TROTZ ALLEDEM!
Und immer immer wieder geht die Sonne unter ...
Der IG Metall Streik im Juni dieses Jahres ist nicht gescheitert, vielmehr wurde das traurige Ende von den Bonzen wie Zwickel und seinen verbündeten Betriebsräten bewusst inszeniert. Dass der Streik nicht gescheitert ist, sondern einfach von seinen Gegnern geschickt abgeblasen wurde, ging völlig unter in der darauffolgenden Personaldebatte. Vize-Chef Peters und die Auseinandersetzungen um seine Person, waren dabei nur recht und billig. Zwickel, erklärter Gegner „unflexibler Flächentarife” hatte sich schon 2002 gegen die 35-Stunden-Woche geäußert. Er bezweifelte die „Streikfähigkeit” im Osten, und befürwortete den sogenannten Stufenplan, um über Jahre verteilt auf 35 Stunden zu kommen. Für einen Streik für Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich sah er „keine Chance” (Zwickel, Arbeitszeitkonferenz, München 24.10.02). Die hochgespielten Unterschiede zwischen Peters oder Huber und Zwickel sind nur ganz minimal. Peters war es z.B., der die „5000 mal 5000”-Reform (1) bei VW durchzog, wodurch nun 5000 ArbeiterInnen für weniger Geld mehr schuften als ihre Kolleginnen, oder den VW-eigenen „Niedriglohn-Zeitarbeitspool”. Also auch bei der Debatte Peters gegen Zwickel bzw. dessen Favorit Huber geht es nicht um „Klassenkampf” gegen „Reformflügel”, wie uns Medien und Industrievertreter weis machen wollen, sondern um das Ablenken von der Tatsache, dass der Angriff von oben, vom Kapital härter wird und massiv an der Kampfkraft der Gewerkschaften gesägt wird!
Streik für die 35-Stunden-Woche - wer kämpft kann verlieren, wer gar nicht kämpft hat schon verloren! Aber wer mit solchen Gewerkschaften kämpft, braucht sich um die Niederlagen nicht zu sorgen!
2002 wurde von der IG Metall mit den Arbeitgebern der ostdeutschen Metallindustrie vereinbart, dass 2003 über die Einführung eines Stufenplans zur Arbeitszeitverkürzung mit dem Ziel der Angleichung an das Westniveau verhandelt wird. Die KollegInnen im Osten, die seit über 10 Jahren „Einheit“ sowohl länger arbeiten als auch weniger verdienen, sollten endlich den ArbeiterInnen im Westen gleichgestellt werden, was die Arbeitszeit angeht. Im Dezember 2002 beschloss die Tarifkommission der IGM, die wöchentliche Arbeitszeit im Osten von derzeit 38 an die 35 Stunden im Westen durchzusetzen. Für den Fall, dass die Verhandlungen nicht zu dem Stufenplan führen, sollten die Tarifverträge von der IGM aus zum 30. April 2003 gekündigt werden, um zunächst mit Warnstreiks die Arbeitgeber zum Verhandeln zu bringen. Genau dies ist dann eingetreten und der Vorstand der IG Metall hat einstimmig (also inklusive des Herren Zwickel) die Streikaufnahme beschlossen. Also von der angeblich „fehlerhaften Entscheidung Einzelner“ kann wohl kaum die Rede sein! Nach den Urabstimmungen Ende Mai für den Stahlbereich und dann für die Metall- und Elektroindustrie in Sachsen, sowie Anfang Juni für Berlin-Brandenburg begann der Streik. Eine Woche nach Beginn wurde für die Stahlindustrie die Einführung der 35-Stunden-Woche bis 2009 vereinbart (es wird sich zeigen, ob 2009 nur noch 35 Stunden gearbeitet wird, oder ob die „Revisionsklausel“ in Anspruch genommen wird, wonach die Arbeitszeitverkürzung bei „wirtschaftlicher Verschlechterung“ verschoben werden kann), wodurch diese aus der Streikfront ausschied. Das bevor der Streik in Berlin-Brandenburg überhaupt begonnen hat! Ist schon merkwürdig, diese Streiktaktik!! Klar muss doch sein, dass nach diesem Abschluss der mächtigen Stahlindustrie die verbliebenden Arbeitgeber auf Stur schalteten und auf weiteres Abbröckeln warten konnten. Von mangelndem Kampfeswillen der KollegInnen im Osten kann ebenfalls keine Rede sein, denn vom 1. Juni bis zum Ende am 28. Juni standen täglich zwischen 6.000 und 12.000 Streikende vor den Werkstoren. Die KollegInnen im Osten wurden buchstäblich im Regen stehen gelassen. Es gab in der ganzen Zeit vom IGM Vorstand lediglich 3 (!!) zentrale Flugblätter für die Unterstützung des Streiks! Insgesamt wurde die Öffentlichkeitsarbeit und damit Mobilisierung völlig vernachlässigt! Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass die Einführung der 35-Stunden-Woche im Westen 1984 mit dem größten Streik der Geschichte der Bundesrepublik erkämpft wurde. 70.000 ArbeiterInnen streikten damals und die Arbeitgeber reagierten mit über 130.000 Aussperrungen, und erst 1995 wurde das Ziel (35 Stunden mit vollem Lohnausgleich, nach Stufen von 38,5, 37,5, 37 und 36) erreicht. Und das auch nur durch erneute Warnstreiks! Wenn wir uns das also noch mal vor Augen halten, dann ist es doch fragwürdig, ob die IGM wirklich von der Durchsetzung ihrer erklärten Ziele überzeugt war, oder ob es diesmal nicht wie so oft ein Pseudo-Kampf war, um Dampf abzulassen, um die Wut der KollegInnen über die soziale Situation, Arbeitsbedingungen, Sozialabbau insgesamt zu kanalisieren! Kapital, Medien und Politiker waren jedenfalls eine Front in der Hetzkampagne gegen den Streik im Osten. Das die Forderung nach Angleichung der Arbeitszeit an Westbedingungen mehr als gerecht ist, wurde so gut wie gar nicht debattiert. „Die sollen froh sein, wenn sie noch Arbeit haben“, „Ich weiß nicht warum hier gestreikt wird“ so der Tenor. Umso demoralisierender, wenn dies auch noch aus dem Mund von Gewerkschaftsvertretern und Betriebsräten kommt. Am 17. Juni wurde dann deutlich gezeigt, dass jetzt Schluss mit Lustig ist. Beim bestreikten Automobilzulieferer Federal Mogul in Dresden wurde ein Spektakel inszeniert. „Arbeitswillige“ wurden per Hubschrauber aufs Werksgelände geflogen. Sie hätten auch zu Fuß gehen können, da laut Arbeitsgerichtsbeschluss Arbeitswilligen beim Streik der Zugang zum Werk ermöglicht werden muss. Nun, die Streikbrecher wurden also geflogen, Polizei rückte an und die Anzahl der Presse- und TV Reporter drohte die Zahl der Streikenden zu übertreffen. Als danach dann noch verbreitet wurde, die Firma liefere Getriebe für die 3er-Reihe von BMW und bei BMW in Bayern drohe nun für Zehntausende Kurzarbeit; der Osten ist schuld daran ... war für alle das Signal deutlich: der Streik muss beendet werden! Auch der anschließende Abschluss von einzelnen Haustarifen sorgte für das Aufweichen der Kampffront. Darüber hinaus lieferten diese Abschlüsse ganze Arbeit für die Schwächung der Durchsetzungskraft der IGM für den Erhalt des Flächentarifvertrages im Osten! Das eine Solidarisierung der ArbeiterInnen im Westen grundsätzlich möglich war, zeigte sich am Ende der 3. Streikwoche, als die VW-ArbeiterInnen in Salzgitter und Wolfsburg mit Solidaritätskundgebungen und Versammlungen die Produktion lahm legten, was die Medien so gut wie totschwiegen. Die Frage ist nur, wie soll größtmögliche Wirkung gezeigt werden, bzw. größtmöglicher Druck erzeugt werden: Wenn `streikerprobte´ Westbetriebe erst spät und dann auch nur zaghaft eingebunden werden, wenn keinerlei vorbereitende Mobilisierung läuft, abgesehen von den oben genannten 3 Flugblättern der IGM. Der Streik war nun also im Westen angekommen und Peters und die IG Metall setzten auf das Desaster der Demoralisierung noch einen drauf, indem sie verkündeten, dass sie „mögliche streik-bedingte Produktionsausfälle in der Autoindustrie bedauern“. Das war ihre Antwort auf Produktionsunterbrechungen bei VW und Kurzarbeit bei BMW. Also Fernwirkungen eines Streiks, diese kritisierte Zwickel auch an Peters nach Streikabbruch, als angeblich nicht ausgemacht. Fernwirkungen sind nun plötzlich nicht gewünscht bei der IG Metall?? Was ist und soll denn bitte schön ein Streik ohne Wirkung?? Ein IG-Metall Mitglied dazu im Labournet (2): „Einen Streik ohne Auswirkungen sollte man gar nicht erst anfangen und von vornherein zum Scheitern verurteilen. Einen Streik abzubrechen, der gerade erst Wirkung zeigt, muss man wohl erst noch verstehen lernen.“ Am Montag, den 23. Juni trafen sich die hochdotierten und hochprivilegierten Automobil-Betriebsräte bundesweit. Statt Solidaritätsaktionen zu beschließen, entsolidarisierten sie sich lautstark. Daimler-Chryslers Gesamtbetriebsratschef Erich Klemm: Peters sei ein Geisterfahrer. Der Gesamtbetriebsratschef von VW, Klaus Volkert, drohte mit dem Austritt des VW-Konzerns aus dem Arbeitgeberverband Sachsen. Opels Gesamtbetriebsratschef Klaus Franz wetterte dann noch ausführlich und massiv gegen den Streik in der Tagesschau: „Die Streiks für die 35-Stunden-Woche im Osten waren niemals von einer breiten Bewegung in der Arbeitnehmerschaft getragen. Ich bin dafür, dass alle Streiks ab sofort beendet werden, damit schnell eine vernünftige Verhandlungslösung erreicht werden kann“ (Die Welt, 26.06.03). Auf solche Betriebsräte können die Konzerne stolz sein und wir verzichten! Was war das für die Streikenden ein Gefühl der Schwäche und Ohnmacht, so von den eigenen „Kollegen“ verraten und verkauft zu werden?! Am gleichen Tag gab es auch noch ein Gespräch mit dem Kanzler, angeblich über „Sozialabbau“. Na klar doch! Der Gipfel war dann, als Zwickel am Mittwoch verkündete, dass er sich einen Tag später, am 26. Juni, mit dem Gesamtmetall-Chef Kannegießer treffen wird, um das „Grundgerüst“ für Verhandlungen am Freitag zu erörtern. „Es gehe jetzt darum, den Streik mit einem vernünftigen und akzeptablen Ergebnis zu beenden.“ Freitag gab es dann die Verhandlung, während derer noch mal ein Gespräch in Kanzlers Hinterzimmer stattfand. Samstag, den 28. Juni wurde es dann für alle öffentlich: „Die bittere Wahrheit ist: Der Streik ist gescheitert“. So Klaus Zwickel. Es ist wohl einmalig in der Geschichte der IG Metall und der bundesdeutschen Gewerkschaften, dass ein Vorsitzender ohne Einbeziehung verantwortlicher Gremien nach einer Verhandlungsnacht einfach sich hinstellt und den Streikabbruch verkündet. Nach den Gewerkschaftsregeln geht das erst nach Beschluss der Tarifkommission und dann nur durch eine Erklärung vom Vorstand. Eine wahre Lehrstunde bürgerlicher Demokratie! Es gibt auch keine Belege für das Scheitern der Verhandlungen, noch Schlichtungsversuche. Den nötigen Beschluss für den Streikabbruch holte sich Zwickel diesmal einfach später. Ohne Urabstimmung!
Klassenkampf, Klassenkampf nur das macht ihnen Dampf!
Wie nun weiter? Dass es nach diesem Streikende zahlreiche Austrittserklärungen von IG Metallmitgliedern gegeben hat, weil die Leute wütend sind, dass ihnen so in den Rücken gefallen wurde, ist nur verständlich. Jedoch ist dies genau, was das Kapital und seine Regierungsmarionetten wünschen: Schwächung unserer Kampfkraft und Organisation. „Unserer“, nicht die der IG Metall-Bonzen, sondern der Organisation von uns als Klasse! Genau dies ist es auch, was übrig bleibt von diesem Streik: Eine absolute Schwächung und Niederlage, von der wir noch lange zehren werden. Kurz darauf und fast unbemerkt hat ver.di in Berlin für den öffentlichen Dienst einen ebensolch niederschmetternden Abschluss unterzeichnet: 2,4% Lohnsteigerung für 2003, je 1% für 2004 und 2005. Dafür aber eine Arbeitszeitkürzung um 8 12 Prozent. Ohne Lohnausgleich!! Also gleiche Arbeit in kürzerer Zeit für weniger Geld! Gesamtmetallchef Kannegießer deutete auch schon mal an, woher der Wind in Zukunft weht: „Man will die Niederlage der IGM nicht unmittelbar für eine Verlängerung der Arbeitszeit im Westen nutzen“ (FR 30.6.03). Ja die Gier des Kapitals ist unersättlich.
Es geht um die Angleichung des Westens an den Osten!
Die Erhöhung der Arbeitszeiten, die weitere Aufweichung des Flächentarifvertrages selbst sind die Zielscheibe! Dezentralisierung und Flexibilisierung lautet der Trend in der Tarifpolitik - und das nicht erst seit gestern. Eine Betriebs- und Personalrätebefragung 2002 hat ergeben, dass in 35 % der Betriebe und 22 % der Dienststellen tarifliche Öffnungsklauseln zum Tragen kommen, so bei der Arbeitszeit (Verlängerung, Korridor, Verkürzung ohne Lohnausgleich), beim Lohn und Gehalt (Tariferhöhung, also Aussetzung oder Verschiebung), Tarifabsenkung (Einkommenskorridor, neue (niedrigere) Lohngruppen, Einstiegstarife) und bei Sonderzahlungen (Urlaubsgeld, Zulagen und Zuschläge). Alles schon längst flexibel geworden! Nach dem IGM Streik wurden in mehreren Betrieben Haustarife abgeschlossen, was ein weiterer Abbau des Flächentarifvertrages bedeutet. Arbeitgeberpräsident Hundt am Ende des Streiks: „Die Flächentarifverträge sollten so gefasst sein, dass die Regelung der Arbeitszeit den Unternehmen überlassen bleibt“ (Spiegel online, 22.6.03). Also für die Zukunft muss uns klar sein, der Klassenkampf von oben wird schärfer, der Druck auf uns härter. Wir können nur etwas erreichen und gegen den Angriff auf unsere hart erkämpften Rechte vorgehen, wenn wir ebenfalls Druck machen. Aber richtig! Treten wir in die Gewerkschaften ein und nicht aus! Wir sind nur stark mit kollektiver Kraft! Dass der Wille da ist, haben uns die KollegInnen im Osten bewiesen. Dass Solidarität da ist, wurde auch gezeigt. Wir müssen nur mal jetzt nach dem Ende des Streiks die Protestresolutionen und Aufrufe von kämpferischen KollegInnen, Betriebsräten und Vertrauensleuten lesen! In den bürgerlichen Medien wurde davon natürlich nicht berichtet. Durch die Streik-Aktion wurde versucht, die Spaltung in OstarbeiterInnen und WestarbeiterInnen weiter anzustacheln und zu zementieren. Falsch war auch die mangelnde Mobilisierung, und die ging von Oben aus! Also nehmen wir den Kampf in unsere Hand! Und lassen wir uns nicht spalten! Es gibt im Kapitalismus nur zwei Alternativen: entweder wir kämpfen oder wir kapitulieren. Hartz-Kommission, Agenda 2010, weiterer Sozialabbau, Rentenklau, Gesundheitsreform etc. etc, auch hier haben uns Zwickel, Sommer, Bsirske und Co. gezeigt, wo es langgeht: Erst laut schreien, dann so tun als ob und dann nach dem Kniefall vorm Kanzler verkünden „Die gröbsten Brocken sind raus“, wir machen Sommerpause. Während in Frankreich oder Österreich, Griechenland, Italien, von Venezuela, Peru und Argentinien wollen wir gar nicht erst reden, Millionen auf die Straße gingen und immer noch gehen und wirklich Druck machen, lassen wir uns immer wieder verschaukeln und verkaufen. Die Gewerkschaftsbonzen nehmen sich schon von alleine ihren Kuchen und einigen sich mit dem Kapital! Wir sind es die kämpfen müssen! Und was wird alles möglich, wenn wir dies auch tun! Gewerkschaften sind unsere Organisationskraft im Kampf gegen das Kapital! Wenn wir abstimmen über einen Streik, dann müssen wir auch bestimmen, wann und mit welchen Forderungen er beendet wird! Wir stehen in der Produktion! Organisieren wir Streik- und Kampfkomitees! Oder wie KollegInnen von Opel Bochum in einem Unterschriftenflugblatt gegen den Streikabbruch schrieben: “Gewerkschaften müssen Kampforganisationen sein und keine Bettvorleger! Tretet ein in die Gewerkschaft und werdet aktiv!“
Trotz alledem: Geschwister zur Sonne, zur Freiheit!
(1) Hoch gepriesen wurde diese „Reform“, 5000 ArbeiterInnen bekamen Jobs für 5000 DM brutto. Im Klartext war das allerdings deutlich unter Tarif, d.h., die ArbeiterInnen arbeiten zu weitaus schlechteren Bedingungen als ihre KollegInnen.
(2) www.labournet.de , hier gibt es ausführliche Diskussionen, Berichte und Protestresolutionen
Unterschriftensammlung bei Opel-Bochum
Rot-Grün: Weg mit dem Flächentarifvertrag, hin zu mehr betrieblichen „Lösungen“