Antirassistische-antifaschistische
Netzwerke – Was steht an?

In der letzten Trotz alledem! haben wir den Stand „Deutscher Zustände: Krieg, Rassismus und innere Faschisierung, Flüchtlings-
bekämpfung, Fall Amri, DFB-Affäre Özil, Hetzjagd Chemnitz, Polizei-
gesetzverschärfung“ in den Fokus genommen. Die aktuellen Zeiten sind eine drängende Herausforderung an die antirassistische und antifaschistische Bewegung. Und sie nimmt sie aktiv, kämpferisch, ideenreich an und lässt nicht locker. Sowohl auf lokaler Ebene als auch bundesweit werden die Vernetzungen zwischen den verschiedensten Initiativen, Gruppen und Akteuren intensiver.

Das Bündnis „Tribunal NSU Komplex auflösen“ arbeitet weiter. Nach dem Ende des Münchner Prozesses mit seinem Horror-Nicht-Aufklärungs-Urteil ist sozusagen der Beginn eines neuen. Das Urteil hat die Familien, Angehörigen und überlebenden Opfer zutiefst getroffen. Vertrauen in Staat und Justiz sind in den Grundfesten erschüttert. Wie wichtig daher weiter gemeinsam mit den Familien und Opfer in aller Solidarität ihre Forderungen, ihr Leid und ihr Gedenken in den Mittelpunkt zu stellen.
Wichtig ist weiter offensiv in der Öffentlichkeit die unaufgeklärten NSU Morde zu thematisieren, die Täter konkret zu benennen, wie auch weiter Aufklärung voranzutreiben. Darüber hinaus wurde schon während des Tribunals in Köln 2017 praktisch die Solidarität mit und der gemeinsame Kampf von den vielen Opfern und Betroffenen von faschistischer und rassistischer Gewalt, in die Tat umgesetzt. Dieses Netzwerk von Initiativen wird immer breiter gespannt.
Mit der Frage „NSU-Komplex auflösen – wie weiter“ befasste sich Februar 2019 das Vernetzungstreffen in Berlin. Organisiert von der NSU AG der Interventionistischen Linken (IL) und der Berliner Tribunalgruppe. Viele TeilnehmerInnen und Initiativen aus Ost und West brachten Vorschläge für zukünftige Projekte und Aktionspläne ein. Unter anderem für ein Tribunal in Sachsen, eventuell Chemnitz oder Zwickau um an den Orten der TäterInnen ein Zeichen von Widerstand, von Gedenken an die Opfer und von Vielfalt der Gesellschaft, für die wir stehen, zu setzen. Auch die Schaffung und Erkämpfung von Gedenkorten, wie zum Beispiel in der Kölner Keupstraße wurde konkret vorgestellt und solidarisch unterstützt.
Für den Sommer und Herbst 2019 haben verschiedene Netzwerke weitere Aktionen und Gedenktage angekündigt: Am ersten Jahrestag des Todes von Daniel H. (26. August) in Chemnitz warnen Initiativen vor Ort davor, dass sich die „Menschen-Hetz-Jagden“ und Naziaufmärschen wiederholen können.
Auch dagegen, aber noch viel mehr für Solidarität und Widerstand wird sich die Aktion von Netzwerk „We’ll Come United“ richten. Im Herbst letzten Jahres in Frankfurt hat sich entschieden: die Antirassistische Parade, die bisher in Berlin 2017 und in Hamburg 2018 veranstaltet wurde, will am 24. August 2019 nach Dresden kommen. Sicherlich werden sich diesem Aufruf das Tribunal und vielzählige antirassistische, antifaschistische, revolutionäre Gruppen, Initiativen und Organisationen anschließen.
Wir rufen alle unsere SympathisantInnen und Genoss­Innen, LeserInnen der Trotz alledem! auf: Kommt zahlreich nach Dresden!

Rassismus gegenüber MigrantInnen in der
ehemaligen DDR

Auf dem Tribunal in Mannheim „Wir müssen reden. Hadi!“ im November letzten Jahres, wurde die Entstehung der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma und ihre aktuelle Situation intensiv thematisiert. In dem Komplex der Debatte über Migrationsgeschichte wird nicht nur die BRD sondern auch die DDR einbezogen. Im Gespräch über „Realitäten von Gast- und Vertragsarbeiter*innen“ hat Paulino Miguel über sein Leben als Kind und „Vertrags-Arbeiter“ in der DDR gesprochen.
Mit 12 Jahren wurde er alleine mit 900 anderen Kindern im Rahmen eines Regierungsprogramms von Mosambik in die Kleinstadt Staßfurt in die DDR, verbracht. Die Kinder sollten ausgebildet werden und einen Beruf erlernen. Sie wurden in einem eingezäunten Wohnheim völlig isoliert. Eine brutale Ausgrenzung. Im Ort wurde gehetzt, die „Ausländer“ würden im Luxus leben. „Wir haben deutsche Freunde ins Wohnheim geschmuggelt, damit sie sehen, wie wir wirklich lebten! Danach hatten sie mit uns Mitleid.“ Einzelne Familien haben die Kinder zu Feiertagen eingeladen. Paulino wurde von einer Familie wie ein Sohn aufgenommen.
Nach der Wende und den Pogromen in Rostock-Lichtenhagen ist er nach Westdeutschland gezogen. Und bemerkte, aber so viele Nähe wie bei seiner zweiten Familie in Ostdeutschland habe er im Westen nicht erlebt.
Aktuell wird sich in verschiedenen Städten und Initiativen mit der Vergangenheit der DDR, rassistischen Angriffen, ja auch rassistischen Morden an migrantischen ArbeiterInnen befasst. Mittlerweile gibt es umfangreichere Untersuchungen über die Todesfälle von Vertrags-ArbeiterInnen in der DDR. Die Fakten weisen darauf hin, dass die Zahl rassistischer Morde weit höher liegt als bisher bekannt war. Das wirft natürlich noch dringender die Frage auf: Wie weit reicht der Sumpf der heutigen faschistischen Szene, der deutsche Nationalismus und Chauvinismus auch in die Geschichte der DDR zurück?
Wir wollen für die Diskussion hierzu einen Auszug aus unserer Serie „Eine lange Geschichte … die Ausbeutung ausländischer ArbeiterInnen durch den deutschen Imperialismus“ zur Information veröffentlichen:

„Ausbeutung oder proletarischer Internationalismus?
ArbeiterInnen aus anderen Ländern in der DDR“

Wir verfügen noch nicht über eine ausreichende Bewertung des Gesellschaftssystems in der DDR ab 1945. Wie die Politik in der sowjetischen Besatzungszone und die des jungen Staates DDR, der sich auf sozialistischer und antifaschistischer Basis gründete, einzuschätzen ist, dazu fehlt uns noch eine genauere Analyse. Auch die Frage der Beschäftigung von ArbeiterInnen aus anderen Ländern haben wir nicht umfassend und so detailliert untersucht wie in der BRD. Hinzu kommt, dass es dazu viel weniger Quellen gibt als für die BRD. Insofern werden wir in unserer Einschätzung nur auf einige wichtige Punkte eingehen. Die Jahrzehnte andauernde, gezielte Abwerbung von Millionen ostdeutscher Werktätigen durch das westdeutsche Kapital und die BRD-Staatspolitik veranlassten die DDR-Regierung Mitte der 1960er Jahre den Arbeitskräftemangel durch die Beschäftigung ausländischer ArbeiterInnen auszugleichen. Für uns steht fest, dass zu diesem Zeitpunkt die DDR auf jeden Fall schon ein kapitalistischer-bürokratischer Staat war. Ein Beleg dafür ist auch ihre revisionistisch-deutsch-chauvinistische Haltung gegenüber den ArbeiterInnen aus anderen Ländern.

Knechtende Regierungsabkommen
statt „brüderlicher Hilfe”

Die umfassendste Form der Anwerbung von Arbeitskräften lief über Regierungsabkommen zwischen der DDR und „Bruder”staaten wie Polen, Ungarn, Bulgarien, und im Rahmen der „sozialistischen Hilfe” mit Ländern wie Mosambik, Vietnam, Kuba und Angola. Letztere hatten im Befreiungskampf gegen den Imperialismus, vor allem den US-Imperialismus, großartige Siege erkämpft. Nach der Befreiung von kolonialer Abhängigkeit gerieten sie in die Fänge des Sozialimperialismus der UdSSR und solcher Länder des Ostblocks wie der DDR. Eine neue Form halbkolonialer Auspressung bahnte sich ihren Weg.
Ab den 1960er bis Mitte der 1980er Jahre kam ein Großteil der VertragsarbeiterInnen über Abkommen/Verträge in die DDR, um eine Fachausbildung oder ein Qualifizierung für bestimmte Bereiche zu erhalten. … Es gibt jede Menge Berichte von VertragsarbeiterInnen, die belegen, dass die Ausbildungs- und Weiterbildungsgarantien der DDR vielfach nur auf dem Papier stand. Statt Ausbildung zu erhalten, musste enorm geschuftet werden. Selbst die angeblichen Deutsch-Sprachkurse, die zugesagt waren, stellten sich als bloße Anleitungen für die Maschinenbedienung heraus. Wie im Westen, waren es häufig schwere, gefährliche Arbeiten, für die deutsche Arbeiter nicht herangezogen, die aber den VertragsarbeiterInnen „zugeteilt” wurden. In den Jahren 1985-1986 wurde sich auch offiziell von der bloß verbalen Bruderhilfe zur „Ausbildung und Qualifizierung” verabschiedet. Im Abkommen mit Vietnam 1985 wird ausdrücklich festgehalten, „dass die Arbeitstätigkeit den Vorrang vor der Ausbildung” hat. …
In den Verträgen war alles ganz „gesetzlich” geregelt: Schwangerschaft oder längere Arbeitsunfähigkeit (mehr als drei Monate) oder eine gesundheitliche Ungeeignetheit im eingesetzten Arbeitszweig zog eine „Rückführung” der ArbeiterInnen in ihre Heimat nach sich. Da eine Schwangerschaft Grund für eine Ausweisung war, wurden viele Frauen gezwungen, illegal und unter teilweise lebensgefährlichen Bedingungen abzutreiben. Allein das zeigt, dass es den DDR-Bonzen und Bürokraten lediglich um die größtmögliche Ausbeutung der Arbeitskraft dieser ArbeiterInnen und nicht wie vorgegeben um „uneigennützige sozialistische Hilfe” zur Ausbildung und/oder Qualifizierung ging.

Statt sozialistischer Solidarität – Sondergesetze

Wie in der imperialistischen BRD gab es auch in der sogenannten sozialistischen DDR „Sondergesetze für Ausländer”. Seitens der DDR-Bürokratie wurde an preußische Gesetzesvorschriften angeknüpft. Arbeitseinsatz und Aufenthaltsdauer der VertragsarbeiterInnen wurden staatlich geregelt. Die DDR-Regierung setzte klar auf das Rotationsprinzip. D.h. die Verträge der DDR mit den Regierungen der Entsendeländer über Kontingente von ArbeiterInnen wurden für die einzelnen Werktätigen auf 3-5 Jahre begrenzt. Das war ein geeignetes Instrument, um den Einsatz und die Beschäftigung der ArbeiterInnen, entsprechend den eigenen wirtschaftlichen Interessen in Indus­trie und Landwirtschaft, zu regulieren.
Die Verträge sahen für die VertragsarbeiterInnen keinerlei Rechtsanspruch auf Aufenthalt und Arbeitsbeschäftigung vor. So konnte ihnen die Aufenthaltsgenehmigung nach Paragraph 6 des Ausländerrechtes von 1979 „örtlich und zeitlich beschränkt, versagt, entzogen oder für ungültig erklärt werden, eine Ausweisung war jederzeit möglich wobei die Ent­scheidung … keiner Begründung bedurfte”. Soviel Willkür sucht ihresgleichen!

„Heim”unterbringung und niedrige Löhne = Alltag im Revisionismus

Die staatlich verordnete Unterbringung in Wohnheimen führte zur strikten Isolierung von der deutscher Bevölkerung. Deutschen BürgerInnen wurde es durch strenge und restriktiv gehandhabte Anmelde- und Ausweisvorschriften sehr erschwert oder gar unmöglich gemacht, die „Ausländerwohnheime” zu betreten. Persönliche Kontakte zwischen deutschen Arbeitskollegen und VertragsarbeiterInnen, gar Freundschaften, oder Liebes- und Ehebeziehungen wurden massiv unterdrückt. Die internationale Solidarität sollte sich auf leere Phrasen und Fahnenschwenken beschränken. Die ausländischen VertragsarbeiterInnen aus den „sozialistischen Bruderländern” sollten den Wohlstand vor allem der DDR-Bonzen aber auch der gesamten deutschen Bevölkerung steigern. Damit dieser „Verwertungsprozess” nicht gestört wurde, war Ausgrenzung das beste Mittel. Ansonsten hätten die „sozialistischen” Vertragswerktätigen der verschiedenen Länder vielleicht doch angefangen, die Phrasen in Taten umzusetzen. Diese hätten sich dann notgedrungen gegen die Bonzenwirtschaft selbst richten müssen.
Ein Mittel der totalen Absonderung der VertragsarbeiterInnen aus der DDR-Welt war die Unterbringung in den Wohnheimen. Die Lebensbedingungen in diesen Unterkünften waren wirklich unterster Standard, bzw. eigentlich unzumutbar. Häufig lebten vier Personen auf Jahre in einem Zimmer (5 qm pro Person waren vorgesehen) – nach Geschlechtern getrennt. Wenn jedoch Paare unter den ArbeiterInnen waren, mussten sie sich mit zwei Männern das Zimmer teilen, oder zwei Paare ein Zimmer, also jahrelang ohne jegliche Intimsphäre leben. Abgesichert wurde dieser ‘Wohnkomfort’ durch rigide Heimvorschriften, die in bester deutscher Tradition standen. Sie liefen auf die völlige Entmündigung der ArbeiterInnen hinaus. Von den Putzvorschriften über Kochgebote bis hin zu Besuchszeiten und Schließzeiten, alles war deutsch-korrekt geregelt. So galten in den meisten Unterkünften ab 22.00 Uhr Ausgehverbote und Anwesenheitspflicht.
Die VertragsarbeiterInnen sollten laut Gesetz „nach den gleichen Grundsätzen wie ihre DDR Kollegen” (ebenda, S. 20) entlohnt werden. Auch hier viele leere pseudosozialistische Versprechungen und eine vollkommen entgegengesetzte Praxis. De facto erhielten die VertragsarbeiterInnen weniger Lohn, denn sie waren meist in die Sparten der unteren Lohngruppen eingestuft. Rassismus oder gar deutschen Chauvinismus gab es in der DDR offiziell natürlich nicht. Fakt ist allerdings, dass er in der Praxis bereits bei der Einreise begann. Fakt ist, dass in der DDR ArbeiterInnen aus anderen Ländern für Eng­pässe bei der Güterversorgung verantwortlich gemacht wurden. Fakt ist, dass die Ausländergesetze in der Tradi­tion des Kaiserreichs und der Weimarer Republik standen. Fakt ist, dass diese ArbeiterInnen rassistisch von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben z.B. durch Isolierung in nur für sie vorgesehenen Wohnheimen ferngehalten wurden. Fakt ist, dass sie besonders ausgebeutet und unterdrückt wurden.
Seit Mitte der 1980er Jahre häuften sich verbale und tätliche rassistische Angriffe gegen Menschen aus anderen Ländern und anderer Hautfarbe. Von staatlichen Stellen und Volkspolizei wurden sie zum „Rowdytum” umgemünzt und als vereinzelte Taten hingestellt, die angeblich nichts mit dem gesellschaftlichen Klima in der DDR zu tun hätten. Wie weit die chauvinistische Verhetzung schon vorangeschritten war, sollte sich nach der Einverleibung der revisionistischen DDR durch den westdeutschen Imperialismus erweisen.
Wir sagen für den deutschen Imperialismus, dass es bei der Ausbeutung ausländischer ArbeiterInnen eine Kontinuitätslinie vom Kaiserreich über Weimarer Republik, den Nazifaschismus bis heute gibt. Die Frage stellt sich, ob die DDR bei der Beschäftigung von ArbeiterInnen aus anderen, ja sogenannten „Bruderländern” einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit gemacht, oder sich in dieser Tradition verhalten hat. Wir meinen ganz klar, solch ein Bruch ist nicht erfolgt.