Deutsche Demokratische Republik –
Anspruch und Wirklichkeit
Antifaschistisch-demokratisch? Sozialistisch?

Paris 1936

Vorbemerkung
In dieser Artikelserie stellen wir die Ergebnisse unserer intensiven Auseinandersetzung mit der Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), der DDR und der SED zur Diskussion. Noch ist das keine abgeschlossene Analyse.
Aufgrund der Nachfragen von TA-LeserInnen wollen wir nochmals dazu ermuntern, uns Eure Kritiken, Anmerkungen und Ergänzungen, Gedanken mitzuteilen. Sie sind uns sehr willkommen. Unser Ziel ist, als Ergebnis der Artikelreihe Thesen und ein programmatisches Dokument zu verfassen.

Teil 5

SED –
Entwicklung zur Partei neuen Typus?

Vor dem Vereinigungsparteitag von KPD und SPD zur SED 1946 wird programmatisch der Charakter der zu schaffenden Partei in den Vorbereitungsdiskussionen hervorgehoben: „Was wird die neue Partei sein? Sie wird selbstverständlich nicht die alte Sozialdemokratische Partei sein und nicht die alte Kommunistische Partei. Aus der Arbeit, die von beiden Parteien geleistet wurde, und durch die ideologische und politische Aufklärung wird sich die innere Verschmelzung der Mitgliedermassen beider Parteien so vollziehen, daß aus der Vereinigung die neue Partei erwächst.“  Der 15. Parteitag der KPD, der zwei Tage vor dem Vereinigungsparteitag abgehalten wurde, bekräftigt diese Einschätzung. 
Auf dem Vereinigungsparteitag selbst verkündet Walter Ulbricht in seiner Schlussansprache „unter „brausendem Beifall“: „Mit dem heutigen Tage gibt es keine Sozialdemokraten und keine Kommunisten mehr; mit dem heutigen Tage gibt es nur noch Sozialisten!“. (Hervorh. TA)
Schon dieser Schritt, die qualitativ verschiedenen politischen Strömungen, KommunistInnen und SozialdemokratInnen – auch „linke“ SozialdemokratInnen – insgesamt zu SozialistInnen zu erklären, war falsch. Das verwischte die wesentlichen Unterschiede. Der unbedingt notwendige Kampf gegen die Sozialdemokratie in Ideologie und Politik konnte mit so einer Herangehensweise nicht richtig geführt werden. Es wurde zwar als Ziel „das Erwachsen zu einer neuen Partei“ deklariert. Aber dass diese „neue Partei“, die bei ihrer Gründung nichts mit einer „Partei neuen Typus“ im marxistisch-leninistischen Sinne zu tun hatte, sich zu einer solchen nicht einfach entwickeln konnte, war eigentlich von vornherein klar.
Nur wenn die KommunistInnen die anstehenden, großen Aufgaben der Herausbildung einer marxistisch-leninistischen Partei offensiv benannt und angepackt, nur wenn sie die qualitativen politischen Unterschiede offen und öffentlich zur Debatte gestellt und einen unversöhnlichen ideologischen Kampf gegen den Sozialdemokratismus geführt hätten, wäre der Weg zur Schaffung einer marxistisch-leninistischen Partei eröffnet worden.
Auf dem anderthalb Jahre später stattfindenden II. Parteitag der SED war die Diskussion über die Schaffung der „Partei neuen Typus“ kein Tagesordnungspunkt. Lediglich im Organisationsbericht und in einigen Diskussionsbeiträgen wird diese Frage gestreift.
So stellt z.B. Erich W. Gniffke fest: „Neben dem außergewöhnlichen Wachstum unserer Partei ist als zweites charakteristisches Merkmal unserer organisatorischen Entwicklung festzuhalten, daß die ehemalige Sozialdemokratische Partei und die ehemalige Kommunistische Partei zu einer Partei neuen Typus zusammengewachsen sind.“
Und Walter Ulbricht betont: „Die Diskussion vor dem Parteitag hat schon gezeigt, daß wir auf dem Wege sind, eine Partei neuen Typus zu werden.“
Das heißt: Kurz nach der Gründung der SED, auf der Grundlage der Auflösung einer kommunistischen und einer sozialdemokratischen Partei in einer „sozialistischen Einheitspartei“, wird behauptet, diese beiden Arbeiterparteien seien nun zu einer Partei neuen Typus zusammengewachsen oder aber seien mindestens „auf dem Wege“ dahin.
Zentral wichtig hierbei ist, dass die SED zu diesem Zeitpunkt unter dem Begriff „Partei neuen Typus“ nicht die Charakteristik einer marxistisch-leninistischen, bolschewistischen Partei neuen Typus versteht.
Sie gibt der Einheit der KommunistInnen mit SozialdemokratInnen in der SED, die in Wirklichkeit nichts anderes ist als eine links-sozialdemokratische Partei, das Etikett der Herausbildung einer „Partei neuen Typus“.


Was ist die Partei neuen Typus im Marxismus-Leninismus?

In „Die Geschichte der KPdSU(B) – Kurzer Lehrgang“ wird in den Schlussfolgerungen eine hervorragende Zusammenfassung der Erfahrungen und Lehren der KPdSU gegeben:
– „Die Geschichte der Partei lehrt vor allem, daß der Sieg der proletarischen Revolution, der Sieg der Diktatur des Proletariats unmöglich ist ohne eine revolutionäre Partei des Proletariats, eine Partei, die vom Opportunismus frei, gegen Paktierer und Kapitulanten unversöhnlich, gegenüber der Bourgeoisie und ihrer Staatsgewalt revolutionär ist.
– „Die Geschichte der Partei lehrt: das Proletariat ohne eine solche Partei lassen, bedeutet, es ohne revolutionäre Führung lassen, es aber ohne revolutionäre Führung lassen, bedeutet die Sache der proletarischen Revolution zum Scheitern bringen.“
– „Die Geschichte der Partei lehrt, daß eine gewöhnliche sozialdemokratische Partei von westeuropäischem Typus, die in den Verhältnissen des Bürgerfriedens erzogen ist und hinter den Opportunisten einhertrottet, von ‚sozialen Reformen’ schwärmt und die soziale Revolution fürchtet, eine solche Partei nicht sein kann.“
– „Die Geschichte der Partei lehrt, daß nur eine Partei von neuem Typus, eine marxistisch-leninistische Partei, eine Partei der sozialen Revolution, die fähig ist, das Proletariat auf entscheidende Schlachten gegen die Bourgeoisie vorzubereiten und den Sieg der proletarischen Revolution zu organisieren, eine solche Partei sein kann.“ 

Über die Merkmale dieser Partei neuen Typus wird ausgeführt:
– „Die Geschichte der Partei lehrt weiter, daß die Partei der Arbeiterklasse die Rolle des Führers ihrer Klasse, daß sie die Rolle des Organisators und Führers der proletarischen Revolution nicht erfüllen kann, wenn sie nicht die fortgeschrittene Theorie der Arbeiterbewegung, die marxistisch-leninistische Theorie, gemeistert hat.“ 
– „Die Geschichte der Partei lehrt weiter, daß ohne Zerschlagung der in den Reihen der Arbeiterklasse tätigen kleinbürgerlichen Parteien, die die rückständigen Schichten der Arbeiterklasse der Bourgeoisie in die Arme treiben und so die Einheit der Arbeiterklasse zerstören, der Sieg der proletarischen Revolution unmöglich ist.“
– „ ‚Die Einheit des Proletariats’, sagt Lenin, ‚kann in der Epoche der sozialen Revolution nur durch die äußerste revolutionäre Partei des Marxismus, nur durch schonungslosen Kampf gegen alle übrigen Parteien verwirklicht werden’ (Lenin)“ 
– „Die Geschichte der Partei lehrt weiter, daß die Partei der Arbeiterklasse ohne unversöhnlichen Kampf gegen die Opportunisten in ihren eigenen Reihen, ohne Vernichtung der Kapitulanten in ihrer eigenen Mitte die Einheit und Disziplin ihrer Reihen nicht aufrechterhalten, ihre Rolle als Organisator und Führer der proletarischen Revolution, ihre Rolle als Erbauer einer neuen, der sozialistischen Gesellschaft nicht erfüllen kann.“
„‚Wenn man in seinen Reihen Reformisten, Menschewiki hat’, sagt Lenin, ‚so ist es unmöglich, in der proletarischen Revolution zu siegen, so ist es unmöglich, sie zu behaupten.
Das steht offenbar prinzipiell fest. Das ist sowohl in Rußland als auch in Ungarn durch die Erfahrung anschaulich bestätigt worden... In Rußland hat es oftmals schwierige Situationen gegeben, wo das Sowjetregime ganz sicher gestürzt worden wäre, wenn die Menschewiki, Reformisten, kleinbürgerlichen Demokraten innerhalb unserer Partei verblieben wären‘ (Lenin)“
– „Die Geschichte der Partei lehrt weiter, daß die Partei ihre Rolle als Führer der Arbeiterklasse nicht erfüllen kann, wenn sie, von Erfolgen berauscht, überheblich zu werden beginnt, wenn sie aufhört, die Mängel ihrer Arbeit zu bemerken, wenn sie sich fürchtet, ihre Fehler einzugestehen, sich fürchtet, diese rechtzeitig offen und ehrlich zu korrigieren.
Die Partei ist unbesiegbar, wenn sie Kritik und Selbstkritik nicht fürchtet, wenn sie die Fehler und Mängel ihrer Arbeit nicht verkleistert, wenn sie an den Fehlern der Parteiarbeit die Kader erzieht und schult, wenn sie es versteht, ihre Fehler rechtzeitig zu korrigieren.
Die Partei geht zugrunde, wenn sie ihre Fehler verheimlicht, wunde Punkte vertuscht, ihre Unzulänglichkeiten bemäntelt, indem sie ein falsches Bild wohlgeordneter Zustände zur Schau stellt, wenn sie keine Kritik und Selbstkritik duldet, sich von dem Gefühl der Selbstzufriedenheit durchdringen läßt, sich dem Gefühl der Selbstgefälligkeit hingibt und auf ihren Lorbeeren auszuruhen beginnt.

‚Das Verhalten einer politischen Partei zu ihren Fehlern“, sagt Lenin, „ist eines der wichtigsten und sichersten Kriterien für den Ernst einer Partei und für die tatsächliche Erfüllung ihrer Pflichten gegenüber ihrer Klasse und den werktätigen Massen. Einen Fehler offen zugeben, seine Ursachen aufdecken, die Umstände, die ihn hervorgerufen haben, analysieren, die Mittel zur Behebung des Fehlers sorgfältig prüfen – das ist das Merkmal einer ernsten Partei, das heißt Erfüllung ihrer Pflichten, das heißt Erziehung und Schulung der Klasse und dann auch der Masse.’ (Lenin)
– Schließlich lehrt die Geschichte der Partei, daß die Partei der Arbeiterklasse ohne umfassende Verbindungen mit den Massen, ohne ständige Festigung dieser Verbindungen, ohne die Fähigkeit, auf die Stimme der Masse zu lauschen und ihre brennenden Nöte zu verstehen, ohne die Bereitschaft, nicht nur die Massen zu belehren, sondern auch von ihnen zu lernen, keine wirkliche Massenpartei sein kann, die fähig ist, die Millionen der Arbeiterklasse und aller Werktätigen zu führen.“ 

An diesen Merkmalen müssen wir die SED messen, wenn wir die Frage beantworten wollen, ob die SED 1947 oder in den folgenden Jahren eine marxistisch-leninistische, eine kommunistische Partei – eine Partei neuen Typus im leninistischen Sinne – war.
Die SED selbst hatte zu Recht am Anfang nicht den Anspruch, eine kommunistische, eine marxistisch-leninistische Partei zu sein. Sie war bei ihrer Gründung neu in dem Sinne, dass zwei qualitativ verschiedene ArbeiterInnenparteien sich unter besonderen historischen Bedingungen zu einer einheitlichen ArbeiterInnenpartei auf einem antifaschistisch-demokratischen Programm zusammengeschlossen haben. Auf dem Vereinigungsparteitag wurde beschlossen, dass alle Funktionärsstellen paritätisch mit je einem Mitglied aus Ex-SPD und Ex-KPD besetzt werden. Damit sollte ein Verschmelzen der beiden Organisationen auch personell sichergestellt werden. Faktisch entstand eine antifaschistische, demokratische Front-Partei, in der kommunistische und sozialdemokratische Kräfte paritätisch koexistierten. 
Anderthalb Jahre danach wird nicht mehr von einer neuen, sondern von einer „Partei neuen Typus“ gesprochen.
Was hat sich in dieser Zeitspanne in der Partei wesentliches geändert? Welcher Kampf wurde gegen die sozialdemokratische Ideologie geführt? Sind die
SozialdemokratInnen kurzerhand – welch ein Wunder! – zu MarxistInnen-LeninistInnen mutiert?
Fakt ist, in dieser Zeitspanne hatte sich die SED nicht zu einer marxistisch-leninistischen Partei entwickelt. Dazu bedurfte es nämlich eines harten und langwierigen, politisch-ideologischen Kampfes gegen den Sozialdemokratismus sowie gegen die eigenen Fehler der KommunistInnen. Ein offener Kampf gegen den Sozialdemokratismus barg aber wiederum die Gefahr der Spaltung der einheitlichen antifaschistisch-demokratischen Partei in sich. Die Einheit wurde durch Verzicht auf den offenen Kampf gegen Sozialdemokratismus erkauft.
Was zu den gegebenen historischen Bedingungen taktisch vielleicht als vorübergehender, notwendiger Schritt durchgehen kann. Vorausgesetzt allerdings, dass die KommunistInnen sich selbst und das Proletariat nicht einlullen sowie die anstehenden Aufgaben offen benennen. Das wurde nicht gemacht!
Die KommunistInnen in der SED haben mit der Behauptung, die SED sei 1947 eine Partei neuen Typus, genau das Gegenteil dessen gemacht, was eine leninistische Partei mit auszeichnet. Sie haben „wunde Punkte vertuscht, ihre Unzulänglichkeiten bemäntelt, indem sie ein falsches Bild wohlgeordneter Zustände zur Schau gestellt“ haben. Sie haben sich damit, „von dem Gefühl der Selbstzufriedenheit durchdringen lassen, sich dem Gefühl der Selbstgefälligkeit hingegeben und auf ihren Lorbeeren auszuruhen begonnen“.
Ein fundamentales Beispiel für diese prinzipienlose Politik ist die Erstellung des Parteiprogramms. Laut Beschluss des Vereinigungsparteitags sollte dieses auf dem II. Parteitag der SED verabschiedet werden. Hierzu erklärt Pieck im Bericht des Parteivorstandes an diesen Parteitag:
„Es war vom Vereinigungsparteitag beschlossen worden, nach diesen Grundsätzen (Gemeint „Grundsätze und Ziele der SED“, Anm. TA) und Zielen ein Programm auszuarbeiten, das der Parteivorstand dem nächsten ordentlichen Parteitag, also dem gegenwärtigen Parteitag, vorlegen sollte, und es war zu diesem Zweck auch eine aus 50 Mitgliedern bestehende Programmkommission gewählt worden.
Die völlig ungeklärte Lage und Zukunft Deutschlands und des deutschen Volkes, das bisherige Nichtzustandekommen einer Verständigung der alliierten Besatzungsmächte über den deutschen Friedensvertrag, ja sogar die Gefahr einer Zerreißung Deutschlands veranlassen den Parteivorstand, den Parteitag zu ersuchen, vorläufig noch, bevor nicht diese Klarheit über die Zukunft Deutschlands besteht, von der Ausarbeitung eines Programms der Partei abzusehen.
Für die politische Orientierung der Partei und die Bestimmung ihrer Aufgaben genügen die vom Vereinigungsparteitag beschlossenen ‚Grundsätze und Ziele‘, die durch die dem Parteitag vorgelegte Entschließung über die Politik der Partei ergänzt werden.“ 

Wir haben das Gründungsdokument „Grundsätze und Ziele“ politisch als eine Kompromiss-Erklärung eingeschätzt, die unzulässige und prinzipienlose Zugeständnisse an den sozialdemokratischen Flügel in der SED enthält.  Anstatt wie angekündigt nach dem Vereinigungsparteitag eine politische Diskussion über die Grundlagen der aufzubauenden SED massiv zu forcieren und im Ergebnis ein marxistisch-leninistisches Programm vorzulegen, wird mit fadenscheinigen und falschen Begründungen, einfach das ganze Projekt Parteiprogramm erst einmal aufgeschoben.
Nicht die politische, „ungeklärte Lage Deutschlands“ war dafür ausschlaggebend wie die SED behauptet, sondern in Wirklichkeit die unterschiedlichen programmatischen Positionen von ehemaligen KPD- und SPD-Mitgliedern in den Fragen über den Charakter der Partei, über den Weg zum Sozialismus und über die grundlegenden politischen Ziele. Daher wurde das Programm einfach „aufgeschoben“ und die Widersprüche unter den Teppich gekehrt.
Die Angst vor einer eventuellen Spaltung war viel größer als die Entschlossenheit, eine prinzipielle Klärung und Programmatik zu erkämpfen und damit die Partei auf eine marxistisch-leninistische Grundlage zu stellen. Das führte im Endeffekt dazu, dass die SED tatsächlich erst Januar 1963 auf ihrem VI. Parteitag ein Parteiprogramm verabschiedet hat.

Neuausrichtung der SED?

Im Laufe des Jahres 1948 diskutiert der Parteivorstand erneut auf seinen Tagungen zwischen Mai und Oktober über die „Partei neuen Typus“. Auf der 10. Tagung des Parteivorstandes im Mai charakterisiert Pieck, Parteivorsitzender, die politischen Aufgaben und die Entwicklung der SED. In seiner nachfolgenden Argumentation wird klar ersichtlich, was er unter der Formulierung, „Partei neuen Typus“ versteht.
Ausgehend von der aktuellen Spaltung Deutschlands in zwei Teile schlussfolgert er: „Es handelt sich nicht nur um eine Verschärfung, sondern um eine strategische Änderung unseres Kampfes, die sich aus den Veränderungen in der politischen und staatlichen Situation in Deutschland ergibt.“
Bezüglich der Partei bilanziert Pieck: „Aber auch in ihrem [der Partei] Wesen werden sich sehr erhebliche Veränderungen vollziehen. Die SED ist eine Partei neuen Typus, die jetzt besonders den nationalen Charakter ihrer Politik hervorkehren muß. Die Wahrung der nationalen Interessen des deutschen Volkes ist angesichts der Zerreißung Deutschlands durch die Westmächte und der Verweigerung eines gerechten Friedensvertrages von der allergrößten Bedeutung.“
Pieck geht hier nicht einen Schritt über die Definition des II. Parteitags der „Partei neuen Typus“ hinaus. Wieder wird der „neue Typus“ begründet mit der aktuellen politischen Lage, die als Besonderheit den nationalen Charakter ihrer Politik herausfordere. Das heißt, es geht in keinster Weise um eine ideologisch-politische Neuausrichtung der SED als leninistische Partei.

Beschluss der Kominform und die SED

Kurz vor der 11. Tagung des Parteivorstandes der SED beschließt das „Informationsbüro“ der Kominform in der zweiten Junihälfte 1948 eine Resolution „Über die Lage in der Kommunistischen Partei Jugoslawiens“ (KPJ). In dieser wird die nationalistische, revisionistische Politik der KPJ sowie ihr Konzept des „jugoslawischen Weges zum Sozialismus“ verurteilt.
„Das Informationsbüro kommt einstimmig zur Schlußfolgerung, daß sich die Führer der KPJ mit ihren parteifeindlichen und antisowjetischen Ansichten, die mit dem Marxismus-Leninismus unvereinbar sind, mit ihrem ganzen Vorgehen und mit ihrer Ablehnung der Teilnahme an der Sitzung des Informationsbüros sich gegen die kommunistischen Parteien gestellt haben, die Mitglieder des Informationsbüros sind, und daß sie zur Abspaltung von der einheitlichen sozialistischen Front gegen den Imperialismus übergangen sind und sich auf den Weg des Verrates an der Sache der internationalen Solidarität der Werktätigen Völker und des Überganges auf die Positionen des Nationalismus begeben haben.
Das Informationsbüro verurteilt diese parteifeindliche Politik und das Vorgehen der KP Jugoslawiens.
Das Informationsbüro stellt fest, daß sich infolge all dessen das Zentralkomitee der KP Jugoslawiens selbst und die jugoslawische Partei außerhalb der Familie der Kommunistischen Bruderparteien, außerhalb der einheitlichen kommunistischen Front und damit außerhalb der Reihen des Informationsbüros gestellt hat.“ 

Diese politisch-ideologische Auseinandersetzung in der Internationalen Kommunistischen Weltbewegung ist ein entscheidender Einschnitt auch für die SED. Sie spielt eine wichtige Rolle dabei, dass der Parteivorstand der SED auf der 11. Tagung Ende Juni 1948 beginnt, vom Marxismus-Leninismus zu sprechen.
Walter Ulbricht referiert über den „Wirtschaftsplan für 1948 und den Zweijahresplan 1949/50 zur Wiederherstellung und Entwicklung der Friedenswirtschaft in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands“. In diesem Zusammenhang fordert er:
„Jetzt aber stehen wir in Verbindung mit dem Zweijahresplan vor größeren, komplizierten Aufgaben. Deshalb sind entschiedene Maßnahmen notwendig, damit die Partei wirklich zu einer Partei neuen Typus wird.“ 
Also wird wiederum die Notwendigkeit einer Partei neuen Typus mit durch die Situation bedingten neuen Aufgaben begründet:
„Im Zusammenhang mit der Beschlußfassung über den Plan ist es notwendig, in den Parteiorganisationen die Lehre von Marx und Lenin über die Rolle der Partei durchzuarbeiten und durch die Entfaltung der Kritik und Selbstkritik die Fehler und Schwächen zu überwinden. (…) Das, Genossen, sind die nächsten Schritte, die dazu führen werden, daß unsere Sozialistische Einheitspartei zu einer Partei neuen Typus wird, die fähig ist, die Arbeiterklasse und das werktätige Volk im Kampfe um die Erfüllung der großen geschichtlichen Aufgaben zu führen.
Wenn wir diese Aufgabe erfüllen, wenn wir unsere Partei zu einer Kampfpartei für die Demokratie, zu einer Kampfpartei mit dem Ziele des Sozialismus machen, dann wird es uns auch gelingen, den Zweijahresplan zu erfüllen und auch die späteren Aufgaben mit Erfolg durchzuführen.“

Als Aufgabe wurde gestellt, einen ideologisch festen, disziplinierten Funktionärskörper zu schaffen, die Partei von „feindlichen und korrupten Elementen“ zu säubern, das ideologische Niveau der Parteimitglieder zu erhöhen und eine verbesserte Personalpolitik umzusetzen. Nach dieser Diskussion über die Partei neuen Typus wird nicht mehr nur vom Marxismus sondern vom Marxismus-Leninismus gesprochen. Das ist auch ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings fehlt die Selbstkritik und Klarheit darüber, ob die SED nun schon eine marxistisch-leninistische Partei ist oder auf dem Weg dahin. Dazu hätte es in der SED den radikalen Bruch mit der Sozialdemokratie gebraucht, der aber nicht vollzogen wurde. Zum Beispiel eine prinzipielle Abrechnung sowie Kritik und Selbstkritik mit der Rolle der Sozialdemokratie bei der Entwicklung des Faschismus, ihrer Haltung zum deutschen Nationalismus und Chauvinismus!
So orientierte sich die SED weiterhin ohne radikalen Bruch mit der Sozialdemokratie darauf, sich zu einer Partei neuen Typus zu entwickeln, was ein Ding der Unmöglichkeit war und ist.
Der Parteivorstand der SED beschließt auf dieser Tagung auch den Zweijahres-Wirtschaftsplan für 1949/50. Gleichzeitig wird die „Verstärkung und Verbesserung der Parteischulungsarbeit“ mit folgender Begründung beschlossen:
„Infolge der raschen politischen Entwicklung der Ostzone, der Notwendigkeit, unseren demokratischen Staatsaufbau zu festigen, insbesondere infolge des Überganges zum wirtschaftlichen Aufbau auf Grund des Zweijahrplans sind die Aufgaben der Partei in der Ostzone ungeheuer gewachsen.
Dadurch wird eine Verbesserung der qualitativen Arbeit der Parteischulen, die Erhöhung ihres theoretischen Niveaus wie auch ihre größere Annäherung an die praktischen Probleme des Aufbaus dringend notwendig. Insbesondere ist es erforderlich, durch unsere Parteischulen den Betriebsgruppen der Partei unmittelbar und konkrete Hilfe zu leisten.“

Abschließend wird an die Mitglieder appelliert:
„Der Parteivorstand ruft die ganze Parteimitgliedschaft auf, aktiv für die Durchführung dieses Beschlusses einzutreten. Die Verbesserung unserer Schulungsarbeit ist gerade heute von entscheidender Bedeutung. Nur wenn wir unsere Sozialistische Einheitspartei Deutschlands zu einer Kampfpartei des Marxismus-Leninismus, zu einer wirklichen Partei neuen Typus machen, können wir die großen Aufgaben erfüllen, die uns auf politischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet gestellt sind.“

Somit wird klar gestellt – auch wenn es Unterschiede gab – dass die SED in ihrem damaligen Zustand noch keine Partei neuen Typus war, sondern sie sollte sich dahin entwickeln.

Diese Diskussion wird auf der 12. und 13. Tagung weitergeführt.
Vor der 12. Tagung des Parteivorstandes hat das Zentralsekretariat der SED eine Entschließung „Zur jugoslawischen Frage“ verabschiedet. Darin wird die o.g. Resolution des Informationsbüros der Kominform zur Verurteilung der Politik der Kommunistischen Partei Jugoslawiens (KPJ) als richtig anerkannt und die Schlussfolgerung gezogen:
„Die wichtigste Lehre der Ereignisse in Jugoslawien besteht aber für uns deutsche Sozialisten darin, mit aller Kraft daran zu gehen, die SED zu einer Partei neuen Typus zu machen, die unerschütterlich und kompromißlos auf dem Boden des Marxismus-Leninismus steht.
Dazu ist notwendig, einen politisch festen, zielklaren Funktionärkörper in der Partei zu schaffen, die Kritik und Selbstkritik ohne Ansehen der Person zu entfalten und den Kampf gegen alle Feinde der Arbeiterklasse, insbesondere gegen die Schumacher-Agenten, mit rücksichtsloser Schärfe zu führen.“

Allerdings wird vom Parteivorstand geflissentlich die Hauptkritik der Kominform an der KPJ, die sich gegen den „besonderen nationalen Weg zum Sozialismus in Jugoslawien“ und gegen die Idee den Sozialismus mit Teilen der Bourgeoisie aufzubauen richtete, übersehen!
Die Kritik der Kominform an der KPJ wandte sich zugleich gegen viele andere Kommunistische Parteien, in denen sich ebensolche revisionistischen
Theorien breitmachten, unter anderem auch in der SED!
Die Kominform-Erklärung war de facto ein Aufruf zum Kampf gegen den sich entwickelnden Revisionismus und zum Bruch mit den RevisionistInnen in der kommunistischen Weltbewegung. Sie wurde zwar in der SED, wie auch in vielen anderen Parteien, formal anerkannt, aber weder in Theorie noch in der Praxis wirklich umgesetzt.
Auf der 12. und 13. Tagung des Parteivorstandes wird die Notwendigkeit, die „Partei neuen Typus“ herauszubilden im Zusammenhang mit der „Novemberrevolution und den Lehren aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ und der „theoretischen und praktischen Bedeutung der Entschließung des Informationsbüros der Kommunistischen Parteien über die Lage in der KP Jugoslawiens“ debattiert.
In den Diskussionen über die Novemberrevolution – referiert von Otto Grotewohl – wird der Kampf zwischen der ehemaligen sozialdemokratischen und kommunistischen Linie ersichtlich. Gleichzeitig wird ganz deutlich, dass die Vereinigung der KPD und der SPD zur SED nicht auf einer marxistisch-leninistischen Grundlage vollzogen wurde. Pieck gesteht ein:
„Wir haben uns unter Bedingungen vereinigt, daß nicht eine große marxistisch-leninistische Aufklärungsarbeit vorausgegangen ist, um die Vereinigung auf dem Boden des Marxismus-Leninismus zu vollziehen.“ 
Ulbricht stimmte Pieck zu und appellierte gerade deshalb dafür, mit dem Instrument der Kritik und Selbstkritik die Entwicklung zur Partei neuen Typus zu unterstützen.
Die 12. Tagung des Parteivorstandes nimmt im Juli den Beschluss „Für die organisatorische Festigung der Partei und für ihre Säuberung von feindlichen und entarteten Elementen“ an. Das sind sicherlich notwendige Schritte, um sich zu einer leninistischen Partei zu entwickeln. Allerdings fehlt das Wichtigste: Der radikale Bruch mit dem Sozialdemokratismus! Nach wie vor ist die ideologisch-politische Grundlage der Partei das links sozialdemokratische Kompromissdokument „Grundsätze und Ziele der SED“.


Formelle Anerkennung der Notwendigkeit der leninistischen Partei

Auf der nächsten, 13. Tagung des Parteivorstandes im September wird die Entschließung „Die Novemberrevolution und ihre Lehren für die deutsche Arbeiterbewegung“ angenommen.
Sie beinhaltet 25 Thesen. Die Rolle der Partei wird in der letzten 25. These formuliert, wobei die Beschreibung der leninistischen (bolschewistischen) Partei übernommen und daraus die Lehre gezogen wird:
„Das Fehlen einer solchen Partei im Jahre 1918 war die entscheidende Ursache für die Niederlage der revolutionären Arbeiterschaft.
Darum besteht die wichtigste Lehre der Novemberrevolution 1918 heute für uns darin, unsere Sozialistische Einheitspartei Deutschlands zu einer solchen revolutionären Kampfpartei des Marxismus-Leninismus zu gestalten.“

Eine weitere Entschließung des Parteivorstandes auf der Tagung war: „Die theoretische und praktische Bedeutung der Entschließung des Informationsbüros über die Lage in der KP Jugoslawiens und die Lehren für die SED“.
Das Dokument des Informationsbüros wird hoch gelobt und eine „Selbstkritik an der ideologischen Arbeit der SED“ geübt, weil sie die Bedeutung dieses Dokument unterschätzt habe. Die Verschärfung des Klassenkampfes wird anerkannt und die Aufgabe der SED „für eine Politik des gesellschaftlichen Fortschritts und der Durchführung des Halbjahrplans 1948 die Werktätigen zu gewinnen“ in neun Punkten festgelegt.
Um die „führende“ Rolle der Partei zu stärken, werden folgende Schlussfolgerungen für die SED gezogen:
„a) Hebung des ideologischen Niveaus der Parteimitgliedschaft. Zu diesem Zwecke Durcharbeitung der Entschließung des Informationsbüros sowie der Beschlüsse des Zentralkomitees der Polnischen Arbeiterpartei, der Polnischen Sozialistischen Partei sowie des Beschlusses der Bulgarischen Arbeiterpartei (Kommunisten). Insbesondere sind in den Parteiorganisationen folgende Fragen durchzuarbeiten:
– Klassen und Klassenkampf in der Übergangsperiode.
– Die führende Rolle der Sowjetunion im Kampf für den gesellschaftlichen Fortschritt und die Lehren des Kampfes um den Sozialismus in der Sowjetunion, wie er in der ‚Geschichte der KPdSU (B)‘ dargestellt ist.
– Die Partei neuen Typus und der Parteiaufbau.“ 
Auf dieser Tagung wird auch der Beschluss zur Schaffung der Partei-Kontrollkommission angenommen. „Um die Sauberkeit der Partei zu sichern, beschließt der Parteivorstand die Bildung einer Zentralen Partei-Kon­trollkommission und von Partei-Kontrollkommissionen in jedem Lande und in jedem Kreis.
Die Partei-Kontrollkommissionen haben die Aufgabe, den Kampf gegen die Tätigkeit feindlicher Agenten, insbesondere gegen Beauftragte des Hannoverschen ‚Ostbüros‘, in der Partei zu führen, gegen Korruptionserscheinungen, gegen den Mißbrauch von Parteifunktionen und staatlichen Funktionen, gegen Karrierismus, wie gegen die Verbreitung feindlicher Gerüchte in der Partei. Die Kontrollkommissionen leisten Hilfe bei der Entfernung von SED-Mitgliedern aus Partei- und Staatsfunktionen, wenn dieselben das Ansehen der Partei schädigen und den Aufbau hindern.“

Das waren die politischen und organisatorischen Festlegungen des Parteivorstands, um die SED zu einer bolschewistischen Partei neuen Typus zu entwickeln.
Als Zielsetzung und Absichtserklärung war das alles richtig. Allerdings brauchte es, um die gestellten Aufgaben zu erfüllen, einen festen, im Marxismus-Leninismus geschulten Kaderstamm der Partei, plus die Mobilisierung der Parteibasis zur aktiven Durchsetzung dieser Ziele.
Der Kaderstamm der Partei bestand nach wie vor paritätisch besetzt aus ehemaligen SozialdemokratInnen und KommunistInnen, die sich auf antifaschistisch-demokratischer Grundlage zusammengeschlossen hatten. Die Parteibasis entsprach auch diesem Kaderstamm und wurde nicht im Geiste des Leninismus erzogen.
Folglich führte dieser Beschluss über die Partei-Kontrollkommission in seiner praktischen Ausführung dazu, dass im Kampf gegen die „SPD-Ost“ und Agentenaktivitäten, auch jedes Mitglied mit abweichender Meinung als Agent verdächtigt bzw. dazu deklariert wurde. Das wiederum führte dazu, dass die Mitglieder aus Angst nicht mehr ihre Meinung äußerten, um nicht als Agenten beschuldigt zu werden.
Als weitere Maßnahme fasst das Zentralsekretariat der SED am 20. September 1948 den Beschluss „Über die Verstärkung des Studiums der ‚Geschichte der KPdSU (B) – Kurzer Lehrgang‘“. 
Der Beschluss „Innerparteiliche Maßnahmen“ wird von der 16. Tagung des Parteivorstandes und der 1. Parteikonferenz Januar 1949 angenommen. Darin wird die paritätische Besetzung der Funktionen aufgehoben, für den Eintritt in die Partei eine Kandidatenfrist eingeführt und zur Schaffung einer „straffen“, kollektiven und operativen Führung der Partei die Bildung eines Politbüros festgelegt. Die Aufgabe der paritätischen Besetzung der Parteigremien ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Allerdings wieder ohne einen vorher geführten, die ganze Partei erfassenden ideologischen Kampf.

1. Parteikonferenz

Auf der 1. Parteikonferenz wird die Diskussion fortgesetzt. Der Begriff „Partei neuen Typus“ wird nun als marxistisch-leninistische Partei nach dem Vorbild der KPdSU(B) charakterisiert:
Der SED wird die Aufgabe gestellt, sich dementsprechend zu entwickeln. Diese Aufgabenstellung war richtig. Allerdings wurden die konkreten, politischen Schritte dazu nicht festgelegt. Vor allem wurde die Auflösung der KPD und die Einheitspolitik in einer „neuen“ Partei, die weder sozialdemokratisch noch kommunistisch war, überhaupt nicht in Frage gestellt.
Grotewohl führt in seiner Eröffnungsrede aus:
„Wir wollen uns als Vertreter der deutschen Arbeiterklasse bekennen zu unserer eigenen Kraft und die Werktätigen und alle fortschrittlichen Menschen aufrufen zur Erfüllung unseres Zweijahrplanes für ein besseres Leben und für eine bessere Zukunft. Um die Erreichung dieses Zieles zu sichern, soll diese Konferenz die Aufgabe erfüllen, die Sozialistische Einheitspartei zu einer Partei neuen Typus, das heißt zu einer Partei im marxistisch-leninistischen Sinne zu machen.“ 
Die Notwendigkeit der Partei neuen Typus begründet er wieder mit anstehenden neuen Aufgaben und einer veränderten Situation. Gleichzeitig erwartet er, dass die Umformung der Partei bereits auf dieser Konferenz vollzogen werden kann.
Pieck referiert über den „Kampf um den Frieden und gegen die Kriegshetze“:
„Zur Beruhigung besorgter Gemüter will ich nur noch erklären, daß nach wie vor für unseren Kampf die vom Vereinigungsparteitag beschlossenen Grundsätze und Ziele maßgebend sind, die ich dem Studium unserer Genossen immer wieder empfehle und in denen wir uns die Aufgabe gestellt haben, den Sozialismus zu erkämpfen, und der Überzeugung Ausdruck geben, daß wir im Zeichen des Sozialismus siegen werden.“

Im Klartext: Auch wenn die SED sich das Ziel setzt, eine Partei neuen Typus zu sein, behält sie weiterhin als maßgebende programmatische Grundlage das Dokument „Grundsätze und Ziele der SED“ des Vereinigungsparteitags. Und solange das so blieb, war ein Bruch mit dem linken Sozialdemokratismus nicht wirklich möglich. Solange waren die Bezüge auf Lenin, Stalin und KPdSU(B) reine Lippenbekenntnisse.
Über „Die Politik der Partei und die Entwicklung der SED zu einer Partei neuen Typus“
spricht Grotewohl. Er bewegt sich auf der Grundlage der „Grundsätze und Ziele“ und verteidigt die Politik der SED seit ihrer Gründung. Als zentrale politische Fragen stehen weiterhin die nationale Frage und der Kampf um die Einheit Deutschlands im Vordergrund.
Wie Ulbricht übertreibt auch Grotewohl die Lage der Partei hinsichtlich der Entwicklung zur Partei neuen Typus:
„Mit den Beschlüssen des Parteivorstandes in seiner 11., 12. und 13. Tagung haben wir die Grundlage für die Entwicklung einer Partei neuen Typus geschaffen. Wir können feststellen, daß die Partei sich in der zurückliegenden Zeit durch die Arbeit an der Verwirklichung dieser bedeutsamen Beschlüsse ständig organisatorisch kräftigte, daß neue, vorwärtstreibende Impulse durch sie ausgelöst worden sind und daß die Mitgliedschaft und der Funktionärkörper immer stärker von dem Bewußtsein der führenden Rolle der Arbeiterklasse und der Aufgabe ihrer Partei im Klassenkampf des Proletariats erfüllt werden.“
Ackermann allerdings warnt in der Diskussion:
„Aber, Genossen, hüten wir uns vor Überheblichkeit und vor einer Überschätzung der erzielten Ergebnisse. Wir stehen erst am Anfang. Wir haben noch zuviele ideologische Schwächen, zuviele Mängel in der Parteiorganisation und in der Parteiarbeit, als daß wir den gewaltigen Abstand übersehen könnten, der unsere Partei trotz aller Fortschritte noch von einer wirklich leninistischen Partei trennt.
Es wird noch härter und ich sage ausdrücklich: jahrelanger Anstrengungen und Kämpfe bedürfen, bis wir werden konstatieren können: nun ist die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands wirklich eine Partei nach dem Vorbild der Partei Lenins und Stalins. (…) Wenn wir z.B. die Ergebnisse der Diskussion zur Vorbereitung der Parteikonferenz kritisch betrachten, müssen wir feststellen, daß sogar darüber noch keine volle Klarheit besteht, was eine Partei neuen Typus ist, welche besonderen Merkmale sie auszeichnen und welche Anforderungen an eine solche Partei gestellt werden müssen.“ 

Ackermann beschreibt die Lage der Partei realistischer als Grotewohl, Ulbricht und viele andere RednerInnen. Außerdem stellt er die Notwendigkeit der Partei neuen Typus richtig dar:
„Aber wenn restlos klar sein soll, was eine Partei neuen Typus ist, welche entscheidende Rolle sie zu spielen hat, dann muß vor allem verstanden sein, daß die Arbeiterklasse aller Länder auf allen Etappen ihres Kampfes eine Partei neuen Typus braucht, um ihren Kampf mit Erfolg und zum Siege führen zu können.
Die Notwendigkeit der leninistischen Partei resultiert nicht aus besonderen konkreten Situationen und Aufgaben in einem einzelnen Lande, sie resultiert aus der Internationalen Situation, aus der Epoche, in der wir leben, aus den Aufgaben, die in dieser Epoche dem Proletarier gestellt sind.“ 

Diese zurecht kritische, richtige Haltung verhindert jedoch nicht, dass sich die falsche Position durchsetzte.
In der „Entschließung der Ersten Parteikonferenz“ wird die Partei neuen Typus unter Punkt IV behandelt. „1. Die großen Aufgaben, die vor dem werktätigen Volke Deutschlands stehen, machen es erforderlich, das große historische Versäumnis der deutschen Arbeiterbewegung nachzuholen und die SED zu einer Partei neuen Typus zu entwickeln.“ 
Die Aspekte der neuen Lage und Aufgaben werden aufgeführt, die die Partei neuen Typus notwendig machen.
Der Charakter der Partei neuen Typus anhand der von Stalin formulierten Merkmale der leninistischen Partei wird folgendermaßen begründet:
„Die marxistisch-leninistische Partei ist die bewußte Vorhut der Arbeiterklasse.“ „Die marxistisch-leninistische Partei ist die organisierte Vorhut der Arbeiterklasse.“ „Die marxistisch-leninistische Partei ist die höchste Form der Klassenorganisation des Proletariats.“ „Die marxistisch-leninistische Partei beruht auf dem Grundsatz des demokratischen Zentralismus.“ „Die marxistische-leninistische Partei wird durch den Kampf gegen den Opportunismus gestärkt.“ „Die marxistisch-leninistische Partei ist vom Geiste des Internationalismus durchdrungen.“ 
Trotz aller Fehler und Mängel der SED – wie die falsche Begründung der Notwendigkeit der Partei neuen Typus, wie die fehlende Selbstkritik an den von sozialdemokratischer Theorie geprägten „Grundsätzen und Zielen“, wie der ausbleibende Bruch mit dem Sozialdemokratismus, wie der unterlassenen Verteidigung der Diktatur des Proletariats – war die Anerkennung des Marxismus-Leninismus und die Zielsetzung, eine Partei neuen Typus zu werden, ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings gab es in dieser Frage ständiges Lavieren und die Koexistenz von gegensätzlichen Positionen.
Die Haupthindernisse auf dem Weg, eine Partei neuen Typus zu werden, waren nicht beseitigt. Trotz Beschlüssen wie auf der 1. Parteikonferenz wurde kein einheitliches Verständnis innerhalb der Partei, unter den
Parteimitgliedern, auch nicht innerhalb der Partei­führung darüber entwickelt, was eine Partei neuen Typus ist. Der Kampf gegen den Sozialdemokratismus wurde nicht wirklich inhaltlich-politisch sondern als ein Kampf gegen die rechten Sozialdemokraten, die Schumacher-Leute, Agenten der „SPD-Ost“ etc. ge­­führt. Letztendlich setzte sich eine Versöhnung der Ex-SozialdemokratInnen und Ex-KommunistInnen auf einer links-sozialdemokratischen Linie mit teilweise marxistisch-leninistischem Anstrich weiter durch.


Parteitag 1950

III. Parteitag der SED

Wir wollen uns noch genauer ansehen, wie sich der weitere Verlauf der Entwicklung der SED zu einer Partei neuen Typus gestaltete. Zwischen der 1. Parteikonferenz und dem III. Parteitag, Juli 1950, hat der Parteivorstand mehrere Beschlüsse gefasst, um diese Aufgabe voranzutreiben.
Hinsichtlich der ideologischen Ausrichtung beschließt der Parteivorstand Mai 1949 die Anleitung „Zur Verbesserung des Studiums des Kurzen Lehrgangs der Geschichte der KPdSU (B)“. Darin wird festgestellt, dass die Schulung nicht auf einem ausreichenden ideologischen Niveau erfolgt.
Die Aufgabe, Mängel und Schwächen in der Parteiarbeit zu überwinden, wird mit der Entschließung „Die nächsten Aufgaben der Partei“ an die Parteileitungen gegeben:
„Der Hauptmangel in der Arbeit der leitenden Parteiorgane ist die ungenügende Anleitung und Kontrolle der Arbeit der Grundorganisationen der Partei in den Betrieben und Dörfern, um sie zu befähigen, die Politik der Partei durchzuführen und die Massen von den demokratischen Aufgaben zu überzeugen und ihnen zu erklären, wie die Durchführung dieser Aufgaben erfolgen sollen.“
Hinsichtlich der Aneignung der marxistisch-leninistischen Theorie wird bemängelt:
„Manchmal gibt es die Ersetzung des ernsten Studiums, der ernsten Erweiterung des marxistisch-leninistischen Wissens und Fachwissens durch leeres Geschwätz. Es gibt Fälle der formalen, schematischen Vermittlung der Lehren des Marxismus-Leninismus, ohne zu erkennen, daß der Marxismus-Leninismus kein Dogma ist, sondern Anleitung zum Handeln.“
Also wird ein abgehobenes, formelhaftes Lernen und Lehren beklagt, das in keinster Weise in Bezug zur alltäglichen Praxis der ParteigenossInnen steht. Wie wird dem begegnet?
Der Parteivorstand der SED bestätigt März 1950 die Entschließung der Zentralen Konferenz der Parteipresse: „Die Entwicklung der Presse der SED zu einer Presse von neuen Typus“:
„Dieses Zurückbleiben ist vor allem darauf zurückzuführen, daß das theoretische Niveau unserer Presse noch nicht auf die Höhe der neuen, größeren politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Aufgaben unserer Partei gehoben wurde.“
Auch das sind formelhafte und inhaltsleere Aussagen, die nicht in praktisch politischer und theoretischer Beziehung zur politischen Arbeit stehen.
Auf dem III. Parteitag der SED, Sommer 1950, wird in den Berichten der verschiedenen Parteiorgane die allgemeine Entwicklung gelobt und die Lage der Partei beschönigt. Nebenbei werden auch Schwächen und Mängel angesprochen. Die Delegierten diskutieren nicht, wie auf der 1. Parteikonferenz, intensiv über die Partei neuen Typus.
Im Zentrum der Politik der SED steht nach wie vor die Einheit bzw. Wiedervereinigung Deutschlands. Den gleichen Stellenwert erhält der wirtschaftliche Fünfjahrplan. Das Niveau der Debatte schätzt Pieck so ein:
„Die Diskussion entsprach in ihrer Gesamtheit noch nicht den Anforderungen, die wir als marxistisch-leninistische Kampfpartei an Diskussionsreden auf unseren Partei­tagungen stellen müssen.
Es wurde noch zu sehr berichtet, zu wenig die Probleme unserer Arbeit behandelt, zu wenig neue Aufgaben gestellt, zu wenig Kritik geübt und überhaupt keine Kritik an der Arbeit des Parteivorstandes.“

Was er hier bemängelt, ist im Prinzip die ganz normale, alltägliche sozialdemokratische „Debatten“-Praxis!
Die Partei neuen Typus wird in den Entschließungen unter Punkt VII behandelt. Hervorzuheben ist folgende Feststellung:
„Die vom Vereinigungsparteitag beschlossenen ‚Grundsätze und Ziele‘ sind überholt, weil die Minimalforderungen im wesentlichen erfüllt sind und die Grundsätze sowie das Ziel der Partei jetzt präzis formuliert werden müssen. Trotz der erzielten Erfolge stellt der III. Parteitag fest, daß die Entwicklung der SED zur Partei neuen Typus nicht mit den Erfordernissen der Entwicklung Schritt hält.
Darum betrachtet es der Parteitag als die wichtigste innerparteiliche Aufgabe, die SED in kürzester Frist zu einer wirklich marxistisch-leninistischen Kampfpartei zu entwickeln.“

Um diese Aufgabe erfüllen zu können, werden die von Stalin im Jahre 1925 der KPD als unerlässliche Voraussetzung für ihre Entwicklung zur Partei neuen Typus aufgeführten zwölf Bedingungen ,,als wegweisend“ anerkannt.
Wie wendet die SED aber diese Kriterien in der politischen Theorie und Praxis an?
Die Partei macht keine tiefgehende Selbstkritik, verhüllt vielmals ihre Fehler, vertritt eine neue Politik ohne die vorhergehende Politik infrage zu stellen bzw. offen selbstkritisch zu revidieren. Die „Grundsätze und Ziele der SED“ werden als „überholt“ dargestellt, aber nicht als falsch… Und die Begründung ist noch schlimmer.
Warum sind sie „überholt“?
Weil, „die Minimalforderungen im wesentlichen erfüllt sind“! Tatsächlich war, wenn man diese Minimalforderungen ernst nimmt, die wichtigste Minimalforderung, die über allen anderen Forderungen stand, nämlich die Einheit Deutschlands nicht erfüllt.
Im Gegenteil: Es existierten zwei deutsche Staaten.
Die wichtigste Änderung im Statut der SED auf dem Parteitag war die erstmalige Aufnahme des demokratischen Zentralismus als Organisationsaufbauprinzip der Partei: „Der Organisationsaufbau der Partei beruht auf dem Prinzip des demokratischen Zentralismus.
Dieser Grundsatz besagt: a) daß alle Parteiorgane von unten bis oben demokratisch gewählt werden; b) daß die gewählten Parteiorgane zur regelmäßigen Berichterstattung über ihre Tätigkeit vor den Organisationen verpflichtet sind, durch die sie gewählt wurden; c) daß alle Beschlüsse der höheren Parteiorgane für jede untere Organisation verbindlich sind und straffe Parteidisziplin zu üben ist und sich die Minderheit der Mehrheit unterordnet.“

Der demokratische Zentralismus ist eines der wesentlichen Kriterien für die bolschewistische Partei (siehe Schlussfolgerungen der KPdSU). Aber wie wir oben gesehen haben, wurde bereits 1947 behauptet, die SED sei bereits eine Partei neuen Typus, obwohl sie dieses Organisationsmodell nicht angewandt hatte.
Die Beschlüsse der 1. Parteikonferenz über „Innerparteiliche Maßnahmen“ werden Teil des Statuts. Dabei wird der Parteivorstand durch ein Zentralkomitee ersetzt, bzw. der Name der Parteiführung umbenannt.
Nach dem III. Parteitag wird innerparteilich der Schwerpunkt auf das Studium in der Partei mit Hilfe des „Parteilehrjahrs“, die Verbesserung von Parteipropaganda und Agitation, die „Überprüfung der Parteimitglieder und Kandidaten sowie Umtausch der Parteimitgliedsbücher und Kandidatenkarten“ gelegt.

Parteischulungen und die Lage der SED

Das Politbüro der SED bewertet die Ergebnisse des ersten Parteilehrjahres, 1950/1951, und legt die Aufgaben für das zweite Parteilehrjahr, 1951/1952, fest. Die verstärkte Orientierung auf das Studium des Marxismus-Leninismus wird nicht in erster Linie mit dem Aufbau einer Klassenkampfpartei, der Entwicklung der Parteimitglieder begründet sondern:
„Für den Kampf um die Erhaltung des Friedens, um die Herstellung der nationalen Einheit Deutschlands und um eine glückliche Zukunft unseres Volkes ist das Studium des Marxismus-Leninismus unbedingt notwendig.“
Das ist eine opportunistische, falsche Ausrichtung.
Selbstkritisch wird eingeschätzt: „Die entscheidende Schwäche des ersten Lehrjahres bestand darin, daß die meisten Parteileitungen (…) das Parteilehrjahr vernachlässigten. Diese Parteileitungen haben nicht systematisch den Verlauf der Schulungsarbeit, das ideologisch-politische Niveau der Zirkelarbeit und den Besuch der Schulungsabende kontrolliert.
Manche Parteileitungen haben sich längere Zeit überhaupt nicht mit der Schulungsarbeit befaßt. (…) Ein großer Teil der Propagandisten war der verantwortlichen Aufgabe noch nicht gewachsen, das Studium des Marxismus-Leninismus anzuleiten. Ihr Selbststudium wurde nicht zur Hauptmethode der Zirkelleiter.“

Oktober 1951 legt das ZK der SED fest:
„Trotz dieser unbestreitbaren Erfolge muß das Zentralkomitee ein Zurückbleiben der Entwicklung des ideologischen Niveaus und der ideologischen Arbeit hinter der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung feststellen. In der Partei gibt es immer noch eine Unterschätzung der ideologischen Arbeit, insbesondere bei einem Teil der leitenden Kader der Partei.
Der Beschluß des III. Parteitages der SED über die grundlegende Verbesserung der ideologischen Arbeit der Partei wird ungenügend durchgeführt. Die Verbesserung der ideologischen Arbeit der Partei und die Hebung des ideologischen Niveaus aller Mitglieder und Kandidaten sind gegenwärtig unsere dringlichsten Aufgaben.“

Um diesen Zustand zu ändern, werden Aufgaben in verschiedenen Bereichen festgelegt: „7. Eine der wichtigsten Aufgaben ist gegenwärtig die Schulung der leitenden Kader in Partei, Staat, Wirtschaft und Massenorganisationen. Das Zentralkomitee verurteilt die Versuche mancher führender Genossen, das begonnene Fernstudium an der Parteihochschule ‚Karl Marx‘ aufzugeben, und betont, daß eine Einstellung dieses Studiums nur mit Zustimmung des Sekretariats des ZK gestattet ist. Der auf Beschluß des Politbüros des ZK gebildete Sektor für organisiertes Selbststudium bei der Propagandaabteilung des ZK muß dafür Sorge tragen, daß das organisierte Selbststudium gründlich durchgeführt wird.“
Aus den Ergebnissen der Überprüfung der Mitglieder und KandidatInnen wird die Aufgabe für die Partei hervorgehoben:
„Die Überprüfung hat gelehrt, daß die Partei ihre ideologische Arbeit, die Erziehung der Parteimitglieder und der werktätigen Massen verstärken und verbessern muß. Es wäre ein Irrtum, zu glauben, daß die feindlichen Einwirkungen auf die Parteimitglieder nicht mehr vorhanden sind. Die Wirkungen können nur ausgeschaltet werden durch die Festigung des ideologischen Zustandes, des Parteibewußtseins und der Parteidisziplin.“
Das ZK der SED stellt Februar 1952 in der „Direktive für die Wahlen der Delegierten zur II. Parteikonferenz und die Neuwahlen der leitenden Parteiorgane von den Grundorganisationen bis zu den Landesleitungen“ folgende undemokratische, bürokratische Fehlentwicklung fest:
„In vielen Leitungen und leitenden Parteiorganen ist zu verzeichnen, daß ein großer Teil der gewählten Leitungsmitglieder ausgeschieden ist und die Mehrheit der Leitung aus kooptierten Mitgliedern besteht, was unzulässig ist und eine Verletzung der innerparteilichen Demokratie darstellt.“ 
Diese Beschlüsse der SED zeigen deutlich, dass die Parteiführung sich zwar darum bemüht, aber völlig bürokratisch, die Lage der Partei, der Parteimitglieder in ideologischer, politischer Hinsicht und auch die Parteidisziplin zu verbessern. Die Beschlüsse sind notwendig, um die Linie der Partei klar zu stellen und die Parteimitglieder dafür zu rüsten, den Kampf erfolgreich führen zu können.
Wenn aber die Mehrheit der Parteimitglieder – zum Teil auch der Parteikader und führenden GenossInnen – nicht das notwendige Bewusstsein und ideologische Niveau haben, können die Beschlüsse, auch wenn sie richtig sind, nicht umgesetzt werden. Außerdem kann diese konkrete Lage der Partei nicht nur durch Beschlüsse verbessert werden. Hier ist eine langjährige ständige, systematische Überzeugungsarbeit notwendig.Die Entwicklung der SED zu einer Partei neuen Typus konnte nicht innerhalb einiger weniger Jahre verwirklicht werden. Aufgrund der sehr komplexen objektiven Bedingungen, wie auch vieler Schwächen, Fehler und Mängel des subjektiven Faktors, der Partei.
Die Alternative, dass KPD und SPD nach 1945 nebeneinander als eigenständige Parteien weiterexistieren, wäre von vorneherein besser und richtig gewesen. Die Einheit der antifaschistischen, demokratischen Aktion der Arbeiterklasse hätte auch ohne opportunistisch vereinheitlichte Mischmaschpartei erreicht werden können. Die KPD hätte dann ohne sozialdemokratischen Ballast viel größere Möglichkeiten gehabt, sich zu einer marxistisch-leninistischen Kampfpartei, zu einer Partei neuen Typus zu ent­wickeln.
Trotz all dieser Tatsachen wird auf der II. Parteikonferenz von Ulbricht in seinem Referat deklariert, dass die SED eine Partei neuen Typus geworden ist: „Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands hat sich zu einer marxistisch-leninistischen Partei ent­wickelt. Vor der Partei steht die geschichtliche Aufgabe, die Arbeiterklasse und die Werktätigen auf den Weg des Aufbaus des Sozialismus vorwärtszuführen, eine Aufgabe, in der sich die SED als marxistisch-leninistische Partei, als die Vorhut des deutschen Volkes bewähren muß. (Starker Beifall)“
Allein wenn der Beschluss der II. Parteikonferenz hinsichtlich der Aufgaben der Partei und Parteileitungen genauer eingeschätzt wird, sehen wir, dass die SED sich in diesem Zeitraum nicht zu einer Partei neuen Typus, nicht zu einer marxistisch-leninistischen Partei entwickelt hatte.


Von der II. Parteikonferenz
1952 bis Ende 1956

Auf der II. Parteikonferenz stellte die SED fest, dass sie sich bereits zu einer marxistisch-leninistischen Partei entwickelt hat.
Diese Einschätzung wurde von Walter Ulbricht mit folgenden Argumenten begründet:
„Der erfolgreiche Kampf um den vom III. Parteitag beschlossenen Fünfjahrplan, die Vertiefung des Studiums des Marxismus-Leninismus, das Ergebnis der Überprüfung der Parteimitglieder wie der Beschluß des Zentralkomitees über die Entfaltung der Kritik und Selbstkritik haben zur Erhöhung des Niveaus der Parteiarbeit beigetragen und zu bedeutenden Erfolgen in der Gewinnung der Massen für unsere Politik geführt.“
Dabei wird Gemüse und Obst vermischt! Der Beschluss über den wirtschaftlichen Fünfjahrplan kann kein Maßstab für den Charakter einer marxistisch-leninistischen Partei sein.
Kriterien hierfür sind, wie bereits oben genannt, ihre politische Linie, die Einheit der Theorie und Praxis, die innerparteiliche Demokratie und der Zentralismus, die Verbindung von Partei und Massen, die Qualität der Kader etc.
Auch die Überprüfung der Parteimitglieder ist kein Maßstab, ob die SED eine marxistisch-leninistische Partei ist oder nicht. Die programmatische Grundlage der SED war nach wie vor „Grundsätze und Ziele der SED“.
Auf dieser Grundlage wurden die Mitglieder eingeschätzt. Und noch wichtiger war, dass diese Überprüfung der Mitglieder in erster Linie als ein Kampf gegen „parteifremde und feindliche oder moralisch unsaubere Elemente und Karrieristen“, insbesondere gegen die Spione der „SPD-Ost“ geführt wurde.
Das Ergebnis der Überprüfung wurde vom ZK der SED hoch gelobt. Trotzdem wurde gleichzeitig als eine der nächsten Aufgaben festgelegt:
„Die Überprüfung hat gelehrt, daß die Partei ihre ideologische Arbeit, die Erziehung der Parteimitglieder und der werktätigen Massen verstärken und verbessern muß. Es wäre ein Irrtum zu glauben, daß die feindlichen Einwirkungen auf die Parteimitglieder nicht mehr vorhanden sind. Die Wirkungen können nur ausgeschaltet werden durch die Festigung des ideologischen Zustandes, des Parteibewußtseins und der Parteidisziplin.“
Das heißt im Klartext, nach wie vor waren ideologische Festigkeit und Parteibewusstsein noch nicht soweit entwickelt, wie das für eine marxistisch-leninistische Partei notwendig war.

Wie sah es mit der Vertiefung des Studiums des Marxismus-Leninismus aus?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir nicht nur von den Beschlüssen ausgehen und sie als Maßstab nehmen, sondern von der Realität und anschauen, wie das ideologische und politische Bewusstsein der Mitglieder wirklich war. Dafür ist es notwendig, die Lage nach dem Zweiten Weltkrieg konkret zu bewerten.
Pieck hat auf der 1. Parteikonferenz eine realistische Einschätzung des ideologischen Bewusstheit in der KPD vorgenommen: „Wir sollen uns der großen Aufgaben wohl bewußt sein, die sich daraus ergeben, daß in den zwölf Jahren Hitlerdiktatur der größte Teil unserer Funktionäre, von den Massen schon gar nicht zu reden, von unserer wissenschaftlichen Lehre völlig abgeschlossen war und daß die faschistische Ideologie bei alledem doch manchen Einbruch in das Denken unserer Genossen verursacht hat.“
Die KPD hat unter dem Nazifaschismus in der tiefen Illegalität weiter gekämpft. Tausende KommunistInnen wurden in Gefängnisse und KZs geworfen. Die politische und theoretische Diskussion und Bildung unter solchen Bedingungen war fast unmöglich.
Hinzu kommt, dass viele kommunistischen Kader im Kampf gegen den Faschismus ihr Leben verloren hatten. Der Kaderstamm der KPD hat sich in den Jahren des Kriegs qualitativ und quantitativ nicht verstärkt sondern wurde geschwächt.
Was die Kader der SPD, mit der sich die KPD zur SED vereinigt hatte, betrifft, waren sie natürlich keine KommunistInnen sondern SozialdemokratInnen.
Für die SPD und ihre Mitglieder war die marxistisch-leninistische Ideologie bis zur Vereinigung natürlich kein Thema gewesen. Pieck fordert aus der sich daraus ergebenden Situation:
„In diesem Zusammenhange kommt auch der Schulung der Parteimitglieder der SED eine große Bedeutung zu. Die SED wird hunderttausende Mitglieder haben, die unsere sozialistische Wissenschaft nicht einmal dem Namen nach kennen. Selbst bei den alten Mitgliedern der beiden Parteien sind in den 12 Jahren der Hitlerdiktatur große Bildungslücken entstanden, die wir auch ausfüllen müssen.“
Die SED hat sich darum bemüht, diese Probleme mit unterschiedlichen Methoden und Mitteln zu ändern und zu verbessern. „Politische Bildungsabende“ wurden organisiert und 14-tägig erscheinende „Sozialistische Bildungshefte“ herausgegeben.
Das Hauptproblem war, dass der Inhalt der Schulungen, wie zum Beispiel in den „Bildungsheften“, auf den „Grundsätzen und Zielen der SED“, auf einer links-sozialdemokratischen Politik basierte und bis Mitte 1948 nur vom „konsequenten Marxismus“, nicht vom Marxismus-Leninismus ausgegangen wurde. Dadurch konnten die Parteimitglieder sich nicht auf marxistisch-leninistischer Grundlage zu KommunistInnen entwickeln.
Herbst 1950 wurde das „Parteilehrjahr“ eingeführt. Über das zweite „Parteilehrjahr 1951/1952“ stellt das Politbüro der SED fest: „Jedoch zeigen sich bei der Durchführung des zweiten Parteilehrjahres eine Reihe ernster ideologischer Mängel.
Dies kam vor allem darin zum Ausdruck, daß solche Fragen wie: die nationale Frage in Deutschland in der gegenwärtigen Lage; das Bündnis zwischen der Arbeiterklasse und den werktätigen Bauern; die Liquidierung der Auffassung von Gleichmacherei; das Verhältnis zur Intelligenz, nicht genügend erklärt wurden. Es wurde ein ungenügender Kampf gegen die bürgerliche Ideologie und ihren Einfluß auf die Arbeiterklasse und die Werktätigen geführt und die Rolle des Sozialdemokratismus, der Ideologie und Politik der rechten sozialdemokratischen Führer im Dienste der amerikanischen und deutschen Imperialisten, ungenügend entlarvt.“

Was wir hier noch einmal bewusst machen wollen, ist folgendes: Auch wenn die angesprochenen Themen genügend erklärt und die Rolle der Sozialdemokratie, der rechten sozialdemokratischen Führer sowie amerikanischen und deutschen Imperialisten genügend entlarvt worden wären, würde der Inhalt der Politik der SED bestimmen, ob sie marxistisch-leninistisch ist. Bei allen Fragen, die hier aufgelistet sind, hatte die SED selbst keine marxistisch-leninistische politische Linie.
Die Mängel waren ja nicht nur die bereits beschriebenen. Denn weiter heißt es: „Jedoch muß kritisch festgestellt werden, daß viele Parteiorganisationen es nicht verstanden, das Interesse der Mitglieder und Kandidaten am Studium der marxistischen-leninistischen Theorie zu wecken und zu erhalten.
In einer Reihe von Parteiorganisationen, besonders in ländlichen Ortsgruppen, wurde das Lehrjahr nicht durchgeführt.
Auch die Anleitung und Ausbildung der Propagandisten wies ernste Mängel auf. An den Seminaren nahmen im Durchschnitt nur 60 Prozent der Propagandisten teil. Dies bedeutet, daß viele Propagandisten unvorbereitet ihren Zirkel durchführen.
In diesen Seminaren wurden vielfach die in den Zirkeln aufgetretenen ideologischen Unklarheiten nicht behandelt, der Erfahrungsaustausch der Propagandisten nicht entwickelt und das Selbststudium der Propagandisten nicht angeleitet und gefördert.“

Ausgehend von diesen Einschätzungen des Politbüros der SED müssen wir festhalten, dass die Bewertung Ulbrichts auf der II. Parteikonferenz, die SED habe sich zu einer marxistisch-leninistischen Partei entwickelt, nicht der tatsächlichen Lage der Partei entsprach. Auch die folgenden Jahre haben keine qualitativen Änderungen in dieser Richtung gebracht.

Etwa ein Jahr nach der II. Parteikonferenz hat das Zentralkomitee der SED im Bezug auf die Ereignisse vom 17. Juni 1953 die Bildung und Entwicklung der Parteimitglieder folgendermaßen eingeschätzt:
„c) Die bisherige Propagandaarbeit der Partei war unbefriedigend. Statt an Hand das Studiums der Klassiker des Marxismus-Leninismus dessen kämpferischen Geist zu vermitteln, die Parteimitglieder zu selbständigem Handeln zu erziehen und die Theorie als Anleitung zum Handeln darzustellen, verfiel die Propagandaarbeit oft in Dogmatismus, Buchstabengelehrtheit und Talmudismus.
Sie war häufig von den konkreten Aufgaben der Partei losgelöst, so daß sie nicht ihren Hauptzweck erfüllte, die Beschlüsse und die Aufgaben der Partei wissenschaftlich zu begründen. Besonders mangelhaft war die marxistisch-leninistische Schulung der führenden Kader der Partei. (…)
d) Die organisatorischen Grundprinzipien des Marxismus-Leninismus wurden vielfach verletzt, die innerparteiliche Demokratie schwach entwickelt und Kritik und Selbstkritik ungenügend entfaltet. Besonders wurde die Kritik von unten – häufig aus Angst vor Vergeltung – nur spärlich angewandt.
An die Stelle der Überzeugungsarbeit trat oft nacktes Kommandieren. Statt objektiver Berichte über die wirkliche Lage wurden schöngefärbte Berichte an die oberen Parteileitungen gegeben, um einen ‚guten Eindruck‘ zu machen.
Die Arbeitsmethode der Parteileitungen, angefangen beim Zentralkomitee, war nicht lebendig genug, sondern häufig papiermäßig-bürokratisch, ohne daß diese Methode genügend energisch bekämpft wurde.“

Also nicht nur die Schulung der Mitgliedermassen, sondern auch die marxistisch-leninistische Schulung der führenden Kader der Partei war „besonders mangelhaft“. Ein fundamentaler Umschwung und eine die ganze Partei umfassende Ausrichtungs- und Schulungsbewegung anhand der wesentlichen Fragen des Marxismus-Leninismus, sowie die Anwendung der Theorie in der gesellschaftlichen Praxis wurde nicht gemeistert.
So ist es kein Wunder, dass der IV. Parteitag lediglich festhält, dass die Teilnahme am „Parteilehrjahr“ sich sehr verschlechtert hat und aktuell etwa nur ein Viertel aller Parteimitglieder und KandidatInnen umfasst.
Für die Vorbereitung der III. Parteikonferenz der SED (März 1956) wird wiederum vom ZK als Fehler die ungenügende Herausbildung des sozialistischen Bewusstseins der Parteimitglieder thematisiert:
„Man kann nicht sagen, daß in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands der großen Aufgabe der Entwicklung des sozialistischen Bewußtseins der Parteimitglieder und der Erziehung der Massen genügende Aufmerksamkeit gewidmet wurde.
Es ist notwendig, in der Partei hartnäckiger gegen das Zurückweichen vor der bürgerlichen Ideologie in theoretischen und praktischen Fragen zu kämpfen. Aber auch gegen die spießbürgerlichen Gewohnheiten ist der Kampf aufzunehmen.“

Diese Feststellungen zeigen klar, dass die Behauptung, die SED hätte sich zu einer marxistisch-leninistischen Partei entwickelt, höchstens Wunschdenken war.
Statt mit der links-sozialdemokratischen Linie zu brechen und die wirklichen Hindernisse auf dem Weg zu einer Partei neuen Typus wegzuschaffen, landet die SED nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 auf einer komplett revisionistischen Plattform. Fast alle bisherigen und aktuellen Schwächen und Fehler der SED werden mit dem „Personenkult“ begründet, bzw. gerechtfertigt und der Kampf gegen den „Dogmatismus“ auf die Tagesordnung gestellt. Die Begründung des ZK der SED lautet:
„Der Kult mit der Person J. W. Stalins trug auch bei uns dazu bei, daß in der Propaganda nicht der ganze Reichtum der marxistisch-leninistischen Theorie und Praxis vermittelt wurde, daß einzelne Leitsätze dogmatisch, ohne gründliche Analyse der Praxis angewandt wurden. Das Zitatenunwesen erstickte die selbständige marxistisch-leninistische Erörterung vieler Fragen unseres politischen und wirtschaftlichen Kampfes, insbesondere solcher Probleme, die durch die Praxis des sozialistischen Aufbaus in der Deutschen Demokratischen Republik auf die Tagesordnung gesetzt wurden. (…)
In den Zirkeln gab es nur selten eine lebendige und kämpferische Auseinandersetzung mit solchen feindlichen oder falschen Argumenten, wie sie im jeweiligen Betrieb oder in der betreffenden Parteiorganisation aufgetreten sind. Der Kampf gegen die bürgerliche Ideologie und die Auseinandersetzung mit falschen Auffassungen wurden in den meisten Fällen nur allgemein geführt.
Das ist ein Ausdruck dafür, daß die Propaganda bisher nur ungenügend den parteilichen und kämpferischen Geist, der für den Marxismus-Leninismus charakteristisch ist, ausgestrahlt hat.“

Wenn wir diese Selbstbeschreibung des Sekretariats des ZK der SED als wahr annehmen würden, dann müssen wir feststellen – unabhängig vom Thema des Personenkults – dass die SED sich selbst im Rückblick auf ihre eigene Entwicklung nicht als marxistisch-leninistische Partei einschätzte.
Wenn sie, entsprechend ihrer Selbsteinschätzung, die marxistisch-leninistischen Leitsätze dogmatisch, ohne gründliche Analyse der Praxis angewandt hat, den Kampf gegen die bürgerliche Ideologie und die Auseinandersetzung mit falschen Auffassungen nur allgemein geführt hat, dann ist das Beweis genug: So eine Partei kann keine marxistisch-leninistische Partei sein. Nach der Übernahme der politischen Linie des XX. Parteitags der KPdSU wurde die SED ein weiterer Vertreter der revisionistischen Politik, und der moderne Revisionismus hat die Zukunft der SED bestimmt.



In der nächsten Ausgabe Nr. 86 der Trotz alledem! werden wir im sechsten Teil unserer Artikelserie „DDR Anspruch & Wirklichkeit“ folgende Themen behandeln: Politische Linie der II. Parteikonferenz der SED 1952 über den planmäßigen Aufbau der Grundlagen des Sozialismus; Bewertung des 17. Juni 1953 und des „Neuen Kurs“ der SED; IV. Parteitag der SED 1954; 20. Parteitag der KPdSU und 3. Parteikonferenz der SED 1956.




Zeittafel Juni 1945 – Juli 1956


1945
11 Juni: Aufruf des Zentralkomitees (ZK) der KPD an das deutsche Volk mit einem Aktionsprogramm zur Schaffung eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands
15. Juni: Im Aufruf des Zentralausschusses (ZA) der SPD zum demokratischen Neuaufbau Deutschlands wird das Aktionsprogramm der KPD begrüßt und zum Aufbau der Parteiorganisationen aufgefordert
19. Juni: Das ZK der KPD und der ZA der SPD vereinbaren in Berlin die Zusammenarbeit beider Parteien und bilden einen zentralen Arbeitsausschuss
13. Juli: Erste gemeinsame Versammlung von 400 FunktionärInnen der KPD und der SPD in Berlin-Prenzlauer Berg
9. September: Die Bezirkskonferenz der SPD in Chemnitz bekräftigt die volle Übereinstimmung mit der KPD in allen wirtschaftlichen und politischen Fragen und die enge Zusammenarbeit mit ihr
6. Oktober: Bildung des Arbeitsausschusses von SPD und KPD für Groß-Berlin
1.-9. November: Anlässlich des 28. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution finden zahlreiche gemeinsame Versammlungen von KPD und SPD statt
20.-21. Dezember: Die gemeinsame Konferenz des ZK der KPD und des ZA der SPD mit den Vertretern der Bezirke beschließt die Vorbereitung der Vereinigung von KPD und SPD

1946
23. Januar: Offener Brief des ZA der SPD und des ZK der KPD an alle Mitglieder zur Durchführung gemeinsamer Mitgliederversammlungen
9. Februar: Erste Nummer der „Einheit“, des theoretischen Organs von KPD und SPD
26. Februar: Die zweite Konferenz des ZA der SPD und des ZK der KPD mit den Vertretern der Bezirke nimmt die Entwürfe für die „Grundsätze und Ziele der SED“ und das Statut der Sozialistischen Einheitspartei an und stellt sie den Mitgliedern zur Diskussion
2.-3. März: Die Konferenz der KPD beschließt die Einberufung ihres 15. Parteitages zum 19./20. April 1946
9.-31. März: Kreisdelegiertenkonferenzen der KPD und der SPD in den Ländern und Provinzen der SBZ beschließen die Vereinigung der Kreisorganisationen
6. April: In allen Ländern und Provinzen der SBZ führen KPD und SPD Landes- bzw. Provinzparteitage durch, auf denen die Vereinigung der beiden Parteien beschlossen wird
7. April: Vereinigungsparteitage der SPD und der KPD in allen Ländern und Provinzen der SBZ
19.-20. April: Der 40. Parteitag der SPD und der 15. Parteitag der KPD beschließen die Vereinigung von KPD und SPD
21.-22. April: Vereinigungsparteitag der SPD und der KPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands – SED
7. Mai: Offener Brief der SED an alle Sozialdemokraten und Kommunisten für die Herstellung der Aktionseinheit der Arbeiterklasse in ganz Deutschland

1947
14. Februar: Bildung einer sozialistischen Arbeitsgemeinschaft, AG SED – KPD
20. bis 24. September: II. Parteitag der SED. Entschließung zur politischen Lage; Resolution zur Frauenfrage und Resolution zur Jugendfrage

1948
29.-30. Juni: 11. Tagung des Parteivorstandes der SED. „Der Wirtschaftsplan für 1948 und der Zweijahresplan 1949/50 zur Wiederherstellung der Friedenswirtschaft in der SBZ“ wird angenommen. Im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsplan wird auch über die Partei neuen Typus diskutiert.
Ab der 11. Tagung wird von Marxismus-Leninismus gesprochen. Es wird sich unter anderem die „Verstärkung und Verbesserung der Parteischulungsarbeit“ vorgenommen
28.-29. Juli: 12. (26.) Tagung des Parteivorstandes der SED. Diskussion über „Die Novemberrevolution und die Lehren aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“.
In diesem und im Zusammenhang mit dem wirtschaftlichen Zweijahrplan wird über die Partei neuen Typus, über „den besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“ etc. debattiert. Ein Beschluss „Für die organisatorische Festigung der Partei und für ihre Säuberung von feindlichen und entarteten Elementen“ und ein Beschluss über Parteimaßnahmen, die auch marxistisch-leninistische Schulung beinhalten, werden angenommen
15.-16. September: 13. Tagung des Parteivorstandes der SED. Die Diskussionen von der 11. und 12. Tagung werden weitergeführt. Der „besondere deutsche Weg zum Sozialismus“ wird als falsche, vom Marxismus-Leninismus abweichende Theorie verurteilt
Die Thesen über „Die Novemberrevolution und die Lehren für die deutschen Arbeiterbewegung“, „Die theoretische und praktische Bedeutung der Entschließung des Informationsbüros der Kommunistischen Parteien über die Lage in der KP Jugoslawiens und die Lehren für die SED“ und „Ausführungsbestimmungen zum Beschluß des Parteivorstandes über die Schaffung der Partei-Kontrollkommission“ werden beschlossen
20. September: Beschluss „Über die Verstärkung des Studiums der ‚Geschichte der KPdSU (B) – Kurzer Lehrgang‘“

1949
25. bis 28. Januar: 1. Parteikonferenz der SED: Entschließung „Die nächsten Aufgaben der SED“; „Manifest an das schaffende deutsche Volk, gegen die Spaltungspolitik der Westmächte nationalen Widerstand zu leisten“; Beschluss über „Innerparteiliche Maßnahmen“
22. Februar: Beschluss des Politbüros der SED: „Über die Einführung der Kandidaten für die Mitgliedschaft in der SED“
8. April: Beschluss des Politbüros der SED: „Richtlinien zum Beschluß über die Einführung einer Kandidatenzeit in der SED“
5. Mai: Beschluss des Parteivorstandes der SED: „Zur Verbesserung des Studiums des Kurzen Lehrgangs der Geschichte der KPdSU (B)“
21. Juli: Entschließung des Parteivorstandes der SED: „Über die Verbesserung der Organisationsarbeit der Partei“
24. August: Entschließung des Parteivorstandes der SED: „Die nächsten Aufgaben der Partei“

1950
31. Januar: Beschluss des Politbüros der SED: „Richtlinien für die Aufnahme von Kandidaten in die Mitgliedschaft der SED“
3. Juni: Beschluss des Parteivorstandes der SED: „Über die Verbesserung der Parteipropaganda“
20. bis 24. Juli: III. Parteitag der SED. „Die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der SED“, „Der Fünfjahrplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft der DDR (1951-1955)“ und „Statut der SED“ und weitere Beschlüsse werden angenommen
27. Oktober: Beschluss des ZK der SED: „Überprüfung der Parteimitglieder und Kandidaten sowie Umtausch der Parteimitgliedsbücher und Kandidatenkarten“

1951
13. Februar: Beschluss des Politbüros der SED: „Zur Verbesserung der Agitationsarbeit“
13. März: Entschließung des Politbüros: „Die nächsten Aufgaben der Presse der SED“
17. März: Entschließung des ZK der SED: „Zu den bisherigen Ergebnissen und Erfahrungen der Überprüfung der Parteimitglieder und Kandidaten“
20. April: Beschluss des Sekretariats des ZK der SED: „Zur Verbesserung der Arbeit der Kommissionen zur Überprüfung der Mitglieder und Kandidaten“
20. Oktober: Entschließung des Zentralkomitees der SED: „Die wichtigsten ideologischen Aufgaben der Partei“. „Die Ergebnisse und Lehren aus der Überprüfung der Parteimitglieder und Kandidaten und die sich daraus ergebenden Aufgaben“
17. November: Beschluss des ZK der SED: „Zur Neuaufnahme von Kandidaten in die SED nach Abschluß der Überprüfung der Parteimitglieder und Kandidaten“

1952
22. Februar: Entschließung des ZK der SED: „Zu den Fragen der Kritik und Selbstkritik und zur Verbesserung der Arbeit der leitenden Organe der Partei, der Massenorganisationen und der staatlichen Verwaltung“
9. bis 12. Juli: II. Parteikonferenz der SED. Beschluss: „Zur gegenwärtigen Lage und zu den Aufgaben im Kampf für Frieden, Einheit, Demokratie und Sozialismus“ wird angenommen. Darin wird der „Aufbau des Sozialismus zur grundlegende Aufgabe in der DDR“ deklariert
29. Juli: Beschlüsse des Politbüros über „Richtlinien zur Arbeit der Parteikontrollkommissionen und zur Verhängung von Parteistrafen“ und „Aufgaben der Parteileitungen und Parteiorganisationen bei der Vorbereitung und Durchführung des Parteilehrjahres 1952/53“
9. Oktober: Beschluss des Sekretariats des ZK: „Für die sorgfältige Organisierung des Parteilehrjahres 1952/53“
20. Dezember: Beschluss des ZK über „Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slansky“

1953
28. April: Beschluss des Politbüros über „Die Bedeutung der Organisationsfragen in der jetzigen Etappe der Schaffung der Grundlagen des Sozialismus“
14. Mai: Beschluss des ZK „Über die Auswertung des Beschlusses des ZK zu den ‚Lehren aus dem Prozeß gegen das Verschwörerzentrum Slansky‘“
18. August: Beschluss des Politbüros: „Über das Parteilehrjahr 1953/54“

1954
30. März bis 6. April: IV. Parteitag der SED. Außer Statut-Änderungen wird die Entschließung „Der Weg zur Lösung der Lebensfragen der deutschen Nation“ verabschiedet.
25. Mai: Beschluss des Politbüros: „Über das Parteilehrjahr 1954/55“
21. Dezember: Beschluss des Politbüros :„Richtlinien zur Durchführung von Parteiverfahren und zur Arbeit der Parteikontrollkommissionen“

1955
3. Mai: Beschluss des Politbüros: „Über die Vorbereitung und Durchführung des Parteilehrjahres 1955/56“.
4. Mai: Beschluss des Sekretariats des ZK: „Über die Auswahl und Ausbildung der Propagandisten für das Parteilehrjahr 1955/56“

1956
14. bis 25. Februar: XX. Parteitag der KPdSU
24. März bis 29. März: III. Parteikonferenz der SED
10. Mai: Beschluss des Sekretariats des ZK: „Über das Parteilehrjahr 1956/57“
29. Juli: Beschluss des ZK über „Die nächsten ideologischen Aufgaben der Partei“


SED Vereinigungsparteitag 1946
1 298 000 Mitglieder
II. Parteitag 1947
1 800 000 Mitglieder
III. Parteitag 1950
1 750 000 Mitglieder und KandidatInnen
IV. Parteitag 1954
1 200 000 Mitglieder und KandidatInnen



„Besonderer deutscher Weg zum Sozialismus“ und Partei neuen Typus

Aus den Erfahrungen mit der KP Jugoslawien und dem von Gomulka (Generalsekretär der Polnischen Arbeiterpartei) vertretenen „polnischen Weg zum Sozialismus“ wird auf der 12. und 13. Parteivorstandstagung und der 1. Parteikonferenz der SED die Konsequenz gezogen, den „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“ abzulehnen.
Während der Debatten auf diesen Tagungen des Parteivorstandes über den „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“ wurde allerdings keine einheitliche Position entwickelt.
Was wurde unter dem „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“ in der SED verstanden?
In dem Aufruf der KPD vom 11. Juni 1945 wurde das Sowjetsystem abgelehnt und eine parlamentarisch-demokratische Republik propagiert. Dieses antifaschistisch-demokratische Regime sollte die demokratische Revolution in Deutschland vollenden und ein „demokratischer Weg zum Sozialismus“ eröffnet werden. Das wurde in den „Grundsätzen und Zielen der SED“ festgeschrieben. Im Auftrag des „Sekretariats der KPD“ verfasste Anton Ackermann auf dieser Grundlage den Artikel „Gibt es einen besonderen deutschen Weg zum Sozialismus?“, und beantwortete diese Möglichkeit positiv. 
Pieck verteidigte auf der „Ersten Konferenz der KPD“ 1946 auch diese Theorie und empfahl allen GenossInnen dringend, den Artikel von Ackermann zu studieren: „In unserem Aufruf vom 11. Juni 1945 haben wir erklärt, daß wir der Auffassung sind, der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, wäre falsch: denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland. Wir sind vielmehr der Auffassung, daß die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes in der gegenwärtigen Lage für Deutschland einen anderen Weg vorschreiben, und zwar den Weg der Aufrichtung einer antifaschistisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk. Diese Formulierung in unserem Aufruf war nicht etwa taktischer Natur, um damit ängstliche Gemüter zu beruhigen, sondern entsprach und entspricht eben den Besonderheiten der Lage in Deutschland. (…) Das sind alles Voraussetzungen, die zu schaffen durchaus im Bereich der Möglichkeit liegt und durch die auch die Möglichkeit des friedlichen Weges zum Sozialismus erschlossen wird.“
Der „besondere deutsche Weg zum Sozialismus“ war also die Linie der SED, festgehalten in den „Grundsätzen und Zielen“. Trotzdem wird diese Linie nach der „Resolution des Informationsbüros“ der Kominform „Über die Lage der KPJ“ in den innerparteilichen Kämpfen letztendlich Ackermann alleine zugeschoben. Ackermann beharrt auf der 13. Tagung zu Recht darauf: „Die Sache ist deshalb viel ernster, weil meiner Überzeugung nach die Theorie von einem besonderen deutschen Wege zum Sozialismus nicht nur von einzelnen Genossen vertreten worden ist, sondern in die Ideologie der Partei eingegangen ist. (Zustimmung) Um so ernster müssen wir diese Frage prüfen und bis zu Ende klären.“
In der Diskussion stellt Paul Wandel klar: „Ich bin der Meinung, daß wir in dieser Frage klar sprechen müssen. Der besondere deutsche Weg und die Frage des demokratischen Weges müssen in Verbindung miteinander von uns abgelehnt werden, weil klar ist, daß sich dahinter andere Auffassungen verborgen haben.“
Der als „Linker“ eingeordnete Fred Oelßner bringt die Fakten auf den Punkt: „Es ist doch eine Tatsache, daß die meisten Genossen, vor allem die breiten Mitgliedermassen unserer Partei, aber nicht nur die breiten Mitgliedermassen, sondern auch führende Funktionäre unserer Partei unter dem besonderen deutschen Weg zum Sozialismus einen demokratischen, einen friedlichen Weg in des Wortes eigentlicher Bedeutung verstanden haben, einen nicht kämpferischen Weg, einen Weg der nicht zur Verschärfung des Klassenkampfes führt, und vor allen Dingen hat man unter diesem besonderen deutschen Weg zum Sozialismus einen Weg verstanden, auf dem es uns gelingt, uns um die Diktatur des Proletariats herumzudrücken.“
Der besondere deutsche Weg zum Sozialismus wird auf dieser Tagung des Parteivorstandes als nationalistische, sich vom Boden des Marxismus-Leninismus entfernende Abweichung abgelehnt, aber der „demokratische Weg zum Sozialismus“, wie er in den „Grundsätzen und Ziele“ verankert ist, wird nicht offen in Frage gestellt.
Im Gegenteil: Als Ackermann anführt, „der besondere deutsche Weg“ ist „in die Ideologie der Partei eingegangen“, wirft Pieck in die Diskussion ein, dass der „demokratische Weg zum Sozialismus“ „etwas ganz anderes als ein deutscher Weg zum Sozialismus“ sei.
Ackermann verfasst nach diesen Debatten einen Artikel, der am 24. September 1948 im „Neuen Deutschland“ veröffentlicht wird, wo er „Selbstkritik“ übt und den „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“ ablehnt.
Auf der 1. Parteikonferenz 1949 kritisiert auch Grotewohl die Theorie von einem „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“, die angeblich von Ackermann vertreten würde. Ackermann übt auch auf der 1. Parteikonferenz Selbstkritik und verteidigt nicht seine Meinung, die er auf der 13. Tagung des Parteivorstandes vertreten hatte, nämlich dass „der besondere deutsche Weg“ Linie der Partei war und ist.
Die Verantwortung wird auf Ackermann geschoben, dieser wäscht sich mit Selbstkritik rein und damit wird die SED reingewaschen. Opportunismus pur!
Damit wurde offiziell der „besondere deutsche Weg zum Sozialismus“ verdammt und abgelehnt. Aber inhaltlich hat die SED diese Politik weiter verfolgt. Ulbricht schätzt nach dem XX. Parteitag der KPdSU und der III. Parteikonferenz der SED, unter der Überschrift „Der friedliche, demokratische Weg zum Sozialismus“, rückblickend die Auseinandersetzung so ein:
„Wenn wir von den Ergebnissen des ersten Fünfjahrplans ausgehen, so können wir eine Bilanz der Politik ziehen, die unsere Partei seit 1945 durchgeführt hat. Es hat viele Diskussionen darüber gegeben, wie es mit dem friedlichen und demokratischen Weg zum Sozialismus bei uns steht. Dabei wurde offenkundig, daß manche gar nicht wußten, daß wir diesen Weg gegangen sind. Das haben sie erst gemerkt, als die Diskussionen darüber in bezug auf die kapitalistischen und antiimperialistischen Länder begann. In Wirklichkeit sind wir jedoch seit 1945 den friedlichen, demokratischen Weg gegangen. Manche sagen: Ihr habt kopiert, was in der Sowjetunion war. Aber das stimmt nicht. Wir haben 1945 erklärt, daß wir das sowjetische System nicht kopieren können, sondern den Weg gehen müssen, der den Entwicklungsbedingungen in Deutschland entspricht. Das haben wir getan. Es war der friedliche, demokratische Weg.“ 
Die Ablehnung des „besonderen deutschen Weg zum Sozialismus“ 1948/1949 war eine formelle, opportunistisch-revisionistische Politik der SED.