Deutsche Demokratische Republik –
Anspruch und Wirklichkeit
Antifaschistisch-demokratisch? Sozialistisch?
Vorbemerkung
In dieser Artikelserie stellen wir die Ergebnisse unserer intensiven Auseinandersetzung mit der Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ), der DDR und der SED zur Diskussion. Noch ist das keine abgeschlossene Analyse.
Aufgrund der Nachfragen von TA-LeserInnen wollen wir nochmals dazu ermuntern, uns Eure Kritiken, Anmerkungen und Ergänzungen, Gedanken mitzuteilen. Sie sind uns sehr willkommen. Unser Ziel ist, als Ergebnis der Artikelreihe Thesen und ein programmatisches Dokument zu verfassen.
Teil 6
II. Parteikonferenz 1952 bis
III. Parteikonferenz 1956
Für die SED steht auch Anfang 1952 die nationale Frage im Zentrum ihrer Politik! Das Motto ist nach wie vor „Deutsche an einen Tisch“! Entsprechend appelliert das ZK der SED in seinem „Neujahrsaufruf“: „Vorwärts im Kampf für ein einiges, friedliebendes, demokratisches und unabhängiges Deutschland und für einen Friedensvertrag!“ Darunter fällt auch die Forderung nach Abzug aller Besatzungstruppen. 1
So wie die antifaschistisch-demokratischen Errungenschaften wird auch der wirtschaftliche Aufbau lediglich im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands gesehen: „Die erfolgreiche Durchführung unseres großen Aufbauwerkes ist von entscheidender Bedeutung für die Erhaltung des Friedens und für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands, denn jeder wirtschaftliche Erfolg, jeder Schritt zur Verbesserung der Lebenshaltung der Bevölkerung dient der Festigung des demokratischen Staates.
Für den Kampf um die Einheit eines demokratischen Deutschlands ist die beispielhafte Gestaltung der demokratischen Ordnung in der Deutschen Demokratischen Republik von größter Bedeutung. Das erfordert die enge Verbundenheit der Mitarbeiter der demokratischen Staatsorgane mit der Bevölkerung für die Durchführung unseres großen Aufbauwerks.“ 2 (Hervorh. TA)
Aufgrund dieser strategischen Ausrichtung werden Fragen des Sozialismus nicht behandelt.
Am 13. Februar 1952 wandte sich der Ministerrat der DDR mit dem Ersuchen an die vier Besatzungsmächte, den Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland zu beschleunigen. Die Sowjetregierung antwortete eine Woche später, die Westmächte schwiegen. Daraufhin unterbreitete die Sowjetregierung „Vorschläge der UdSSR für einen Friedensvertrag mit Deutschland. Note der Regierung der UdSSR an die Westmächte 10. März 1952“.
Dieser Entwurf wird von den Westmächten abgelehnt mit der Begründung, eine Diskussion über den Friedensvertrag könne erst nach Durchführung freier Wahlen in ganz Deutschland erfolgen. Dafür aber seien die Bedingungen nicht gegeben. Einem unabhängigen Deutschland müsse gestattet werden, Militärbündnisse (mit den imperialistischen Mächten) einzugehen. Die Sowjetregierung hat zurecht erklärt, diese Forderung widerspreche dem Potsdamer Abkommen.
Die Kommunikation über den gegenseitigen Notenwechsel zwischen den vier Mächten wird Mitte September zunächst beendet. Somit scheiterte auch das letzte Bemühen der Sowjetregierung um den Abschluss eines Friedensvertrags für Deutschland.
Die Westmächte schufen in Westdeutschland bereits im Mai 1952 Fakten. Die Außenminister der drei Westmächte und Bundeskanzler Adenauer unterzeichneten in Bonn den sogenannten „Generalvertrag“ zwischen ihren Staaten und der BRD. Einen Tag später wird in Paris die Bildung der „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft“ (EVG) beschlossen.
Die Sowjetregierung beurteilt politisch beide Verträge: „Die Regierungen, die diese ‚Abkommen‘ unterzeichnet haben, haben nochmals bewiesen, daß sie sowohl an einer Vereinigung Deutschlands als auch am Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland nicht das geringste Interesse haben, sondern das Ziel verfolgen, die Spaltung Deutschlands zu verankern und vertiefen, Westdeutschland sowie die westdeutsche Armee, die von den Regierungen der drei Westmächte aufgestellt wird, an den Nordatlantikblock zu binden und Westdeutschland vollständiger den Aggressionszwecken dieses Blocks dienstbar zu machen.
Das separate Bonner ‚Abkommen‘ der USA, Großbritanniens und Frankreichs mit der Regierung Adenauer stellt ein offenes Militärbündnis dar, das unverkennbar aggressive Zwecke verfolgt. Dieses ‚Abkommen‘ legalisiert die Wiederbelebung des deutschen Militarismus und die Aufstellung einer Westdeutschen Söldnerarmee unter faschistischen Hitlergeneralen.
Wir setzen das Wort ‚Abkommen‘ in Anführungszeichen, da das separate Bonner ‚Abkommen‘ von den Deutschen in Westdeutschland nicht frei angenommen wurde, sondern Westdeutschland gegen den Willen des deutschen Volkes aufgezwungen worden ist.“ 3
Der x-te Beweis für die Strategie der imperialistischen Westmächte: Grundlegende Ablehnung einer Einheit Deutschlands auf dem Fundament einer antifaschistisch-demokratischen Gesellschaftsordnung, verwirklicht auf friedlichem und demokratischem Weg – entsprechend den im Potsdamer Abkommen vereinbarten Grundsätzen.
AUFGABEN & ZIELE II. Parteikonferenz der SED 1952
Kurz nach diesen einschneidenden Ereignissen fand die II. Parteikonferenz vom 9. bis 12. Juli 1952 statt. Walter Ulbricht stellt fest: „Die II. Parteikonferenz findet an einem Wendepunkt der Entwicklung in Deutschland statt, in einer Situation, in der das deutsche Volk mit der Arbeiterklasse an der Spitze die Sache der Erhaltung des Friedens und die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands auf demokratischer Grundlage in seine eigenen Hände nehmen muß.“ 4
Weiterhin bekräftigt die Konferenz die bisherige Linie der SED, „Die zentrale Frage ist und bleibt die nationale Frage“. 5 In seinem Bericht behandelt Ulbricht vier Hauptthemen: 1. Die internationale Lage. 2. Gesamtdeutsche Fragen. 3. Aufbau der Deutschen Demokratischen Republik. 4. Die Fragen der Partei.“
Zur Weltlage führt er aus: „Die Welt ist in zwei Lager gespalten, in das Lager des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus und in das Lager des Imperialismus.“ 6 Der Schwerpunkt liegt auf der Frage von Krieg und Frieden. Der Kampf für die Erhaltung des Friedens wird zur Grundlage der Außenpolitik der DDR erklärt.
Zur „Gesamtdeutschen Frage“ wird die alte Politik weiterverfolgt: „Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik hat sich an die Bonner Regierung mit dem Ersuchen gewandt, gemeinsame Beratungen zur Vorbereitung freier, gleicher und geheimer, demokratischer gesamtdeutscher Wahlen für eine Nationalversammlung durchzuführen zur Schaffung eines einheitlichen, demokratischen, friedliebenden Deutschlands sowie Beratungen über den beschleunigten Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland und den darauf folgenden Abzug aller Besatzungstruppen.
Die Bonner Regierung und der Bonner Bundestag haben diese Vorschläge abgelehnt.“ 7
Im vierten Tagesordnungspunkt „Die Fragen der Partei“ erklärt Ulbricht die SED hätte sich zu einer ITALIC „Partei neuen Typus, die sich zu einer marxistisch-leninistischen Partei“ entwickelt. 8 Das war eine Neueinschätzung der SED, die allerdings ohne eine Parteidebatte verkündet und von der II. Parteikonferenz ohne jegliche konkrete Diskussion abgesegnet wurde. 9
Zum „Aufbau der DDR“ fasst Ulbricht die antifaschistisch-demokratischen Errungenschaften in vier Thesen zusammen: „Die Arbeiterklasse hat im Staat die führende Rolle, sie hat das Bündnis mit der werktätigen Bauernschaft geschaffen.“ „Die demokratische Staatsmacht wurde weiter gestärkt.“ „Der volkseigene und genossenschaftliche Sektor der Wirtschaft ist zur festen ökonomischen Grundlage der neuen Ordnung geworden.“ „In der Landwirtschaft wurden durch die Initiative der werktätigen Bauern, durch die Entwicklung der Maschinenausleihstationen und die Anwendung fortgeschrittener Erfahrungen der Agrarwissenschaft die Erträge über die Planzahlen hinaus erhöht.“ 10
Unerwarteter
Strategiewechsel:
Aufbau des Sozialismus
Und dann wird plötzlich auf dieser Parteikonferenz von Ulbricht der Sozialismus aus dem Hut gezaubert: „In Übereinstimmung mit den Vorschlägen aus der Arbeiterklasse, aus der werktätigen Bauernschaft und aus anderen Kreisen der Werktätigen hat das Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands beschlossen, der II. Parteikonferenz vorzuschlagen, daß in der Deutschen Demokratischen Republik der Sozialismus planmäßig aufgebaut wird. (Die Delegierten und Gäste erheben sich von den Plätzen, spenden langanhaltenden Beifall und bringen Hochrufe auf das ZK der SED aus.)“ 11
Dieser abrupte Kurswechsel, hin zum Aufbau des Sozialismus in der DDR, ist die entscheidende Wende. Auf diese Frage wollen wir uns konzentrieren.
Ulbricht betreibt hier gelinde gesagt eine üble Legendenbildung. Der auf der Konferenz vorgetragene Bericht lag der Partei nicht vor! In den Vorbereitungsdokumenten sind keinerlei Vorschläge zum planmäßigen Aufbau des Sozialismus in der DDR zu finden! Wie denn auch?
Alle Parteidokumente orientieren sich bis dahin auf den antifaschistisch-demokratischen Aufbau und die Einheit Deutschlands. Über den planmäßigen Aufbau des Sozialismus wurde weder diskutiert noch wurden in den Vorbereitungsdokumenten irgendwelche Vorschläge dafür gemacht. Weder innerhalb der Partei noch offen und öffentlich unter den werktätigen Massen.
Vom Kriegsende im Mai 1945 bis Juni 1952 wurde von KPD und SPD, später SED, keine Agitation und Propaganda bzw. Aufklärung für den Aufbau des Sozialismus in der SBZ/DDR betrieben. Der Sozialismus war für die SED ein fernes Ziel.
Der Klassenkampf wurde der nationalen Frage, der Einheit Deutschlands untergeordnet und diese in den Mittelpunkt gestellt. Die ArbeiterInnenklasse und die Werktätigen wurden für die nationale Einheit mobilisiert nicht für den Kampf um den Sozialismus.
Natürlich stellte sich folgende Frage: Wie sollte bzw. konnte in einem Land mit dem Aufbau des Sozialismus begonnen werden, in dem die übergroße Mehrheit des Volkes während der Herrschaft des Faschismus seinem Führer huldigte? Im besten Fall war die Mehrheit der Bevölkerung 1952 zur Zeit der II. Parteikonferenz antifaschistisch-demokratisch aber eben auf nationalistischer Grundlage. Die große Mehrheit der ArbeiterInnenklasse und Werktätigen waren auch im Jahr 1952 keine klassenbewussten, für den Sozialismus kämpfenden Menschen. Dieses Dilemma richtig zu lösen war die Aufgabe der SED.
Sie trägt die Verantwortung dafür, dass ihr das nicht gelungen ist. Im Gegenteil: sie trat dem deutschen Nationalismus nicht ausreichend entgegen, sondern befeuerte diesen teilweise. Vor allem aber packte sie die Aufgabe der Entwicklung des sozialistischen Bewusstseins des Proletariats nicht an. Sie hat nicht offensiv die Propaganda für den Übergang von einer antifaschistisch-demokratischen Gesellschaftsordnung zum Sozialismus entfaltet.
Angesichts der objektiven Bedingungen war der Aufbau des Sozialismus sofort nach 1945, vor allem bedingt durch den schwachen subjektiven Faktor, nicht möglich. Die mangelnde Kraft der KommunistInnen, der KPD, die durch den faschistischen Terror stark geschwächt war, die ideologisch-politische Verhetzung breiter Schichten der Bevölkerung durch den Nazifaschismus machte es unmöglich, sofort mit dem Aufbau des Sozialismus anzufangen. Diese Situation hätte offen problematisiert und angegangen werden müssen.
In der DDR hätte die SED spätestens Anfang der 1950er Jahre, gegen die an der politischen Macht mitbeteiligten Teile der Bourgeoisie, einen offensiven ideologisch-politischen Kampf führen müssen, mit dem Ziel ihrer Entmachtung. Damit die Übernahme der Macht im Staat durch die ArbeiterInnenklasse und Werktätigen verwirklicht werden kann. Innerhalb der ArbeiterInnenklasse und werktätigen Massen hätte das Bewusstsein entwickelt werden müssen, wir brauchen die Diktatur des Proletariats, um zum Sozialismus voran zu schreiten!
Dieser ideologische Kampf wurde nicht geführt! Ökonomisch wurde der Kampf für den Sozialismus nicht gegen die Bourgeoisie insgesamt, sondern de facto als Kampf gegen die Großbourgeoisie propagiert und ausgeführt.
Der erste wirtschaftliche Fünf-Jahresplan 1951-1955 12 enthielt keinerlei Maßnahmen, um die wirtschaftliche Macht der mittleren und Kleinbourgeoisie in der Stadt oder auf dem Land zu schwächen. Im Gegenteil, vorgesehen war, dass sich die Wirtschaft in diesem privaten Sektor um 60 Prozent entwickeln sollte.
Das heißt nichts anderes, dass diese Teile der Bourgeoisie weiter Profit erwirtschaften und sich bereichern konnten. Unter den gegebenen Verhältnissen war es auch nicht möglich, die Bourgeoisie als Klasse insgesamt anzugreifen, weil das Bewusstsein und der Organisationsgrad des Proletariats das nicht zuließ.
Anstatt aber diesen Fakt festzustellen, die sich daraus ergebenden Aufgaben festzulegen und diese anzupacken, wurde einfach verkündet, wir bauen nun den Sozialismus auf!
Ohne Entmachtung der Teile der Bourgeoisie – die mit an der Macht waren – konnte keine Diktatur des Proletariats errichtet werden. Und ohne Diktatur des Proletariats kann kein Aufbau des Sozialismus angepackt und können keine sozialistischen Maßnahmen umgesetzt werden.
Aber genau diese Frage hat ja die SED gar nicht gestellt! Sie hat den „demokratischen Weg zum Sozialismus“ „auf dem Boden der demokratischen Republik“ in ihr „Programm“ geschrieben. Ganz „demokratisch“ löst die SED die Machtfrage damit, dass sie die Volksdemokratie ins Spiel bringt und die Ordnung in der DDR als volksdemokratisch deklariert.
Da die Volksdemokratie zu einer „Form der Diktatur des Proletariats“ erklärt wird, braucht man ja keinen Klassenkampf, um die VertreterInnen der Bourgeoisie von der Macht zu entfernen!
Also beschließt im Juli 1952 das ZK der SED ohne eine Diskussion in der Partei und in der Öffentlichkeit, „planmäßig die Grundlagen des Sozialismus aufzubauen“:
„Die II. Parteikonferenz stellt fest:
Sechstens: Die politischen und die ökonomischen Bedingungen sowie das Bewußtsein der Arbeiterklasse und der Mehrheit der Werktätigen sind so weit entwickelt, daß der Aufbau des Sozialismus zur grundlegenden Aufgabe in der Deutschen Demokratischen Republik geworden ist.
Das deutsche Volk, aus dem die bedeutendsten deutschen Wissenschaftler Karl Marx und Friedrich Engels, die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus, hervorgegangen sind, wird unter der Führung der Arbeiterklasse die großen Ideen des Sozialismus verwirklichen.“ 13
Der Kurs wird unmissverständlich mit den politischen und ökonomischen Bedingungen und dem Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse und der Mehrheit der Werktätigen begründet. Die gesellschaftliche Realität hingegen spricht eine ganz andere Sprache.
Die politischen Bedingungen für den Aufbau des Sozialismus waren nicht gegeben. Es wurde keine Diktatur des Proletariats errichtet. Teile der Bourgeoisie waren immer noch an der Macht beteiligt. Das wollte die SED auch nicht ändern.
Eine Zusammenarbeit mit den Parteien, die als politische VertreterInnen der Bourgeoisie agierten Christlich-Demokratische Union (CDU), Liberal-Demokratische Partei Deutschland (LDPD) u.a.) wurde als nötig erachtet.
Ulbricht stellt richtig fest: „Das Hauptinstrument bei der Schaffung der Grundlagen des Sozialismus ist die Staatsmacht“. Was wird daraus gemacht? Statt den Kampf für die Errichtung der Diktatur des Proletariats, die Entmachtung der Bourgeoisie an der Macht aufzunehmen, wird lapidar festgestellt:
„Die volksdemokratische Grundlagen der Staatsmacht werden ständig gefestigt.“
In diesem Zusammenhang wird sogar die Festigung des antifaschistisch-demokratischen Blocks verteidigt. „Dazu trägt die weitere Festigung des Blockes der antifaschistisch-demokratischen Parteien bei. Dieser Staat der Werktätigen hat zwei Klassen zur Grundlage: die Arbeiterklasse und die Klasse der werktätigen Bauernschaft. Die beiden Klassen sind durch das Bündnis der Arbeiterklasse mit den Werktätigen Bauern verbunden. Außerdem gibt es bei uns die der Arbeiterklasse nahestehende Schicht der Intelligenz, der eine sehr wichtige gesellschaftliche Bedeutung zukommt (…)“ 14
Hier wird ganz offensichtlich die Bourgeoisie als Klasse ignoriert und unterschlagen. Die Staatsmacht wird zum „Staat der Werktätigen“ umgedichtet. Hier mischt sich der Revisionismus mit der Verleugnung der Realität. Damit wird das Märchen erzählt, die politischen Bedingungen für den Aufbau des Sozialismus seien vorhanden.
Die SED schätzt vor allem den subjektiven Faktor, das Bewusstsein der ArbeiterInnen und Werktätigen eindeutig falsch ein.
Grotewohl führt später auf dem IV. Parteitag 1954 aus: „Es besteht natürlich kein Zweifel daran, daß die Arbeiterklasse der Deutschen Demokratischen Republik sich in ihrer Gesamtheit noch nicht bewußt geworden ist, daß sie die herrschende Klasse im Staate ist. Aber ‚im gesellschaftlichen Leben ändern sich zuerst die materiellen Bedingungen und dann dementsprechend auch das Denken der Menschen, ihre Sitten, Gewohnheiten, ihre Weltanschauung‘.
Dieser Prozeß ist in der Deutschen Demokratischen Republik sichtbar. Die Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik leben unter Bedingungen der Übergangsperiode, in einer Klassengesellschaft, in der fortwährend fremde, bürgerliche ideologische Einflüsse auf sie einströmen.
Viele ehemalige Nazis, Staatsbeamte, Offiziere, bürgerliche und kleinbürgerliche Elemente, die nach der Zerschlagung des Hitlerfaschismus in unsere Betriebe als ‚Arbeiter‘ kamen, erliegen oft noch der verwirrenden Hetze der Feinde des deutschen Volkes und tragen täglich die bürgerliche Ideologie in die Arbeiterklasse. Darum verhalten sich noch viele Arbeiter passiv, sind gegenüber Schwätzern, Bürokraten und Feinden unkritisch. Die Macht der alten Gewohnheit, der Tradition, ist in den Köpfen vieler Menschen noch verwurzelt. Das Bewußtsein der Massen als Widerspiegelung der objektiven Realität formt und bildet sich hier langsamer und dort rascher, immer aber erst auf Grund der neuen Umweltbedingungen. Herzen und Hirne der Mehrheit der Arbeiterklasse für die sozialistische Ideologie zu gewinnen, einen entschiedenen Kampf gegen die bürgerliche Ideologie in allen ihren Erscheinungsformen zu führen, das ist die Aufgabe der Partei und des Staates.“ 15
Damit stellt Grotewohl fest, dass ihre Einschätzung 1952 das „Bewußtsein der ArbeiterInnenklasse und der Mehrheit der Werktätigen sind so weit entwickelt, daß der Aufbau des Sozialismus zur grundlegenden Aufgabe in der DDR geworden ist“ nicht zutreffend war.
Auch ein Jahr nach der Verkündung des Kurses „Aufbau des Sozialismus in der DDR“ wird in der Einschätzung der Ereignisse vom 17. Juni 1953 faktisch von der SED selbst die subjektivistische falsche Haltung der II. Parteikonferenz widerlegt. Als Fehler und Mängel werden benannt: „Besonders mangelhaft war die marxistisch-leninistische Schulung der führenden Kader der Partei. (…) Die organisatorischen Grundprinzipien des Marxismus-Leninismus wurden vielfach verletzt, die innerparteiliche Demokratie schwach entwickelt und Kritik und Selbstkritik ungenügend entfaltet.“ 16
Das Politbüro kritisiert im September 1953 einen Artikel des Neuen Deutschlands und verpflichtet die Redaktion einen neuen zu verfassen mit folgendem Inhalt: „In diesem Artikel ist zu erklären, daß die besondere Wichtigkeit der Arbeit mit dem Parteiaktiv der SED in der nächsten Zeit sich daraus ergibt, daß die SED mehr als 1 200 000 Mitglieder zählt, von denen ein großer Teil keine politische Ausbildung und Parteistählung hat.
In der Partei gibt es nicht wenige passive Mitglieder. Ein Teil der aus der SPD in die SED gekommenen Mitglieder hat, wie Tatsachen zeigten, noch nicht die sozialdemokratischen Ansichten in einer Reihe wichtiger politischer und organisatorischer Fragen überwunden.“ 17
Während vom ZK der SED der II. Parteikonferenz Juli 1952 vorgeschlagen wurde, die Einschätzung zu treffen, dass „in der DDR der Sozialismus planmäßig aufgebaut wird“ und bevor überhaupt die II. Parteikonferenz dazu einen Beschluss gefasst hat, spricht Ulbricht schon in seinem Referat vom „sozialistischen Eigentum“: „Die Schaffung der ökonomischen Grundlagen des Sozialismus erfordert bei uns zunächst die Mehrung des sozialistischen Eigentums, das dem Volke gehört, indem der volkseigene Sektor der Wirtschaft, der sozialistischen Charakter angenommen hat, weiterentwickelt wird. Was die Mittelschicht betrifft, so haben wir entgegen den Behauptungen des Gegners nicht die Absicht, den Weg der Enteignung der kleinen Privatunternehmer zu beschreiten, da wir nicht gewillt sind, dem Staate unnötig die Last des Unterhalts dieser Schichten und die Funktionen, die sie gegenwärtig in der gesellschaftlichen Produktion ausüben, aufzubürden.“ (Hervorh. TA) 18
Damit wird dem volkseigenen Sektor der Wirtschaft bereits ein sozialistischer Charakter „bescheinigt“! Das heißt nichts anderes, als das staatliche Eigentum an sich – ohne Diktatur des Proletariats – als sozialistisch auszugeben.
Der Trick mit dem die Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats als Voraussetzung für den Sozialismus umgangen wird, besteht darin, die Volksdemokratie zu einer Form der Diktatur des Proletariats zu erklären. Das ist kein Marxismus-Leninismus, sondern eine pure revisionistische Theorie, die nach dem Zweiten Weltkrieg innerhalb der Kommunistischen Weltbewegung verbreitet und heute noch von vielen reformistischen Strömungen, die sich kommunistisch nennen, verteidigt wird.
Der planmäßige Aufbau des Sozialismus wird völlig falsch in Zusammenhang mit der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands begründet. „Unsere Politik der Entwicklung der Demokratie und des Aufbaus des Sozialismus wird die Pläne der Adenauer-Clique und ihrer großkapitalistischen Hintermänner zunichte machen. Die Schaffung der Grundlagen des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik wird helfen, den Bonner Blutsbrüdern des amerikanischen Monopolkapitals, den westdeutschen Konzern- und Bankherren, eine entscheidende Niederlage beizubringen.
Mögen sich die werktätige Bevölkerung Westdeutschlands und alle friedliebenden Menschen von der Wirklichkeit des sozialistischen Aufbaus bei uns überzeugen. (Beifall.) 19
Und weiter: „An dem Tage, an dem Adenauer das Ja zum Generalvertrag, das heißt zur Spaltung Deutschlands, zur Rechtlosigkeit Deutschlands, zur Versklavung Deutschlands, zum Bruderkrieg und zur Vernichtung Deutschlands vom Parlament forderte, forderte das Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands vom Parlament der deutschen Arbeiterklasse das Ja zum Sozialismus. (Die Delegierten und Gäste erheben sich von den Plätzen und spenden lang anhaltenden, stürmischen Beifall.)“ 20
Die Umorientierung auf den Aufbau des Sozialismus in der DDR war also nichts anderes als eine Reaktion gegen die „Bonner Regierung“, gegen den „Generalvertrag“ und gegen die Vertiefung der Spaltung Deutschlands. Also war der Versuch, Kurs auf den Aufbau des Sozialismus in der DDR zu nehmen, eine Reaktion auf die Haltung der Westmächte und westdeutschen Bourgeoisie, die eine Einheit der beiden deutschen Staaten torpediert haben. Dieser Versuch scheiterte aber an der Realität. Die SED entwickelte sich nicht zu einer Partei neuen Typus.
Die Mehrheit der ArbeiterInnen und Werktätigen waren nicht bereit, für den Sozialismus zu kämpfen. Viele KleinbürgerInnen, auch Werktätige setzten sich aus diesen Gründen aus der DDR in den Westen ab. Versorgungsschwierigkeiten und wachsende Unzufriedenheit unter den ArbeiterInnen und anderen Bevölkerungsschichten wurden immer sichtbarer.
Weg
vom Kurs „Beschleunigter Aufbau des Sozialismus“
Auf zu
neuen Ufern! Neuer Kurs!
Die zentralen Herausforderungen für die SED und DDR waren im Jahr 1953 die Arbeitsnormen-Frage, die Unzufriedenheit der ArbeiterInnen und der Aufruhr am 17. Juni und ihre politischen Antworten darauf.
Erhöhung der Arbeitsnormen ...
Nach den von der SED bereits im November 1952 im Zuge des Kurses „Aufbau des Sozialismus“ verhängten Sparmaßnahmen, startet Anfang Februar 1953 das ZK der SED den „Feldzug für strenge Sparsamkeit“ 21, um die „sozialistische Wirtschaftsführung“ durchzusetzen. In diesem Beschluss wird das Bild einer desolaten Lage in Wirtschaft, Verwaltung und Versorgung der Bevölkerung gezeichnet.
Es werden angeprangert: Das Verschleudern von Ressourcen, fehlende Leitung sowie Kontrolle der Betriebsabläufe, Bereicherung, das Versagen von Parteikadern und -organisationen.
Die „ständige Erhöhung der Produktivität der Arbeit“ und die Abschaffung „mangelhafter Arbeitsnormen“ werden als entscheidende Hebel für eine ökonomische Verbesserung angemahnt.
Mit der selben Zielsetzung fasst das ZK am 14. Mai einen weiteren Beschluss „Über die Erhöhung der Arbeitsproduktivität und die Durchführung strengster Sparsamkeit“: „Der von der II. Parteikonferenz gefaßte Beschluß zur Schaffung der Grundlagen für den Aufbau des Sozialismus (…) erfordert, (…) die Stärkung der sozialistischen Industrie, das heißt Rekonstruktion der bestehenden und Errichtung neuer sozialistischer Betriebe, Entwicklung der Schwerindustrie und des Maschinenbaus entsprechend den Gesetzen über die erweiterte Reproduktion der sozialistischen Wirtschaft.
Die Lösung dieser Aufgaben erfordert vor allem ununterbrochene Steigerung der Arbeitsproduktivität und die ständige Senkung der Selbstkosten.“ 22
Auch in diesem Dokument wird die Ausarbeitung und Einführung technisch begründeter Arbeitsnormen als ein zentrales Kettenglied für den erfolgreichen Aufbau des Sozialismus angesehen. Es wird ausgeführt, ohne diese Maßnahmen wäre es nicht möglich, die ökonomischen Grundgesetze des Sozialismus, die von Stalin formuliert wurden, umzusetzen. Diese Arbeitsnormen sollen um durchschnittlich mindestens 10 Prozent erhöht und bis 1. Juni 1953 in den Betrieben durchgesetzt werden. Die DDR-Regierung erlässt Ende Mai gesetzliche Regelungen hierzu.
Die Erhöhung der Arbeitsnormen verschlechterte die Lage der ArbeiterInnen extrem, da sie jetzt für gleichen Lohn mehr Arbeit leisten sollten. Wut und Ärger, ja Aufbegehren in der ArbeiterInnenschaft stauten sich immer mehr auf. Sie wurden faktisch für das weitgehende Versagen der Parteiführung, der Kader, der staatlichen Wirtschaftsorgane und Regierung in der Organisierung des Wirtschaftslebens verantwortlich gemacht. Sie sollten dafür mehr schuften bei gleichbleibend schlechten ökonomischen Bedingungen und massiv verstärktem Arbeitsdruck.
ArbeiterInnen, Betriebskollektive von Baustellen und aus Fabriken stellten ungeduldig zahlreiche Anfragen zur Erhöhung der Arbeitsnormen und trugen Kritiken vor. Am 16. Juni 1953 erscheint ein Artikel des FDGB-Vorsitzenden Otto Lehmann 23 in der Gewerkschaftszeitung „Tribüne“. Ohne auf die Kritiken bzw. Bedenken der Werktätigen gegen die Erhöhung der Arbeitsnormen einzugehen, werden alle Beschlüsse von Regierung und Partei in vollem Umfang stereotyp und geradezu unterwürfig verteidigt.
Am gleichen Tag wurde eine „Erklärung des Politbüros zur Normenfrage“ veröffentlicht.
In drei Punkten wird knapp, bürokratisch und in keiner Weise überzeugend, die Haltung der SED verteidigt. Im ersten Punkt heißt es, für die Verbesserung der Lebensbedingungen sei die Erhöhung der Arbeitsproduktivität und die Steigerung der Produktion absolut notwendig. Die Losung der SED „Mehr produzieren – besser leben“ habe sich bewährt. Dieser Weg war und bleibe der einzig richtige Weg.
Wichtigste Aufgaben der Betriebsleiter, der Partei- und Gewerkschaftsorganisationen seien, Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Produktion zu ergreifen, damit in der nächsten Zeit der Lohn der ArbeiterInnen, die ihre Normen erhöht haben, gesteigert werden kann.
Unter Punkt zwei wird eine nebulöse Kritik an einer Durchsetzung der Normenerhöhung auf administrativem Wege vorgebracht, wobei völlig unklar ist, gegen wen sich diese konkret richtet. Betont wird, die Durchsetzung könne nur auf der Grundlage der Überzeugung und der Freiwilligkeit erfolgen.
Im dritten Punkt wird eine 180-Grad-Wende vorgenommen. Vorgeschlagen wird, „die obligatorische Erhöhung der Arbeitsnormen sei als unrichtig aufzuheben. Der Beschluß der Regierung vom 28. Mai 1953 ist gemeinsam mit den Gewerkschaften zu überprüfen.“
Abschließend fordert das Politbüro „die Arbeiter auf, sich um die Partei und um die Regierung zusammenzuschließen und die feindlichen Provokateure zu entlarven, welche versuchen, Unstimmigkeiten und Verwirrungen in die Reihen der Arbeiterklasse hineinzutragen.“ 24
Diese halbherzige, engstirnige Erklärung nimmt die Erhöhung der Arbeitsnormen nicht generell zurück und kommt viel zu spät. Diese Reaktion stachelte die aufgewühlten Arbeiterinnen zu Recht in ihrer Wut an.
... und der 17. Juni
Der 17. Juni beginnt mit Massendemonstrationen, Protesten und Streiks vor allem von ArbeiterInnen in Ost-Berlin. Aber auch in der ganzen DDR streiken und protestieren ArbeiterInnen der großen Kombinate und VEB (Volkseigene Betriebe), des Bauwesens, des Bergbaus, der chemischen und Eisen produzierenden Grundstoffindustrien und des Maschinenbaus. Viele ihrer berechtigten Forderungen, vor allem gegen die Arbeitsnormerhöhungen werden lautstark eingefordert. Nach verschiedenen Angaben kam es zu Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen an mehr als 250 Orten.
Gleichzeitig – und das ist die andere Seite der Medaille – hetzten seit der Spaltung Deutschlands die Westalliierten, die westdeutsche Bonner Regierung des deutschen Imperialismus mit allen Mitteln gegen den antifaschistisch-demokratischen Aufbau der DDR. Aggressiv versuchten sie, sich die „Ostzone“ wieder einzuverleiben. Westberlin war unter der Herrschaft der drei Westmächte und des Westberliner Senats zur Speerspitze des Kampfes gegen die DDR sowie zum Schaufenster des Westens ausgebaut worden. Die Konterrevolution wühlte in der DDR mit Geheimdiensten und Sabotagegruppen. Insofern war von vorneherein klar, dass jede Protestbewegung, die sich gegen DDR-Regierung und SED richtet, selbstverständlich auch von diesen Kräften befeuert, teils mit vorbereitet wurde. Die Ausweitung und Radikalisierung der Demonstrationen gegen den Staat, die Einflussnahme und aktive Beteiligung von Provokateuren und Agenten, veranlassten den Militärkommandanten des sowjetischen Sektors, Generalmajor Dibrowa, den Ausnahmezustand zu verhängen.
Die Proteste und Streiks wurden durch DDR-Polizeikräfte und sowjetische Truppen niedergeschlagen und beendet! Viele ArbeiterInnen wurden verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt. Die Unruhen hielten vereinzelt noch einige Tage und Wochen an.
Auf die Ereignisse vom 17. Juni reagiert das ZK der SED 25 erst vier Tage später. Die neue Orientierung wird als richtiger Weg verteidigt und soll planmäßig fortgesetzt werden. Neue Maßnahmen werden entschieden, die laut ZK der SED für die Durchführung des neuen Kurses erforderlich sind.
In dem Zusammenhang stellt das ZK der SED fest: „Heute kommt alles auf die Taten an. Daher erklärt das Zentralkomitee zu diesem entscheidenden Punkt heute nur das eine: Wenn Massen von Arbeitern die Partei nicht verstehen, ist die Partei schuld, nicht der Arbeiter!“ 26 Diese richtige Erkenntnis hätte Ausgangspunkt für eine grundlegende Selbstkritik von SED und Regierung sein können. Aber es war nur ein reines Lippenbekenntnis.
Auf der 15. Tagung 27 bestätigt das ZK den eingeschlagenen Richtungswechsel und nimmt am 26. Juli die Entschließung „Der neue Kurs und die Aufgaben der Partei“ an. Die Protestbewegung am 17. Juni und die damit zusammenhängenden Aktivitäten von westlichen Agenten und Provokateuren werden insgesamt als faschistischer Putschversuch verdammt. Unselbstkritisches, armseliges Fazit der SED: „Diese Generallinie der Partei war und bleibt richtig.“
Belegbar ist, die imperialistischen Besatzungsmächte und die BRD haben sich schon lange für einen „Tag-X“ in der DDR vorbereitet. Ebenso haben verschiedene Geheimdienste, Provokateure, Agenten versucht, die Proteste, Streiks sowie die Unzufriedenheit der ArbeiterInnen auszunutzen, um die Regierung der DDR zu stürzen.
Trotzdem waren Auslöser bzw. wichtigste Ursachen des Aufruhrs der ArbeiterInnenklasse die Erhöhung der Arbeitsnormen, die bürokratische, administrative bzw. kommandierende Haltung der Staats-, Partei- und Gewerkschaftsleitungen. Zweifel an diesen Tatsachen, die bis heute von DDR-NostalgikerInnen verbreitet werden, sind völlig unsinnig.
Offen wurde die Generallinie der Partei gegen jegliche Kritik weiterhin verteidigt. Die Fehler, die vom ZK der SED benannt wurden, ändern die Generallinie der SED nicht. Spätestens jetzt, hätte die SED, wenn sie eine marxistisch-leninistische Partei gewesen wäre und den Sozialismus tatsächlich in der DDR hätte aufbauen wollen, eine Partei- und Massendiskussion anstoßen müssen. In einer gründlichen Selbstkritik hätte die Generallinie der SED als falsch eingeschätzt und korrigiert werden müssen.
Auf dem Weg zum neuen Kurs
Elf Monate nach der II. Parteikonferenz zeichnet sich eine Woche vor den 17. Juni-Ereignissen in dem „Kommuniqué des Politbüros vom 9. Juni 1953“ bereits eine Wendung hin zu einer Korrektur der Linie der II. Parteikonferenz und zu einem „neuen Kurs“ ab. Aber noch wird dieser Richtungswechsel nicht so benannt. Diese Entwicklung ist eine Abwendung von dem in der zweiten Parteikonferenz beschlossenen „neuen Kurs“ des Aufbaus des Sozialismus.
Im Kommuniqué wird ausgeführt: „Das Politbüro des ZK der SED ging davon aus, daß seitens der SED und der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik in der Vergangenheit eine Reihe von Fehlern begangen wurden, die ihren Ausdruck in Verordnungen und Anordnungen gefunden haben, wie zum Beispiel der Verordnung über die Neuregelung der Lebensmittelkartenversorgung, über die Übernahme devastierter (verwüsteter, Anm. TA) landwirtschaftlicher Betriebe, in außerordentlichen Maßnahmen der Erfassung, in verschärften Methoden der Steuererhebung usw.
Die Interessen solcher Bevölkerungsteile wie der Einzelbauern, der Einzelhändler, der Handwerker, der Intelligenz wurden vernachlässigt. Bei der Durchführung der erwähnten Verordnungen und Anordnungen sind außerdem ernste Fehler in den Bezirken, Kreisen und Orten begangen worden. Eine Folge war, daß zahlreiche Personen die Republik verlassen haben.“ 28
Damit wird faktisch auf eine grundlegende Umorientierung in der sozioökonomischen Politik hingearbeitet. Maßnahmen zur Förderung und Unterstützung der privat-kapitalistischen Wirtschaft werden beschlossen.
Ein weiterer Beweggrund für die Neuorientierung ist der Kampf um die Einheit Deutschlands: „Das Politbüro hat bei seinen Beschlüssen das große Ziel der Herstellung der Einheit Deutschlands im Auge, welches von beiden Seiten Maßnahmen erfordert, die die Annäherung der beiden Teile Deutschlands konkret erleichtern.“ (Hervorh. TA) 29
Das heißt konkret, SED und Regierung haben sich von ihrem „Kurs“, die Grundlagen für den Aufbau des Sozialismus in der DDR zu schaffen, abgewandt. „Das große Ziel“ bleibt nach wie vor: Die Einheit Deutschlands! Dafür sollen beide Teile Deutschland sich annähern und zentrale Umstrukturierungen in der Ökonomie umgesetzt werden:
„Aus diesen Gründen hält das Politbüro des ZK der SED für nötig, daß in nächster Zeit im Zusammenhang mit Korrekturen des Planes der Schwerindustrie eine Reihe von Maßnahmen durchgeführt werden, die die begangenen Fehler korrigieren und die Lebenshaltung der Arbeiter, Bauern, der Intelligenz, der Handwerker und der übrigen Schichten des Mittelstandes verbessern. Auf der Sitzung am 9. Juni hat das Politbüro Maßnahmen auf dem Gebiet des Handels und der Versorgung, auf landwirtschaftlichem Gebiet und auch hinsichtlich der Erleichterung des Verkehrs zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und Westdeutschland festgelegt.
Um die Erzeugung von Waren des Massenbedarfs zu vergrößern, die von kleinen und mittleren Privatbetrieben hergestellt werden, und um das Handelsnetz zu erweitern, wird vorgeschlagen, den Handwerkern, Einzel- und Großhändlern, privaten Industrie-, Bau- und Verkehrsbetrieben in ausreichendem Umfange kurzfristig Kredite zu gewähren. Die Zwangsmaßnahmen zur Beitreibung von Rückständen an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen, die bis zum Ende des Jahres 1951 entstanden sind, sollen für Klein-, Mittel- und Großbauern, Handwerker, Einzel- und Großhändler, private Industrie-, Bau- und Verkehrsbetriebe, das heißt in der gesamten privaten Wirtschaft, ausgesetzt werden.“ 30
Die privat-kapitalistische Wirtschaft wird massiv befördert mit dem Ziel, die Lebenshaltung der Bevölkerung zu verbessern. Ulbricht berichtet später auf dem IV. Parteitag 1954: „In der Zeit vom 11. Juni 1953 bis zum 31. Dezember 1953 wurden fast 3000 Geschäfte an private Einzelhändler zurückgegeben.“ 31
Im Bereich der Landwirtschaft werden die Verordnungen über die Übernahme devastierter landwirtschaftlicher Betriebe aufgehoben, sowie die Einsetzung von Treuhändern wegen Nichterfüllung der Ablieferungspflichten oder wegen Steuerrückständen untersagt. Den Klein-, Mittel- und Großbauern, die die DDR verlassen haben, wird ermöglicht, auf ihre Bauernhöfe zurückzukehren und ihr Land, das beschlagnahmte Eigentum, zurück zu erhalten. In Ausnahmefällen sollen sie vollwertigen Ersatz erhalten usw. usf.
Um weitere „begangene Fehler“ zu korrigieren wird die Regierung der DDR aufgefordert, die Justizorgane zu beauftragen, „diejenigen Verurteilten sofort zu entlassen, die nach dem Gesetz zum Schutz des Volkseigentums zu ein bis drei Jahren verurteilt worden sind, mit Ausnahme der Fälle, in denen schwere Folgen eintraten.“ 32
Außerdem wird der Regierung die Ausgabe von Lebensmittelkarten, die Rücknahme der Preiserhöhungen von Lebensmitteln (Marmelade, Kunsthonig und andere Süß- und Backwaren) sowie Fahrpreisermäßigungen in Höhe von 50 Prozent anempfohlen. Diese setzt am 11. Juni entsprechende gesetzliche Maßnahmen in Kraft.
Allerdings haben sich diese zu spät und ohne eine wirkliche Selbstkritik getroffenen Maßnahmen als völlig verfehlt herausgestellt. Die ArbeiterInnen waren mit ein paar Brosamen nicht mehr ruhig zu stellen.
Ihre geballte Unzufriedenheit gegen die administrativen, bürokratischen Entscheidungen der Ministerien, bzw. leitenden Institutionen und verantwortlichen Funktionäre äußerte sich bereits in den Jahren 1951-1952. Seitdem lief die Auseinandersetzung um die Erhöhung der Arbeitsnormen. Das Sekretariat des ZK der SED ließ sich schon Anfang 1952 teils zu kritischen Anmerkungen hinreißen, die sich gegen Fehler von Parteikollektiven der betroffenen Betriebsleitungen richteten: „Die leitenden Genossen der Parteiorganisation erkannten nicht, daß die Ausarbeitung von neuen Arbeitsnormen eine gründliche ideologische Aufklärungs- und Erziehungsarbeit aller Genossen der Parteiorganisation, aber auch der gesamten Werktätigen, voraussetzt und daß die Parteiorganisation der Träger dieser Aufklärungs- und Erziehungsarbeit sein muß.“ 33
Aber auch nach dieser unkonkreten abgehobenen „Anweisung“ wurde keine offensive, umfassende die ArbeiterInnen tatsächlich einbeziehende Auseinandersetzung und Diskussion auf breiter gesellschaftlicher Front geführt. Die Ereignisse am 17. Juni bekräftigten den Linienwechsel, die Abwendung vom Aufbau des Sozialismus in der DDR.
In der DDR war 1952/1953 die objektive und subjektive Situation für den Aufbau des Sozialismus nicht herangereift. Die SED log sich in die eigene Tasche, als sie behauptete, dass das Bewusstsein der Arbeiterklasse und der Mehrheit der Werktätigen so weit entwickelt sei, dass der Aufbau des Sozialismus zur grundlegenden Aufgabe geworden sei. Dass es eben nicht so war, hatte sich in kürzester Zeit herauskristallisiert. Aber die Führung der SED hat alles unternommen, diese Tatsache zu verschleiern.
Hauptanliegen der SED war, mit dem „neuen Kurs“ ihre bisherige Politik „auf schnellem Weg zum Sozialismus“ zu revidieren. In den Mittelpunkt ihrer Politik stellte sie jetzt politische Maßnahmen „für die beschleunigte Herstellung der Einheit Deutschlands“.
Erforderlich wäre gewesen in einer umfassenden Selbstkritik offen zu sagen: In der DDR, in dieser konkreten Lage kann kein Sozialismus aufgebaut werden, weil weder die objektiven noch die subjektiven Bedingungen gegeben sind. Unsere aktuellen Maßnahmen sind nicht sozialistisch, sondern sollen dazu dienen, die antifaschistische, volksdemokratische Gesellschaftsordnung zu stabilisieren. Daher unser Vorgehen mit dem „neuen Kurs“, durch den wir die Unterstützung und Förderung des privaten Kapitals, von UnternehmerInnen, Groß- und Mittelbauernschaft, für die HändlerInnen, HandwerkerInnen usw. verstärken. Wir sind im Moment nicht in der Lage, es anders zu machen. Daher sind diese Maßnahmen das kleinere Übel, mit dem wir leben müssen, um als Staat bestehen zu können.
SED und Regierung sind anders vorgegangen. Sie haben weiter ganz allgemein vom Aufbau des Sozialismus gesprochen, während sie die Initiative der privaten Wirtschaft unterstützt und gefördert haben.
Auf Kosten der Schwerindustrie wurde der Wirtschaftsplan geändert, die Priorität der Entwicklung der Schwerindustrie wurde aufgegeben. Schwerpunkt wurde auf die Steigerung der Produktion von Konsumgütern gelegt. Das war ein Vorbote der Politik des Chruschtschow-Revisionismus und ein grundlegender Fehler in der Wirtschaftspolitik der DDR.
Die „Neue Kurs“-Politik hat weder die Kräfte des Friedens gestärkt noch die Wiedervereinigung Deutschlands gefördert. Was davon übriggeblieben ist, das sind Selbstbetrug und Lüge gegenüber der ArbeiterInnenklasse und Werktätigen, dass angeblich in der DDR der Sozialismus aufgebaut wird!
IV. Parteitag der SED – Hauptziel Wiedervereinigung Deutschlands
März 1954 wurde die Souveränität der DDR in ihren inneren und äußeren Angelegenheiten und die Aufhebung der kontrollierenden Tätigkeit des Hohen Kommissars der UdSSR in Deutschland beschlossen.
Auf dem IV. Parteitag steht die Wiedervereinigung Deutschlands als Hauptthema auf der Tagesordnung, allerdings nur in einer Hinsicht. Die SED verfolgt im Prinzip lediglich taktische Maßnahmen, um die Militaristen in Westdeutschland zu isolieren sowie den Frieden zu erhalten und die weltweite Friedensbewegung zu stärken.
Denn klar ist, die zwei deutschen Staaten werden sich in absehbarer Zeit nicht wiedervereinigen. Hervorgehoben wird, die Wiedervereinigung Deutschlands ist die „Sache der Deutschen selbst“. Die Parole lautet nach wie vor: „Deutsche an einen Tisch!“
Ulbricht führt über „Die Gegenwärtige Lage und der Kampf um das neue Deutschland“ aus: „In Deutschland geht der Kampf zwischen den friedliebenden und den militaristischen Kräften um die Frage: Friedensvertrag für das einheitliche, demokratische Deutschland bei baldigem Abzug der Besatzungstruppen – oder Bonner und Pariser Kriegsverträge, die eine fünfzigjährige ausländische Besetzung Westdeutschlands vorsehen.
Das deutsche Volk steht am Scheidewege: will es den Weg des Friedens, der demokratischen Einheit Deutschlands oder den Weg des aggressiven deutschen Militarismus unter Führung der USA, der die Aufrechterhaltung der Spaltung Deutschlands und den Weg zum Krieg bedeuten würde. (…)
Die Hauptfrage des deutschen Volkes, die neun Jahre nach Beendigung des Krieges noch nicht gelöst ist, ist die Wiedervereinigung Deutschlands auf demokratischer Grundlage, der Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland und der Abzug der Besatzungstruppen.“ 34 (Hervorh.TA)
Ziel der SED ist die Wiedervereinigung und nicht die Errichtung der volksdemokratischen Gesellschaftsordnung in einem einheitlichen Deutschland. Ulbricht fährt fort:
„Einige Führer der SPD behaupten, wir wollen in Westdeutschland eine ‚volksdemokratische Ordnung‘ errichten. Wir haben keine solchen Vorschläge gemacht. Wir sind der Meinung, daß es in Westdeutschland notwendig ist, die elementarsten neuzeitlichen Maßnahmen, die dem Frieden und der Entwicklung der Demokratie dienen, durchzuführen, zum Beispiel die Entfernung der Kriegstreiber aus dem westdeutschen Staats- und Wirtschaftsapparat, das Recht auf Arbeit und die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, das Recht auf Bildung, die Sicherung der demokratischen Rechte der Arbeiter und ihrer Gewerkschaften, die Gleichberechtigung der Frau, die Durchführung der Bodenreform, die in Westdeutschland schon seit Jahrhunderten fällig ist, das demokratische Mitbestimmungsrecht der bäuerlichen Genossenschaften, den Schutz der nationalen deutschen Kultur gegen das amerikanische Gangstertum.
Niemand kann behaupten, daß das etwa besondere kommunistische Forderungen seien. Das sind demokratische Forderungen, deren Durchführung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Das sind Forderungen, die von der Sozialdemokratie und den westdeutschen Gewerkschaften schon oftmals bei allen Wahlen vertreten wurden, aber nach den Wahlen haben sie nichts getan, um diese Forderungen durchzuführen.“ 35
Ulbricht spricht hier nur über Westdeutschland. Aber wenn er von der Wiedervereinigung spricht, redet er nicht von „auf volksdemokratischer Grundlage“ sondern „auf demokratischer“. Das heißt nichts anderes als eine Wiedervereinigung auf bürgerlich-demokratischer Grundlage! Für das Ziel der Wiedervereinigung erklärt sich die SED bereit, auf die Volksdemokratie zu verzichten! Die nationale Frage steht wieder über der Klassenfrage.
Diese ganze Problematik wird unter den Teppich gekehrt und auf dem Parteitag weiter vom Aufbau des Sozialismus geredet. Obwohl kein einziger Beschluss in dieser Frage debattiert und gefasst wurde. Ein Rätsel, das die SED hätte beantworten müssen, bleibt also, wie in einem einheitlichen Deutschland, in Ostdeutschland die Grundlagen des Sozialismus aufgebaut werden können?
Im grundlegenden Beschluss des Parteitages „Der Weg zur Lösung der Lebensfragen der deutschen Nation“ werden die „Grundsätze der deutschen Arbeiterklasse, der werktätigen Bauern, der Intelligenz und aller anderen friedliebenden Deutschen für die Lösung der Lebensfragen der deutschen Nation.“ 36 beschlossen. Politisch wird sich darin mit der Frage von Frieden und Krieg befasst. Als zentrales Element im Kampf gegen den Krieg wird die Wiedervereinigung Deutschlands auf friedlicher und demokratischer Grundlage propagiert.
Die DDR wird als Beispiel für ein demokratisches Deutschland angeführt, und es werden ihre Errungenschaften gepriesen. Keine konkrete Debatte oder gar ein Beschluss über den Aufbau der Sozialismus.
Für eine friedliche und demokratische Wiedervereinigung wird folgendes vorgeschlagen:
„Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands will ein demokratisches Deutschland. Sie fordert nicht einfach die Übertragung der Errungenschaften der Deutschen Demokratischen Republik auf Westdeutschland. Sie macht sich zum Fürsprecher der Werktätigen in Westdeutschland und der ganzen Nation, wenn sie die folgenden sofort erreichbaren und im allgemeinen Interesse liegenden Forderungen für Westdeutschland und Westberlin erhebt:
Herabsetzung der Besatzungskosten, so wie es in der Deutschen Demokratischen Republik bereits geschehen ist, dann wird jede Hausfrau mehr für ihre Familie einkaufen können.
Einstellung der Zahlung der Reparationen an das Ausland, wie das in der Deutschen Demokratischen Republik geschah.
Beseitigung der Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit, die viele Millionen Westdeutsche aufs bitterste trifft, durch die Entfaltung des innerdeutschen Handels und des Außenhandels mit den Staaten des Friedenslagers.
Herunter mit den Massensteuern auf den Stand, den sie in der Deutschen Demokratischen Republik haben! Dafür schärfste Erfassung der ungeheuren Gewinne der Reichen und Neureichen.
Schluß mit den Preiserhöhungen! Es darf keine Preissteigerung mehr zugelassen und keine Mietpreiserhöhung durchgeführt werden!
Her mit Boden für die Umsiedler, die noch immer unter unwürdigen Verhältnissen leben! Die nach 1945 sooft versprochene Bodenreform muß endlich auch in Westdeutschland durchgeführt und dadurch der genügende Raum für viele Hunderttausende Umsiedler zur Verfügung gestellt werden.
Die für ausländische militaristische Zwecke beschlagnahmten 700 000 Hektar gehören in die Hände derer, denen sie genommen wurden.
Ausdehnung der fortschrittlichen Sozialversicherungsbestimmungen, die von den Gewerkschaften der Deutschen Demokratischen Republik errungen wurden, auch auf Westdeutschland, so daß jeder Kranke vom ersten Tage an mindestens sechs Wochen lang 90 Prozent seines Lohnes, ärztliche Betreuung und alle Medikamente kostenlos erhält.
Einführung der in der Deutschen Demokratischen Republik üblichen längeren Urlaubsdauer und der großzügigen Ferienregelung. Einführung der vollen Gleichberechtigung der Frau, wie sie in der Deutschen Demokratischen Republik verwirklicht ist.“ 37
Das sollen die Grundlagen für die Wiedervereinigung sein! Diese entsprechen nicht einmal den im Potsdamer Abkommen vorgesehenen Anforderungen für ein neues, demokratisches Deutschland.
Das war eine völlig widersprüchliche Taktik und eine merkwürdig zweigleisige Politik. Einerseits sollte der Kampf für die Wiedervereinigung auf einer bürgerlich-demokratischen Grundlage weitergeführt werden, was Verzicht auf viele Errungenschaften des bisher Erreichten in der DDR bedeuten würde.
Andererseits, falls die Wiedervereinigung, wie es sich damals abzeichnete, nicht in kurzer Zeit zustande kommt, dann soll in der DDR der „Sozialismus aufgebaut“ werden!? Die Dokumente des IV. Parteitags zeigen deutlich, dass die SED einen klaren revisionistischen Kurs eingeschlagen und in diese Richtung schon einen ziemlich weiten Weg hinter sich gelassen hat. Es fehlte eigentlich nur noch eine Autorität auf der internationalen Ebene, damit die SED die Bestätigung erhielt, in die neue revisionistische Front aufgenommen zu sein.
XX. Parteitag der KPdSU … und die Politik der SED
Der XX. Parteitag der KPdSU vom 14. bis 25. Februar 1956 hat die vollständige Machtübernahme der modernen RevisionistInnen in der KPdSU besiegelt. 38 Die Haltung zu diesem XX. Parteitag mit seiner offenen revisionistischen Linie wurde zum Lackmustest für alle Kommunistischen Parteien.
Wie sieht die Haltung hat der SED hierzu aus? Die „Grußbotschaft an den XX. Parteitag der KPdSU“ der SED Februar 1952 schließt mit den Worten: „Es lebe die unbesiegbare Lehre von Marx, Engels, Lenin und Stalin!“ 39 Walter Ulbricht erwähnt zwei Tage später in seiner „Begrüßungsrede“ auf dem XX. Parteitag der KPdSU in Moskau mit keinem Wort den Genossen Stalin. 40
In einem Artikel im Neuen Deutschland, einige Tage später, berichtet Ulbricht „Über den XX. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion“. 41 Darin wird ein Lobgesang auf dieses historische Ereignis angestimmt. Ulbricht verkündet im Chor mit den modernen RevisionistInnen, ohne eine Debatte in der Partei und in der Öffentlichkeit geschweige denn einem Parteibeschluss: „Zu den Klassikern des Marxismus kann man Stalin nicht rechnen“. 42
Wir wollen an dieser Stelle keine Diskussion über die Bewertung Stalins führen. Worum es uns geht, ist, wie eine zentrale Einschätzung der SED von heute auf Morgen einfach so über Bord geworfen und revidiert werden kann. Allein diese Methode zeigt uns, wie opportunistisch die SED war.
Inhaltlich hat das ZK der SED der revisionistischen Linie des XX. Parteitags vollständig zugestimmt und dazu Beschlüsse gefasst. 43 Das Politbüro des ZK der SED formuliert:
„Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands hat den Beschlüssen des XX. Parteitages der KPdSU vollinhaltlich und vorbehaltlos zugestimmt. Die 3. Parteikonferenz, die nachfolgenden Plenartagungen des Zentralkomitees und alle Beschlüsse der Partei haben die Lehren des XX. Parteitages auf die konkreten Verhältnisse in Deutschland, auf den Aufbau des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik, auf den Kampf gegen den in Westdeutschland wiedererstandenen deutschen Militarismus und Imperialismus, für einen einheitlichen, friedliebenden und demokratischen deutschen Staat schöpferisch angewandt.“ (Hervorh. TA) 44
Die SED wurde aber nicht dadurch revisionistisch, indem sie den Beschlüssen bzw. der Linie des XX. Parteitags zugestimmt hatte, sondern weil sie schon früher eine revisionistische Politik vertreten hatte. Insbesondere seit 1953 verfestigte sie die falsche, revisionistische Linie von einer links-sozialdemokratischen zu einer revisionistischen Partei immer mehr. Weil die politische Linie der SED mit der Linie des XX. Parteitags der KPdSU übereinstimmte, stimmte die SED „den Beschlüssen des XX. Parteitages der KPdSU vollinhaltlich und vorbehaltlos“ zu.
Mit dem XX. Parteitag der KPdSU fand die SED auf internationaler Ebene einen Partner, der die führende Partei der Kommunistischen Weltbewegung war. Und zur Krönung: Die revisionistische Linie wurde einfach per Parteitag beschlossen. Als die SED von Marxismus-Leninismus und vom Aufbau des Sozialismus in der DDR sprach, war die links-sozialdemokratische Linie schon mit der revisionistischen verschmolzen.
FAZIT:
Die Entwicklung der SED von 1946 bis 1956 hat deutlich bewiesen: Gegründet auf dem reformistischen, nicht kommunistischen, Programm „Grundsätze und Ziele“ hat sich die SED letztendlich von der Sozialdemokratie, bzw. ihrer links-sozialdemokratischen Politik nicht gelöst.
Auch die Bemühung der SED-Führung ab Mitte 1948, aus der SED eine „Partei neuen Typus“ zu machen, schlug fehl. Die Ex-KommunistInnen in der SED haben sich mit den Ex-SozialdemokratInnen auf eine links-sozialdemokratische Linie, die teilweise einen marxistisch-leninistischen Anstrich hatte, versöhnlich geeinigt. Vieles, das in der Linie des XX. Parteitages der KPdSU als neu erscheinen mag, war schon vorher in der Linie der SED vertreten.
Für die SED und die DDR war von Anfang an die nationale Frage, die Einheit bzw. Wiedervereinigung Deutschlands die zentrale Frage. Der Kampf um den Sozialismus wurde dieser Frage völlig untergeordnet. Der Klassenkampf wurde daher nicht gegen das Gesamtkapital sondern nur gegen das Monopolkapital und seine Agenten, Provokateure etc. geführt. Aus diesem antimonopolistischen Kampf entstand nach dem Zweiten Weltkrieg eine revisionistische Theorie, die bis heute noch existiert.
Der Kampf um die nationale Frage, die Einheit Deutschlands wurde auf deutsch-nationalistischer, chauvinistischer Grundlage geführt. Im Kampf um die „Rettung der Nation“ wurden in der Nationalen Front des demokratischen Deutschland Tür und Tor für Nazi-FaschistInnen geöffnet. Der nationale Kampf gegen den westdeutschen Staat und den US-Imperialismus wurde mit diesen „früheren Mitgliedern der Nazipartei“ geführt. 45
Im Namen des Anti-Imperialismus verteidigte Ulbricht die Parole „Deutschland den Deutschen“! Ja, Walter Ulbricht schließt in einer Antwort an den Außenminister der USA Dulles mit dem Aufruf: „Amerika den Amerikanern! Deutschland den Deutschen!“. 46
Dieser deutsche Nationalismus ist in allen Änderungen des politischen Kurses der SED durchgehend als rote Linie erkennbar und bestimmte die gesamte Haltung der SED und DDR-Regierung.
Die SED hat bereits zehn Jahre vor dem XX. Parteitag der KPdSU im Namen des „besonderen deutschen Weges“ den friedlichen, demokratischen Übergang zum Sozialismus auf dem Boden einer parlamentarischen, demokratischen Republik, verteidigt. In diesem Zusammenhang wurde auch logischerweise bewusst auf den Begriff „Diktatur des Proletariats“ als die politische Voraussetzung für den Sozialismus verzichtet. Dabei wurde der friedliche Weg gegen die gewaltsame Revolution gestellt und die gewaltsame Revolution auf den Bürgerkrieg reduziert.
Der „friedliche Weg“ in der SBZ und dann in der DDR wird mit Stolz verteidigt und durch den XX. Parteitag der KPdSU nach zehn Jahren als bestätigt angesehen. 47
Um ihren Revisionismus zu verdecken, konstruiert die SED „einen grundsätzlichen Unterschied zwischen dem demokratischen Weg zum Sozialismus und dem ‚friedlichen Hineinwachsen‘ in den Sozialismus im Sinne des Reformismus“. 48
Die SED hat sich, wo es nötig war, auch als ArbeiterInnenpartei dargestellt. Aber von Anfang an, in den Gründungsdokumenten des Vereinigungsparteitags, wurde die These der „Partei des schaffenden Volkes“ und der „wahren Volkspartei“ verteidigt.
Der Grundgedanke der Vermeidbarkeit von Kriegen wurde spätestens auf dem III. Parteitag der SED, 1950 formuliert und verteidigt. 49
Im Namen der kollektiven Sicherheit in Europa, im Namen des Kampfs gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands wird der Kampf, den Frieden zu erhalten, als brennendstes Problem betrachtet. Dabei wird die Illusion verbreitet, dass im kapitalistisch-imperialistischen System ein dauerhafter Friede möglich sei und der Friede gesichert werden könne. 50
Die SED hat der revisionistischen Linie des XX. Parteitag der KPdSU als ihrer eigenen Linie zugestimmt und den Revisionismus als Weiterentwicklung des Marxismus-Leninismus propagiert. Durch die Übereinstimmung der politischen Linie der KPdSU mit der politischen Linie der SED waren auch die letzten Hindernisse vor der Fälschung der marxistisch-leninistischen Prinzipien verschwunden.
Der Revisionismus war an der Macht! Revisionismus an der Macht bedeutet Macht der Bourgeoisie! Die revisionistische Linie der SED hat in den späteren Jahren – nach 1956 bis zum Ende – die Entwicklung in der DDR bestimmt.
XX. Parteitag der KPdSU und Politikwechsel der SED
Das Jahr 1953 war für die Kommunistische Weltbewegung ein Meilenstein bzw. ein Wendejahr! Die Fehler der Kommunistischen Weltbewegung während des Zweiten Weltkriegs und die sich daraus entwickelnden revisionistischen Positionen hatten sich nach 1945 immer mehr verbreitet und vertieft. Auch in der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) entwickelte sich der moderne Revisionismus. Die MarxistInnen-LeninistInnen waren in der Tat in der Minderheit. Stalin und seine marxistisch-leninistischen MitstreiterInnen waren praktisch die Bremse in der Entwicklung des offenen Revisionismus. Da die KPdSU die führende Partei der Kommunistischen Weltbewegung war, beriefen sich Parteien wie die SED pro forma auf den Marxismus-Leninismus und verteidigten ihre revisionistische Politik und Methoden nicht offensiv.
Der Tod Stalins am 5. März 1953 bewirkte einen Dammbruch. Schon am 6. März 1953 wurde unter dem Vorwand, die reibungslose und richtige Leitung des ganzen Lebens des Landes abzusichern, eine Reihe von Maßnahmen zur Organisierung der Partei- und Staatsleitung beschlossen. Das lief unter dem Etikett „Abbau bürokratischer Institutionen“ und „Erweiterung der Sowjetdemokratie“.
Auf dem 5. Plenum des ZK, 2. bis 7. Juli 1953, wird durch einen Putsch Lawrentij Pawlowitsch Berija, Leiter des NKWD, Volkskommissar des Inneren, festgenommen und entmachtet. Die „Informatorische Mitteilung“ vom 10. Juli in der Prawda verweist auf einen Bericht Malenkows, im Namen des Präsidiums des ZK, über die „verbrecherischen partei- und staatsfeindlichen Handlungen“ Berijas. Er wurde erörtert und vom Plenum angenommen:
„Diese verbrecherischen Handlungen waren auf die Untergrabung des Sowjetstaates im Interesse des ausländischen Kapitals gerichtet und äußerten sich in den verräterischen Versuchen, das Innenministerium der UdSSR über die Regierung und die KPdSU zu stellen. Das Plenum faßte den Beschluß, L.P. Berija aus dem ZK der KPdSU zu entfernen und ihn als Feind der KP und des Sowjetvolkes aus der KPdSU auszuschließen.“ 51
Berija war nach bürgerlicher Lesart einer der „Stalinisten“ in der Parteiführung, also Anhänger der politischen Linie Stalins. Er wurde vor Gericht gestellt, zum Tode verurteilt und erschossen. Das war die Chance für Chruschtschow zur Übernahme der Macht!
Ebenfalls im Juli hielt Malenkow auf der fünften Tagung des Obersten Sowjets eine Rede über den Staatshaushaltsplan, die Volkswirtschaft, die „unaufschiebbaren Aufgaben“ in Industrie und Landwirtschaft, über die Maßnahmen zur weiteren Steigerung des materiellen Wohlstandes des Volkes usw. In dieser Rede sind alle programmatischen Grundsätze bereits enthalten, die drei Jahre später auf dem XX. Parteitag als revisionistische Generallinie der KPdSU beschlossen werden.
Von der friedlichen Koexistenz als außenpolitische Leitlinie bis hin zum Vorrang der Entwicklung der Leichtindustrie gegenüber der Schwerindustrie.
Statt der verkündeten Weiterentwicklung des Sozialismus hatte die Hauptrichtung der Politik jetzt ein gegenteiliges Ziel:
Eigentumsformen werden beständig von höheren zu niedrigeren gesellschaftlichen Eigentumsformen verändert und gehen in Richtung Zulassung und Erweiterung des Privateigentums an Produktionsmitteln. Der XX. Parteitag der KPdSU hat diese Entwicklung dann im Februar 1956 offiziell gekrönt!
Chruschtschow wird im September zum ersten Sekretär des ZK der KPdSU gewählt. Diese Entwicklung in der Sowjetunion war auch für die SED und ihre weitere Politik von entscheidender Bedeutung. Gespräche der SED-Führung mit Mitgliedern der KPdSU wurden geführt und „Ratschläge“ und „Vorschläge“ erteilt! Noch bevor die KPdSU den Vorrang der Schwerindustrie vor der Leichtindustrie aufgegeben hat, hatte die SED sich bereits dahingehend entschieden.
Die Lösung
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Bisherige Themen aus der Artikelserie
„Deutsche Demokratische Republik – Anspruch und Wirklichkeit –
Antifaschistisch-demokratisch? Sozialistisch?“
Trotz alledem! Nr. 81, Mai 2019 – Teil 1
DDR aktuell 30 Jahre Mauerfall, 30 Jahre Einverleibung
Theorie der Diktatur des Proletariats und der Volksdemokratie
Fragestellung und unser Ausgangspunkt
Ist die Volksdemokratie eine Form der Diktatur des Proletariats?
Ende des Zweiten Weltkriegs und Entstehung der Volksdemokratien
Dimitroff und die Volksdemokratie
Charakter der Volksdemokratie
Trotz alledem! Nr. 82, September 2019 – Teil 2
Kriegsende, Potsdamer Abkommen, SED-Gründung
Die allgemeine Lage in Deutschland nach der Kapitulation...
Bildung der SMAD und Aufruf der KPD
Potsdamer Konferenz – Beschlüsse über Deutschland
Selbstverwaltungsorgane in der SBZ
Bodenreform
Der Weg zur Vereinigung von KPD und SPD
Trotz alledem! Nr. 83, Januar 2020 – Teil 3
Gründung der SED – Aufbaupolitik Sowjetische Besatzungszone
Vor welchen Aufgaben stand die KPD
nach dem Ende des zweiten Weltkrieges?
Unter welchen Voraussetzungen wäre die Vereinigung richtig? Grundsätze und Ziele der SED
Aufbaupolitik der Sowjetischen Militäradministration
Trotz alledem! Nr. 84, Mai 2020 – Teil 4
Von der Einheit Deutschlands zur Spaltung
Politik der Sowjetunion gegenüber Deutschland
Kurze Geschichte der Spaltung Deutschlands
Gründung der DDR
Politik der Sowjetunion nach der Spaltung Deutschlands
SED – DDR – Oktober 1949 bis Juni 1952
Nationale Frage
Trotz alledem! Nr. 85, September 2020 – Teil 5
SED – Entwicklung zur Partei neuen Typus?
Was ist die Partei neuen Typus im Marxismus-Leninismus?
Neuausrichtung der SED?
I. Parteikonferenz
III. Parteitag der SED
Von der II. Parteikonferenz 1952 bis Ende 1956
Zeittafel Januar 1952 – August 1956
1952
1. Januar: „Neujahrsaufruf des Zentralkomitees“ der SED. Appell zum Kampf, für ein einiges, friedliebendes, demokratisches und unabhängiges Deutschland und für einen Friedensvertrag
13. Februar: Ministerrat der DDR Vorschlag an die vier Großmächte, den Abschluss eines Friedensvertrages mit Deutschland zu beschleunigen
10. März: UdSSR unterbreitet in einer Note an die Westmächte einen Entwurf für den Friedensvertrag mit Deutschland
24. März: Brief des ZK der SED an den Parteivorstand der SPD: „Für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands“
16. April: Appell des ZK der SED „Ruf an die Nation“ gegen den Generalkriegsvertrag
21. Mai: Aufruf des Nationalrats der nationalen Front des demokratischen Deutschlands „An alle deutschen Patrioten zum nationalen Volkswiderstand gegen den Generalkriegsvertrag (EVG) der Westmächte“
9. bis 12. Juli: II. Parteikonferenz der SED. Beschluss: „Zur gegenwärtigen Lage und zu den Aufgaben im Kampf für Frieden, Einheit, Demokratie und Sozialismus“. Der „Aufbau des Sozialismus“ wird zur „grundlegenden Aufgabe in der DDR“
19. September: Überreichung der Verständigungsvorschläge der Delegation der Volkskammer der DDR in Bonn an den Präsidenten des Bundestages
1953
14. März: Offener Brief des ZK der SED an die Mitglieder der SPD
20. März: Appell der Volkskammer der DDR an das deutsche Volk zum gemeinsamen Kampf für Einheit und Frieden, gegen Generalkriegsvertrag und EVG-Abkommen
14. Mai: Beschluss des ZK der SED: „Über die Erhöhung der Arbeitsproduktivität und die Durchführung strengster Sparsamkeit“
9. Juni: Kommuniqués des Politbüros der SED mit Empfehlungen an die Regierung für Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenshaltung aller Teile der Bevölkerung und zur Stärkung der Rechtssicherheit in der DDR „Kommuniqué des Politbüro 9. Juni 1953“. Empfehlungen an die Regierung, einen Kurswechsel in der Politik anzubahnen. Die DDR- Regierung beschließt zwei Tage später, am 11. Juni, alle vorgeschlagenen Maßnahmen per Gesetzgebung
16. Juni: „Erklärung des Politbüros zur Normenfrage“. Versuch der SED Führung einen Tag vor dem 17. Juni, den aufbegehrenden ArbeiterInnen Zugeständnisse zu machen. Rückschritte werden gemacht und der Kurswechsel verstärkt
17. Juni: ArbeiterInnen-Proteste gegen Arbeitsnormen-Erhöhung. Westmedien und Provokateure heizen die Stimmung an. Unterdrückung des Aufruhrs durch DDR-Polizeikräfte und sowjetisches Militär.
21. Juni: „Über die Lage und die unmittelbaren Aufgaben der Partei“, Beschluss des ZK. Begründung für den Richtungswechsel im Kommuniqué und in den Regierungsmaßnahmen vom 11. Juni. Zunächst wird nur von einer „Korrektur“ gesprochen: „Partei und Regierung hatten die Korrektur der bisherigen politischen Linie der DDR eingeleitet, weil diese Linie nicht zu einer schnellen Hebung des Lebensstandards der Bevölkerung der DDR führte und dem gesamtdeutschen Kampf um Einheit und Frieden nicht entsprach.“
Gleichzeitig wird ein Zusammenhang zwischen dieser Korrektur der politischen Linie und dem Zeitpunkt der Angriffe der „amerikanischen und deutschen Kriegstreiber“ hergestellt. „Warum entschlossen sich die Kriegstreiber gerade in diesen Tagen (Tag X und 17. Juni) zu ihrer faschistischen Provokation gegen die DDR? Die Regierung der DDR hatte am 11. Juni Maßnahmen beschlossen, die zu einer weiteren Stärkung der DDR führen … werden.“
15. Juli: Vorschlag des Ministerrats der DDR für eine Beratung der Vertreter beider Teile Deutschlands zur Vorbereitung der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands durch freie gesamtdeutsche Wahlen
26. Juli: „Der neue Kurs und die Aufgaben der Partei“, Entschließung des ZK vom 26. Juli. Die SED zieht Schlussfolgerungen aus den Entwicklungen der Ereignisse 1952-1953, vor allem aus dem 17. Juni und ein neuer Kurs der Partei wird beschlossen
26. August: Volkskammer der DDR erklärt Bereitschaft, gemeinsam mit dem westdeutschen Bundestag eine provisorische gesamtdeutsche Regierung zu bilden, die sofort mit den Vorbereitungen für das Abhalten allgemeiner freier Wahlen beginnen soll
22. September: Beschluss des Politbüros „Stellungnahme des Politbüros zum Leitartikel des ‚Neuen Deutschland‘, ‚Über die Bedeutung des Parteiaktivs‘, vom 19. September 1953“
1954
15. Februar: Brief des ZK der SED an den Parteivorstand der SPD und alle sozialdemokratischen Mitglieder für die Herstellung der Aktionseinheit der Arbeiterklasse Westdeutschlands
25. März: Die Sowjetregierung veröffentlicht Erklärung über die Anerkennung der Souveränität der DDR in ihren inneren und äußeren Angelegenheiten und die Aufhebung der kontrollierenden Tätigkeit des Hohen Kommissars der UdSSR in Deutschland
30. März bis 6. April: IV. Parteitag der SED. Zentrales Dokument, Entschließung „Der Weg zur Lösung der Lebensfragen der deutschen Nation“
1955
18. Januar: Brief des ZK der SED an den Parteivorstand und alle Mitglieder der SPD, an den Bundesvorstand des DGB und alle Mitglieder der Gewerkschaften, an die Mitglieder der katholischen Arbeiterbewegung für die Herstellung der Aktionseinheit der Arbeiterklasse Westdeutschlands
25. Januar: UdSSR erklärt Beendigung des Kriegszustandes mit Deutschland
6. Februar: Europäische Konferenz für die friedliche Lösung der deutschen Frage in Warschau
18. Februar: Volkskammer der DDR schlägt westdeutschem Bundestag den Austausch von Delegationen und Aussprache über die Vorbereitung gesamtdeutscher Wahlen vor
27. Oktober: „Die neue Lage und die Politik der SED“, Beschluss des ZK, Vorbereitung und „Einberufung der 3. Parteikonferenz“
1956
18. Januar: Gesetz der Volkskammer der DDR zur Bildung der Nationalen Volksarmee und eines Ministeriums für die nationale Verteidigung
14. bis 25. Februar: XX. Parteitag der KPdSU
14. Februar: „Grußbotschaft an den XX. Parteitag der KPdSU“ der SED
22. März: „Kommuniqué der 26. Tagung des ZK zu den Ergebnissen des XX. Parteitages der KPdSU“
24. März bis 29. März: III. Parteikonferenz der SED
26. April: SED unterbreitet dem Vorstand der SPD erneuten Vorschlag, „alles Trennende in den Beziehungen zwischen der SPD und der SED zurückzustellen und eine Verständigung über die Grundfragen der Nation zu erzielen“
10. Mai: Beschluss des Sekretariats des ZK „Über das Parteilehrjahr 1956/57“
29. Juli: Beschluss des ZK über „Die nächsten ideologischen Aufgaben der Partei“ und „Kommuniqué der 28. Tagung des ZK“
26. August: Veröffentlichung einer „Erklärung zu den jüngsten Ereignissen in Westdeutschland“ Erklärung des ZK der SED gegen das Wehrpflichtgesetz Westdeutschlands und gegen das Verbot der KPD
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1 „Neujahrsaufruf des Zentralkomitees“, 01.01.1952, „Dokumente der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“, Bd. III, S. 686, Dietz Verlag Berlin, 1952 – „Dokumente SED“
2 ebenda, S. 685
3 „Über die Verschleppungstaktik der Westmächte bei Erörterung der Deutschlandfrage. Note der Regierung der UdSSR an die Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs 23.08.1952“, „Dokumente zur Deutschlandpolitik der Sowjetunion“, Hrg. Deutsches Institut für Zeitgeschichte, Bd. I, S. 306-307, Rütten & Loening Berlin, 1957
4 „Protokoll der II. Parteikonferenz der SED“, S. 20, Dietz Verlag Berlin, 1952 – „Protokoll II. PK“
5 ebenda, S. 61
6 ebenda, S. 21
7 ebenda, S. 35
8 ebenda, S. 129
9 Ausführlich siehe hierzu unseren Artikel „SED – Entwicklung zur Partei neuen Typus?“, Teil 5 der Reihe „DDR Anspruch und Wirklichkeit“, TA Nr. 85, S. 37-55
10 „Protokoll II. PK“, S. 57-58
11 ebenda, S. 58
12 Der 5 Jahresplan wurde vom III. Parteitag der SED (20. – 24.07.1950) beschlossen und später von der Regierung, bzw. dem Ministerrat der DDR am 17.08.1950 gebilligt. „Protokoll des III. Parteitages der SED“, Bd. II, S. 276-306, Dietz Verlag Berlin, 1951 – „Protokoll III. Parteitag“.
13 „Protokoll II. PK“, S. 492
14 ebenda, S. 59
15 „Protokoll des IV. Parteitages der SED“, S. 667- 668, Dietz Verlag Berlin, 1954
16 „Der neue Kurs und die Aufgaben der Partei“, 26.07.1952, „Dokumente SED“, Bd. IV, S. 470,
17 „Stellungnahme des Politbüros zum Leitartikel des ‚Neuen Deutschland‘, ‚Über die Bedeutung des Parteiaktivs‘“, 19.09.1953, „Dokumente SED“, Bd. IV, S. 508-509
18 „Protokoll II. PK“, S. 60
19 Protokoll II. PK“, S. 62
20 „Protokoll II. PK“, S. 347
21 „Feldzug für strenge Sparsamkeit, Beschluß des Zentralkomitees vom 03.02.1953“, „Dokumente SED“, Bd. IV, S. 263
22 „Über die Erhöhung der Arbeitsproduktivität und die Durchführung strengster Sparsamkeit“, 14.05.1953, „Dokumente SED“, Bd. IV, S. 410
23 FDGB – Freier Deutscher Gewerkschaftsbund, Einheits-Gewerkschaft der DDR-ArbeiterInnenklasse
24 „Erklärung des Politbüros zur Normenfrage“, 16.06.1953, Dokumente der SED, Bd. IV, S. 433, Dietz Verlag Berlin, 1954
25 „Über die Lage und die unmittelbaren Aufgaben der Partei“, 21.06.1953, „SED Dokumente“, Bd. IV, S. 436-445
26 ebenda, S. 441
27 Entschließung des ZK, „Der neue Kurs und die Aufgaben der Partei“, 26.07.1953, „SED Dokumente“, Bd. IV, S. 467
28 „Kommuniqué des Politbüros vom 09.06.1953“, Dokumente der SED, Bd. IV, S. 428, Dietz Verlag Berlin, 1954 – „Kommuniqué Politbüro“
29 ebenda
30 „Kommuniqué Politbüro“, ebenda, S. 428-429
31 „Protokoll des IV. Parteitages der SED“, S. 143, Dietz Verlag Berlin, 1954
32 „Kommuniqué Politbüro“, S. 430
33 „Stellungnahme des Sekretariats zur falschen Einstellung der Parteileitung zu den technisch begründeten Arbeitsnormen und zur technischen Intelligenz“, 17.01.1952, „Dokumente SED“, IV, S. 543
34 „Protokoll des IV. Parteitages der SED“, Bd. 1, S. 18-19, Dietz Verlag, 1954 – „Protokoll IV. Parteitag“
35 ebenda, S. 29-30
36 „Protokoll IV. Parteitag“, Bd. 2, S. 1097. Weitere Beschlüsse des IV. Parteitages, „Statut der SED“ und „Die leitenden Organe der SED“.
37 „Protokoll IV. Parteitag“, Bd. 2, S. 1109-1110, Dietz Verlag, 1954
38 Siehe hierzu „Die Polemik über die Generallinie der internationalen kommunistischen Bewegung, Teil I., Die Wurzeln der Polemik: Der XX. Parteitag der KPdSU und die Erklärungen von 1957 und 1960“, TA, Nr. 16, S. 25ff
39 „Dokumente der SED“, 14.02.1956, Bd. VI, S. 35
40 Walter Ulbricht, „Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. V, S. 634-637 – Ulbricht, „deutsche Arbeiterbewegung“. Veröffentlicht am 17.02. im Neuen Deutschland
41 Ulbricht, „deutsche Arbeiterbewegung“, Bd. V, S. 638-658
42 ebenda, S. 656
43 26. Tagung des ZK 22.03.195; III. Parteikonferenz 24.–30.03.1956; 28. Tagung des ZK am 29.07.1956
44 „Erklärung zu dem Beschluß des ZK-Plenums der KPdSU gegen das Auftreten der parteifeindlichen Gruppe der Genossen Malenkow, Kaganowitsch und Molotow“, 02.02.1957, Dokumente der SED, Bd. VI, S. 272-2723
45 „Wir sind zur Zusammenarbeit mit allen deutschen Patrioten bereit, darunter auch mit früheren Mitgliedern der Nazipartei, ehemaligen Offizieren, kleineren und mittleren Unternehmern und dem Teil der Großbourgeoisie in Westdeutschland, dem die Interessen Deutschlands am Herzen liegen und der bereit ist, die Bestrebungen des deutschen Volkes zur Wiederherstellung seiner Einheit und Unabhängigkeit zu unterstützen.“ „Dokumente SED“, Bd. II, S. 342, siehe auch TA 84, S. 35
46 „Neues Deutschland“, 4.02.1954 „Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“, Bd. IV, S. 700-701, Dietz Verlag
47 siehe Walter Ulbricht, „Über den XX. Parteitag der KPdSU“, „Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“, Bd. V, S. 648
48 ebenda, S. 651
49 „Entschließungen, Die gegenwärtige Lage und die Aufgaben der SED“, „Protokoll III. Parteitag“, Bd. II, S. 225
50 ebenda, S. 233
51 „Informatorische Mitteilung“, 14.05.1953, 13. Tagung des ZK, „Die KPdSU in Resolutionen und Beschlüssen der Parteitage, Konferenzen und Plenen des ZK“, Bd. 11, S. 85