Deutsche Demokratische Republik –
Anspruch und Wirklichkeit
Antifaschistisch-demokratisch? Sozialistisch?
Teil 1
In unserer alltäglichen politischen Arbeit, ArbeiterInnen und Werktätige heute für Sozialismus zu begeistern und für den Aufbau der Kommunistischen Partei zu gewinnen, stoßen wir immer wieder auf eine zentrale Grundsatzfrage: „Wie haltet ihr es denn mit der DDR?“ und „War die DDR ein sozialistischer Staat oder eine Diktatur?“.
„Westdeutsche“ KollegInnen sind oftmals geprägt vom plumpen Antikommunismus gegen den „Ulbricht-Staat“, machen sich lustig über das armselige „Trabi“land DDR und reden von der „sozialistischen Stasidiktatur“. Seit Gründung der BRD läuft eine Hetzpropaganda-Schlacht, eine Anti-DDR-Kampagne auf vollen Touren. Über alle Medien von BZ bis zur FAZ, von TAZ bis Spiegel und Stern etc., über TV, Radio, Filme und Bücher. Heute vor allem im Internet sowie in den sozialen Medien.
„Ostdeutsche“ KollegInnen sind teils DDR-NostalgikerInnen, „das Menschliche stimmte einfach“ oder tendieren zu stramm rechtem Deutschnationalismus (AfD). Natürlich gibt es dazwischen zur DDR unter den Werktätigen eine große Spannbreite unterschiedlicher Erfahrungen und Gefühle in Ost und West. Von „da war auch nicht alles schlecht“ bis zur Gleichsetzung von „Hitler-Diktatur“ und „Ulbricht-Diktatur“.
Im heutigen Geschichtsverständnis der herrschenden Klassen in Deutschland hat der Fall der Mauer 1989, die Auflösung und Abwicklung der DDR 1990 und die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands am 3. Oktober 1990 immense Bedeutung. Der deutsche Imperialismus konnte seine Großmachtposition wesentlich ausbauen. Seine bittere Niederlage im 2. Weltkrieg, geschlagen vor allem durch die sozialistische Sowjetunion, wird nun „wettgemacht“. Er sieht sich als Sieger gegen „den Bolschewismus“, geht so in die bürgerliche Geschichte ein und triumphiert.
Seit über einem Jahr laufen Vorbereitungen in ganz Deutschland zum „30-jährigen Jubiläum des Mauerfalls und der friedlichen Revolution“ 2019. Das „internationale Groß-Event“ steigt in der Hauptstadt Berlin. Sieben Tage lang vom 4. bis zum 10. November wird sich die Stadt „an sieben Orten in ein einzigartiges Open-Air-Ausstellungs- und Veranstaltungsgelände verwandeln… Die Berliner Route der Revolution wird erzählt.“ Das lässt sich der Staat was kosten, um den großdeutschen nationalen Siegestaumel abzufeiern.
Welche zentrale Bedeutung die Einverleibung der DDR im deutschen, nationalistischen Staatsverständnis spielt, zeigt zynisch ein Leitartikel im Hauptstadtblatt „Der Tagesspiegel“. 2018, anlässlich der Wiederentdeckung der bis dahin relativ unbeachteten deutschen Novemberrevolution 1918, wird sich selbstgefällig auf die Schulter geklopft. Welche Erinnerungskultur „wir Deutschen“ entwickeln: „Zunächst liegt es an der Wachheit dieses Gedenkens, dass der Dreifach-Geburtstag an diesem 9. November – 100 Jahre Revolution plus Weltkriegsende, 80 Jahre Reichspogromnacht, 29 Jahre Mauerfall.“ (TSP, 9. November 2018) Das ist deutsches Traditions-Leitkultur-Gedenken! Der Jahrestag der Reichspogromnacht wird zum „Geburtstag der Reichspogromnacht“ umgedeutet: Der Beginn der Barbarei, in der Shoah mündend, dem Genozid an über sechs Millionen europäischen, jüdischen Menschen wird zum „Event“. Wie verräterisch ist doch Sprache!
Das Abfeiern von 30 Jahren Mauerfall wird in Siegerpose über den „realen Sozialismus“ und mit heutigen Großmachtansprüchen in der Welt gestaltet. Ziel der Veranstaltungen ist es, die realen Klassen- und Kräfteverhältnisse nach dem 2. Weltkrieg zu verschleiern. Der Versuch, einen besseren deutschen Staat zu schaffen wird geleugnet und gleichzeitig der Staatsaufbau in Westdeutschland, Hand in Hand mit Kapital und alten Nazi-Eliten, legitimiert.
DDR …
Im Oktober 1949 wird die DDR durch ihre führende politische Kraft, die SED (Sozialdemokratische Einheitspartei Deutschlands), als antifaschistisch-demokratischer Staat gegründet. Ab 1952 wird, laut SED,
„auf deutschem Boden in der DDR der Sozialismus aufgebaut“.
Für alle sogenannten sozialistischen Staaten und Parteien, die mit der international führenden Kraft, der KPdSU der Sowjetunion, verbunden waren, firmierte die DDR bis zum Untergang des „Ostblocks“ als „deutscher sozialistischer Staat“. Auch für die Bourgeoisie der „Westmächte“ und alle Anti-KommunistInnen war die DDR nicht nur ein sozialistischer, sondern auch ein „kommunistischer“ Staat. Sein Zusammenbruch und die Einverleibung in den westdeutschen Staat waren ein Triumph des Weltkapitalismus. Wie der ganze Niedergang des Ostblocks. Das Ende der Geschichte, das Ende des Kommunismus, ja sein endgültiger Tod wurden verkündet!
Nach der Spaltung der Kommunistischen Weltbewegung Anfang der 1960er Jahre bewerteten die Kommunistischen Parteien unter Führung der KP China und der Partei der Arbeit Albaniens die DDR als einen „Satellitenstaat des sozialimperialistischen Camps“.
Trotzkistische Organisationen schätzen die DDR als einen „deformierten Arbeiterstaat“ ein. Hauptursache dafür sehen sie im angeblichen „Stalinismus“ der KPdSU(B) und der Sowjetunion, dem sich auch die DDR und SED-Führung unterwarf. Ihre Schlussfolgerung daraus ist, die DDR war zwar kein sozialistischer Staat, aber immerhin ein Arbeiterstaat.
Seit 1990 werden bis heute zahlreiche Artikel und Stapel von Büchern über die DDR und ihre Entwicklung von VertreterInnen unterschiedlichster politischer Richtungen publiziert. Innerhalb des gesamten „Linken-Spektrums“ wird weiter über den Charakter der DDR diskutiert und heftig gestritten.
Auch KommunistInnen, die sich auf den Marxismus-Leninismus berufen und die Restauration des Kapitalismus in der UdSSR unter Führung des Chruschtschow-Revisionismus anprangern, versuchen Antworten auf die vielen Fragen zu geben. Unterschiedlichste Meinungen, teils richtige Einschätzungen sowie Kritiken kursieren. Allerdings fehlt bis heute eine abgeschlossene wissenschaftliche, marxistisch-leninistische Analyse des politischen Charakters und der Entwicklung der DDR.
Heute leben wir in einer Situation, in der die Kommunistische Weltbewegung relativ schwach ist. Der Sozialismus hat wenig Anziehungskraft. Weltweit greifen die bürgerlichen Medien, PolitikerInnen und WissenschaftlerInnen den Kommunismus mit allen Mitteln an und vernebeln das Bewusstsein der ArbeiterInnen und Werktätigen. Es ist unsere Aufgabe und eine zentrale Herausforderung für alle KommunistInnen, diese Angriffe der Bourgeoisie zurück zu schlagen.
Nur mit einer wissenschaftlichen Analyse können wir die ArbeiterInnen und Werktätigen aufklären und überzeugen. Ohne die selbstkritische Überwindung der Fehler der kommunistischen Weltbewegung können wir nicht vorankommen und die verlorene Anziehungskraft wieder erlangen.
Wir, Trotz alledem!, wollen unseren Beitrag zur wissenschaftlichen Analyse der DDR leisten. Dazu haben wir vor einem Jahr unsere Recherche- und Analysearbeit gestartet. Unser Ziel ist es, Grundsatzfragen zur DDR und ihrer Entwicklung zu beantworten. Hierzu werden wir die konkrete Lage in Deutschland 1945 und die internationalen Voraussetzungen, die zur Entstehung der DDR führten, einschätzen. Wir wollen ihre weitere Entwicklung bis hin zur „Einverleibung der DDR“ in das Staatsgebiet des westdeutschen Imperialismus im Jahr 1991 untersuchen. Bürgerliche PolitikerInnen und HistorikerInnen nennen dieses Ereignis die „Wende und friedliche Revolution“. Den Aufstand der Massen gegen das SED-Regime propagieren sie und ihre Medien als einen Aufstand gegen Sozialismus und Kommunismus.
Mit diesem Artikel beginnen wir, nach und nach unsere Ergebnisse zu veröffentlichen. Wir stellen sie der revolutionären, kommunistischen Bewegung zur kritischen, offenen und öffentlichen Diskussion. Über konstruktive Kritiken, Anregungen sowie Vorschläge oder Beiträge freuen wir uns sehr und veröffentlichen diese auch gerne.
Theorie der Diktatur des Proletariats und der Volksdemokratie
Fragestellung …
* Welches Gesellschaftssystem wurde in Ostdeutschland, in der sowjetisch besetzten Zone (SBZ) nach dem Ende des 2. Weltkrieges 1945 angestrebt?
* Welche Politik verfolgten die beiden Parteien, die bürgerliche SPD und die kommunistische KPD?
* Wie ist der Zusammenschluss von SPD und KPD zur SED in der SBZ politisch zu bewerten?
* Welche Ziele verfolgte die sowjetische Besatzungsmacht?
Unter Berücksichtigung der historischen, konkret sehr besonderen Bedingungen müssen wir die Fragen beantworten:
* Was war die DDR als sie gegründet wurde? War die DDR ein antifaschistischer-demokratischer Staat oder bereits ein sozialistischer? Oder hat sich die DDR erst später hin zu einem sozialistischen System weiterentwickelt?
Die SED selbst stellte sich zunächst die Aufgabe, einen antifaschistisch-demokratischen Staat aufzubauen. Die SED selbst stellte sich zunächst die Aufgabe, einen antifaschistisch-demokratischen Staat aufzubauen. 1952 ging die SED dazu über von einem volksdemokratischen Staat, in dem der Sozialismus aufgebaut wird, zu sprechen. Daraus entsteht die Frage, was ist der Unterschied zwischen einem antifaschistisch-demokratischen und volksdemokratischen Staat? Was ist überhaupt die Volksdemokratie? Ist die Regierung der Volksdemokratie eine Form der Diktatur des Proletariats?
Ab 1952 ging die SED zum Aufbau des Sozialismus über. Aber war das tatsächlich Sozialismus, die Diktatur des Proletariats? Wurde der sozialistische Aufbau angepackt und verwirklicht? Welche Klassen und welche politischen Parteien/Kräfte waren in der DDR an der Macht? War die führende Partei, die SED, eine marxistisch-leninistische, kommunistische Partei? Welche Haltung hat die SED gegenüber der Kommunistischen Weltbewegung eingenommen?
Um diese Fragen zu beantworten, haben wir die Theorie des Marxismus-Leninismus über den Staat, im Besonderen die Lehre über die Diktatur des Proletariats geschult. Anhand der wesentlichen marxistisch-leninistischen Grundlagentexte, die im „Leninismus Heft 3“ zusammengestellt sind. Im Zusammenhang damit haben wir eine Debatte über das Wesen der Volksdemokratie geführt. Hierzu haben wir kollektiv die wichtigsten Diskussionen und die Beschlüsse auf dem siebten Kongress der Kommunistischen Internationale 1935 u.a. „Über die Regierung der Einheitsfront“; die grundlegende Schrift von Mao Zedong,
„Über die neue Demokratie“, 1940, und die zentrale Rede von Georgi Dimitroff, „Politischer Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der Bulgarischen Arbeiterpartei (Kommunisten) an den V. Parteitag“, 1948, studiert. Ebenso die Kapitel „Die Wirtschaftsordnung der europäischen volksdemokratischen Länder, Die Wirtschaftsordnung der Volksrepublik China, Die wirtschaftliche Zusammenarbeit der Länder des sozialistischen Lagers“ aus dem Lehrbuch „Politische Ökonomie“, 1955.
Für die Beantwortung der Frage, was für ein Staat und was für eine Gesellschaft war die DDR, als sie gegründet wurde, haben wir viele Materialien der KPD, SPD, SED und DDR ausgewertet. Zentrale Dokumente über die Vereinigung von KPD und SPD, Gründungsdokumente der DDR sowie Grundpositionen zur Lösung der nationalen Frage von SED, DDR und KPD (BRD).
Im Rahmen der politischen Abkommen und Widersprüche der Anti-Hitler-Koalition haben wir die Haltung der Sowjetunion in der Zeit vom 8. Mai 1945 bis hin zur „Note der sowjetischen Regierung an die Regierungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten“ (10. März 1952 und 9. April 1952) die sogenannte „Stalinnote“, ausgewertet. Vor allem das „Potsdamer Abkommen“ vom 2. August 1945 haben wir als entscheidende Grundlage berücksichtigt.
... und unser Ausgangspunkt
Unser Ausgangspunkt ist die Theorie des Marxismus-Leninismus, die Wissenschaft für die Befreiung der Arbeiterklasse und der Werktätigen vom Joch des kapitalistisch-imperialistischen Systems. Um den Charakter einer Gesellschaft und ihres Staates einzuschätzen, ist die marxistisch-leninistische Analyse über den Staat und insbesondere die Diktatur des Proletariats ausschlaggebend. Weiterhin ist die Theorie des Marxismus-Leninismus über die Notwendigkeit und die Aufgaben einer Kommunistischen Partei, die die ArbeiterInnenklasse und Werktätigen für den Kampf um den Sozialismus, Kommunismus führen und leiten kann, wichtig.
Marx und Engels formulierten schon im „Kommunistischen Manifest“, dass im Sozialismus der „Staat, d.h. das als herrschende Klasse organisierte Proletariat“ ist. Ohne politische Macht, ohne Diktatur des Proletariats ist der Sozialismus als Übergangsgesellschaft zum Kommunismus nicht möglich.
Laut Marx und Engels kann die Arbeiterklasse nicht einfach die fertige bürgerliche Staatsmaschinerie in Besitz nehmen und sie für ihre eigenen Zwecke in Bewegung setzen. Die Arbeiterklasse muss gewaltsam den bürgerlichen Staatsapparat zerschlagen und durch einen neuen, proletarischen Staat, eben die Diktatur des Proletariats ersetzen. Lenin hat in seinen Werken „Staat und Revolution“ und „Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky“ die marxistische Staatstheorie gegen revisionistische Theorien verteidigt und weiter entwickelt.
Die marxistisch-leninistische Theorie über den Staat besagt, es kann nur dann vom Sozialismus die Rede sein, wenn die Diktatur des Proletariats errichtet ist. Die Eroberung der Staatsmacht durch das Proletariat ist die entscheidende Voraussetzung für den Aufbau des Sozialismus. Ohne Diktatur des Proletariats kann es auch keine „sozialistischen Maßnahmen“ geben. Der Charakter eines Staates und einer Gesellschaft wird von dem Charakter der konkreten Macht bestimmt.
Was ist aber Diktatur des Proletariats?
Die Antwort auf diese prinzipielle Frage unterscheidet die Marxisten-Leninisten von allen RevisionistInnen. Die Diktatur des Proletariats ist keine Revolution unter Führung der ArbeiterInnenklasse, an der sich auch Teile der Bourgeoisie beteiligen, um mit an die Macht zu kommen. Sie ist nur die Macht des Proletariats im Bündnis mit allen Werktätigen bzw. unterdrückten Schichten. Die Bourgeoisie wird in der Diktatur des Proletariats nicht an der politischen Macht beteiligt sein.
Wie kann aber die Diktatur des Proletariats errichtet werden? Die Antwort ist einfach (aber schwer zu machen): Mit der Revolution! Mit der Zerschlagung des bürgerlichen Staates! Diese kann nicht ohne eine Kommunistische Organisation durchgeführt werden. Die ArbeiterInnenklasse kann nicht spontan sozialistisches Bewusstsein erlangen. Daher ist die unabdingbar notwendige Aufgabe der Kommunistischen Partei, der Partei der ArbeiterInnenklasse, sozialistisches Bewusstsein in die ArbeiterInnenklasse hineinzutragen und zu entwickeln.
Entsprechend der Theorie des Leninismus über die Kommunistische Partei sind mindestens drei Kriterien für eine Organisation oder Partei notwendig, um kommunistisch zu sein.
Anerkennung
1. des demokratischen Zentralismus als Organisationsprinzip der Partei.
2. der Notwendigkeit des revolutionären Sturzes der Herrschaft der Bourgeoisie und Ablehnung eines „friedlichen Übergangs“ vom Kapitalismus zum Sozialismus.
3. der Errichtung der Diktatur des Proletariats in der Form der Rätemacht.
In bestimmten historischen Momenten kann das eine oder andere politische Kriterium wie zum Beispiel die Haltung gegenüber einem imperialistischen, reaktionären Krieg, wie während des Ersten Weltkriegs, zu einem bestimmenden Kriterium werden.
In jeder konkreten Lage müssen die in den Vordergrund rückenden Kriterien aber immer konkret und im Zusammenhang mit dem Kampf für die gewaltsame Revolution und die Errichtung der Diktatur des Proletariats beurteilt werden.
Die DDR entstand auf dem ehemaligen Staatsgebiet des deutschen Imperialismus, des deutschen Faschismus unter ganz besonderen historischen Bedingungen – und nicht im Ergebnis einer sozialistischen Revolution der ArbeiterInnen und Werktätigen. Daher war die KPD nach 1945 von vorneherein mit der Frage konfrontiert, ob sie direkt für die sozialistische Revolution oder für eine antifaschistische-demokratische Volksmacht kämpft.
Ausgehend davon werden wir die Theorie über die Volksdemokratie, die SED und DDR einschätzen.
Ist die Volksdemokratie eine Form der Diktatur des Proletariats?
Vorweg
Viele KommunistInnen, wie zum Beispiel Georgi Dimitroff, haben die Volksdemokratie als eine Form der Diktatur des Proletariats eingeschätzt. Diese Einschätzung ist falsch. Begründet wird sie damit, dass in diesen Staaten die politische Führung in den Händen der Arbeiterklasse liegt.
Das heißt mit anderen Worten, wenn die ArbeiterInnenklasse eine Revolution durchführt und an die Macht kommt, ist die Diktatur des Proletariats errichtet. Das ist ein Irrtum und gleichzeitig eine Revision der marxistisch-leninistischen Theorie.
Die entscheidende Frage ist nicht, wer die Führung in der Revolution innehat, sondern der politische Charakter der errichteten Macht. Mit wem, mit welchen Klassen, ist die ArbeiterInnenklasse im Bündnis und mit wem, mit welchen Klassen und Schichten teilt sich das Proletariat die politische Macht.
Die ArbeiterInnenklasse kann auch eine demokratische Revolution durchführen, an die Macht kommen und eine revolutionär-demokratische Diktatur errichten. Das ist aber nicht die Diktatur des Proletariats. Und schon gar nicht Sozialismus!
Lenin hat die Rolle der ArbeiterInnenklasse in der demokratischen Revolution auf der Grundlage der Theorie von Marx entwickelt. In seiner Schrift „Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution“ benennt er den entscheidenden Sieg über den Zarismus als
„die revolutionär-demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft“
und erklärt, was ein solcher Sieg sein kann:
„Und ein solcher Sieg wird eben eine Diktatur sein, d.h., er wird sich unvermeidlich auf militärische Gewalt, auf die Bewaffnung der Massen, auf den Aufstand stützen müssen, nicht aber auf diese oder jene, auf ‚legalem‘, ‚friedlichem Wege‘ geschaffene Einrichtungen. Das kann nur eine Diktatur sein, denn die Verwirklichung der für das Proletariat und die Bauernschaft unverzüglich und unabweislich notwendigen Umgestaltungen wird den erbitterten Widerstand sowohl der Gutsbesitzer als auch der Großbourgeoisie und des Zarismus hervorrufen. Ohne Diktatur ist es unmöglich, diesen Widerstand zu brechen, die konterrevolutionären Anschläge abzuwehren. Doch selbstverständlich wird das keine sozialistische, sondern eine demokratische Diktatur sein. (…)
Ein solcher Sieg wird aus unserer bürgerlichen Revolution noch keineswegs eine sozialistische machen; die demokratische Umwälzung wird über den Rahmen der bürgerlichen gesellschaftlich-ökonomischen Verhältnisse nicht unmittelbar hinausgehen; aber nichtsdestoweniger wird die Bedeutung eines solchen Sieges für die künftige Entwicklung sowohl Rußlands als auch der ganzen Welt gigantisch sein.“
Lenin stellt dem Proletariat für die demokratische Revolution folgende Aufgaben:
„Das Proletariat muß die demokratische Umwälzung zu Ende führen, indem es die Masse der Bauernschaft an sich heranzieht, um den Widerstand der Selbstherrschaft mit Gewalt zu brechen und die schwankende Haltung der Bourgeoisie zu paralysieren. Das Proletariat muß die sozialistische Umwälzung vollbringen, indem es die Masse der halbproletarischen Elemente der Bevölkerung an sich heranzieht, um den Widerstand der Bourgeoisie mit Gewalt zu brechen und die schwankende Haltung der Bauernschaft und der Kleinbourgeoisie zu paralysieren.“
Über die Politik des Proletariats, mit welchen Klassen oder Schichten es in den jeweiligen Revolutionen Bündnisse eingehen soll oder kann, führt Lenin aus:
„An der Spitze des gesamten Volkes und besonders der Bauernschaft – für die volle Freiheit, für die konsequente demokratische Umwälzung, für die Republik! An der Spitze aller Werktätigen und Ausgebeuteten – für den Sozialismus! Das muß in der Tat die Politik des revolutionären Proletariats sein, so muß die Klassenlosung lauten, die während der Revolution die Lösung jeder taktischen Frage und jeden praktischen Schritt der Arbeiterpartei durchdringen und bestimmen muß.“
Das heißt, ein Bündnis mit dem gesamten Volk und besonders mit der Bauernschaft ist in der demokratischen Revolution notwendig. Die daraus entstehende politische Macht oder errichtete Diktatur ist aber keine Diktatur des Proletariats, auch wenn die ArbeiterInnenklasse die führende Kraft ist. Der Kern der Diktatur des Proletariats ist das Bündnis der ArbeiterInnenklasse mit den Werktätigen und Ausgebeuteten.
Lenin stellt die Aufgabe der „ArbeiterInnenklasse nach der erfolgreichen demokratischen Revolution klar:
„von der demokratischen Revolution werden wir sofort, und zwar nach Maßgabe unserer Kraft, der Kraft des klassenbewußten und organisierten Proletariats, den Übergang zur sozialistischen Revolution beginnen. Wir sind für die ununterbrochene Revolution. Wir werden nicht auf halbem Wege stehenbleiben.“
Kurz zusammengefasst: Der Kampf für den Sozialismus, Kommunismus wird in jedem Land und entsprechend der jeweiligen, konkreten Situation anders verlaufen. Die ArbeiterInnenklasse unter Führung Kommunistischen Partei muss dafür streiten, den Kampf für die demokratische und sozialistische Revolution anzuführen.
Wenn die ArbeiterInnenklasse in der demokratischen Revolution die Führung übernehmen und eine revolutionär-demokratischen Diktatur errichten kann, dann sind die Möglichkeiten und Voraussetzungen für den Kampf um die sozialistische Revolution wesentlich günstiger.
„Über die Regierung der Einheitsfront und die antifaschistische Volksfront“
Weltkongress der Kommunistischen Internationale August 1935
In der Resolution zum Referat des Genossen Dimitroff,
„Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampfe für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus“
, verabschiedet auf dem VII. Weltkongress der KI, wird ihre Strategie und Taktik zur Regierung der Einheitsfront festgelegt. Dieses Dokument muss im Zusammenhang mit der damals besonderen Lage diskutiert werden: Der Faschismus war in Deutschland, Italien usw. an der Macht und der antifaschistische Kampf erforderte, die Bündnisfrage auf die Tagesordnung zu stellen.
Auch in den Ländern, in denen die sozialistische Revolution als nächste Etappe anstand, wurde eine Zwischenetappe bzw. ein Zwischenschritt notwendig – um zur Diktatur des Proletariats voranschreiten zu können.
Als Ziel wurde die Regierung einer antifaschistischen Einheitsfront ausgegeben. Um dahin zu gelangen, muss die Einheitsfrontbewegung gegen den Faschismus erfolgreich kämpfen und der Faschismus zerschlagen werden. Alle Kräfte, die an der Einheitsfront teilnehmen – auch Teile der Bourgeoisie – können an der Regierung, an der neu entstandenen Macht, beteiligt werden. Dennoch – auch wenn diese bürgerlichen Kräfte zusammen mit der ArbeiterInnenklasse und den Kommunistischen Parteien gegen die faschistische Herrschaft zusammen kämpfen – sind sie nicht für eine sozialistische Revolution.
Der Faschismus kann nicht nur durch die Diktatur des Proletariats zerschlagen werden, sondern auch durch eine Regierung der antifaschistischen Einheitsfront, eine volksdemokratische Regierung. In dem Sinne ist zwischen dem Faschismus und dem Sozialismus eine „demokratische Zwischenetappe“ möglich. Sie verbessert die Bedingungen des Kampfes für den Sozialismus.
Die daraus entstehende antifaschistische Regierung ist aber keine Diktatur des Proletariats, auch wenn die ArbeiterInnenklasse diese Einheitsfront führt.
In der Resolution der KI wird festgelegt:
„8. Unter den Bedingungen der politischen Krise, wenn die herrschenden Klassen bereits nicht mehr imstande sind, mit der mächtig anwachsenden Massenbewegung fertig zu werden, müssen die Kommunisten grundlegende revolutionäre Losungen (z.B. Kontrolle der Produktion, der Banken, Auflösung der Polizei und ihre Ersetzung durch eine bewaffnete Arbeitermiliz usw.) aufstellen, die darauf gerichtet sind, die wirtschaftliche und politische Macht der Bourgeoisie noch mehr zu erschüttern, die Kräfte der Arbeiterklasse zu steigern, die kompromißlerischen Parteien zu isolieren und die Arbeitermassen unmittelbar an die revolutionäre Machtergreifung heranzuführen. Wenn sich bei einem derartigen Aufschwung der Massenbewegung die Schaffung einer Regierung der proletarischen Einheitsfront oder der antifaschistischen Volksfront, die noch keine Regierung der proletarischen Diktatur ist, die aber die Durchführung entschlossener Maßnahmen gegen Faschismus und Reaktion auf sich nimmt, als möglich und im Interesse des Proletariats als notwendig erweist, so muß die Kommunistische Partei auf die Schaffung einer solchen Regierung hinarbeiten. Eine wesentliche Voraussetzung für die Schaffung einer Regierung der Einheitsfront ist eine solche Lage:
a) in der der bürgerliche Staatsapparat stark paralysiert ist, so daß die Bourgeoisie die Schaffung einer solchen Regierung nicht zu verhindern vermag;
b) in der die breitesten Massen der Werktätigen sich stürmisch gegen den Faschismus und die Reaktion auflehnen, aber noch nicht bereit sind, den Kampf um die Sowjetmacht aufzunehmen;
c) in der bereits ein bedeutender Teil der Organisationen der Sozialdemokratie sowie der anderen, an der Einheitsfront teilnehmenden Parteien schonungslose Maßnahmen gegen die Faschisten und andere Reaktionäre fordern und bereit sind, gemeinsam mit den Kommunisten für die Durchführung dieser Maßnahmen zu kämpfen.
Wenn eine Regierung der Einheitsfront wirklich entschlossene Maßnahmen gegen die konterrevolutionären Finanzmagnaten und ihre faschistischen Agenten ergreifen und die Tätigkeit der Kommunistischen Partei und den Kampf der Arbeiterklasse in keiner Weise einschränken wird, dann wird die Kommunistische Partei eine solche Regierung in jeder Weise unterstützen, wobei über die Teilnahme der Kommunisten an einer Regierung der Einheitsfront in jedem einzelnen Falle auf Grund der konkreten Lage entschieden wird.“
Hier wird die Ausrichtung der Kommunistischen Parteien hinsichtlich der Gründung und Teilnahme einer Einheitsfrontregierung eindeutig festgelegt. Sie ist unter bestimmten Bedingungen möglich. Unmissverständlich wird die Einschätzung einer Einheitsfront-Regierung festgehalten: Sie ist keine Regierung der Diktatur des Proletariats.
„Über die neue Demokratie“
Mao Zedong, Januar 1940
Ausgehend von der konkreten Lage Chinas diskutiert Mao Zedong über die Strategie der „neuen Demokratie“ für koloniale und halbkoloniale Länder. Über ihre Klassenzusammensetzung führt er aus:
„Somit bilden zweifellos das Proletariat, die Bauernschaft, die Intellektuellen und die anderen Schichten des Kleinbürgertums die grundlegenden Kräfte, die das Schicksal Chinas bestimmen.“
Mit diesem Bündnis wird die demokratische Republik gebildet. Über die Grundzüge dieser Staats- und Regierungsform führt Mao aus:
„Diese Republik der Neuen Demokratie wird sich einerseits von den unter der Diktatur der Bourgeoisie stehenden kapitalistischen Republiken der alten, europäisch-amerikanischen Typs unterscheiden, also von den Republiken der alten Demokratie, die bereits überholt sind; sie wird auch von einer unter Diktatur des Proletariats stehenden sozialistischen Republik des sowjetischen Typs unterscheiden, also von einer sozialistischen Republik, wie sie bereits in der Sowjetunion zur Blüte gelangt ist und in allen kapitalistischen Ländern errichtet werden wird, wie sie zweifellos einmal die dominierende strukturelle Form des Staates und der politischen Macht in allen industriell fortgeschrittenen Ländern sein wird, jedoch für eine bestimmte Geschichtsperiode den Revolutionen in kolonialen und halbkolonialen Ländern nicht angemessen ist. Deshalb müssen die Revolutionen in allen kolonialen und halbkolonialen Ländern für diese Geschichtsperiode eine dritte Staatsform wählen, nämlich die besagte Republik der Neuen Demokratie. Diese Form gilt für eine gewisse Geschichtsperiode und ist daher eine Übergangsform; sie kann aber nicht ersetzt werden und stellt eine notwendige Form dar.“
Mao fasst die Staatssysteme entsprechend ihrem Klassencharakter in drei Formen:
„Die mannigfaltigen Staatssysteme in der Welt können daher nach dem Klassencharakter der politischen Macht auf drei grundlegende Typen reduziert werden: 1. unter der Diktatur der Bourgeoisie stehende Republiken; 2. unter der Diktatur des Proletariats stehende Republiken; 3. unter der gemeinsamen Diktatur mehrerer revolutionärer Klassen stehende Republiken.“
Mao Zedong hebt eindeutig und prinzipiell hervor, dass Staaten der Neuen Demokratie keine Diktatur des Proletariats sein können. Obwohl diese unter Führung der Kommunistischen Partei und der ArbeiterInnenklasse errichtet werden. Seine Analyse und Einschätzung ist richtig.
In dem Kapitel VI. „Die Wirtschaft der Neuen Demokratie“ analysiert Mao:
„Die staatliche Wirtschaft einer vom Proletariat geleiteten neudemokratischen Republik trägt sozialistischen Charakter, sie ist die führende Kraft der gesamten Volkswirtschaft, doch wird diese Republik das übrige kapitalistische Privateigentum nicht beschlagnahmen, und sie wird auch eine Entwicklung der kapitalistischen Produktion nicht untersagen, soweit diese ‚nicht die Lebenshaltung der Nation kontrolliert‘, denn die Wirtschaft in China ist noch außerordentlich rückständig.“
Auch für den Bereich der Landwirtschaft wird von Mao festgestellt:
„In diesem Stadium wird im allgemeinen noch keine sozialistische Landwirtschaft errichtet, doch die verschiedenen Arten von genossenschaftlichen Wirtschaften, die sich auf der Grundlage des Prinzips ‚Jedem Pflüger sein Feld!‘ zu entwickeln begonnen haben, weisen auch sozialistische Elemente auf.“
Mao schätzt den Klassencharakter der politischen Macht der Neuen Demokratie richtig ein. Aber in seiner Analyse im Bereich der Ökonomie wird der
„staatlichen Wirtschaft, … der führenden Kraft der ganzen Volkswirtschaft“ ein „sozialistischer Charakter“ und im Bereich der Landwirtschaft werden den „verschiedenen Arten von genossenschaftlichen Wirtschaften … sozialistische Elemente“ – ohne Berücksichtigung ihres Klassencharakters zugeschrieben. Mao schiebt den Klassencharakter der politischen Macht der Volksdemokratie in der Ökonomie einfach beiseite.
In einem Staat, in dem die politische Macht zusammen vom Proletariat und Teilen der Bourgeoisie ausgeübt wird, kann der staatliche Sektor der Wirtschaft nicht sozialistisch genannt werden. Der staatliche Sektor der Wirtschaft ist volksdemokratisch, das heißt er ist nicht mehr rein bürgerlich aber auch noch nicht sozialistisch. Das ist eine Übergangsökonomie in einer Übergangsgesellschaft.
In den Volksdemokratien ist der Staatssektor volksdemokratisch und tendiert am stärksten zu sozialistischen Eigentumsverhältnissen. Er braucht nur einen Schritt, um zum sozialistischen Sektor der Wirtschaft zu werden. Nämlich, wenn die Bourgeoisie aus der politischen Macht entfernt und die Diktatur des Proletariats errichtet wird, dann ist der Staatssektor sozialistisch. Weiter gibt es den Genossenschafts-Sektor, das ist Gruppeneigentum und tendiert eher zu kapitalistischen Eigentumsverhältnissen als zu sozialistischen.
Weiterhin gibt es (je nach der Entwicklung des Kapitalismus in den jeweiligen Ländern) noch einen rein kapitalistischen und teilweise halbfeudalen oder gar feudalen Sektor. Zum Beispiel in der sozialistischen Sowjetunion 1919, sogar noch unter der Diktatur des Proletariats.
Das ist ein prinzipieller und in seinen Konsequenzen verheerender Fehler in der Theorie des Marxismus-Leninismus, den Mao in dieser Schrift begründet. Hiermit werden Tür und Tor für die These geöffnet, der Aufbau des Sozialismus könne mit Teilen der Bourgeoisie, die an der Macht beteiligt sind, verwirklicht werden. Und diesen Fehler beging nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur Mao sondern fast die gesamte Kommunistische Weltbewegung.
Ende des Zweiten Weltkriegs und Entstehung der Volksdemokratien
Im Kampf gegen den Faschismus und gegen Hitler-Deutschland bildeten sich in den besetzten Ländern in Europa „antifaschistische Volksfronten“. Mit dem Sieg der Sowjetunion über das faschistische Deutschland wurden diese Länder vom Joch des Faschismus und des Krieges befreit.
Die antifaschistischen Bündnisse errichteten in ihren Ländern „neue demokratische Regime“. In vielen Ländern bildeten Kräfte, die den antifaschistischen Kampf geführt haben, auch Teile der Bourgeoisie, die nicht mit Hitler-Deutschland kollaborierten, gemeinsam neue Regierungen und übernahmen die politische Macht.
„Die Konferenz einiger kommunistischer Parteien“ gründete Ende September 1947 in Polen das Kominform (Kommunistisches Informationsbüro). Seine Aufgabe war, die internationale Zusammenarbeit der kommunistischen Parteien zu organisieren. Auf dieser Konferenz hielt Genosse A. Shdanow im Namen des ZK der KPdSU (B) das Referat über die internationale Lage. Die sozioökonomische Lage in den Ländern der neuen Demokratie schätzt er folgendermaßen ein:
„Im Verlauf dieses Kampfes wurden die profaschistischen Elemente und die Kollaborationisten, die mit Hitler zusammengearbeitet hatten – die einflußreichsten Großkapitalisten und Gutsherren, die höchste Beamtenschaft und die monarchistische Offizierskaste –, als Verräter der nationalen Interessen entlarvt.
Die Befreiung von der deutschfaschistischen Sklaverei war in den Donauländern mit der Entfernung der durch die Zusammenarbeit mit dem deutschen Faschismus kompromittierten Oberschicht der Bourgeoisie und der Gutsherren von der Macht und mit der Machtergreifung neuer Kräfte aus dem Volke verbunden, die sich im Kampf gegen die Hitlerischen Sklavenhalter bewährt hatten.
In diesen Ländern kamen Vertreter der Arbeiter und Bauern sowie Vertreter der fortschrittlichen Intellektuellen an die Macht. Da die Arbeiterklasse überall den größten Heroismus, die größte Konsequenz und Unversöhnlichkeit im antifaschistischen Kampfe gezeigt hatte, waren ihr Ansehen und ihr Einfluß im Volke unermeßlich gewachsen. Auf die Volksmassen gestützt, vermochte das neue demokratische Regime in Jugoslawien, Bulgarien, Rumänien, Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn und Albanien in kürzester Frist fortschrittliche demokratische Reformen durchzuführen, zu denen die bürgerliche Demokratie nicht mehr fähig ist.
Die Agrarreform gab den Boden in die Hände der Bauern und führte zur Liquidierung der Gutsherrenklasse. Die Nationalisierung der Großindustrie und der Banken sowie die Beschlagnahme des Eigentums der Verräter, die mit den Deutschen zusammengearbeitet hatten, untergruben von Grund auf die Positionen des Monopolkapitals in diesen Ländern und befreiten die Massen von der imperialistischen Sklaverei.
Gleichzeitig wurde die Grundlage für ein dem Staate und dem ganzen Volke gehörendes Eigentum gelegt und ein neuer Staatentyp – die Volksrepublik – geschaffen, in dem die Macht dem Volke gehört, die Großindustrie, das Verkehrswesen und die Banken dem Staat gehören und in dem die führende Kraft der Block der werktätigen Klassen der Bevölkerung mit der Arbeiterklasse an der Spitze ist. Die Völker dieser Länder haben sich dadurch nicht nur aus den Klauen des Imperialismus befreit, sondern die Grundlage für den Übergang zur sozialistischen Entwicklung gelegt.“
Bis zu diesem Zeitpunkt werden die Länder der Neuen Demokratie, die Volksrepubliken, Volksdemokratien als ein neuer Staatstypus eingeschätzt, der keine Form der Diktatur des Proletariats ist. Hinsichtlich der Perspektive der Volksdemokratien wird lediglich festgehalten, ihre Politik hat die
„Grundlage für den Übergang zur sozialistischen Entwicklung gelegt“.
Hinsichtlich des Charakters des antifaschistisch-demokratisches Staat, der in der DDR 1949 gegründet wurde, halten wir auf der Grundlage dieser Theorie fest, ist das ein Staat in dem das Proletariat mit Teilen der Bourgeoisie (die am antifaschistischen Kampf teilgenommen hat) an der Macht ist.
Der klassenmäßige Inhalt dieses antifaschistisch-demokratischen Staates entspricht dem klassenmäßigen Inhalt des volksdemokratischen Staates. Wie auch der Theorie Lenins von der demokratischen Revolution unter der Diktatur der Arbeiter und Bauern. Die SED hat aber fälschlicherweise 1952 von der volksdemokratischen Ordnung beim Aufbau des Sozialismus gesprochen. Auf diese falsche These werden wir in den folgenden Artikeln zurückkommen.
Dimitroff und die Volksdemokratie
Am 19. Dezember 1948 übergibt Dimitroff den Politischen Rechenschaftsbericht des Zentralkomitees der Bulgarischen Arbeiterpartei (Kommunisten) an den V. Parteitag. Zu Beginn schildert er „die wichtigsten Perioden der Entwicklung der Partei“. Für die Einschätzung der Volksdemokratien sind die Kapitel II und III (Errichtung und Charakter der Volksdemokratie), die nach dem 9. September 1944 entstanden sind, von besonderer Bedeutung. Auch das Schlusswort von Dimitroff auf dem Parteitag ziehen wir heran, da er darin am zugespitztesten auf diese Fragestellung eingeht.
In dem Bericht entwickelt Dimitroff teilweise neue Positionen, die im Widerspruch mit vorhergehenden stehen. Auch werden Fakten anders dargestellt. Wir befassen uns mit den wichtigsten Eckpunkten.
In der Überschrift von Kapitel II des Berichts an den Parteitag stellt er fest:
„Der Volksaufstand vom 9. September (1944) eröffnete den Weg zum Aufbau des Sozialismus in unserem Lande“.
Die Bildung der volksdemokratischen Regierung war eine demokratische Errungenschaft. Langfristig, wenn eine richtige Strategie und Taktik durch die Kommunistische Partei umgesetzt worden wäre, hätte diese Revolution, den Weg zum Sozialismus eröffnet.
Der Übergang von der demokratischen Revolution zur sozialistischen Revolution war die nächste Hauptaufgabe der ArbeiterInnenklasse unter Führung der Bulgarischen Arbeiterpartei (Kommunisten) nach dem V. Parteitag der KPB. Denn ohne sozialistische Revolution, die in den volksdemokratischen Ländern die Bourgeoisie nicht mehr an der Macht beteiligt sondern politisch und ökonomisch bekämpft, ohne Errichtung der Diktatur des Proletariats kann nicht vom Aufbau des Sozialismus die Rede sein.
Dimitroff hat in seiner Rede in der Volksversammlung Dezember 1945
„Die Sache des 9. September ist eine historische Sache“
den Charakter der aktuellen Macht der Volksdemokratie richtig bestimmt:
„Und in der Tat ist unsere Gesellschaftsordnung so geblieben, wie sie früher war, eine Ordnung, die auf dem Prinzip des Privateigentums beruht, und folglich sind auch die früheren Gesellschaftsklassen und -schichten mit ihren besonderen Interessen geblieben.“
Die volksdemokratische Regierung war die Regierung der „Vaterländischen Front“. Das Programm der Vaterländischen Front wurde am 17. Juli 1942 veröffentlicht. Es beinhaltet ein 12-Punkte-Programm für den antifaschistischen Kampf, die Befreiung Bulgariens und die Schaffung einer Großen Volksversammlung.
Weiter stellt Dimitroff in seinem Bericht an den Parteitag Dezember 1948 fest, dass die KommunistInnen in der neugebildeten Regierung in der Minderheit waren. Für die Zeitspanne bis Ende 1947/Anfang 1948 betont Dimitroff, dass
„der Übergang zum Sozialismus uns in jener Zeit als Frage der ferneren Zukunft erschien“.
Das Programm der Vaterländischen Front wurde laut Dimitroff „gegen Ende 1946“ umgesetzt. Ein neues Programm der Vaterländischen Front und damit der Regierung, sollte festlegen, wie mit der „klar formulierten Perspektive der Bewegung zum Sozialismus“ vorwärts gegangen wird. Die Vaterländische Front wurde auf dem II. Kongress, Februar 1948, in die „einheitliche gesellschaftlich-politische Volksorganisation“ umgewandelt.
Der Bericht an den II. Kongress der Vaterländischen Front wird von Dimitroff erstattet. Vier Aufgaben werden als „Die Hauptaufgaben der Vaterländischen Front“ von ihm formuliert. Unter diesen „Hauptaufgaben“ wird nicht die Aufgabe des Bruches mit den Teilen der Bourgeoisie, die an der Macht beteiligt sind, gestellt. Abschließend sagt Dimitroff:
„Die Verwirklichung dieser Aufgaben in ihrer Gesamtheit würde bedeuten, daß die Reste des kapitalistischen Ausbeutungssystems liquidiert und die Fundamente der sozialistischen Gesellschaftsordnung gelegt worden sind.“
Diese Position ist nicht richtig und weist in eine falsche Richtung. Erstens: Die Verwirklichung dieser gestellten Aufgaben kann „die Reste des kapitalistischen Ausbeutungssystems“ nicht liquidieren.
Zweitens: Wenn die „Hauptaufgaben“ im Februar 1948 gestellt werden und sie noch nicht „in ihrer Gesamtheit“ verwirklicht werden konnten, wie kann Dimitroff im Dezember 1948 auf dem Parteitag die Einschätzung treffen, „Die Länder der Volksdemokratie, darunter auch unser Land, haben bereits den Weg zum Sozialismus beschritten.“?
Nach der Umbildung der Vaterländischen Front in die „einheitliche gesellschaftlich-politische Volksorganisation“ wird sie von Dimitroff in seiner Rede als „ihrem Wesen nach sozialistisch“ bewertet, weil die führende Rolle der Kommunistischen Partei allgemein anerkannt ist.
Dimitroff geht in seinem Bericht nicht ausreichend auf die Problematik ein, dass Teile der Bourgeoisie mit an der Macht beteiligt sind. Zwar wird der Kampf nach dem 9. September 1944 als Kampf gegen die „Herrschaft des Großkapitals“ gerichtet beschrieben und gefordert, „die Möglichkeiten für seine (das Großkapital TA.) Liquidierung [zu] schaffen, für die Liquidierung des kapitalistischen Systems überhaupt und für den Übergang zum Sozialismus.“
Von der Liquidierung des kapitalistischen Systems überhaupt spricht Dimitroff aber nur im Zusammenhang mit der Liquidierung des Großkapitals. Dabei wird die Aufgabe, die Bourgeoisie und Kapitalisten als Klasse insgesamt zu liquidieren, nicht gestellt.
Er ist sich natürlich bewusst, welche Klassen und Schichten in der Vaterländischen Front teilgenommen haben. Er schreibt selbst: „Die Linie einer möglichst umfassenden Vereinigung aller antifaschistischen, demokratischen und patriotischen Kräfte des Volkes, darunter auch einiger antideutscher Elemente der Bourgeoisie zum Zwecke der völligen Zerschlagung der faschistischen Clique, für die siegbringende Teilnahme am Krieg gegen Hitler, für die Verteidigung und Sicherung der nationalen Unabhängigkeit und der staatlichen Souveränität des Vaterlandes war die einzige richtige Linie.“
Ja, das war in der konkreten Situation richtig.
In der am 4. Dezember 1947 angenommenen demokratischen „Verfassung der Volksrepublik Bulgarien“ lautet Artikel 6: „In der Volksrepublik Bulgarien gehören die Produktionsmittel dem Staat (allgemeines Volkseigentum), Genossenschaften oder privaten natürlichen und juristischen Personen.“
Und im Artikel 10 steht:
„Das Privateigentum und seine Vererbung sowie das Prinzip der privaten Wirtschaft sind anerkannt und genießen den Schutz des Gesetzes. Durch Arbeit und Sparen erworbenes Privateigentum und dessen Vererbung genießen besonderen Schutz. Niemand darf sein Eigentumsrecht zum Schaden gesellschaftlicher Interessen ausnutzen.
Private Monopolverbände und -vereinigungen, wie Kartelle, Truste und Konzerne, sind verboten. Privateigentum kann nur zugunsten des Staates oder der Gesellschaft und gegen angemessene Entschädigung zwangsweise beschränkt oder enteignet werden. Der Staat kann bestimmte Zweige oder einzelne Unternehmen der Industrie, des Handels, des Verkehrs- und des Kreditwesens ganz oder teilweise nationalisieren.
Die Entschädigung wird durch ein Gesetz über die Nationalisierung festgesetzt.“
Diese Festschreibungen sind für einen Staat der Volksdemokratie richtig: Die Großkapitalisten sind zu enteignen und die anderen zu beschränken etc. Aber wenn das Privateigentum per Verfassung unter Schutz gestellt wird, während Teile der Bourgeoisie mit an der Macht sind und über die Gesetze mitbestimmen, kann nicht von der endgültigen Vertreibung der kapitalistischen Elemente aus den politischen und wirtschaftlichen Positionen die Rede sein.
Damit wird die an der Macht beteiligte Bourgeoisie aus der Zielscheibe genommen und die Entfernung der Großkapitalisten und Großgrundbesitzer wird als „Vertreibung der kapitalistischen Elemente“ im Allgemeinen dargestellt.
Die Haltung zum Privateigentum in der Verfassung ist widersprüchlich. Auf der einen Seite wird von „durch Arbeit und Sparen erworbenes Privateigentum“ gesprochen, auf der anderen von dem „Prinzip der privaten Wirtschaft“. Beide genießen den Schutz des Gesetzes. Das Prinzip der privaten Wirtschaft heißt aber nichts anderes als „Schutz der kapitalistischen Wirtschaft“.
Diese Fehler bedingten in der Folgezeit weitere Fehler und entwickelten sich zu Verfälschungen der Tatsachen und der Revision der marxistisch-leninistischen Lehre über den Staat, insbesondere über die Lehre der Diktatur des Proletariats.
Charakter der Volksdemokratie
Dimitroff fordert in seiner Rede auf dem V. Parteitag, um auf dem Wege des Sozialismus voranschreiten zu können, muss hinsichtlich des Charakters der Volksdemokratie und des volksdemokratischen Staates unbedingte Klarheit geschaffen werden. Sehr richtig! Das bedeutet, es gab nicht genügend Klarheit! Was ist dafür notwendig?
Dimitroff fordert:
„In dieser Hinsicht müssen einige unserer früheren Begriffe unbedingt genauer formuliert und korrigiert werden“
und die Erfahrungen müssen berücksichtigt werden. Aber hier wird leider nicht selbstkritisch der Inhalt früherer Einschätzungen über den Charakter der Volksdemokratie infrage gestellt. Obwohl es um inhaltliche und grundlegende Änderungen in der Haltung zur Volksdemokratie geht.
Dimitroff hat die wesentlichen Unterschiede zwischen der Volksdemokratie und dem Charakter der Sowjetmacht, der Diktatur des Proletariats selbst klar benannt.
In seiner Rede zum 28. Jahrestag der Oktoberrevolution am 6. November 1945 heißt es:
„Das Volk muß sein Wort sprechen, muß es frei sprechen. Die Wahlen müssen und werden die Grundlagen unserer bulgarischen Demokratie festigen. Das ist keine sowjetische sozialistische Demokratie, aber es ist auch nicht die falsche, verlogene Demokratie Muschanoffs. Sie ist, sie muß und wird eine Volksdemokratie, die Demokratie der Vaterländischen Front sein.“
Auch in seinen späteren Reden oder Schriften hat Dimitroff mehrmals vertreten, dass die Volksdemokratie keine Diktatur des Proletariats ist. Also, wenn es nur um „frühere Begriffe“ geht, dann bleibt der Inhalt des Charakters der Volksdemokratie, und das ist keine sozialistische Demokratie. Es geht aber in Wirklichkeit nicht um „Begriffe“, sondern um grundlegende Änderungen der politischen Einschätzung.
Dimitroff führt aus:
„Der Charakter der Volksdemokratie und des Staates der Volksdemokratie wird durch vier wichtige Besonderheiten bestimmt:“ Und geht näher auf diese vier Besonderheiten ein:
„a) Der volksdemokratische Staat ist die Herrschaft der Werktätigen, der gewaltigen Mehrheit des Volkes, unter Führung der Arbeiterklasse.“
Dass die Volksdemokratie nur die Herrschaft der Werktätigen sei, ist eindeutig falsch.
Die Führung der ArbeiterInnenklasse in einer volksdemokratischen Regierung an sich macht eine Herrschaft nicht automatisch zur Herrschaft der Werktätigen. Entscheidend ist, aus welchen Klassen und Schichten besteht das Bündnis der Arbeiterklasse. Faktisch setzte sich das Bündnis der ArbeiterInnenklasse in der bulgarischen Volksdemokratie zusammen aus Werktätigen, der Bauernschaft – also Kleinbürgertum – und Teilen der Bourgeoisie (auch Großbauern). Dimitroff lässt diese Tatsachen einfach weg und revidiert damit auch einen wichtigen Punkt in der Theorie über die demokratische Revolution und die volksdemokratischen Macht, nämlich die Klassenzusammensetzung der Macht.
Wenn dieser Fakt nicht bewusst gemacht wird in der politischen Auseinandersetzung sowie in programmatischen Schriften, führt das in der politischen Praxis zu versöhnlerischen Haltungen gegenüber Teilen der Bourgeoisie und dem Kleinbürgertum.
„b) Der volksdemokratische Staat ist ein Staat der Übergangsperiode, er ist dazu berufen, die Entwicklung auf dem Wege zum Sozialismus zu sichern.“
In dieser Allgemeinheit ist das richtig formuliert. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass diese Übergangsperiode selbst keine Diktatur des Proletariats ist.
„c) Der volksdemokratische Staat wird in Zusammenarbeit und Freundschaft mit der Sowjetunion geschaffen.“
Das ist Fakt, aber es ist kein Maßstab für den Charakter der Volksdemokratie. Die Unterstützung durch die sozialistische Sowjetunion bestimmt nicht den Charakter eines Staates.
„d) Der volksdemokratische Staat gehört zum demokratischen, antiimperialistischen Lager.“
Das ist auch Fakt.
Aber wenn dieser volksdemokratische Staat eine Herrschaft der Werktätigen ist und wenn er die Funktionen der Diktatur des Proletariats ausübt und wenn „bereits der Weg zum Sozialismus beschritten“ wird, entsteht die Frage: Warum gehört der volksdemokratische Staat dann nicht zum sozialistischen Lager?
Letztendlich charakterisiert Dimitroff den volksdemokratischen Staat und die Volksdemokratie in dem ersten Punkt. Das ist die Herrschaft der Werktätigen!
Diese falsche Einschätzung des Klassencharakters der volksdemokratischen Macht in Bulgarien wird mit folgenden weitreichenden grundfalschen Positionen gekrönt:
„Durch den militärischen Zusammenbruch der faschistischen Angreiferstaaten, bei der scharfen Zuspitzung der allgemeinen Krise des Kapitalismus, (…) ergab sich für unser Land und auch für die anderen Länder der Volksdemokratie die Möglichkeit, den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus zu vollziehen ohne die Schaffung eines Sowjetregimes; nur durch das Regime der Volksdemokratie.“
Die Botschaft ist eindeutig. Entweder die Diktatur des Proletariats ist nicht mehr nötig, und der Sozialismus kann gemeinsam mit Teilen der Bourgeoisie in der Volksdemokratie aufgebaut werden oder aber, und das demonstriert das nachfolgende Zitat, die Volksdemokratie wird einfach zu einer politischen Form der Diktatur des Proletariats umdeklariert. In beiden Fällen wird der Klassencharakter sowohl der volksdemokratischen Macht als auch der Diktatur des Proletariats völlig falsch bestimmt.
„Als Verkörperung der Herrschaft der Werktätigen unter Führung der Arbeiterklasse kann und muß das Regime der Volksdemokratie in der gegebenen historischen Situation, wie die Erfahrung bereits gezeigt hat, bei der Liquidierung der kapitalistischen Elemente und der Organisierung der sozialistischen Wirtschaft mit Erfolg die Funktionen der Diktatur des Proletariats ausüben.“
Hier wird das ganze Ausmaß der zunächst scheinbar kleinen politischen Fehler sichtbar, klar und deutlich ausgesprochen und im Schlusswort von Dimitroff auf den falschen Punkt gebracht:
„Nach der marxistisch-leninistischen These sind das sowjetische Regime und das volksdemokratische Regime zwei Formen ein und derselben Macht, der Macht der Arbeiterklasse, die im Bündnis mit den Werktätigen aus Stadt und Land und an ihrer Spitze steht. Das sind zwei Formen der proletarischen Diktatur.“
Hier werden eindeutig die marxistisch-leninistischen Thesen über das Verhältnis von demokratischer und sozialistischer Revolution, die Lenin entwickelt hat, revidiert.
Sowjets, bzw. das sowjetische Regime werden von Lenin und der Kommunistischen Internationale als Grundformen der Diktatur des Proletariats bezeichnet. Dimitroff diskutiert nicht den Inhalt, sondern die Form der Macht. Dabei stellt er tatsächlich eine parlamentarische Herrschaftsform mit der sowjetischen gleich. Dimitroff revidiert erst den Klasseninhalt des Bündnisses, indem er es als Herrschaft der Werktätigen hinstellt. Danach setzt er die beiden Herrschaftsformen, die sowjetische mit der volksdemokratischen gleich. Die Volksdemokratie wird schlichtweg zur Diktatur des Proletariats deklariert.
Diese Revision der marxistisch-leninistischen Theorie über den Staat und insbesondere über die Lehre der Diktatur des Proletariats wurde nach und nach von der Kommunistischen Weltbewegung übernommen. Bis heute wird sie von verschiedenen Parteien und Organisationen verteidigt.
Das ist einer der zentralsten Fehler der Kommunistischen Weltbewegung, der nach dem Zweiten Weltkrieg gemacht wurde. Er hat dazu geführt, dass die Theorie vom Aufbau des Sozialismus mit Teilen der Bourgeoisie, die an der Macht beteiligt sind anerkannt wurde. Wenn das als möglich angesehen wird, dann ist kein Kampf gegen diese Teile der Bourgeoisie mehr notwendig.
Die verheerenden Folgen haben sich in der weiteren Entwicklung der volksdemokratischen Länder selbst gezeigt. Denn alle Erfahrungen der volksdemokratischen Ländern zeigen klar, dass der Aufbau des Sozialismus unter Beteiligung der Bourgeoisie nicht möglich ist. Im Gegenteil. Die Beteiligung der Bourgeoisie am Aufbau des Sozialismus ist eines der wichtigsten Hindernisse auf dem Wege zum Sozialismus. Auch in dem Lehrbuch der Politischen Ökonomie, Bd. II wird dieser grundlegende Fehler vertreten.
In dem nächsten Artikel unserer Serie werden wir uns mit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und der Lage in Deutschland bis hin zur Vereinigung von KPD und SPD zur SED befassen.
Literatur
* „Grundsätze und Ziele der SED, Beschluss des Vereinigungsparteitages der SPD und KPD, 21. und 22. April 1946“, Dokumente der SED, Bd. I, S. 5-10, in „Dokumente der SED, Beschlüsse und Erklärungen des Zentralsekretariats und des Parteivorstandes“, Bd. I bis XXI, Dietz Verlag Berlin, 1952, – „Dokumente“ * „Manifest an das deutsche Volk“, 21. April 1946, Beschluss des Vereinigungsparteitages der SPD und KPD, Dokumente, Bd. I, S. 24-30 * „Offener Brief an alle Sozialdemokraten und Kommunisten Deutschlands,“ SED der Parteivorstand, 7. Mai 1946, Dokumente, Bd. I, S. 31-33 * „Die Nationale Front des demokratischen Deutschlands und die SED“, 4. Oktober 1949, Dokumente, Bd. II, S. 327-355 * „Manifest des Deutschen Volksrates“, 7. Oktober 1949, Die DDR im Kampf um die Einheit Deutschlands, S. 9-13, Herausgegeben vom Amt für Information der DDR * „Rede von Wilhelm Pieck (…) Wahl zum Präsidenten der DDR“, 11. Oktober 1949, Dokumente zur Außenpolitik der Regierung der DDR, Bd. I, S. 12-19, Rütten & Loening, Berlin, 1954 * „Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Otto Grothewohl“, 12. Oktober 1949, ebenda, S. 19-37, * „Programm zur nationalen Wiedervereinigung Deutschlands“, KPD (BRD), 2. November 1952, KPD 1945-1968 Dokumente, Bd. 1, S. 396-341, (Edition Marxistische Blätter, Neuss, 1989) * „Erklärung des ZK (SED) zum Programm der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands“, 11. November 1952, Dokumente der SED, Bd. IV, S. 189 * „Note der sowjetischen Regierung an die Regierungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten, 10. März 1952 und am 9. April 1952 (die sogenannte „Stalinnote“), „Beziehungen DDR-UdSSR, 1949 bis 1955“, Dokumentensammlung, S. 343-347, 349-352, Staatsverlag der DDR, Berlin, 1975 * „Note der Regierungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten an die Regierung der Sowjetunion“, 25. März 1952, docplayer.org/36780543-Note der sowjetischen Regierung an die Regerungen Frankreichs, des Vereinigten Königreichs und der Vereinigten Staaten * Stalin, „Rede auf dem XIX. Parteitag der KPdSU“, 14. Oktober 1952, Stalin Werke, Bd. 15, S. 390 |