TROTZ ALLEDEM!

 

Die deutsche Industrie: Zwischen "Freikauf zur Imagepflege" und "Schutzgelderpressung"

* Es geht um die Exportchancen für die Industrie

Warum, haben wir eingangs die Frage gestellt, ist die deutsche Industrie und der Staat nun bereit überhaupt Entschädigungen zu zahlen, nachdem sie sich so lange und so erfolgreich dagegen gewehrt hatten?

Die Industrie- und Handelskammer bekennt offenherzig: "Zum Ende des Jahrhunderts will die deutsche Industrie das leidige Thema erledigt haben". (Spiegel, 32/99) Der Regierungsbeauftragte Hombach stellte schon zu Beginn der Verhandlungen klar worum es geht: "Wir wollen keine Prozeßlawine akzeptieren, die den deutschen Namen in den Schmutz zieht." (Spiegel 49/98)

Die Bundesregierung benennt in der Begründung des Gesetzentwurfes vom 22.3.00 auch ganz ungeniert die "ideellen" Werte: "Mit dem Beitrag der Unternehmen (5 Milliarden) werden diese ihrer Aufgabe gerecht, einerseits betroffene Unternehmen vor Schadensersatzklagen und internationalen Boykottdrohungen zu bewahren und andererseits dem Ansehen der deutschen Wirtschaft insgesamt zu dienen, das für eine auf den Export und die weltweite wirtschaftliche Zusammenarbeit angewiesene Nation von besonderer Bedeutung sind."

Klarer kann man das Interesse nicht beim Namen nennen. Die Sammelklagen und Einzelklagen der ZwangsarbeiterInnen in den achziger und neunziger Jahren, die Öffentlichkeitsarbeit und der Druck der Interessenverbände der SklavenarbeiterInnen zwangen die Industriebosse zum Handeln, und sonst gar nichts. Es ging und geht um das Image der deutschen Konzerne im Ausland, um den Waren- und Kapitalabsatz. "Für die Konzerne - von Daimler-Chrysler über VW zu Siemens, Allianz, Krupp und Degussa - geht es nicht um Moral, sondern um viel Geld und womöglich irreparabelen Imageschäden in den Vereinigten Staaten, ihrem größten Auslandsmarkt". (Spiegel, 49/98) Die "Zeit" kommentiert, daß die "Moral nur durch den Markt zu ihrem Recht" kam: "Hätten bei uns Daimler und Deutsche Bank die Führung bei der Zwangsarbeiterentschädigung übernommen, wenn ihnen Detroit und Dow-Jones egal gewesen wären? Ein Hoch auf die Globalisierung! Wenn vor der Fusion mit Bankers Trust die Stadt New York steht, ist ein guter Ruf tatsächlich Gold wert." (20.7.00)

Im Vergleich zu den Einbußen, die die deutsche Industrie hinnehmen müßte wenn es zum Beispiel zu Boykottaufrufen kommen würde, ist für sie die Summe von 5 Milliarden tatsächlich ein Klacks. Aber selbst die zahlen sie ja nicht wirklich: Im Beschlußantrag zum Gesetz wird festgelegt: "Die Mitstifter aus der Wirtschaft werden ihre Leistungen als Betriebsausgaben steuermindernd geltend machen können. Daraus werden Steuermindereinnahmen in Höhe von voraussichtlich bis zu 2,5 Milliarden DM resultieren." Mit anderen Worten Entschädigungszahlungen können wie Werbungskosten von der Steuer abgesetzt werdenwenn das keine "wirtschaftsverträgliche Regelung" ist. Was für ein Hohn sind diese Inhalte und auch die deutsche Bürokraten-Sprache für die Opfer, die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen!

Und noch eins war wichtig, die Zeit lief natürlich für die Herrschenden. Die überlebenden ZwangsarbeiterInnen sind so alt, daß klar war wenn sie überhaupt noch Entschädigungen erhalten konnten, ihre Interessenvertreter sich letztlich auf alle Bedingungen des deutschen Staates und der Industrie einlassen mußten. Langwierige Gerichtsverfahren waren und sind einfach sehr aussichtslos. All diese Faktoren wußte sich die deutsche Industrie zum Vorteil zu nutzen.

Aber selbst bei der Summe von fünf Milliarden gab es ungenierte Proteste der Industriebosse. Bei Versammlungen in der Industrie und Handelskammer wurde schon mal die eine oder andere Stimme laut, die da rief "Schutzgelderpressung!" und es als Anmaßung fand, daß verlangt wird, in den Entschädigungsfond einzuzahlen. Die Summe von 5 Milliarden ist ja auch bis Mitte Oktober 2000 noch nicht zusammengekommen. Wobei, auch da ist das Gesetz ganz im Sinne des Finanzkapitals und der Industriebosse keiner kann gezwungen werden zu zahlen. Es gibt nur eine freiwillige "Selbstverpflichtung" der deutschen Industrie! SPD-Wiefelspütz hat schon vor der Gesetzesunterzeichnung moderat angeboten, "der Wirtschaft eine Brücke zu bauen für die fehlenden Millionen." (14. Juni 2000)

* Es geht um Rechtsfrieden für die Sklavenausbeuter

Eigentlich sollte die Einigung über die Entschädigung von ZwangsarbeiterInnen bereits am 1. September 1999, dann Anfang Juni 2000 unterzeichnet werden. Beim Deutschlandbesuch Clintons wollten Schröder und er sich damit in Szene setzen. Aber es kam nicht dazu. Am 24. Mai wurde der "Festakt für Entschädigung der Zwangsarbeiter abgesagt" (Die Welt). Warum? Weil, so die Presseverlautbarung der "Rechtsfrieden für die deutschen Unternehmen" nicht genügend abgesichert sei. Klar, laut und deutlich wurde von Anfang an gefordert: "Ohne Rechtssicherheit wird nicht gezahlt werden". (So der Stiftungsinitiator im Spiegel 32/99). Daher platzte die Unterzeichnung Anfang Juni: "Deutsche fordern Schutz vor Klagen von NS-Zwangsarbeitern" (AP-Meldung 1.6.00). Als "Horrorszenarium" malte die Welt an die Wand: "Eine absurde Situation drohte: Wirtschaft und Steuerzahler geben Milliarden für ein einmaliges historisches Projekt, um am Ende ein unverbindliches Briefchen zu bekommen, indem viel guter Wille aber wenig Handfestes zu finden ist." (14.6.00) Also was "Handfestes" mußte her und siehe da, am 14. Juni wurde dann in zusätzlichen Verhandlungen der Rechtsfrieden "hergestellt." "Nach zehnstündigen Verhandlungen sagte Lambsdorff am Montagabend in Washington, der Schutz deutscher Unternehmen vor Sammelklagen von Nazi-Opfern in den USA sei weitgehend gewehrleistet. Das bedeute zwar keine hundertprozentige, aber einen an Gewißheit grenzenden Schutz vor Sammelklagen. Es ist ein großer Tag für die Opfer, sagte Lambsdorff." (Welt, 14. Juni 2000)

Die Sicherung des "Rechtsfrieden" für die deutsche Industrie, das Hauptziel der Vereinbarungen für den deutschen Staat und das Kapital wird zum großen Tag für die Opfer stilisiert....den Zynismus soll noch irgendjemand überbieten!

Unter "Rechtsfrieden" wird verstanden, daß es rechtlich unmöglich gemacht werden soll, daß nach dem Vertragsabschluß noch Sammelklagen oder Einzelklagen gegen deutsche Firmen in den USA von ehemaligen ZwangsarbeiterInnen eingereicht werden können. Zudem sollen die noch laufenden 35 anhängigen Verfahren in einem zuammengfaßt und mit einem Urteil abschlägig beschieden werden. Indem die US-Regierung eine Rechtsgarantie in einem deutsch-amerikanischen Regierungsabkommen und in einer Begleiterklärung bei Vertragsschluß vorlegte, zeigte sich gleich auch noch was es mit der angeblich unabhängigen amerikanischen Justiz auf sich hat! Ziel ist unbedingt zu verhindern, daß die ehemaligen ZwangsarbeiterInnen noch in irgendeiner Form die deutsche Industrie und den Staat zumindest materiell für die Leiden durch die Barbarei zur Rechenschaft ziehen könnten.