Nordafrika Karte

Vorweg Afrika ist für unser Magazin von Anfang an ein wichtiges Thema. (Siehe Überblick auf den folgenden Seiten). Insbesondere auch die grausame Rolle des eigenen“ deutschen Imperialismus in der Versklavung der afrikanischen Völker. Die gezielte Vernichtung der Herero und Nama durch die deutsche Kolonialarmee war der erste Völkermord im 20. Jahrhundert.
Unsere Serie Fokus Afrika startete 2014 in der Trotz alledem!, Ausgabe Nr. 65. Themen des Auftakts: Der Kontinent als Spielball im aktuellen globalen Geflecht des Weltimperialismus, Geschichte des Kolonialismus und Neokolonialismus, Geschichte der afrikanischen Widerstandsbewegungen und Klassenkämpfe.
Ziel ist, Ignoranz innerhalb der Linken und Unkenntnis in der ArbeiterInnenbewegung über diesen Kontinent aufzubrechen. In den weiteren Folgen der Serie thematisierten wir von Nummer 66 bis 74 die Situation in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara.
Im 11. Teil der Artikelreihe wenden wir uns zunächst der Situation insgesamt in Nordafrika zu. Weiterhin berichten wir über die sozio-ökonomische Situation und die aktuellen Klassenkämpfe in den Ländern Algerien und Marokko. In der nächsten TA Nr. 79 wird der Schwerpunkt auf der aktuellen Lage und Entwicklung in Ägypten und Tunesien liegen.
Warum Algerien, Marokko, Ägypten und Tunesien? Algerien ist ein Beispiel für die offensichtlich extreme Kontinuität der kolonialen und neokolonialen Unterdrückung, die gärenden, sich immer wieder aufbäumenden Unabhängigkeitsbewegungen und deren Folgen für die aktuelle Situation im Land. Auf Marokko gehen wir in diesem Artikel relativ knapp ein, um die aktuellen Kämpfe ins Bewusstsein zu rufen.
Tunesien gilt als MusterschülerIn bei der Umsetzung imperialistischer Interessen und als Musterbeispiel für die Umsetzung einer neoliberalen Politik.
Auf die Lage in Ägypten einzugehen, halten wir für wichtig, weil das Land in der gesamten imperialistischen Politik im Mittleren Osten/Nordafrika eine zentrale politische Bedeutung hat. Das herrschende al-Sisi-Regime mit seinem offen faschistischen, politischen Herrschaftssystem ist verlässlicher Bündnispartner von Deutschland und der EU sowie einer ihrer wichtigsten Handelspartner in Nordafrika.
reicht Nordafrika vom Atlantik im Westen bis hin zum Nil und Suezkanal im Osten, vom Mittelmeer im Norden bis in die Sahara im Süden. Das Gebiet umfasst die Länder Westsahara, Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen und Ägypten.
Mauretanien wird zur Sahelzone gezählt. Unterschieden wird zwischen einem „Kleinen Maghreb“ mit Marokko, Algerien und Tunesien und einem „Großen Maghreb“, der im Osten Libyen und im Westen Mauretanien mit einschließt. Ägypten ist und war kein Teil des Maghreb sondern wird zusammen mit den Ländern Palästina, Israel, Jordanien, Libanon, Syrien und Irak zum „Maschrek“ (der Osten) gerechnet.
Im Laufe der Jahrtausende bildete sich zwischen Nordafrika und dem tropischen Afrika eine Wüste, die Sahara: Ein Gürtel, der kaum zu durchqueren ist. Dadurch nahm die Entwicklung der Völker Nordafrikas einen anderen Weg als die der südlicheren Völker.

Fokus Afrika – Serie – Teil 11
Nordafrika: „Arabellion“ – Frühling oder Winter?

Nordafrika – Geschichte

In Algerien z.B. finden sich Spuren aus der Steinzeit, die etwa zwei Millionen Jahre alt sind. In Nordafrika waren und sind die Zusammenhänge zwischen Klima und Geschichte besonders ausgeprägt, da sich halbfeuchte und trockene Phasen – Savannenlandschaft und Wüste – abwechseln. Vor etwa 6 000 Jahren zogen die Menschen sich aus der immer unwirtlicheren Sahara nach und nach in die Oasen, an die Küsten, vor allem aber in das Niltal zurück. Entlang des Nils lebten etwa eine Million Menschen, Fischer, Bauern und Bäuerinnen und Jäger. Sie schufen zwischen 3 500 und 3 000 v.u.Z. die Grundlagen für die erste Hochkultur im Alten Ägypten.
Die Geschichte des Maghreb ist enger mit der Geschichte Vorderasiens und Südeuropas verwoben. Die ursprünglich aus Berbern bestehende Bevölkerung des Maghreb erlebte Jahrhunderte der Fremdherrschaft. Diese begann mit den Phöniziern (15. bis 8. Jahrhundert v.u.Z.) und führte über die Römer (146 vor bis 5. Jahrhundert n.u.Z.), die Invasion der Araber (ab 670), mit der die Islamisierung der Region einherging, bis hin zum Osmanischen Reich (Anfang des 16. Jahrhunderts). Als das Osmanische Reich immer schwächer wurde, die europäischen Staaten vor dem Hintergrund der Industrialisierung immer stärker, begann die Eroberung Nordafrikas mit „Blut und Schwert“ durch die europäischen Kolonialmächte.

Über 100 Millionen AfrikanerInnen fielen dem Sklavenhandel zum Opfer.

Europäische Sklavenhändler betrieben einen Dreieckshandel: Von Europa aus überquerten mit Textilien oder Manufakturwaren beladene Schiffe das Mittelmeer nach Afrika. Dort wurde die Ladung gegen gewaltsam geraubte Menschen getauscht und Kurs auf die europäischen Kolonien Amerikas genommen. Auf dem Seeweg verdursteten und starben viele der zwangsweise verschleppten Menschen elendig. Die Überlebenden wurden in den Ankunftshäfen als Sklav­Innen verkauft. Aus dem Erlös des Menschenhandels erwarben die Händler in Amerika zum Beispiel Zucker, Kaffee, Baumwolle, Tabak oder Indigo. Diese Güter verschifften sie in ihre Heimathäfen und verkauften sie Gewinn bringend an europäische Kaufleute.
Erst als die massive Zwangsdeportation in Folge der Unabhängigkeit Amerikas nicht mehr den wirtschaftlichen Interessen Europas entsprach, beendeten die Europäer dieses menschenverachtende Verbrechen. 1807 kam es zum Verbot des Sklavenhandels. Seitdem konzentrierten sich die europäischen Kolonialherren auf Afrika, mit dem Ziel den gesamten Kontinent sich zu eigen und untertan zu machen: Brutaler Landraub und Unterwerfung seiner BewohnerInnen für die eigene koloniale Besiedlung.

Europäische Kolonialgeschichte

Die europäischen Mächte zeigten schon relativ früh Interesse an Afrika und unterhielten an den Küsten Handelsstützpunkte. Spanien verfügte bereits im 15. bis 17. Jahrhundert über Stützpunkte an der marokkanischen Mittelmeerküste. Im Sommer 1798 besetzte Frankreich Ägypten und 1830 Algerien. Die Versuche, die Stämme im Landesinneren zu unterwerfen, lösten einen Aufstand der Völker in Algerien aus. Frankreich schickte ein riesiges Besatzungsheer, dem es erst 1843 gelang, den Aufstand grausam nieder zu schlagen. In großer Zahl wurden europäische Sied­lerInnen ins Land geholt und die einheimische Bevölkerung von ihren Ländereien vertrieben bzw. enteignet.
1881 wurde Tunesien zum französischen Protektorat erklärt. Spanien errichtete 1884 seine Herrschaft über die westliche Sahara. Zwischen 1882 und 1890 besetzte Italien Eritrea. Im Jahr 1911 errichtete Frankreich sein Protektorat über Marokko, ein Jahr später wurde der nördliche Teil Marokkos (Rif) an Spanien abgetreten. Im Jahr 1869 wurde in Ägypten der Suezkanal fertiggestellt, der das Mittelmeer über das Rote Meer mit dem Indischen Ozean verbindet. Somit wurde dieses Gebiet zu einer strategisch wichtigen Region für die imperialistischen Mächte. 1882 erhob sich die Urabi-Bewegung gegen Großbritannien. Die Kolonialmacht unterdrückte äußerst gewaltsam diesen Aufstand und besetzte Ägypten.
Die Aufteilung Afrikas unter den Europäern hatte längst begonnen, als die Vertreter der Großmächte  sich im Winter 1884/85 in Berlin versammelten, um die Aufteilung Afrikas „abzustimmen“. Sie legten ihre Ansprüche auf den Tisch und versuchten, über Verhandlungen die Beute aufzuteilen. Das gelang ihnen nur teilweise. In den darauf folgenden Jahren waren die Großmächte damit beschäftigt, ihre Kolonial-Eroberungen zu stabilisieren und weitere Gebiete sich einzuverleiben, indem sie Verteilungs-Kriege gegeneinander führten.
Die Völker Afrikas verteidigten ihre Freiheit gegen die Kolonialisten mit einfachen Waffen, Hunderttausende mussten in diesen ungleichen Kämpfen sterben: 15 Jahre lang (1832-1847) kämpften die Kabylen (Berber) und Araber gemeinsam in Algerien einen heroischen Freiheitskampf gegen die französischen Kolonialtruppen und sorgten bei der in dieser Zeit gegründeten berüchtigten „Légion étrangère“ (Fremdenlegion) für empfindliche Niederlagen. Die antikoloniale Revolte in Algerien, 1871-1872, wurde von 80 000 Soldaten blutig niedergeschlagen. 25 Prozent der Bevölkerung wurden hingemetzelt oder verhungerten wegen der Folgen des Krieges. 70 Prozent des Landbesitzes wurden an französische SiedlerInnen übereignet.  Aufstand der Rif-Kabylen in Marokko 1909-1910…
Die europäischen Kolonialmächte haben bereits im Zuge der Kolonisation ab dem 17. Jahrhundert Schwarze als Soldaten für ihre Eroberungsfeldzüge auf dem Kontinent zwangsrekrutiert. Im Ersten Weltkrieg setzten Deutschland, Frankreich und Großbritannien insgesamt mehr als eine Million afrikanischer Kolonialsoldaten ein. Tausende wurden in die kolonialen Armeen gepresst und als Kanonenfutter im wahrsten Sinne des Wortes „verheizt“.
In Libyen kostete der italienisch – faschistische Kolonialismus (1911-1943) mehr als der Hälfte der ländlichen Bevölkerung das Leben.

Sieg der Oktoberrevolution in der Sowjetunion
Immenser Aufschwung antikolonialer und antiimperialistischer Befreiungskämpfe

In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen wuchs die ArbeiterInnenklasse in den nordafrikanischen Ländern infolge der industriellen Entwicklung beträchtlich an. Kommunistische Parteien nahmen an Zahl und Stärke zu. Widerstandsbewegungen entwickelten sich, die allerdings regional begrenzt blieben. Auch die nationale Bourgeoisie (besonders in Ägypten und Algerien) kämpften für die Unabhängigkeit und demokratische Zeitungen wurden gegründet.
1919 entwickelte sich ein antiimperialistischer Aufstand in Ägypten. Infolgedessen war England gezwungen, Zugeständnisse zu machen und 1922 die Unabhängigkeit Ägyptens formal anzuerkennen. Trotzdem trat die Kolonialmacht ihre Herrschaft über das Land nicht ab. In den Jahren 1921 bis 1926 erhoben sich die Rif-Kabylen in Marokko in einem heldenhaften Befreiungskampf. 
Im Frühjahr 1926 entstand die Étoile Nord-Africain (Nordafrikanischer Stern, ENA), als eine Sektion der Kommunistischen Partei Frankreichs, die sich an Frankreichs „koloniale ArbeiterInnen“ wendete. Hinsichtlich der Strategie entwickelten sich jedoch Meinungsverschiedenheiten zwischen der KPF und der ENA. Die ENA propagierte, dass das algerische Volk in erster Linie auf die eigenen Kräfte bauen müsse. Im Januar 1937 wurde die ENA aufgelöst.
Ehemalige ENA Mitglieder gründeten daraufhin die Parti du Peuple Algérien (Partei des algerischen Volkes, PPA), die, anders als der Nordafrikanische Stern, auch in Algerien aktiv wurde.
Die kommunistischen und nationalen Kräfte wurden jedoch durch den Zweiten Weltkrieg in ihrem Kampf gehindert. Der 2. Weltkrieg war tatsächlich ein Weltkrieg und nicht nur auf Europa beschränkt.
Die imperialistischen Mächte dehnten selbstverständlich ihren Krieg auf Afrika und ihre Kolonien aus. Ägypten, Tunesien und Libyen waren Hauptkampfgebiete der deutschen und italienischen Armeen. Es ging um die Weltherrschaft, das bedeutete auch um den Einfluss in den Kolonien. Es ging außerdem um rassistische Vernichtungsfeldzüge der faschistischen Achsenmächte als auch der Kolonialmächte: Sowohl gegen Schwarze als auch JüdInnen, wie zum Beispiel im Schatten des deutschen und italienischen „Tunesienfeldzuges“. 
Millionen Schwarze kämpften im Zweiten Weltkrieg für die Befreiung Europas vom Faschismus. Die Werktätigen der Kolonien lieferten Rohstoffe und Nahrungsmittel, sie stellten Waffen her und unterhielten die Nachschubwege. Viele wurden ermordet, mehr als Hunderttausend gerieten in deutsche Gefangenschaft.
Die deutsche Wehrmacht verübte zahlreiche Massaker an schwarzen Soldaten. Die Überlebenden wurden in langen Fußmärschen nach Deutschland und in Arbeits- und Vernichtungslager getrieben. Auf dem Weg wurden sie von deutschen Zivilisten beschimpft oder sogar angegriffen. In den Lagern mussten die Gefangenen Zwangsarbeit u.a. für die deutsche Rüstungsproduktion leisten.

Dekolonisation Afrikas

Die meisten Staaten Nordafrikas werden in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg „entkolonialisiert“: 1951 Libyen, 1956 Marokko und Tunesien, 1960 Mauretanien und erst 1962 Algerien.
Afrika Karte

Algerien – Folgen kolonialer Knechtung

Frankreichs Kolonialregime herrschte in Algerien mit äußerst grausamen Methoden: Unterdrückung, Folter und Erniedrigung waren System.
Am 8. Mai 1945 wurde in der nordalgerischen Région Constantine eine Demonstration der Parti du Peuple Algérien für die Unabhängigkeit, die zeitgleich zur Feier des alliierten Sieges stattfand, unvorstellbar gewaltsam niedergeschlagen. Der algerische jüdische Arzt, Mitglied der Résistance, Henri Albouker, schätzte die Anzahl der Todesopfer auf 30 000. 
Im November 1954 begann der Unabhängigkeitskrieg unter Führung der FLN (Front de Libération nationale – nationale Befreiungsfront) und seiner Armée de Libération Nationale (ALN). Durch die Umsiedlung von zwei Millionen Bauern und Bäuerinnen versuchte die französische Armee, der FLN und ihrer Guerilla die Basis zu entziehen. Auch durch die Teilnahme Frankreichs 1956 am Suezkrieg und durch den erhofften Sturz des ägyptischen Präsidenten Nasser sollte der FLN der internationale Rückhalt entzogen werden. Der Krieg forderte mehr als eine Millionen Opfer. 
Der bewaffnete Widerstand, die landesweiten Massenproteste aber auch der Widerstand in Frankreich führte 1962 zur Unabhängigkeit Algeriens.
Ahmed Ben Bella, einer der Gründer der FLN, wurde zunächst Premierminister, später Staatspräsident. Unter Ben Bella wurde Algerien von der sozialimperialistischen Sowjetunion und von Cuba unterstützt. Der algerische Unabhängigkeitskampf ist Vorbild für viele Befreiungsbewegungen weltweit. Militärisch, strategisch und auch aufgrund ihrer internationalen Erfolge.
Anfang der 1960er Jahre brodelte es in ganz Afrika. Über ein Dutzend Länder kämpften gegen neokoloniale Strukturen, Apartheid und Rassismus. Bereits vor der Unabhängigkeit waren viele Befreiungsbewegungen Afrikas in Algerien. Der militärische Arm des ANC Südafrikas wurde auch in Algerien ausgebildet, der ANC hatte ein Büro in Algier, die Befreiungsbewegungen aus Namibia und Rhodesien (heute Simbabwe), sowie die FRELIMO (Frente de Libertação de Moçambique) aus Mozambik, die PAIGC (Partido Africano da Independência da Guiné e Cabo Verde) aus Guinea-Bissau und Kap Verdes, die MLPA und FNLA aus Angola wurden finanziell, militärisch und diplomatisch unterstützt.
Amílcar Cabral, Mitbegründer der PAIGC nannte Algier „das Mekka der Revolutionäre“. Auch Che Guevara verbrachte Zeit in Algerien, die Fatah unter Arafat und die nationale Front für die Befreiung Südvietnams sowie Gruppen der Black Panther Bewegung. Dennoch wurde die Kommunistische Partei zugunsten der Einheitspartei FLN aufgelöst und verboten.
1965 stürzte der Armeechef Houari Boumedienne den Staatspräsidenten Ben Bella und übernahm die Regierung. 1980 kam es zu einer lang anhaltenden Protestwelle, die 1986 in eine Jugendrevolte mündete.
Am 5. Oktober 1988 erhoben sich Tausende gegen die hohe Jugendarbeitslosigkeit, Wohnungsnot und die Austeritätspolitik (Beschneidung der Rechte der Werktätigen) der Regierung. Hunderte wurden massakriert, Präsident Chadli Bendjedid (FLN) gestürzt und islamische Parteien und Organisationen gewinnen massiv an Einfluss. Die FLN verlor ihren Rückhalt unter den werktätigen Massen und infolgedessen 1991 auch die Wahlen gegen die FIS (Islamische Heilsfront).
Die Armee annullierte die Wahlen, das Parlament wurde aufgelöst und die Führer der FIS im Juni 1991 verhaftet. Im März 1992 wurde die FIS verboten. Die Mehrzahl ihrer Mitglieder ging in den Untergrund. Der Bürgerkrieg begann.

Das Militär: Staat im Staat

Die Armee war ursprünglich der bewaffnete Arm der FLN und bezog damit ihre Legitimität aus ihrer Rolle im Befreiungskrieg gegen Frankreich. Die Präsidenten Algeriens (bis auf den gegenwärtigen Bouteflika) waren Armeeoffiziere.
Für die Geschichte Algeriens ist der Unabhängigkeitskrieg insoweit auch heute noch von großer Bedeutung, als das Militär einen starken Einfluss auf die Politik erlangte und eine wirkliche Demokratisierung des Landes bisher verhindert hat. Die Armee beansprucht Schlüsselpositionen in Staat und Gesellschaft und kontrolliert die Ressourcen des Landes.
Sie verfügt über exklusive Privilegien, wie hochqualifizierte Militärkrankenhäuser, soziale Einrichtungen, Wohn- und Feriengebiete, Einkaufsstätten, Ausbildungsangebote, etc., die nicht der Allgemeinheit offenstehen.
Die algerischen Streitkräfte umfassen 520 000 Soldaten, die Militärausgaben betragen im Jahr 2016 6,5 Prozent des BIP.  Algerien liegt unter den wichtigsten Exporteuren und Importeuren schwerer Waffen in den Jahren 2012 – 2016 auf Rang fünf mit einem Weltmarktanteil von 3,7 Prozent.  

Algerischer Bürgerkrieg 

Das Militär übernimmt mittels eines Hohen Staatskomitees die Macht. Der Ausnahmezustand wird verhängt, der 19 Jahre lang bestehen bleibt: Verfassungsmäßige Grundrechte werden außer Kraft gesetzt, Folter, „Verschwindenlassen“ und extralegale Hinrichtungen sind gängige Praxis der algerischen Sicherheitskräfte und des Geheimdienstes.
Unter der Maske des „Kampfes gegen den islamischen Terrorismus“ führen sie einen „schmutzigen Krieg“ gegen das algerische Volk: Zehntausende werden bei Razzien verhaftet und gnadenlos systematisch gefoltert. Nachdem die Gefängnisse durch die Verhaftung von Tausenden von FIS-Mitgliedern überfüllt sind, werden zusätzlich Lager in der Sahara errichtet. Zahlreiche Verhaftete verschwinden spurlos.
Die Zahl der Menschen, die während des Bürgerkrieges spurlos verschwunden sind, wird auf ca. 10 000 geschätzt. Die Gesamtzahl der Todesopfer liegt bei etwa 200 000. 
1996 tritt eine neue Verfassung in Kraft, das Hohe Staatskomitee wird ein Jahr später wieder vom regulären Parlament ersetzt. 1999 wird Abdel Aziz Bouteflika mit Unterstützung des Militärs zum neuen Präsidenten Algeriens gewählt. Im selben Jahr erhält eine Volksabstimmung über eine Versöhnungspolitik und eine Amnestie breite Zustimmung.
Allerdings gilt sie nur für bewaffnete Islamisten, die ihre Waffen abgeben. Die Amnestie wird 2005 in eine Generalamnestie umgewandelt. Infolgedessen werden etwa 40 000 Gefangene aus den Gefängnissen und Internierungslagern entlassen.
Die Verantwortlichen für Massaker, Folter und Unterdrückung werden nicht zur Rechenschaft gezogen. Im Gegenteil: Die Amnestie, tatsächlich eine Farce, gewährt den Sicherheitskräften Schutz vor Strafverfolgung.
Der Clan um Bouteflika regiert bis heute und das Militär herrscht bis heute.
Der IWF (Internationaler Währungsfonds) zwingt das algerische Regime dazu, Industrie und Landwirtschaft zu privatisieren. LandarbeiterInnen, Bauern und Bäuerinnen werden vom Land vertrieben, Fabriken werden zerstört und zum Teil niedergebrannt. Damit wird für die staatsbürokratische Führung und die führenden Militärs die Möglichkeit eröffnet, dieses Land sowie diese Fabriken, billig vom Staat zu erwerben.
Zudem lockt das Regime zahlreiche, vor allem nordamerikanische, Öl- und Gasmonopole mit lukrativen Angeboten ins Land. Sie errichten in der nordafrikanischen Wüste „gated communities“ und Förderzonen, in denen AlgerierInnen ohne eine „Sondergenehmigung“ keinen Zutritt haben. Die transnationalen Monopole scheffeln zusammen mit dem Staatsmonopol Sonatrach Milliardengewinne, von denen für die Mehrheit der Bevölkerung nichts bleibt, außer die verseuchte Umwelt. 
Der Staat finanziert Großprojekte, die jedoch von ausländischen Firmen realisiert werden und kaum Arbeitsplätze für die in Algerien lebenden Menschen schaffen.
Z.B.: Der neue internationale Flughafen in Algier, von dem aus die meisten jungen AlgerierInnen keine Reise antreten können.
Z.B.: Die Ost-West-Autobahn werden die meisten algerischen Menschen niemals nutzen können, weil sie sich kein eigenes Fahrzeug leisten können.
Z.B.: In den Neubauwohnungen werden die meisten nicht leben, da ihnen das regelmäßige Einkommen für Miete oder Kauf fehlt.
Junge AlgerierInnen können nicht einmal eine Familie gründen, da sie nicht die Mittel dazu haben.
Im Dezember 2010 steigen die Preise für Zucker und Öl um 30 Prozent, die Preise für Weizen, Mais und Reis um 39 Prozent. Die Preise für Fleisch- und Milchprodukte sind um 25 Prozent höher als 2009.
Laut Welternährungsorganisation (FAO) sind Nahrungsmittel 2010 so teuer wie seit 30 Jahren nicht mehr. 
Ende 2010 veröffentlicht die Zeitung „Liberté“ die Bilanz von landesweit mindestens 9000 Protesten im Monat.

Revolte der „Verdammten dieser Erde“
Arabischer Frühling in Algerien

Hohe Arbeitslosigkeit, hohe Lebensmittelpreise, die desolaten Zustände im Gesundheits- und Bildungswesen, schlechte Wasser- und Stromversorgung, fehlender bezahlbarer Wohnraum, Perspektivlosigkeit und die Arroganz der Machthaber, die sich am gesellschaftlichen Reichtum bereichern, führen Anfang 2011 zu einer wutentbrannten Jugendrevolte, die auf nahezu alle Regionen Nordalgeriens übergreift.
Brennende Reifen, Barrikaden, Tränengas, mit Messern und Stangen bewaffnete Jugendliche liefern sich Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. Die Ziele der Jugendlichen sind Banken, Poststellen, Autohäuser und Luxusgeschäfte. Doch die Sicherheitskräfte schlagen die Rebellion nieder und Präsident Bouteflika kann einen Umsturz verhindern. Der Ausnahmezustand, der seit 19 Jahren besteht, wird zwar im Februar 2011 aufgehoben, das Demonstrationsverbot bleibt allerdings bis heute bestehen.

Unabhängigkeitskämpfe in der Kabylei

Die Region Kabylei macht vier Prozent des algerischen Staatsgebietes aus, sie beginnt etwa achtzig Kilometer östlich der Hauptstadt Algier. Mit etwa fünf Mio. EinwohnerInnen ist die Region die bevölkerungsreichste von Algerien und zugleich eine der ärmsten mit einer Erwerbslosenquote von 38 Prozent. Mehr als ein Drittel der Sicherheitskräfte Algeriens ist in der Region stationiert. 
Die Kabylen gehören zu der Volksgruppe der Imazighen (Berber), der UreinwohnerInnen Nordafrikas. Die Arabisierungskampagne der FLN führt zu ihrer Unterdrückung. Bereits 1962 schlug die FLN eine Rebellion in der Kabylei nieder, der 2. Präsident Boumediénne setzte auf eine aggressive Arabisierung des Landes. 1980 erhoben sich die Imazighen zum sogenannten „Berber-Frühling“, der vom Sicherheitsapparat massiv unterdrückt wurde. 2001 brach erneut eine Rebellion im ganzen Land aus. Nach weiteren Protesten ist neben dem Arabischen im Mai 2002 Tamazight zur Nationalsprache erklärt worden. Seit 2016 ist sie auch eine offizielle Amtssprache. 

Frauenkampf ist Klassenkampf!

Die Befreiung vom französischen Kolonialismus ist auch das Werk der algerischen Frauen. Mit der Waffe in der Hand haben sie um die Freiheit und gegen die kolonial-feudale Unterdrückung der Frauen gekämpft. Aber die Realität für die Frauen in Algerien ist äußerst prekär, ungleich und diskriminierend.
Zwar hat die Verfassung den Frauen die gleichen Rechte wie Männern zugesichert und Algerien auch die internationalen Konventionen zur Gleichstellung von Mann und Frau unterzeichnet.
Dennoch wird die Algerierin nicht als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft angesehen und behandelt. Frauen sind sowohl in der Gesetzgebung als auch politisch und wirtschaftlich umfassend massiv benachteiligt und geknechtet.
Gewalt gegen Frauen ist weit verbreitet und an der Tagesordnung, Diskriminierung am Arbeitsplatz und in allen anderen gesellschaftlichen Bereichen ist Normalität. Eine Woche vor dem internationalen proletarischen Frauenkampftag 2018 schließt die Provinzregierung Oran vorübergehend die Büros der beiden Frauenrechtsgruppen FARD (etwa: Algerische Frauen beanspruchen ihre Rechte) und AFEPEC (für: Feministische Vereinigung für die Entfaltung der Person und Ausübung der Staatsbürgerschaft).

Algerien in Zahlen

Algerien ist mit über 2,3 Millionen Quadratkilometer flächenmäßig das größte Land Afrikas, fast doppelt so groß wie Südafrika. Es erstreckt sich von der Mittelmeerküste aus weit in die Sahara hinein. Das Land hat die Form eines Vieleckes und dadurch viele Nachbarn: Im Westen Marokko und Mauretanien, im Süden Mali und Niger, im Osten Libyen und Tunesien. Zum Vergleich: Algerien ist sechs Mal so groß wie Deutschland und hat mit ca. 41,5 Mio. EinwohnerInnen etwa die Hälfte von Deutschland. Gut zwei Drittel der algerischen Bevölkerung sind unter 30 Jahre. 

Erdöl und Erdgas

In Algerien sind die Ölvorkommen verstaatlicht in den Händen einer korrupten und gierigen kapitalistischen Staatsbürokratie. Algeriens Wirtschaft hängt stark vom Export von Erdöl und Erdgas ab. 58,6 Prozent aller Exportgüter Algeriens im Jahr 2016 sind Erdöl und Erdölerzeugnisse sowie 37,2 Prozent Gas. Dank hoher Öl- und Gaspreise hat Algerien über Jahre hinweg ein kontinuierliches wirtschaftliches Wachstum von mehr als drei Prozent zu verzeichnen: 2014: 3,8 Prozent, 2015: 3,7, 2016: 3,3 Prozent.
Der Ölpreis ist aber seit Jahren unter Druck. Im Sommer 2014 lag er bei rund 100 US Dollar pro Barrel – heute liegt er nur noch bei 67,51 US Dollar. Daher wird für Algerien ein Wirtschaftswachstum für 2017 von 1,46 Prozent und für 2018 von 0,8 Prozent geschätzt. 

Handel

Auch der Handel zeigt ähnliche Zahlen: Die Außenhandelsbilanz Algeriens weist für 2012 einen Überschuss von 21,5 Mrd. US Dollar und für 2013 11,5 Mrd. US Dollar aus. Steigende Import- und fallende Exportpreise reduzieren den Außenhandelsüberschuss jedoch, so weist im Jahr 2016 Algerien ein Außenhandelsbilanzdefizit von 17,8 Mrd. US Dollar auf. (Wareneinfuhr 46,7 Mrd. US Dollar; Ausfuhr: 28,9 Mrd. US Dollar)
Algerien importiert 2016: Straßenfahrzeuge 12 Prozent, Maschinen, Apparate und Geräte 7,2 Prozent, Eisen und Stahl 7,2 Prozent. Hauptimportland ist China mit 16,6 Prozent; Frankreich 8,9; Deutschland 8,5 Prozent gefolgt von Italien und Spanien.
Hauptexportländer 2016 sind Italien 19,8 Prozent; Spanien 13,2; Frankreich 10,7 Prozent gefolgt von Malta und den USA. 

Ausländische Direktinvestitionen

Die Importe Algeriens übersteigen die Exporte. Um das zu finanzieren, ist das Land auf ausländische Investitionen angewiesen. Präsident Bouteflika hat seit 2001 den Ausverkauf (Privatisierung) und die Erleichterung von Auslandsinvestitionen vorangetrieben.
Ausländische Direktinvestitionen (ADI/FDI engl) sind Teil des internationalen Kapitalverkehrs. Das sind im wesentlichen Kredite an ausländische Tochtergesellschaften innerhalb eines Unternehmens und Kapitaltransfers zur Gründung von Unternehmen im Ausland, reinvestierte Erträge von Tochtergesellschaften im Ausland und Unternehmensfusionen,
-käufe und -beteiligungen. Die ADI‘s der transnationalen Konzerne dienen in erster Linie der Markterschließung, Marktsicherung und Kostenersparnis.
Passive Direktinvestitionen in Algerien sind ausländisches Konzernvermögen. Sie haben 2017 einen Bestand von 26,24 Mrd. US Dollar. Damit lag Algerien weltweit an 72. Stelle.
Aktive Direktinvestitionen aus Algerien sind algerische Unternehmensvermögen im Ausland. Sie haben 2017 einen Bestand von 2,1 Mrd. US Dollar und liegen damit an 81. Stelle weltweit.
Die aktiven Direktinvestitionen (Ströme) aus Algerien betrugen 2016: 55 Mio. US Dollar. 

Wirtschaft

Das nominale BIP Algeriens beläuft sich im Jahr 2017 auf geschätzte 175,5 Mrd. US Dollar und liegt somit an Stelle 110 von 229 Staaten. Das nominale BIP je EinwohnerIn liegt bei geschätzten 4 225 US Dollar.
Zum Vergleich: Das geschätzte BIP Südafrikas liegt 2017 bei 344,1 Mrd. US Dollar, das BIP je EinwohnerIn bei 6 089 US Dollar. 
Im Dienstleistungssektor sind 39,4 Prozent der Erwerbstätigen beschäftigt, der Anteil des Dienstleistungssektors am BIP liegt bei 50,9 Prozent.
In der Industrie arbeiten 47 Prozent der Erwerbstätigen, ihr Anteil am BIP liegt bei 36,2 Prozent.
In der Landwirtschaft arbeiten 13,6 Prozent der Erwerbstätigen, ihr Anteil am BIP liegt bei 12,9 Prozent. 

Armut und Erwerbslosigkeit

Die Erwerbslosigkeit ist auch eine Folge des Niedergangs des verarbeitenden Gewerbes und der Landwirtschaft aufgrund neokolonialer Abhängigkeiten: Schutzzölle auf Importe von Seiten der imperialistischen Mächte und Überschwemmung mit billigen Waren auf dem einheimischen Markt.
Die offizielle Erwerbslosenquote liegt 2016 bei 10,2 Prozent. Allerdings beträgt die Jugenderwerbslosenquote 30,6 Prozent. 23 Prozent der Bevölkerung leben 2012 unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Der Jugend fehlt jegliche Perspektive.
Im Jahr 2017 standen Erhöhungen der Mehrwertsteuer, der Grund- und Immobilienabgaben sowie der Besteuerung von Mieten, Kraftstoff und Gütern des täglichen Bedarfs auf der Tagesordnung. Öffentliche Ausgaben werden drastisch eingeschränkt. Zudem liegt die Inflationsrate bei 6,4 Prozent. Die soziale Not wächst immer weiter an: Die Kürzung staatlicher Subventionen von Grundnahrungsmitteln – wie Milch, Brot und Mehl – trifft wieder einmal vor allem die Ärmsten der Armen.

Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Algerien

Dieses Phänomen ist für die Abschiebepolitik Europas willkommen. Im Frühling 2017 beginnt die Internetkampagne „Nein zu afrikanischen Flüchtlingen in Algerien“.
Ende September startet die algerische Regierung eine Verhaftungs- und Abschiebekampagne gegen afrikanische Geflüchtete und MigrantInnen. Über Wochen hinweg verhaften algerische Sicherheitskräfte gezielt Menschen afrikanischer Herkunft an ihrem Arbeitsplatz, Zuhause oder auf der Straße und schieben sie anschließend nach Niger oder Mali ab. Amnesty International spricht in ihrem Jahresbericht für das Jahr 2017 von mehr als 6 500 afrikanischen EinwanderInnen, die allein zwischen August und Dezember aus Algerien nach Niger oder Mali abgeschoben worden seien. 

Stern

Imperialistische Interessen in Algerien


Die Flüchtlingspolitik spielt bei den europäischen Imperialisten eine vorrangige Rolle. Die Mittelmeerküste ist Ausgangspunkt von Fluchtrouten nach Südfrankreich oder auf die spanischen Balearen. Die Geflüchteten kommen aus Algerien selbst; das Land dient aber auch Geflüchteten aus Mali, dem Niger, Guinea, Ghana, Nigeria, Sierra Leone, Liberia und der Elfenbein-Küste als Zwischenstation auf dem Weg in die EU. Wirtschaftlich gilt Algerien vor allem als Energielieferant und Absatzmarkt für EU-Produkte. Das Land liefert rund 25 Prozent der Erdgasimporte der EU.
Algerien bestreitet ca. 60 Prozent seines Außenhandels mit der EU: Die EU exportiert 2016 Waren im Wert von 21,7 Mrd. US Dollar und importiert im gleichen Jahr Waren im Wert von 19,4 Mrd. US Dollar aus Algerien. 
Seit 2005 zwingt die EU mittels eines Assoziierungsabkommens mit dem Ziel einer Freihandelszone Algerien zu einer stärkeren Öffnung seiner Märkte. Der Vertrag mit der EU sieht vor, dass innerhalb von zwölf Jahren sämtliche Handelsschranken zwischen den Ländern wegfallen. Da algerische Produkte aber mit EU-subventionierten nicht standhalten können, profitiert vor allem die EU von dem Abkommen.

BRD – Großmachtgelüste in ehemaligen französischen Kolonien

Um ihrem Hegemonieanspruch innerhalb der EU gerecht zu werden, lancierte die BRD in den letzten Jahren mehrere Afrika-Pläne und Afrika-Strategien, mit dem Ziel, billige Arbeitskräfte auszubeuten, Rohstoffe aus dem afrikanischen Kontinent zu plündern sowie neue Absatzmärkte zu erschließen. Der „Marshallplan“ von 2017 z.B. benennt ausdrücklich Algerien als „Partner“land Deutschlands.
Neben Plänen und Strategiepapieren schickt der deutsche Imperialismus auch seine wirtschaftlichen Vorposten nach Algerien, um Wirtschaftsbeziehungen zu forcieren: 2005 eröffnet die Deutsch-Algerische Industrie- und Handelskammer (AHK Algerien) ihr Büro. Daneben arbeiten auch der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft und die GIZ (Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit), die hauptsächlich im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) fungiert, aber auch im Auftrag der EU und der Privatwirtschaft.
Für den Zeitraum von 2010 bis 2014 hat die deutsche Regierung ein Investitionsprogramm in Höhe von 150 Mrd. US Dollar aufgelegt. Etwa 70 Prozent davon investiert die BRD in den Bausektor. Die deutschen Baumonopole investieren in die 1 200 km lange Ost-West-Autobahn.
Algerien weist gegenüber Deutschland ein enormes Handelsbilanzdefizit aus: Deutschland exportiert 2016 Waren im Wert von 3,02 Mrd. US Dollar und importiert im gleichen Jahr Waren im Wert von 63,4 Mio. US Dollar aus Algerien. 
Die Deckung des Energiebedarfs der deutschen Bevölkerung steht im Fokus der deutschen Expansionspolitik nach Nordafrika.
In Algerien sollen Windparks, Solaranlagen und Stromtrassen entstehen. Dabei finanziert die staatliche deutsche „Entwicklungshilfe“ natürlich deutsche Monopole, wie z.B. Siemens, beim Bau der Anlagen und der Erzielung kräftiger Extraprofite. Das alles unter dem Mantel der Entwicklung von „erneuerbaren Energien“ und Unterstützung von sogenannten Entwicklungsländern, also kapitalistisch abhängigen Ländern.
Algerien ist ein treuer Verbündeter im Kampf gegen den sogenannten Terror und zudem einer der größten Abnehmer deutscher Rüstungsgüter. 2011 stimmt der Bundessicherheitsrat Rüstungs- und Waffenexporten in einer Gesamthöhe von zehn Mrd. Euro in das nordafrikanische Land zu.
Im August 2014 genehmigt die BRD die Lieferung und Installation einer kompletten Panzerfabrik in Algerien mit einem Gesamtvolumen von 2,7 Mrd. Euro. Die Fabrik ist auf eine Jahreskapazität von 120 Panzern – insgesamt 980 Stück – ausgelegt. Hauptrolle in diesem Deal spielen die deutschen Rüstungskonzerne Rheinmetall und Ferrostaal.
Beteiligt sind unter anderem der Daimler Konzern mit einem Vertrag für 10 000 Transportfahrzeuge, sowie Thyssen-Krupp mit der Lieferung von Kriegsschiffen, zwei Fregatten für 2,13 Mrd. Euro. Die Panzer sind für den Wüsteneinsatz besonders geeignet. Mit dem vorgesehenen Deal soll die sogenannte Terrorbekämpfung unterstützt werden. Aber auch die Erdgas- und Ölvorkommen spielen eine wichtige Rolle. Und nicht zuletzt dienen die Panzer der besseren Abwehr von Geflüchteten auf ihrem Weg nach Europa.
200 junge AlgerierInnen haben hierfür eine Ausbildung im Kasseler Werk der Rheinmetall Landsysteme GmbH (RLS) absolviert. Den theoretisch-schulischen Part hat das Berufsbildungszentrum (BZ) der Kasseler Handwerkskammer in eigens eingerichteten Klassen übernommen! 
Und auch 2016 war Algerien der wichtigste Abnehmer deutscher Rüstungsexporte  und importierter Rüstungsgüter im Wert von 1,4 Mrd. Euro aus Deutschland. 

Neokoloniale Herrschaft Frankreichs – kein Schuldeingeständnis, keine Entschädigung!

Frankreich übt weiterhin seine neokoloniale Herrschaft über Algerien aus. Auch wenn Frankreich gegenüber der Konkurrenz aus China oder Deutschland an Bedeutung eingebüßt hat, so bleibt die ehemalige Kolonialmacht nach wie vor einer der wichtigsten Handelspartner. Heute sind über hundert französische Monopole in Algerien tätig: Nahrungsmonopole (Castel, Danone, Bel); Transportmonopole (Michelin); Waschmittel (Henkel)
Im Dezember 2012 reist Präsident Hollande nach Algerien, um neue Absatzmärkte für Frankreichs Wirtschaft zu erschließen. Ein Schuldeingeständnis für die französischen Verbrechen der Kolonialzeit lehnt Hollande demonstrativ ab. Im April 2017 reist der Präsident Frankreichs Emmanuel Macron nach Algerien. Er nennt den Kolonialkrieg ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ – auch hier keine Entschuldigung, keine Entschädigung!

Großmacht USA

Algerien hat sehr gute Beziehungen zu den USA, die sich nach dem 11. September 2001 noch intensiviert haben. Das Land ist einer der engsten Partner der USA im „Krieg gegen den Terror“. Die Geheimdienste arbeiten eng zusammen: Algerien liefert Informationen und die Namen mutmaßlicher TerroristInnen im Gegenzug gewähren die USA Handelserleichterungen.

Chinas imperialistische Interessen

China hat sich nach Frankreich – was den Außenhandel betrifft – als zweitwichtigster Partner durchgesetzt. Chinesische Billigwaren bestimmen den Alltag in Algerien. Dies gilt insbesondere für Textilien, Werkzeuge, Ausstattungsbedarf, Satellitenschüsseln, Elektrozubehör usw., aber auch mittlerweile für Automobile und IT-Ausstattung. 
Der gesamte Bausektor ist fest in chinesischer Hand, so wird etwa auch der Prestigebau der neuen Großen Moschee von Algier einer chinesischen Baufirma überlassen. Chinesische Infrastrukturprojekte werden jedoch von chinesischen Unternehmen und meistens mit chinesischen ArbeiterInnen ausgeführt, so dass es zu keiner nennenswerten Schaffung von Arbeitsplätzen für einheimische ArbeiterInnen kommt.

Erstarkende kapitalistische Mächte – Beispiel Türkei im Aufwind

Die aufstrebende Regionalmacht Türkei festigt seit Anfang der 2000er Jahre die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen mit einigen Maghreb-Staaten. Die Ex- und Importzahlen belegen, dass die Türkei in den Handelsbeziehungen mit Algerien (auch in den Handelsbeziehungen mit Marokko und Tunesien) ein Netto-Exportland geworden ist.
Zahlenangaben des Wirtschaftsministeriums der Türkischen Republik: 
2016: Export 1,7 Mrd. US Dollar, Import 464 Mio. US Dollar. Gesamt: 2,2 Mrd. US Dollar.
2017: Export 1,7 Mrd. US Dollar, Import 766 Mio. US Dollar. Gesamt: 2,4 Mrd. US Dollar.
Im Februar 2018 sprach Erdoğan von einer Gesamt-Handelskapazität von 3,5 Mrd. US Dollar, die nach und nach auf 10 Mrd. US Dollar erhöht werden soll. 

Gewerkschaft – Algeriens staatstragender Verbündete

Die UGTA  (Union générale des travailleurs algériens, Generalunion der algerischen Arbeiter) wurde 1956 von der FLN während des Algerienkriegs gegründet. Nach der Unabhängigkeit des Landes wurde sie zur Einheitsgewerkschaft. Die Einbindung der UGTA in das System der Macht ist enorm, und sie ist faktisch mit dem Staatsapparat und der Bürokratie verwachsen. 1990 konnte die FIS (Islamische Heilsfront) eine weitere Gewerkschaft gründen. Seitdem existieren mehrere unabhängige Gewerkschaften, die immer wieder starken Repressalien ausgesetzt sind. 

Klassenkämpfe

Mai 2010: Eine Woche lang streiken die EisenbahnerInnen Algeriens. Die staatstragende gelbe Gewerkschaft UGTA und auch die Eisenbahnergewerkschaft FNC versuchen die Kämpfenden vom Streik abzuhalten.
Ein algerisches Gericht verbietet den Ausstand. Trotzdem streiken die ArbeiterInnen weiter und können dem Transportminister einige Zusagen abtrotzen.
Am 4. Januar 2011 treten 100 algerische HafenarbeiterInnen in einen wilden Streik.
Sie protestieren damit gegen eine Vereinbarung, die eine Kürzung der Überstundenzuschläge und ein neues Schichtsystem vorsieht. Diese Vereinbarung wurde im Juli 2010 von der gelben Gewerkschaft UGTA mit den Bossen getroffen. Innerhalb von zwei Tagen schließen sich 800 weitere KollegInnen dem Streik an. Während des Streiks machen die Gewerkschaftsbürokraten massiv Propaganda gegen den Streik und versuchten alles, um eine Ausweitung zu verhindern.
Januar 2013: Die PostlerInnen streiken im ganzen Land. Offiziell richtet sich der Streik vor allem gegen die Person des Generaldirektors, die Forderungen der Streikenden betreffen jedoch nahezu sämtliche Arbeitsbedingungen.
Anfang 2015 demonstrieren die BewohnerInnen verschiedener Städte in der algerischen Wüste gegen das Fracking Großprojekt im Süden Algeriens. Ende Februar gibt es eine große polizeiliche Repressionswelle mit mindestens 40 Verletzten und zahlreichen Festnahmen.
Eine Ankündigung der Regierung Anfang Januar 2017, die Mehrwertsteuern zu erhöhen und Abgaben auf Zigaretten und Benzin zu erheben, führt zu wütenden Protesten überwiegend Jugendlicher in mehreren Städten.
Ein Polizeitransporter wird angezündet, brennende Barrikaden werden errichtet, eine Filiale der französischen Bank BNP Paribas wird beschädigt. Die Polizei greift die DemonstrantInnen brutal an, eine unbekannte Anzahl Menschen wird verhaftet.
Seit November 2017 gehen unzählige unabhängige Gewerkschaften im öffentlichen Dienst auf Konfrontationskurs: Warnstreiks und Proteste bei der staatlichen Fluggesellschaft Air Algérie, in den öffentlichen Nahverkehrsbetrieben, bei der Post und den staatseigenen Elektrizitäts- und Gasunternehmen. Im November 2017 organisiert die unabhängige Gewerkschaft „Collectif Autonome Médecins Résidents Algériens“ (CAMRA) wöchentliche Sit-ins an mehreren Krankenhäusern im ganzen Land.
Am 3. Januar geht die Polizei gewaltsam gegen eine Demonstration hunderter ÄrztInnen, PharmazeutInnen und MedizinstudentInnen vor dem Universitätsklinikum Mostapha-Basha in Algier vor. Bilder und Videos blutüberströmter DemonstrantInnen verbreiten sich schnell. Anfang Januar ruft CAMRA einen unbefristeten Ausstand aus. Ein Gericht in Algier erklärt den Streik für illegal, aber CAMRA widersetzt sich.
Am 12. Februar versammeln sich hunderte MedizinerInnen in der Hauptstadt, eine Woche später folgen mehrere tausend Menschen und demonstrieren in mehreren Städten.
Auch im Bildungssektor wird gestreikt:
Seit November 2017 mobilisiert die unabhängige Gewerkschaft „Conseil National Autonome du Personnel Enseignant du Secteur Ternaire de l‘Èducation“ (Cnapeste) an Algeriens Schulen und fordert höhere Löhne. Ende Januar tritt Cnapeste in einen unbefristeten Streik, der von der Justiz ebenfalls als illegal abgestempelt wird. Nach wie vor streiken die unabhängigen Gewerkschaften weiter. 
Diese Kämpfe der Werktätigen in Algerien innerhalb der ArbeiterInnenklasse hier im Land bekannt zu machen, Bewusstsein zu wecken und internationale Solidarität zu entwickeln, ist unsere Aufgabe – im Kampf gegen den deutsch-imperialistischen Neokolonialismus und den EU-Imperialismus.



Frantz Fanon:
„Die Verdammten dieser Erde“


Fanon wurde am 20. Juli 1925 auf der karibischen Insel Martinique geboren. Er wuchs unter dem französischen Kolonialregime auf, das dort bis heute herrscht.
Im Zweiten Weltkrieg trat er in die französische Armee ein, um gegen die Faschisten zu kämpfen. Der Krieg führte ihn nach Algerien und dann nach Frankreich. Es war die Zeit seiner ersten Begegnungen mit dem Rassismus und wie es sich anfühlte, als Schwarzer in einer weißen Gesellschaft zu leben. Sein erstes Buch, „Schwarze Haut, weiße Masken“, veröffentlichte er auf Französisch im Jahr 1952.
Fanon benennt als einer der ersten Intellektuellen den Rassismus der europäischen Kolonialgesellschaften als Ursache für die zerstörten Identitäten der indigenen Bevölkerungen und die langfristig verheerenden Auswirkungen. In der Einleitung formuliert er:
„Wir haben nichts Geringeres vor, als den farbigen Menschen von sich selbst zu befreien. Wir werden sehr behutsam vorgehen, denn es gibt zwei Lager: das weiße und das schwarze.“

Ein Jahr nach seiner Ankunft in Algerien entbrannte der nationale Befreiungskampf. Fanon kämpfte gemeinsam mit der algerischen Nationalen Befreiungsfront FNL (Front de Libération Nationale).
Kurz vor seinem Tod verfasste er 1961 das weltweit wirkmächtige Werk „Die Verdammten dieser Erde“. International bedeutsam für die antikolonialen Revolutionen der Befreiungsbewegungen und den Antiimperialismus der Jugendbewegungen der 1968er Jahre. In dem Buch führt Fanon aus:
„Die Dekolonisation ist immer ein gewaltsames Phänomen... Denn Gewalt ruft Gewalt hervor, und wenn der Unterdrücker gewaltsam bis in jeden Winkel vordringt, ist friedlicher Widerstand schwierig...“
Entgegen der Analysen des Marxismus-Leninismus sieht Fanon nicht das Proletariat als Hauptakteur in der großen, gewaltsamen Revolution der Befreiung in den kolonisierten Ländern sondern die Masse der Verarmten und Hungernden, die Bauern und LandarbeiterInnen.
Für Fanon ist das Proletariat in den Kolonien lediglich eine vom Kolonialsystem privilegierte kleine Schicht von kaum mehr als einem Prozent der Bevölkerung, die zu viel zu verlieren habe, während die Masse der Verarmten und Hungernden, die Bauern und LandarbeiterInnen nichts zu verlieren hat.



Trotz alledem! Nummern mit Schwerpunkt Afrika:


Nr. 30/31, Februar 2004
Vor 100 Jahren Beginn des deutschen Kolonialkrieges gegen Herero und Nama:
„Im Gegensatz zu anderen Ländern ist unsere Kolonialgeschichte glücklicherweise meist nur kurze Episode geblieben. Dies erweist sich heute als Vorteil. Wir sehen ‚Afrika als Ganzes‘ und denken nicht in Einflußzonen.“
Außenminister Fischer, Rede Deutsche Afrika-Stiftung
Anticolonial Africa Conference Berlin 2004: „Eine unbelastete Kolonialmacht?“
Nr. 32/33, Juni 2004
Die Kolonialpolitik der deutschen Bourgeoisie, D. Schreiber, Die Internationale – Zeitschrift für Praxis und Theorie des Marxismus! 1926
Nr. 34/35, Januar 2005
Deutscher Völkermord in Afrika: Das Deutsche Reich und der Völkermord in „Deutsch-Südwest“
Buchbesprechung: „Herero“ von Gerhard Seyfried
Nr. 36, Mai 2005
„Ein wichtiger Standort“: Namibia und die BRD – Deutsche Regierung zu ihrer Verantwortung am Völkermord
Nr. 57, April 2011
Aufruhr: Revolution der Völker in Nordafrika und Mittlerem Osten
Intervention in Libyen
Nr. 58, September 2011
Sudan und Südsudan: Geschichte kolonialistischer Ausbeutung
Nr. 59, Januar 2012
Ostafrika/Somalia Hungertod: Barbarei, Hungerrevolten: Einziger Ausweg
Nr. 61, September 2012
Interview mit Mercedesarbeiter aus Südafrika
Nr. 62, Januar 2013
Vergessene Westsahara: Sahrauische Volk im Widerstand
Interview über den 13. Kongress der Frente Polisario
ArbeiterInnen Südafrikas – Im Aufbruch!
Nr. 64, September 2013
Ägypten: Wie wird eine Volksrebellion in einen Militärputsch umfunktioniert?
Fokus Afrika Serie
Nr. 65, Januar 2014 – Teil 1
Fokus Afrika – Unterwerfung und Kolonialgeschichte
Interview: „Insgesamt haben die Menschen in Afrika viele Hoffnungen ...“
Deutsche Weltstrategien… Beispiel Afrika
Nr. 66, Mai 2014 – Teil 2
Zentralafrika – im Herzen des Kontinents
Interview mit Zacharias, von IMI – Militarisierung und deutsche Politik:
Nr. 67, September 2014 – Teil 3
Demokratische Republik Kongo – lange Geschichte von Krieg und Ausplünderung
Interview: Roger von der Revolutionary Organization from the Congo
Republik Kongo
Nr. 68, Januar 2015 – Teil 4
Boomendes Ostafrika?! Kolonialgeschichte+ Abhängigkeit
Nr. 70, September 2015 – Teil 5
Westafrika – Paradies für das Finanzkapital – Elend für die Völker
Nr. 71, Januar 2016 – Teil 6
Nigeria: In den Fängen des Imperialismus
Nr. 72, Mai 2016 – Teil 7
Südliches Afrika – Politik – Ökonomie – Widerstand
Nr. 73, September 2016 – Teil 8
Südafrika I: Vom Kampf gegen Rassismus und Kolonialismus zum Kampf der Klassen! Geschichte der südafrikanischen Republik
Nr. 74, Januar 2017 – Teil 9
Südafrika II: Aktuelle Politik der Dreierallianz ANC, SACP und COSATU + Klassenkampf
Nr. 75, Mai 2017 – Teil 10
Südafrika III – imperialistische Ausplünderung Südafrikas, hegemonial-kapitalistische Politik der südafrikanischen Herrschenden. Südafrika ein (neo-)imperialistisches Land?
Nr. 78, Mai 2018 – Teil 11
Nordafrika – Geschichte + Algerien und Marokko – RIF Kämpfe