen findet nicht statt – Das müssen wir schon selber tun! Einstehen für eine andere Gesellschaft!
Das Tribunal besuchen über 3 000 Menschen im Laufe dieser Tage. Betroffene, UnterstützerInnen, BesucherInnen und VeranstalterInnen bringen sich ein, diskutieren und schaffen einen offenen Raum mit und für einander.
BesucherInnen, überwiegend junge SchülerInnen und StudentInnen, aus der ganzen Republik. Eine enthusiastische, neugierige Atmosphäre. Alle wollen am liebsten mit allen ins Gespräch kommen, sich kennenlernen und gemeinsam den Widerstand voranbringen. Und gemeinsam gefeiert wird auch!
Alle Facetten des NSU-Komplexes werden mit einer beeindruckenden Vielfalt unterschiedlicher Ausdrucksformen des gesellschaftlichen Lebens, Politik, Kunst, Kultur, Medien, Film, Theater, Ausstellungen, Installationen aufgegriffen. Das Ziel: Sichtbar machen, Aufrütteln, Gefühle hervorrufen und Wissen vermitteln, gesellschaftliche Verantwortung ansprechen, Strukturen des institutionellen und gesellschaftlichen Rassismus bloßlegen. Die Wirkung: Intervention!
Schon im Vorfeld des Tribunals werden dafür viele Mittel genutzt. Auf der Website ist das Material frei zugänglich, ansehbar und abrufbar. Das „Mobile Reporting Kamerateam – kameradist*innen und studierende der weißensee kunsthochschule berlin“ dokumentiert direkt das Tribunal. Durchgehendes Motto ihrer Filmclips „Zuhören ist eine politische Tat“.
Auf dem Eingangs-Vorplatz richtet sich für diese fünf Tage die mobile Schilder-Werkstatt ein. Texte für Forderungen, Losungen, Wünsche, Anklagen, Perspektiven werden von den BesucherInnen formuliert und gemeinsam mit KunststudentInnen der Universität der Künste Berlin und MithelferInnen produziert. Phantasievoll mit Pappe, Farbe und Schnitt-Messern – kleine Kunst-Werke entstehen. 

Veranstaltungsort – Depot I

Ein Theatersaal, eine breite, hohe Bühne, drei Leinwände und eine Projektionsfläche für einen Overheadprojektor. Am Rand rechts im Hintergrund Übersetzungsboxen für die DolmetscherInnen. In drei Sprachen (türkisch, englisch, deutsch) wird durchgängig simultan übersetzt. Eindrucksvoll das ÜbersetzerInnen-Kollektiv, Verständigung möglich machen über Sprachgrenzen hinweg. 
Die aufsteigende Zuschauertribüne im Halbrund gegenüber der Bühne. Aktions- und Gesprächsorte sind die große Bühne, intimere Gesprächsinseln und zwei kleinere Sprech-Podeste im Zuschauerbereich. Auf der Bühne werden bei einigen Veranstaltungen aus Regalen, die im hinteren linken Teil der Bühne sichtbar sind, Gegenstände auf den Overheadprojektor gelegt. Sie veranschaulichen Gefühle, Situationen und Geschehen, die in den Gesprächen und Diskussionen angesprochen werden. Auf den Leinwänden werden Filme und Fotografien gezeigt, sowie Textnachrichten eingegeben.
Die „klassische“ Theatersituation, Licht auf die Bühne gerichtet und ZuschauerInnen im Dunkeln, wird aufgebrochen. Die Theaterbeleuchtung wird ganz anders eingesetzt. Der Zuschauerraum ist immer auch mitbeleuchtet, mal heller und mal etwas dunkler. Die BesucherInnen sind so keine anonyme Masse, sondern stehen in direkter Verbindung zur Bühne als auch zu den Handlungsorten im Saal. Das Licht wird immer entsprechend der Aufmerksamkeit für die Geschehnisse des Tribunals ausgerichtet. Finden an den „Inseln“ Gespräche zwischen ModeratorInnen und Opfern und Angehörigen statt, werden diese sanft angestrahlt. Diskussionsrunden auf der Bühne mit kleinen Steh- und Tischlampen ausgeleuchtet.
Die BesucherInnen können sich an den Veranstaltungen selbst nicht direkt beteiligen. Indirekt ist es möglich, eigene Wünsche, Forderungen, Gedanken auf Zettel zu schreiben. Eingesammelt werden sie unkommentiert auf eine Leinwand projiziert. Viele TeilnehmerInnen, mit denen wir uns austauschen, haben sich im Vorfeld des Tribunals mehr Möglichkeiten in Diskussion zu kommen und etwas gemeinsam beitragen zu können, vorgestellt und auch gewünscht.
Wir berichten chronologisch zunächst über die Veranstaltungen im Depot und dann über verschiedene Workshops.

Eröffnungsveranstaltung
Die Perspektive der Migration

Mittwochabend. Eine kurze, beeindruckende Eröffnungsrede von Ester Bejarano: „Das Tribunal ist ein Meilenstein unbeugsam zu sein und gemeinsam mit Opfern an- und einzuklagen“, dann Songs mit Microphone Mafia.
Für die Betroffenen eröffnet an der Gesprächsinsel Gülistan Ayaz-Avcı mit einer Rede das Tribunal. Ihr Mann, Ramazan Avcı wird im Dezember 1985 auf der Straße von Nazi-Skinheads zusammengeschlagen. Er stirbt an den Folgen der Verletzungen wenige Tage später. Gülistan ist hochschwanger, ihr Sohn kommt kurz nach dem Mord zur Welt.
Sie spricht, spürbar aufgewühlt, über die Kontinuität rassistischer Nazigewalt und Reaktion von Staats- und Polizeiinstanzen, von damals bis heute. Von ihrem langen Weg, von Resignation, von Widerstand, und von Hoffnung. Zuversicht erwächst für sie durch die Gründung der Ramazan-Avcı-Initiative vor zehn Jahre und durch verstärkten Kontakt zu anderen Betroffenen in den letzten Jahren
Hasan und Özcan Yıldırım, Mitat Özdemir vermitteln die ganze Wucht der Erschütterung ihres Lebens durch den NSU-Nagelbomben-Anschlags in der Keupstraße.
Im Fokus ihrer Wut und inneren Verletzungen stehen die rassistischen Anschuldigungen seitens des Staates und der Medien, ihnen gegenüber. Sie werden von Opfern zu Tätern gemacht. Die Bombe nach der Bombe. Ihr weiteres Leben, das aller Betroffenen, wird nie wieder so sein wie vorher. Die Folgen sind bis heute verheerend.
Gefehlt, schmerzlich gefehlt haben an diesem Abend Stimmen der Angehörigen der ermordeten NSU Opfer. Die Perspektive und Geschichte aller vom NSU-Terror Betroffenen in den Mittelpunkt zu rücken, gelang an diesem Abend somit nicht in vollem Umfang.
Im weiteren Verlauf der Veranstaltung wird es schwierig einen Bogen von der emotionalen Spannung, die durch das Zeugnis der Betroffenen entsteht, zu den weiteren Beiträgen zu schlagen.
Mai-Phuong Kollath gibt einen Einblick über das Leben der vietnamesischen „Vertrags“arbeiterInnen in der ehemaligen DDR. Sie spricht auch als AnwohnerIn und Zeugin über das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen im August 1992. Die Soziologin Chowra Makaremi hält einen thematisch interessanten, allerdings sehr akademischen Vortrag über Vorbild und Geschichte der Russell-Tribunale. Dieser wäre für einen Workshop geeigneter gewesen.
Das Ende der Eröffnung steht im Zeichen von Solidarität und Protest aller Tribunal-TeilnehmerInnen gegen die Abschiebung von Selamet Prizreni. Als Künstler der Hiphop Gruppe K.A.G.E. und Redner war Selamet zum Tribunal eingeladen. Er wird jedoch zwei Tage vorher abgeschoben.

Donnerstag:
Klage und Anklage Betroffene erzählen

„Wir wollen keinen Dank, wir wollen Respekt, verdammt noch mal“
„Die Geschichte der Arbeitsmigration und die Angriffe auf migrantische Lebenswelten“ seit Ende der 1950er Jahre wird mit Bildmaterial und Texten lebendig und spannend illustriert. Eine Geschichte migrantischen Lebens mit all seiner Vielfalt. Selbstbewusster migrantischer ArbeiterInnen-Widerstand und Klassenkampf in den Fabriken und auf den Straßen. Gleichzeitig aber auch eine bittere Geschichte von deutschem Rassismus in Politik und Gesellschaft.
Ein Mangel ist, die Geschichte der Kontinuität der Migrationen, der Ausbeutung von Migranten-ArbeiterInnen unter dem deutschen Imperialismus und Kolonialismus, seit seinem Aufstieg im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, wird nicht hergestellt. Im Deutschen Reich bespielsweise die extreme Unterdrückung und Ausbeutung vieler, insbesondere italienischer, polnischer MigrantInnen (Land- und FabrikarbeiterInnen), die dann während des 1. Weltkriegs zur Zwangsarbeit gepresst wurden.

Angriff der Nazis & staatlich unterstützter Ausbau von Nazistrukturen
Zwei SchauspielerInnen zeichnen die staatliche Verantwortung, die Nazistrukturen, die bewussten Vertuschungs-Entscheidungen, die vielen Vernetzungen von V-Leuten und staatlichen Instanzen, die grausamen Methoden der polizeilichen Ermittlungen in einer rasanten Textcollage von Originalaussagen nach. Der Atem stockt einem, bei solcher Offensichtlichkeit von Staat und Nazis – Hand in Hand! Die Erniedrigung, die Pein der Angehörigen und Opfer wird spürbar und miterlebbar. Es graut einem nur so. Diese Texte müssen veröffentlicht werden, damit sie so ihre Wucht weiter entfalten können.

Tatort Kassel &
seine institutionellen Verflechtungen
2006 Mord an Halit Yozgat in seinem Internetcafé in Kassel. Die Recherchen des „Forensic Architecture Instituts“ London, angefragt vom Tribunal, werden vorgestellt. Sie und die Protokolle der Zeugenaussagen in den Polizeiberichten reichen aus, um die Lügen von Temme, V-Mann-Betreuer und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, und den zuständigen Behörden deutlich zu machen. In einer Untersuchungsanordnung im Nachbau des Internetcafés wird eindeutig belegt, entweder Temme ist Täter oder er muss die Schüsse gehört und gerochen haben. Ebenso wie er gesehen haben muss, wie Halit Yozgat hinter der Ladentheke verblutete. Es ist kein Kommentar nötig, keine Interpretation. 
Desto alarmierter müsste die Öffentlichkeit den Verlauf und das (zu erwartende) Ergebnis des NSU-Prozesses in München aufnehmen. Dass sie das nicht tut, zeigt umso mehr die Kräfteverhältnisse und den rassistischen Normal-Zustand der Gesellschaft.

Freitag:
„We are the future in the present”

Teil I: Die Geschichte der Kämpfe &
Teil II: Bündnisse, Transformationen, Visionen


Diese Veranstaltungen haben spannende, aber auch schwache Momente und wirken nur begrenzt.
Zunächst werden Konzepte von Selbst-Organisierung einem Publikum, das darüber mehr als ausreichend informiert ist, vorgestellt. Auch die Zusammensetzung der Initiativen ist zu unterschiedlich. Darin ist kein ausgewogenes Verhältnis bzw. keine richtige Balance in der Gewichtung der Opfer und Betroffenen von rassistischer, faschistischer Gewalt durch Nazi-Terror, durch Polizeigewalt wie Ramazan Avcı- und Oury Jalloh-Initiative, Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland (ISD), Freundeskreis im Gedenken an den rassistischen Brandanschlag von Mölln 1992 und Gruppierungen wie Kotti & Co, ver.di Sachsen und Planerladen etc. Das hat unserer Einschätzung nach nicht der Zielsetzung des Tribunals entsprochen.
Die Debatte über Zukunfts-Visionen ist eine Diskussion darüber, in was für einer Gesellschaft wollen wir leben. Die Perspektiven, die in diesen Veranstaltungen angeboten werden, bewegen sich teilweise zwischen Sozialarbeit, Mieterkampf und postmigrantischer Gesellschaft. Post-Kanak Attak-Perspektiven werden aufgeworfen. Hier wird vom Tribunal leider nur eine kleine Bühne des Austauschs, der politischen Diskussion der mit einander konkurrierenden Anschauungen über die Perspektiven in diesem Land organisiert.
Kritische Stimmen beispielsweise der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) stellen die „Gesellschaft der Vielen“, die nach Behauptung des Tribunals schon vorhanden sei, in Frage. Die Initiative Gedenken an Oury Jalloh thematisiert die Rolle des Staates. Ein Sprecher der Ramazan-Avcı-Initiative stellt, Fragen nach linker Solidarität und auch unter migrantischen Gruppen. Warum zum Beispiel folgte eine starke Welle des Protestes auf die Nazi-Anschläge, und Pogrome in den 1990er Jahren? Warum nicht nach dem Auffliegen des NSU – bis heute? Die Klassenfrage und soziale Lage werden angesprochen.
Aber eine kontroverse Debatte dazu findet kaum statt. Auf beiden Veranstaltungen steht nicht ausreichend die Perspektive der NSU-Opfer und ihrer Angehörigen, nicht die Perspektive des gemeinsamen Kampfes gegen den rassistischen Nazi-Terror, seine Protektion durch den Staat und auch nicht die Vision für eine andere Gesellschaft im Mittelpunkt. Diese Chance wurde verpasst. Aber für die Zukunft könnte das ein Beginn sein, diese Debatte weiterzuführen.

Samstag:
Tag der Anklage

Der Anschlag nach dem Anschlag – Behörden und Medien gegen die Opfer
Vielstimmig werden Auszüge aus den Ermittlungsakten und Protokolle aus den Untersuchungsausschüssen vorgetragen. Die immer gleichen stereotypen rassistischen Anschuldigungen, Unterstellungen und Verdächtigungen. Ob im polizeilichen Verhör gegen die Betroffenen, in der Schikane von Überwachung, im Einsatz von V-Leuten gegen sie und im Versuch sie gegeneinander auszuspielen. Eine schier endlose Kette von Demütigung, Einschüchterung und psychischer Gewalt. In ihrer vernichtenden Wirkung – schier unfassbar – aber bundesrepublikanische Realität. Die tief sitzende, rassistische, deutsch-nationalistische Verachtung migrantischen Lebens und Community in Behörden, Polizei, Justiz, Politik, Medien.
Betroffene schildern eindringlich ihre Erlebnisse.
Der Bruder des 2005 vom NSU in München ermordeten Theodoros Boulgarides, Gavriil Boulgarides klagt erbittert an:
„Die Mörder konnten sich durch die Berichterstattung in Sicherheit wiegen. Ich habe nie dieses jahrelange, dauerhafte Demolieren von Familien und Angehörigen erlebt in den 40 Jahren in diesem Land. Die haben uns durch die gesamte Kloake Deutschlands gezogen. Ich habe kein Vertrauen mehr. Ich lasse keinen Journalisten mehr an mich heran.“ Auf die Frage, was er sich gewünscht hätte, antwortet er: „Die Berichterstattung hätte näher an der Wahrheit bleiben sollen und mit mehr Sensibilität hätte vorgegangen werden sollen.“ Und stellt am Ende fest: „Jahrelang haben die uns nieder gemacht. Keine Entschuldigung, nichts Positives. Ich werde das nie vergessen, was die mit unseren Familien gemacht haben.“
Die Mainstream Medien, angeblich unabhängige Medien prägten selbst die Begriffe von den „Döner-Morden“ wahlweise „türkischen Mafia- und Drogen-Morden“. Damit haben sie die Hetze immer weiter angefacht.
Von linker Seite, bis auf einige wenige, Ausnahmen, wird dem nicht wirklich entgegen getreten. Die Journalistin Heike Kläffner thematisiert mutig im Gespräch ihr eigenes Versagen in der Berichterstattung und ihr Nichthinterfragen der Motive in den NSU-Mordfällen, bevor der NSU aufflog.

Das Aufklärungsversprechen, der Prozess und andere Inszenierungen

İbrahim Arslan, Opfer und Überlebender der rassistischen Brandanschläge von Mölln 1992, und Angehörige der Opfer der NSU-Anschlagsserie in einem Gespräch über starke Opferpositionen.
Leitmotiv ist, so İbrahim
„Das, was wir heute anfangen, ist nicht nur ein Politikum, sondern auch ein Bruch des Schweigens, ein Aufschrei der Betroffenen und Opfer gegen die falsch laufende Opfer- und Gedenkpolitik. Wir werden uns von niemanden mehr instrumentalisieren lassen, wir werden uns von niemanden mehr mundtot machen lassen, keiner kann uns unser Gedenken mehr wegnehmen, jeder wird akzeptieren müssen, dass Betroffene nicht Statisten sind, sondern die Hauptzeugen des Geschehenen.“

Die Betroffenen, die Opfer, die an der Veranstaltung teilnehmen, sind in ihrer Haltung, in ihrer Geschichte, in ihren Gedanken und Wünschen im Fokus und unglaublich präsent. Sie nehmen die Aufklärung in ihre eigenen Hände, sie erzählen ihre Geschichte selbst und sie stellen ihre Forderungen an diese Gesellschaft und den Staat. Die Erinnerung und das Gedenken an die Opfer überlassen sie nicht länger heuchlerischen Akteuren, die an den rassistischen Strukturen und Taten Mitverantwortung tragen. Die stärkende Kraft von Selbstsorganisierung von Betroffenen wird deutlich. Ein eindrückliches und nachhallendes Erlebnis.

Abschlussveranstaltung
Wir klagen an!

Diese Veranstaltung ist das Fanal des Tribunals. Vor der Anklageverlesung sprechen einige Betroffene und Angehörige, Osman Taşköprü, Bruder von Süleyman Taşköprü, ermordet vom NSU, Abou Diabi, Bruder von Jaja Diabi, 2016 unter völlig ungeklärten Umständen1 in der U-Haft in Hamburg gestorben.
Arif Sağdiç, Opfer des Keupstraßenanschlags, und Faruk Arslan, Betroffener des Nazi-Anschlags in Mölln betonen die Bedeutung des Tribunals als Ort der Solidarität und Aufarbeitung:
„Das Tribunal und die Menschen sind die Kraft, die wir gebraucht haben.“ – „Bleibt dabei und helft uns, zusammen Rassismus auszumerzen. Ihr seid hier, ihr habt euch gekümmert. Dafür danke ich euch.“

Auch Melek Bektaş, Mutter von Burak Bektaş erhebt ihre Stimme. Ihr Sohn wird am 5. April 2012 in Berlin gezielt von einem unbekannten Rassisten ermordet. Zwei seiner Freunde schwer verletzt. Die „Nicht“-Ermittlungen verlaufen bis heute im Sande. Der Mörder ist noch immer nicht gefasst. Die Familie wird alleine gelassen vom Staat, seinen Gerichten und Politikern.
Melek Bektaş hat im Workshop „Forum“ am Freitag (siehe weiter unten) in emotionaler Bewegtheit den Raum verlassen, als ihre Gedanken vorgelesen werden.
Durch die ermutigende Unterstützung der Menschen und der Atmosphäre im Forum, insbesondere von İbrahim, tritt Melek nun, nur einen Tag später mutig, mit viel Schmerz, aber auch Entschlossenheit auf die Bühne vor fast 1 000 Menschen. Sie spricht über den Verlust ihres Sohnes und die Kraft der Solidarität:
„Die Zeit Halt zu sagen ist schon vorbei. Ich habe hier gesehen, wie viele Opfer es gibt. Wie viele gibt es noch von ihnen, von denen wir noch nichts wissen. Wenn wir schweigen, wird das immer wieder passieren. Jetzt ist die Zeit unseres Schweigens vorbei, wir werden nicht mehr schweigen. ... Dieses System des Rassismus soll nicht so weitergehen. Ich habe hier gesehen, wenn wir Hand in Hand gehen, dann werden wir stärker. Unser Schmerz endet nicht, und er wird auch nicht enden. Wir können die, die wir verloren haben nicht wieder zurückbringen. Unsere ganze Hoffnung ist, dass keine weiteren Buraks sterben werden. … Ihr werdet unsere Stimmen hörbar machen.“
Die gemeinsame Anklage gegen strukturellen Rassismus, gegen PolitikerInnen und FunktionsträgerInnen im Staat, gegen Nazis und ihre Netzwerke, gegen die Medien ist die Anklage der Betroffenen und Opfer, aller TeilnehmerInnen des Tribunals. Politischer und emotionaler Höhepunkt des Tribunals.
Die Anklage wird von AktivistInnen des Aktionsbündnisses „NSU-Komplex auflösen“ verlesen. Vom Bühnen-Podium aus, an schwarz umhüllten „Gerichts“-Tischen und von im Saal verteilten SprecherInnen. Namen, Funktionen, konkrete Anklagepunkte. Rasch und hinter einander weg. Als Ergebnis langjähriger akribischer Recherchearbeit sind Berge von Fakten zusammengetragen worden, um in diese Anklage konkret einzufließen. Über 90 Beamte, Politiker, Minister, Sachbearbeiter, Verfassungsschützer, Nazis, Intellektuelle, Kriminalbeamte, Polizisten und Journalisten werden namentlich genannt.
Für das Publikum, die ZuhörerInnen ist leider keine Möglichkeit eröffnet, aktiv diese Anklageveranstaltung mitzutragen. Bei den ergreifenden Worten der Opfer und Betroffenen wird von allen warmherzig, anhaltend und stehend applaudiert.
Bewegend für alle im Saal ist das Ende dieser Veranstaltung und damit auch des Tribunals, einem ungeheuren Kraftakt aller Beteiligten, die es möglich machten und die es gemeinsam getragen haben.


Tribunal

Workshops

Die aktive und direkte Beteiligung der BesucherInnen ist bei den Workshops intensiver möglich. Wir haben uns aufgeteilt und an zahlreichen Workshops beteiligt, da sie parallel waren, leider nicht an allen. In Diskussionen haben wir die Opferperspektive und die Staatsfrage in den Mittelpunkt gestellt und unsere kommunistischen Positionen eingebracht.
Recherchen zu den Tat- und Ereignisorten des NSU
Geschichtswerkstatt: Transformationsgesellschaft und Jugendhilfe in Chemnitz –TRAFO

Viele Chemnitzer StudentInnen, um die 38 Teilnehmerinnen. Vorbereitet ist der Workshop sehr gut von einer Kerntruppe von einer jungen Frau und zwei jungen Männern. Sie haben ab 2015 die Lebensverhältnisse des NSU-Trios „Im Untergrund“ untersucht. Darüber stellen sie eine beeindruckende Ausstellung vor, über Wohnorte der Nazis sowie die Zeiträume, wann sie wo jeweils gewohnt haben. Wer für sie die Wohnungen gemietet hat. Sie haben die Banküberfälle und die Morde zu den Wohnorten und Wohnortzeiten zugeordnet. Interviews mit NachbarInnen und mit Stammkneipenbesitzern etc. geführt. Klar ist: Der NSU war nicht im Untergrund! Sie haben ganz normal einen öffentlichen Alltag gelebt. Sie hatten viele, viele Nazi-Kameraden als Helfer! Vor allem aber war und ist der NSU kein Trio, sondern ein breites Netzwerk, wobei V-Leute darin eine sehr aktive Rolle spielten.
Es wird eine Spur von den Aktionen 2006, als in Kassel und Dortmund die Demonstrationen stattfanden bis 2011 gelegt. Jede/r der TeilnehmerInnen soll sich an die Station in dieser Spurrille stellen, wo er von den rassistischen Morden hörte, oder daran dachte etc. Die meisten stellen sich an dem Punkt auf, wo das NSU-Trio sich selbst „enttarnte“, 2011!
Wir diskutieren darüber und halten fest: Wir glaubten an das, was uns von den Medien vorgesetzt wurde. Dann wird ein Kreis mit den Namen der Opfer gezogen, jede/r soll sich zu dem Namen stellen, von dem er/sie am meisten weiß. Wer Opfer direkt kannte, möge sich ganz nah an deren Namen stellen, die anderen Distanz halten.
Niemanden kannte eines der Opfer direkt. Die Leute, die sich ziemlich fern zu den Namen aufgestellt haben, werden nach ihrem Motiv gefragt, warum sie am Tribunal teilnehmen. Ihre Antwort: Kampf gegen Rassismus.
Es werden vier Arbeitsgruppen gebildet, deren Ergebnisse sind:
Polizeiliche und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen waren, wenn nicht bewusst verdeckend, dann vollkommen dilettantisch und unprofessionell. Mit diesen Ermittlungen können die wirklichen Strippenzieher nicht aufgedeckt werden. Die Medien haben eine absolut negative Rolle gespielt und von vorne herein nur falsche, manipulierende Nachrichten (Fake News) produziert. Die diversen parlamentarischen Untersuchungsausschüsse sind machtlos. Eine parlamentarische Kontrolle der Verfassungsschutz-Organe ist unmöglich, nicht gewünscht. Trotzdem kam einiges dabei heraus. Vom Gerichtsprozess in München kann keine Aufklärung erwartet werden.
Von den Workshopmachern kann man viel über Recherche und Vermittlung lernen. Im persönlichen Gespräch sind sie ganz klar, dass der Staat und die Institutionen das Hauptproblem sind!

Junge Muslime in Auschwitz
HeRoes aus Duisburg

An diesem Workshop nehmen wir, einmal aus Interesse an dem Projekt teil, aber auch weil wir uns nach dem Bezug zum NSU-Komplex gefragt haben. Der Gruppenleiter Burak Yılmaz von HeRoes stellt in einer ausführlichen Powerpoint-Präsentation ihre Arbeit vor: Bildungsarbeit mit „postmigrantischen jungen Männer aus sogenannten ehrenkulturellen Milieus gegen Antisemitismus.“ (Zum Beispiel Gruppenfahrten zum KZ Auschwitz) Ca. 25-30 vor allem junge Leute, vorwiegend Lehramt-StudentInnen und Sozialpädagogen sind da.
Eine Teilnehmerin stellt die berechtigte Frage, warum weder in der Präsentation noch in der bisherigen Diskussion die Frage nach der Wirkung von Antiislamismus und Islamophobie, Rassismus in der Gesellschaft auf die „Zielgruppe“ junge muslimische Männer thematisiert wird. Der Nährboden für Antisemitismus liegt auch in der vehementen Ablehnung muslimischer Jugendlicher durch die „christliche“ Mehrheitsgesellschaft.
Ebenso wird die Frage nach dem Zusammenhang mit dem NSU-Komplex gestellt. Burak berichtet, sie würden auf diese Probleme des Antiislamismus in der „Biographiearbeit“ mit den Jugendlichen eingehen. Ein Beispiel von Rassismus aus seiner Praxis nennt er. Wenn er bei einer Lehrerfortbildung auf die Tafel drei Stichpunkte schreibt: Männlich-Jung-Araber! dann würden prompt im Stakkato sämtliche Vorurteile, Abwertungen von den LehrerInnen abgeliefert.
Positiv ist, der Videoclip über die Veranstaltung dokumentiert gerade diese Diskussion, die eigentlich nicht Hauptthema war. Für uns war der inhaltliche Zusammenhang dieses Workshops zum Tribunal NSU-Komplex nicht klar. Und so schien das eher eine Alibiveranstaltung um zu zeigen, dass auch gegen arabischen, türkischen und sonstigen migrantischen Antisemitismus Position bezogen wird.

NSU in der politischen Bildungsarbeit
Betroffenenberatung empower und Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Hamburg

Die TeilnehmerInnen sind offenbar entweder Studierende oder im Bereich antirassistischer Bildungsarbeit tätig. Gesprochen wurde in einer akademisch-abgehobenen Sprache miteinander, die wohl in dieser Nische heute gesprochen wird ... PoC (people of colour) ist ein gängiger Begriff und „kritisches Weiß-Sein“.
Für den Einstieg suchen sich alle aus einer Vielzahl verschiedener Bildkarten diejenige(n) aus, die sie für die Vorstellungsrunde benutzen möchten. Eine Teilnehmerin, Arbeiterin hat zwei Karten gewählt: 1. ARBYTE 2. Die rechte Hand eines schwarzen Menschen, der Zeigefinger ist zeigend ausgestreckt.
Sie erzählt, für sie stehe ARBYTE in diesem Fall für die Realität am Arbeitsplatz, wo Rassismus vorherrschend ist und selten angesprochen, geschweige denn hinterfragt wird. Auch nicht von den Betroffenen. Sie berichtet in ihrer Fabrik, arbeiten siebentausend Menschen mit ca. 50 verschiedenen Nationalitäten. Es gibt eine Art Hierarchie der rassistischen Beleidigung, auf der untersten Stufe stehen Schimpfworte für Angehörige der Roma und Sinti.
Die Hand steht symbolisch für die Frage: Auf wen hört die Öffentlichkeit, wessen Hinweise werden gehört. Im Zusammenhang mit den NSU-Morden, meint sie, müssen wir als so genannte Linke selbstkritisch feststellen, dass wir die Hinweise der Betroffenen zu wenig gehört, zu wenig verstärkt haben. Wie lange die Opfer und Angehörigen der Opfer des NSU allein gelassen wurden – dafür müssen RevolutionärInnen/Linke auch einen Teil der Verantwortung übernehmen. Bildungsarbeit heiße für sie im Zusammenhang mit dem NSU auch Aufarbeitung, im Sinne von:
‚Die Lektion haben wir gelernt! Wir sind in Zukunft wachsamer und hören hin, wenn betroffene Menschen sprechen!‘

Bildungsarbeit sehe sie weniger als Arbeiten in Seminaren.
Ihre Vorstellung ist: Sie möchte direkt lernen und jederzeit an jedem Ort Menschen zum Lernen bringen, am besten mit einer Art Mini-Lektionen, die einsetzbar sind in der Fabrik, am Band, auch während eines Eineinhalb-Minuten-Takt-Akkords. Menschen in dem Umfeld abholen, in dem sie sind, fordert auch Methoden für Menschen, die zunächst nicht hinterfragen, was ihnen an Mainstream-Informationen geliefert wird. Wie lernen Menschen, die nicht gewohnt sind, zu hinterfragen, zu reflektieren?
Dieser Beitrag, fällt relativ aus dem Rahmen und bringt eine andere wichtige gesellschaftliche Realität des Rassismus konkret ins Spiel. Diese Sichtweise wird auf dem Tribunal kaum thematisiert.
Ein weiterer Eindruck aus diesem Workshop ist, dass der Anspruch, Sprache ändert Verhältnisse, den Charakter dieser Veranstaltung bestimmt hat. Dieser Anspruch scheint uns falsch zu sein. Vor allem Bewusstsein ändert Sprache, nicht umgekehrt.

Der Düsseldorfer Wehrhahn-Anschlag
Antifaschistische Linke Düsseldorf

An diesem „Workshop“ sind ca. 25 Personen beteiligt. Am 27. Juli 2000 wird am Düsseldorf/Wehrhahn Bahnhof ein Sprengstoffanschlag verübt. Zehn Menschen, davon sechs jüdischer Herkunft, aus der ehemaligen UdSSR sind betroffen, teilweise lebensgefährlich verletzt. Der Vortrag wird mit Bildern verdeutlicht.
Rassistische Hetze der 1990er Jahre, die fast vollständige Abschaffung des Asylrechts etc. werden als Hintergrund der Entwicklung genannt. Und aufgezeigt, wie nach dem Anschlag, vor allem die Behörden damit umgegangen sind.
AntifaschistInnen hatten damals bereits von einem rassistischen Anschlag gesprochen aber die Polizei, Politik und Justiz – vor allem die Medien, besonders die Bild Zeitung – haben ihn als einen „Kampf innerhalb der russischen Mafia“, sowie von „Drogendealern“ etc. hingestellt. Die Opfer werden als TäterInnen stigmatisiert. Sogar ein Phantombild wird in Moskau zur Fahndung öffentlich ausgehängt. Einige Betroffene sind von Deutschland weggezogen.
Islamischer Terror, kriminelle Ausländer, Grüne Hells Angels, organisierte Kriminalität der „Russen-Mafia“ das sind die vier Verdächtigungen der Düsseldorfer Polizei. Und die polizeiliche Gewissheit: Auf keinen Fall ein Nazi-Attentat. Die VeranstalterInnen berichten, die Behörden hätten auch mit einem Nazi-Typen zusammen gearbeitet – einem V-Mann – in 33 Fällen in sechs Jahren. Von 1994-2000 haben sie Akten verschwinden lassen. Polizisten besuchen die von Antifas beschuldigten Nazis. Hausdurchsuchungen in ihren Wohnungen und Kellern werden nicht durchgeführt.
Der Sprengsatz stammt laut Gutachtern aus Bundeswehrbeständen. Angesichts der Landtagswahlen in NRW hat der Parlamentarische Untersuchungsausschuss (PUA) angeblich den Fall dadurch gelöst, dass der bekannte Nazi, Ralf Spies, festgenommen wird. Antifas hatten schon vor langer Zeit seinen Namen als verdächtiger Mittäter genannt.
In der Diskussion kritisieren TeilnehmerInnen die Position Behörden Staat und Justiz seien „Auf dem rechten Auge blind und haben versagt“. Diese Einschätzung sei unzureichend. Dagegen steht die Praxis auch in diesem Fall: „Staat und Nazis Hand in Hand“. Etliche haben zugestimmt.

Einführung in den NSU-Komplex
Veranstalter: BiLaN – Bildungsinitiative „Lernen aus dem NSU-Komplex“ Redner: Fritz Burschel

Ca. 50-60 Personen nehmen teil. Burschel zeigt eine Darstellung von NSU-Watch und verdeutlicht. daran eindrücklich den institutionellen – gesellschaftlichen Rassismus, den Zusammenhang mit den faschistischen Organisationen, Parteien, den Umgang mit den Betroffenen. In der Diskussion wird ergänzt: Wichtig für uns heute ist auch selbstkritisch zurückzuschauen. Trotz dem Aufschrei der Betroffenen – vor allem mit den Demos 2006 in Kassel und Dortmund –, haben wir, auch die AntifaschistInnen, RevolutionärInnen, diesen Schrei, dass das rassistische Morde sind, nicht gehört und nicht richtig eingeschätzt.

Forum – Perspektiven und Strategien der Solidarität und des Widerstands
Selbst-Organisierung, Vernetzung, Solidarität, Widerstand, Perspektiven
Antirassistische Initiativen und Bündnisse

Das Forum tagt in der direkt am Rhein gelegenen SSM Halle. Angesetzt ist ein Zeitfenster von 10:00 bis 15:00 Uhr. 120 bis 150 Menschen kommen zusammen. Da mit Verspätung begonnen wird, sind wir bis 16:00 Uhr vor Ort. Zum Glück haben die VeranstalterInnen voraus geplant, ohne Mampf kein Kampf. Eine kleine Küche steht zur Verfügung. Ein „Männerkollektiv“ tischt eine vegane Suppe auf (die nicht ganz für alle reicht, da nicht mit so vielen TeilnehmerInnen gerechnet wurde), aber Brötchen, Käse, Obst usw. sind ausreichend da.
Getragen wird das Forum von antirassistischen Initiativen
sowie Menschen, aus verschiedenen Herkunftsländern, die ihre Erfahrungen mit Rassismus und ihre Forderungen einbringen. Aus Frankreich Munir im Namen der Familie Aljami, Clermont Ferront, die gegen Polizeigewalt kämpft und Cedric, betroffen von einer besonderen polizeilichen Maßnahme im Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand. Das Forum ragt im Nebenprogramm des Tribunals hervor und findet viel Zuspruch.
Das Forum ist emotional und kämpferisch zugleich. Die Opfer und Betroffenen von rassistischer Gewalt ergreifen das Wort direkt und unmittelbar. Die Initiativen stehen an ihrer Seite. Von Anfang an eine sehr offene Atmosphäre. Die NSU-Morde werden in die Kontinuität rassistischer Nazi-Angriffe in Deutschland gestellt.
Der Mord an Ramazan Avcı, die Brandanschläge Mölln, Solingen, – Überlebende, Angehörige berichten nicht nur, sie handeln und machen Mut.
İbrahim Arslan, der Kämpfer für Selbst-Organisierung und unermüdlicher Botschafter als Zeitzeuge.
Beeindruckend Gülistan, Frau von Ramazan Avcı spricht am Anfang des Forums. Sie erzählt von zu­­nächst großer Unterstützung nach dem Mord, die dann aber stark nachließ. 25 Jahre habe sie nicht gesprochen. Mit der Gründung der Initiative vor zehn Jahren habe sie den Kampf gemeinsam mit anderen gegen gesellschaftliche Unterdrückung weitergeführt. Am Ende sagt sie, sie hätte sich immer gefürchtet.
„Jetzt fürchte ich mich nicht mehr. Die sollen sich fürchten!“
Faruk Arslan, Vater von İbrahim ist 1992 der erste Verdächtige für die Polizei, obwohl sich Nazis mit „Heil Hitler“ nach dem Anschlag per Telefon meldeten.
Er spricht seine Enttäuschung über die „Linke“ aus. Wo wart ihr – irgendwann waren wir einfach allein! İbrahim hat zuvor bereits erzählt, dass er eigentlich nie wieder mit „Linken“ zu tun haben wollte. Faruk rührt viele und an ihren Kampfesmut mit den Worten:
„Sie haben mir meine Familie genommen – jetzt seid ihr meine Familie!“
Der Brief von Melek Bektaş wird verlesen. Sie selbst hält es nicht aus und muss den Raum verlassen. Einen Tag später hält sie ihre Rede im Depot.
Spontan aus dem Publikum spricht Ahmed. Er stellt sich vor, 2015 aus dem Irak, nach Deutschland gekommen. 2016 wird er mit einem Messer in den Rücken von Nazis angegriffen. Danach geht es weiter von Seiten der Regierung. Er wird als Täter behandelt. Er ist gekommen um zu zeigen,
„dass die Geschichte nicht zu Ende ist, sondern dass die Geschichte von Nazideutschland weiterwirkt, es Kontinuitäten gibt.“
Die Inputs für vier Workshops innerhalb des Forums sind sehr gut, sehr kämpferisch. In den Arbeitsgruppen wird kontrovers und auf die Zukunft ausgerichtet diskutiert. Ein Austausch auf Augenhöhe findet statt, mit dem Ziel, tatsächlich an den bestehenden Verhältnissen etwas zu ändern. Ganz unterschiedliche Beiträge wechseln sich ab.
Grundsatzfragen werden debattiert:
Wie ist der Zusammenhang zwischen NSU-Morden, Rassismus und kapitalistischem System, deutschem imperialistischen Staat? Sollen wir überhaupt noch Forderungen an Politik und Staat richten, wenn sie doch Verursacher und Verantwortliche von Rassismus sind? Was heißt uns demokratische Rechte erkämpfen? Wie gestalten wir perspektivisch die weitere Vernetzung von Initiativen, auch international?
Als Ergebnis wird eine Erklärung verfasst: „Statements der Angehörigen, Betroffenen und Initiativen vom
‚Forum-Solidarische Perspektiven und Strategien des Widerstands‘“. Einige Kernpunkte sind:
„Wir haben kein Vertrauen in diesen Staat. ‚Wir müssen selber machen.‘ Der Staat ist selbst verstrickt in die rassistischen und faschistischen Strukturen. Wir fordern von Staat, Politik, Medien und Gesellschaft dem Klima der rassistischen und faschistischen Hetze ein Ende zu setzen. Die Vernetzung von Angehörigen, Betroffenen und Initiativen bundesweit und darüber hinaus, internationalistisch auszubauen und zu verstärken ist unser Ziel.“
Am Abend werden auf der Veranstaltung im Depot Punkte aus der Erklärung vorgetragen und die Forderungen auf die Leinwand projiziert. Das Forum hat sein Ziel die Perspektive der Betroffenen und die Initiativen in den Mittelpunkt zu rücken wirklich umsetzen können. Immer wieder sind von Freitagnachmittag bis Sonntag begeisterte Äußerungen zu diesem Forum zu hören.

Rassismus gegen Sinti und Roma
Initiative Dosta! Es reicht, alle bleiben!

Da waren ca. 80 Leute. Hasiba, von der Initiative Dosta! (Es reicht!) stellt den Rassismus gegen Sinti und Roma sehr konkret und plastisch dar. Aus eigener Erfahrung berichtet sie, welche List die deutschen Behörden praktizieren, um geflüchteten Menschen ihre Rechte zu verweigern. „Köter werden besser behandelt als jede/r Rom!“ Sie spricht nicht nur die Probleme der Geflüchteten in Deutschland an, sondern thematisiert auch, wie zum Beispiel in Griechenland oder in den Balkanländern Rassismus gegen Roma angewandt wird.
Hasiba hat eine Art Verhaltenskodex gezeigt, Plastik-Bildkarten für Roma-Frauen mit Anleitungen, wie sie in Griechenland ihre Kinder erziehen sollen. Bsp. Nicht neben den Stuhl, nicht unter den Stuhl, sondern auf den Stuhl sollen sie sitzen … Hasiba wiederholt einige Male folgende Erkenntnis, um bewusst zu machen wie die Haltung von Roma gegenüber anderen ist:
„Wenn du kommst um mir zu helfen, ist es vergeblich; wenn du aber kommst, um zu kämpfen, dass ich gleiche Rechte wie du haben soll, dann sei herzlich willkommen“.
Während des „Workshops“ kommen die beiden Brüder von Selamet, Kefaet, Hikmet (Prince-H), und Mitglieder aus der Hiphop Band K.A.G.E. hinzu. Kefaet informiert über die Abschiebung seines Bruders Selamet.
In der Diskussion betont ein Teilnehmer, der Kampf gegen den Rassismus gegen Sinti und Roma in Deutschland ist nicht nur die Aufgabe der Betroffenen, sondern in erste Linie Aufgabe der „deutschen“ DemokratInnen, AntifaschistInnen, RevolutionärInnen ist. Der Moderator betont am Ende: „Was du gesagt hast, ist sehr wichtig und richtig, gut dass du es gesagt hast.
Das ist unsere Aufgabe, gegen den deutschen Rassismus zu kämpfen.“ Zwischen Hasiba, Kefaet, Hikmet und ihren Kumpeln und uns hat sich in den folgenden Tagen eine Tür der Freundschaft und der Nähe zueinander geöffnet.

Diskriminierungsfreie Berichterstattung
Neue deutsche MedienmacherInnen

Zwei Journalistinnen vermitteln in einer PowerPoint Präsentation (die auf einer der Abendveranstaltungen auch in Auszügen gezeigt wird) die rassistischen Bilder, die „mainstream“ Medien über MigrantInnen, insbesondere MuslimInnen verbreiten. Anhand der Titelseiten von Spiegel und Stern über Jahrzehnte zu diesen Themen ziehen sich, wie ein roter Faden, die rassistischen Abwertungen von MigrantInnen und die Deutschtümelei hindurch. Ganz besonders verachtend ist die Darstellung von Frauen.
Alle Frauen aus dem Mittleren Osten tragen Kopftuch oder Verschleierung, sehen auf den Boden und haben eine unterwürfige Körperhaltung. Rassistischer Sprachgebrauch und Zuschreibungen sind allgegenwärtig: So wird über „Araber-Clans“ und „Großfamilien“ berichtet. Im Gegensatz zur deutschen (Spießer) Kleinfamilie. Töten deutsche Männer ihre Frauen, oftmals zusammen mit ihren Kindern, heißt es: „Familientragödie“. Töten arabisch-/türkische Männer ihre Frauen (und auch Kinder) heißt es: Ehrenmorde. Dabei ist die Motivlage bei dem deutschen und türkischen Mann dieselbe, beiden geht es um die „Mannesehre“!

Selbstorganisierte Opferberatungsstellen
İbrahim Arslan

Ungefähr 50-60 Menschen nehmen teil. İbrahim hat seine noch nicht zu Ende gebrachten Gedanken, bzw. Pläne über eine selbstorganisierte Opferberatungsstelle zur Diskussion vorgestellt.
İbrahim führt aus: Der Anstoß für diesen Workshop war die Erfahrung von vielen Opfern rassistischer Gewalt, dass die bisher existierenden Beratungsstellen nicht ausreichend in der Lage sind, sich in die Situation der Opfer wirklich hinein zu versetzen.
Menschen, die selbst Erfahrung mit rassistischer Gewalt hatten, haben dafür ein ganz anderes Gespür. Sie wissen, wie wichtig es für das reine Überleben ist, sich um psychologische Hilfe zu kümmern, rechtzeitig Anträge für „Opferrentenanträge“ zu stellen, sich im ganzen bürokratischen Behördenwahn zu Recht zu finden. In einer Situation der tiefen Trauer und Verletzungen. Es werden verschiedene Vorschläge gemacht, wie ein Konzept für eine solche Beratungsstelle sein könnte. Die Frage der Finanzierung über staatliche Stellen oder unabhängig als Verein wird durchaus kontrovers diskutiert.

Sonntag:
Parade
Auszug aus der Fabrik

In der Keupstraße sind bereits am frühen Sonntagmorgen vom „Tribunal“ vielfarbige und vielsprachige Transparente (deutsch, griechisch, türkisch und englisch) zwischen den Häusern der Straße aufgespannt. Die ganze Straße entlang. Mittags sammeln wir uns vor dem Schauspielhaus und die Parade – ein Demonstrationszug läuft von dem Fabrikgelände los.
Die während des Tribunals in der „Schilderwerkstatt“ gefertigten Plakate werden von allen getragen. An der Spitze des Zuges Transparente, Fotografien mit den Namen und Portraits der ermordeten NSU-Opfer.
Zu den Klängen der Blaskapelle „Pension Tina“ ziehen wir durch die Straßen des Viertels und in die Keupstraße. Während der Parade werden Blumen an PassantInnen verteilt. Ins lebhafte Gespräch kommen wir mit AnwohnerInnen der Keupstraße. Die Reaktionen sind durchweg überrascht und positiv. Mitten auf der Keupstraße dann der Abschluss: Musik von Microphone Mafia sowie Kefaet und Hikmet (Prince-H). Am Ende des Tribunals hat uns diese Aktion noch mal sehr viel gegeben.


Tribunal

Nachtrag und Ausblick

Das Schweigen der Mainstream-Medien
Die Eröffnungspressekonferenz am 17. Mai 2017 in Köln war, was die PressevertreterInnen betrifft, sehr dünn besucht. Höchstens acht bis zehn JournalistInnen. Von den Mainstream-Medien ist kaum jemand da. Die VeranstalterInnen sowie Thomas Laue (Schauspiel Köln) stellen das Tribunal und Programm vor. Mithat und Özcan aus der Keupstraße berichten über ihr Erleben und ihre heutige Situation. Nur eine Frage zu Anklageschrift wird von einem Journalisten gestellt:
„Wird es keine juristischen Schwierigkeiten bereiten, wenn bei einem laufenden Prozess konkrete Namen genannt werden?“ Die Antwort lautet: „Wir übernehmen nicht die Rolle des Staatsanwalts, in dem Sinne ist unsere Anklage eine Information an die Gesellschaft der Vielen. Was sie – und staatliche Stellen – damit machen, liegt in deren Entscheidung.“
Man könnte noch viele hundert Namen mehr nennen, aber sie würden sich erst mal als Beispiel mit etwa hundert beschränken. Das war‘s von Seiten der Presse.
Nach dem Tribunal zeigt sich, dass das kein Zufall ist. Die Medienvertreter blieben bewusst weg. Über das Tribunal wird in „kleinst“ Meldungen in der lokalen Presse und in wenigen anderen Medien berichtet. TAZ, junge Welt und linke Presse informieren, mehr oder weniger ausführlich.
Obwohl die Tribunal-OrganisatorInnen eine breite Medienkampagne gestartet hatten, ist der Nachhall sehr verhalten. Das Verschweigen von Rassismus, von Staatsschuld, von Medienversagen ist kein Thema wert. Ein zu heißes Eisen? Rührt das doch an die „eigene Verantwortung“ für die verheerende, rassistische Berichterstattung der Medien vor dem Auffliegen des NSU?
Auch nicht der Schmerz, die Trauer, die Zerstörung von so vielen Leben, so vieler betroffener Menschen und Opfer ist diesen Medien eine Berichterstattung über das Tribunal wert. Aber weiterhin füllen sie ihre Blätter, TV-Sendungen, Internetauftritte mit Fotos der NSU-Mörderin. Jeder Bericht über eine neue Wendung im Prozess in München wird mit ihrem Konterfei bestückt. Keine Bilder der Opfer, nicht der Gedenkorte, nicht der Forderungen, die beim Gedenken getragen werden, nicht die Angehörigen, nicht die Demonstrationen…

Strahlkraft des Tribunals und handeln!
Das Tribunal – ein Ort und Raum für die Geschichte, die Erfahrungen und das Wissen der Betroffenen und Opfer des rassistischen NSU- und Nazi-Terrors, der MigrantInnen hier in diesem Land. Zusammenstehen mit Betroffenen und Opfern des NSU-Terrors und Solidarität. Das ist unser aller erklärtes Ziel und Vorhaben.
Wir, AktivistInnen von TA, die auch direkt in die Vorbereitung eingebunden waren, sehen im Nachhinein unsere Schwäche darin, dass wir nicht mehr Betroffene und Opfer des NSU-Terrors einbeziehen konnten. Gründe dafür sind vielfältig, aber trotzdem haben unsere Anstrengungen ganz offenbar nicht ausgereicht. Das sollen wir hinterfragen und weiter daran arbeiten.
Auch die Mobilisierung der migrantischen Community, von migrantischen Vereinen und Organisationen, Einzelpersonen, Bündnissen war schwach. Obwohl Vereine teilweise an Vorbereitungstreffen teilgenommen haben, ist keine kontinuierliche Zusammenarbeit daraus entstanden. Letztlich sind sie auch dem Tribunal ferngeblieben.
Auch hier hinterfragen wir uns selbstkritisch, woran lag das? Wie sind wir im Aktionsbündnis mit Widersprüchen und unterschiedlichen Erwartungen umgegangen? Für die Zukunft sollen wir Antworten hierauf finden.
Politisch ist der Konsens des Tribunals, dass die NSU-Morde nicht das Werk eines Trios, sondern das Werk eines Netzwerks sind. Die staatlichen Institutionen, des BRD Staats sind insgesamt stark darin involviert. NSU und Staat, Hand in Hand! Kein Vertrauen zu diesem Staat – Wir müssen es selber tun. Das waren einige der Hauptaussagen dieses Tribunals und an erster Stelle von den Betroffenen und Opfern der rassistischen Gewalt. Die am Ende des Tribunals – als das Ergebnis des Tribunals – vorgelegte Anklageschrift ist ein historisches Dokument. (Auch wenn wir uns die Anklage politisch zugespitzter gewünscht haben.) Das Tribunal wird eine wichtige Rolle im Kampf gegen den staatlichen Rassismus und Faschismus spielen. Es hat die richtigen Weichen gestellt. Der Staat und seine Organe werden angeklagt.
Das Tribunal hat den Rassismus in Staat und Gesellschaft angeklagt. Im Fall des NSU werden Journalisten, Politiker, Beamte, Nazis und deren Netzwerke und Organe konkret und namentlich benannt. Nazis, Beamte und Politiker werden in einem Atemzug erwähnt.
Das Aktionsbündnis für das NSU-Tribunal ist auch ein Beispiel für eine politisch übergreifende Bündnisarbeit. Von sehr unterschiedlichen gesellschaftlichen Vorstellungen, Zielen und Ansätzen. Ein Teil des linken Spektrums war mit teils gegensätzlichen Positionen vertreten: Postmigrantisch, postkanakisch, libertär-anarchisch, sozialistisch, kommunistisch, demokratisch, organisiert, unorganisiert, antira-antifa.
Klar ist auch, das Aktionsbündnis war und ist kein Zusammenschluss von politischen Parteien/Organisationen. Es wird getragen von vielen Einzelpersonen aus unterschiedlichen Bereichen, wie Kunst, Kultur, Wissenschaft, und politischen Zusammenhängen. Menschen mit unterschiedlichen Motivationen, Meinungen und Bindungen. Und von antirassistischen-antifaschistischen Initiativen, vor allem von Betroffenen rassistischer Nazi-Gewalt.
Streitfragen über demokratische Strukturen, über Entscheidungsabläufe im Bündnis etc. waren immer wieder mal an der Tagesordnung und ließen sich grundsätzlich nicht immer lösen.
Trotzdem war und ist das ein wichtiges Experiment, mit solch einem Bündnis ein so großes Projekt wie das Tribunal anzustoßen und zu verwirklichen.
Die Zukunft wird zeigen, wie alle zusammen das Projekt weiter entwickeln werden.

In Erinnerung
Uns hat heute die traurige Nachricht erreicht, dass unser Freund Atilla Özer verstorben ist. Er gehörte zu denen, die vom Nagelbombenanschlag in der Keupstraße direkt betroffen waren, der sein Leben nachhaltig verändert hat.
Wir trauern um dich Atilla!
Wir umarmen deine Familie und Freunde und fühlen mit euch.
Eure Initiative Keupstraße ist überall
24. September 2017


Nach dem Tribunal ist vor dem Prozessende
Tag X2 – Alle nach München!


Wir, Trotz alledem!, unterstützen den Aufruf des bundesweiten Zusammenschlusses zur Mobilisierung nach München. Tag X2 - Beginn der Urteilsverkündung im NSU-Prozess.
Voraussichtlicher Zeitpunkt ist Ende 2017 bzw. Anfang 2018. Angesichts der üblen Verzögerungstaktik der Verteidiger der Nazi-Angeklagten ist das Prozessende noch nicht vorhersehbar.
AktivistInnen des Aktionsbündnisses „NSU-Komplex auflösen“ haben mit einer eindringliche Aktion im Gerichtssaal den Prozess ins Visier genommen. Am 31. August haben sie die Verlesung der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft unterbrochen und gestört.
Gegen das Verschweigen des Nazi-Netzwerkes des NSU, gegen das Ignorieren der Angehörigen und Betroffenen, gegen die Leugnung des Rassismus in Staatsstrukturen und Institutionen! Auf Papierschnipseln, die in den Gerichtssaal fliegen, werden die Namen weiterer bekannter Täter und Verantwortlicher genannt. Vor dem Gerichtsgebäude wurde die Anklage des Tribunal „NSU-Komplex auflösen“ verlesen.
Zum Tag X2 wurde bereits auf dem Tribunal mobilisiert und geplant. Eine ganztägige Aktion und eine bundesweite Mobilisierung sollen ein unübersehbares Zeichen setzen. Verschiedene politische und kulturelle Beiträge sind in Vorbereitung.

Aufruf: Kein Schlussstrich!
Aufruf zu einer Demonstration und Kundgebung zu Beginn der Urteilsverkündung im NSU-Prozess in München! … Unabhängig davon, welchen Ausgang der Prozess nimmt: Für uns bleiben mehr Fragen als Antworten. Wir werden daher zum Prozessende zusammen auf die Straße gehen. Denn wir werden den NSU nicht zu den Akten legen.
Am Tag der Urteilsverkündung wollen wir mit euch auf die Straße gehen. Denn für uns bedeutet das Ende des Prozesses nicht das Ende der Auseinandersetzung mit dem NSU und der Gesellschaft, die ihn möglich machte:
*Wir wollen wissen, wer für die Mordserie, die Anschläge und den Terror verantwortlich ist.
*Es geht uns um die Entschädigung der Betroffenen, Überlebenden und Hinterbliebenen sowie die Würdigung ihrer Perspektive in der Debatte.
*Rassismus ist ein gesellschaftliches Problem. Und das gilt wortwörtlich: Diese Gesellschaft hat ein Rassismusproblem, und zwar ein gewaltiges.
*Wir fordern die Abschaffung des Verfassungsschutzes.
*Wir wehren uns gegen rassistische Stimmungsmache und Gewalt.
*Nach vier Jahren lässt sich ein frustrierendes Fazit ziehen. Noch immer wird rechte Gewalt verharmlost, noch immer darf sich der Verfassungsschutz als Beschützer inszenieren, noch immer hat diese Gesellschaft Rassismus nicht überwunden, noch immer ist es nötig auf den institutionellen Rassismus in Deutschland hinzuweisen...
Kein Schlussstrich! – NSU-Komplex aufklären und auflösen!
Verfassungsschutz auflösen – V-Leute abschaffen!
Dem aktuellen rassistischen Terror gegen Flüchtlinge und MigrantInnen entgegentreten!
Rassismus in Behörden und Gesellschaft bekämpfen!
(Auszug)

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